Keiner soll sagen, er habe ja nichts geahnt... Wie der Widerstand gegen rechtsextremes Gedankengut und Nationalsozialismus vor 80 Jahren lief, als Menschen mit klarer Erkenntnis an einer angeblich ahnungslosen Gesellschaft abprallten und ihre Warnungen schließlich mit dem Tod bezahlen mussten – das…
Uwe Schareck, Uta Reitz, Hannah Schareck, Bistum Essen
Nikolaus Groß wird am Nachmittag des 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee durch den Strang hingerichtet. Den Verschwörern des 20. Juli wird ein Begräbnis verweigert, Todesanzeigen durch die Angehörigen untersagt. Die Leichen der hingerichteten Widerstandskämpfer wurden in der Regel verbrannt, ihre Asche verstreut.
Am 21. Januar 1945 - zwei Tage vor seiner Hinrichtung schreibt Nikolaus Groß einen letzten Brief an seine Frau und sieben Kinder in dem er von seiner Familie Abschied nimmt. Dieser Brief trägt keine Häftlingsnummer, hat also keinen offiziellen Weg aus dem Gefängnis genommen. Wahrscheinlich hat Pfarrer Buchholz ihn bei seinem Besuch in der Todeszelle mitgenommen oder er ist auf anderem unkontrolliertem Weg an die Familie gelangt.
Im Zuge der "Aktion Gewitter" gegen die engeren und weiteren oder in irgendeiner Weise tatverdächtigen Akteure um das Attentat auf Adolf Hitler am 20.Juli 1944 wird in einem gnadenlosen Racheakt Terrorjustiz geübt. Nikolaus Groß ist - längst nach Folterhaft inzwischen in der Haft in Berlin-Tegel und erwartet seine mehrfach verschobene Gerichtsverhandlung.
Am 6. Januar 1945 kann Elisabeth eineinhalb Stunden mit ihrem Mann reden. Ein menschlich fühlender Gefängnisbeamter hat das möglich gemacht. Wenig Zeit, zurückzuschauen - weniger Zeit, um nach vorne zu blicken. Bevor Elisabeth wieder abreist, erkundigt sie sich beim Volksgerichtshof nach dem Verhandlungstermin ihres Mannes. Auf die Antwort hin bittet sie um eine nochmalige Besuchserlaubnis.
Am 6. Januar 1945 kann Elisabeth eineinhalb Stunden mit ihrem Mann reden. „Ein menschlich fühlender Gefängnisbeamter hatte das möglich gemacht" (Günter Beaugrand). Wenig Zeit, zurückzuschauen - weniger Zeit, um nach vorne zu blicken ...
Sylvester 1945. Der Krieg tobt ohne Pardon. Deutschland ist am Boden. Also engagiert sich der Vater von 7 Kindern im Widerstand. Sohn Klaus ist als Soldat in Russland vermisst. Nikolaus Groß will seinen Kindern ein guter Vater sein, zusammen mit der Frau Elisabeth ein moralisches Gerüst vermitteln, das ein Aufwachsen im Nationalsozialismus entgegen der politischen Richtung eine menschenwürdige Handlungsbasis ermöglicht.
"Es gibt genug zu bedenken, was die Zukunft angeht. So war es auch an den Weihnachtstagen. Sie sind für mich still und friedlich vergangen, und ich habe sie weitaus besser ertragen, als ich vorher angenommen hatte. Ihr, Du und die Kinder, fehltet mir; sonst ließe sich, was das andere angeht, auch unter den besonderen Umständen meiner Lage, ein Fest wie das Weihnachtsfest mit innerem Gewinn erleben. Ich glaube, daß mir dieser Gewinn nicht versagt geblieben ist." Nikolaus Groß, Weihnachten 1944
Am 3. Dezember 1944 können Elisabeth und ihre Tochter Nikolaus Groß etwa 30 Minuten lang im Gefängnis sprechen. „Die halbe Stunde Besuch wiegt Monate des Alleinseins auf", schreibt Groß einen Tag später in einem Kassiber. „Aus einem über Euren Besuch überglücklichen Herzen danke ich Euch noch einmal... Laß Dich unter keinen Umständen niederdrücken... Ich habe die feste Überzeugung, daß mit mir alles gut auslaufen wird. Wir müssen nur Geduld haben und beten."
Lange schon steht Groß unter Beobachtung der Gestapo. Seine Zeitung ist längst verboten, seine Publikationen können nicht mehr gedruckt werden, vermeintlich wegen Papiermangels. Am 12.August 1944 schließlich wird NG im Zuge der AKTION GEWITTER wie etwa 700 weitere mutige Figuren um das Attentat auf Hitler vor den Augen der Kinder verhaftet.
An seinem Geburtstag schreibt Nikolaus zwei Briefe an seine Familie. Er wird in ein Berliner Gefängnis verlegt und darf keine Pakete mehr empfangen. Die jüngste Tochter Leni wünscht sich zu ihrem Geburtstag nichts mehr als den Vater zurück.
Die Haftbedingungen für Nikolaus Groß werden erschwert: Nur noch ein Mal pro Woche darf er einen einzigen Brief an seine Familie schreiben. Seine Frau und die sieben Kinder sind bei Verwandten und Freunden untergebracht. Nikolaus Groß ist voller Sorge um ihr Wohl, aber auch voller Dankbarkeit und Liebe. Zuversichtlich und voller Gottvertrauen, dass alles gut ausgeht, sorgt er sich um die Wintervorräte und den Heizkessel. Seinen eigenen Gesundheitszustand thematisiert er kaum.
Längst ist der Krieg, der von Deutschland ausging, auch auf das Land selbst zurückgefallen: Auf Köln fallen seit 1942 massenweise Bomben. Viele Menschen fliehen oder werden evakuiert. Viele Familien wurden zerrissen. Auch Familie Groß muss sich trennen, um nicht alle der großen Gefahr in Köln auszusetzen. Der Älteste ist im Krieg. Berny ist in Köln geblieben; die Mutter hält mit der Jüngsten die Stellung im Kölner Heim. Die anderen Kinder konnten evakuiert werden. Die Familie hält mit sogenannten „Rundbriefen“ Kontakt.
Nikolaus Groß darf wöchentlich zwei Briefe aus der Haft schreiben. Diese Freude, mit der Familie in Verbindungen zu sein, will er sich einteilen und schreibt über drei Tage verteilt. So wie er früher als Schriftleiter der Westdeutschen Arbeiter-Zeitung vieles zwischen den Zeilen mitgeteilt hat, so mahnt er jetzt die Familie, in Briefen an ihn nicht seinen Fall oder irgendwelche problematischen Themen anzusprechen.
Nach dem fehlgeschlagenen Attentat gegen Hitler am 20. Juli 1944 überschlagen sich die Ereignisse. Die großangelegte Aktion Gewitter fordert ihre Opfer. Viele. Nikolaus Groß, der an der Vorbereitung und Ausführung selbst nicht beteiligt war, wird am 12. August 1944 gegen Mittag in seiner Wohnung verhaftet und zunächst ins Gefängnis Ravensbrück und dann ins Zuchthaus nach Berlin-Tegel gebracht. Aber sein Notizbuch konnte er in letzter Sekunde vor der Gestapo verstecken.
Die Verhaftung von Bernhard Letterhaus macht nicht nur den Kindern der Familie Groß Angst. Nikolaus reist in den Hunsrück und kümmert sich um die Frau seines Freundes. Luftangriffe auf Köln beschädigen das Wohnhaus, Nikolaus versucht nach Kräften diese zu beheben. Plötzlich steht die Gestapo vor der Tür.
Schon wenige Wochen nach der Machtergreifung wird die Westdeutsche Arbeiterzeitung von den Nazis verboten. Nikolaus Groß aber lässt sich nicht einschüchtern - er macht sogar seinen Wohnsitz zu einem Zentrum des Widerstandes. Seine Kinder müssen lernen, Geheimnisse zu wahren, um den Kölner Kreis nicht in Gefahr zu bringen. Willkürliche Verhaftungen versetzen die Familie in Angst.
Auf Wohnungssuche im Kölner Agnesviertel entdeckt ein junger Mann die Spuren des Widerstandskämpfers Nikolaus Groß. Unerwartet taucht er in die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur ein.
Keiner soll sagen, er habe ja nichts geahnt... Wie der Widerstand gegen rechtsextremes Gedankengut und Nationalsozialismus vor 80 Jahren lief, als Menschen mit klarer Erkenntnis an einer angeblich ahnungslosen Gesellschaft abprallten und ihre Warnungen schließlich mit dem Tod bezahlen mussten – das erleben Sie in dieses Höspiel über Nikolaus Groß: Christ, Familienvater, Gewerkschafter, Analytiker der Zeitgeschichte, Widerstandskämpfer, NS-Opfer. Eine Zeitgeschichte in 17 spannenden Folgen, die wachrüttelt, wenn es um aktuelle Fehlentwicklungen geht.