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Medizinische Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 17/19
In der hier vorliegenden Arbeit wurde die Hypothese überprüft, ob die mittlere Mikrogefäßlängendichte im Kleinhirn bei plötzlichem Kindstod (SIDS [„sudden infant death syndrome“]) als Ausdruck einer chronischen subklinischen Hypoxie größer ist als bei alters- und geschlechtsgematchten Kontrollen (d.h. bei Kindern, die innerhalb des ersten Lebensjahres nicht an SIDS verstorben waren). Diese Hypothese basierte auf Literaturangaben über hypoxische Veränderungen im Gehirn bei SIDS, insbesondere im Hirnstamm, aber auch im Kleinhirn. Zwischen Hirnstamm und Kleinhirn besteht eine enge topografische und funktionelle Nähe in Bezug auf die Gefäßversorgung; so werden sowohl der Hirnstamm als auch das Kleinhirn aus Ästen der Arteriae vertebrales und der Arteria basilaris versorgt. Untersucht wurden insgesamt n=23 Kleinhirnhälften (je eine Kleinhirnhälfte pro Fallnummer) von Kindern, die im ersten Lebensjahr verstorben waren. Von diesen n=23 Kleinhirnhälften stammten n=9 von SIDS-Fällen (im Alter zwischen zwei und zehn Monaten verstorben), n=9 von alters- und geschlechtsgematchten Kontrollen, sowie n=5 weitere von Kontrollen, die entweder in einem früheren oder einem späteren Alter als die SIDS-Fälle gestorben waren. Für jede Kleinhirnhälfte wurde an Serien von 100 µm dicken Schnitten, die immunhistochemisch zum Nachweis von Kollagen IV aufgearbeitet und mit Cresylviolett gegengefärbt wurden, mit modernsten design-based stereologischen Methoden das Volumen aller Kleinhirnschichten sowie die Mikrogefäßlängendichte in diesen Schichten bestimmt. Bei einer Nebenuntersuchung an weiteren Schnitten aus dem Vermis erfolgte ein immunhistochemischer Nachweis von GFAP. Bis auf die äußere Granularzellschicht zeigten alle Schichten des Kleinhirns mit zunehmendem Alter einen statistisch signifikanten, altersabhängigen Anstieg des Volumens. Bis auf die innere Granularzellschicht, die bei den SIDS-Fällen im Mittel statistisch signifikant größer war als bei den gematchten Kontrollen, fanden sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den SIDS-Fällen und den gematchten Kontrollen. Sowohl bei den SIDS-Fällen als auch bei den Kontrollen fand sich die höchste Mikrogefäßlängendichte in der Purkinjezellschicht, und die niedrigste Mikrogefäßlängendichte in der äußeren Granularzellschicht. Die mittleren Gefäßlängendichten der einzelnen Schichten zeigten keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den SIDS-Fällen und den gematchten Kontrollen. In allen fünf Kleinhirnschichten wurden altersunabhängig sowohl bei den SIDS-Fällen als auch bei den Kontrollen Gefäßverzweigungen gefunden. Der immunhistochemische Nachweis von GFAP zeigte in der Molekularschicht bei allen Altersstufen immunpositive Bergmann-Gliafasern, und in der Purkinjezellschicht, der inneren Granularzellschicht und der weißen Substanz bei allen Altersstufen immunpositive Astrozyten. Unterschiede zwischen den SIDS-Fällen und den jeweils gematchten Kontrollen lagen bei dem immunhistochemischen Nachweis von GFAP nicht vor. Insbesondere fanden sich bei den SIDS-Fällen keine Anzeichen für Astrozyten-Aktivierung wie z. B. vergrößerte Perikarien oder kürzere, erweiterte Fortsätze. Zusammen mit den Ergebnissen der hier vorliegenden Arbeit und den Publikationen von Kiessling et al. (2013a; 2013b) liegen somit erstmals für Kleinhirne von SIDS-Fällen und gematchten Kontrollen vier verschiedene schichtenspezifische Befunde zum möglichen Vorliegen von akuter und/oder chronische Hypoxie vor, die u. a. mit modernsten design-based stereologischer Methoden erhoben wurden (Mikrogefäßlängendichten, Form und Menge von Astrozyten, Gesamtzahlen von Purkinkjezellen, und Konzentration von Calbindin-D28k in den Purkinjezellen). Dabei fanden sich keinerlei Anzeichen für akute und/oder chronische Hypoxie im Kleinhirn bei SIDS, so dass die eingangs formulierte Hypothese verworfen werden musste.
Medizinische Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 15/19
Ziel der Hauptuntersuchung der vorliegenden Arbeit war die Überprüfung der Hypothese, dass sich beim plötzlichen Kindstod („sudden infant death syndrome“; SIDS) im Vergleich zu alters- und geschlechtsgematchten Kontrollen (d.h. bei Kindern, die innerhalb des ersten Lebensjahres nicht an SIDS verstorben waren), im Kleinhirn veränderte Gesamtzahlen von Purkinjezellen und Granularzellen finden. Hintergrund dieser Hypothese waren (i) Spekulationen in der Literatur über eine mögliche Rolle des Kleinhirns in der Pathogenese von SIDS sowie (ii) wiederholte Berichte in der neuropathologischen Literatur über mögliche Veränderungen der oben genannten Parameter bei SIDS. Diese neuropathologischen Berichte widersprechen sich jedoch gegenseitig teilweise erheblich, d.h. manche dieser Studien berichteten Veränderungen der oben genannten Parameter bei SIDS, andere Studien hingegen nicht. Wichtig ist dabei, dass keine dieser Untersuchungen in der Literatur mit „design-based“ stereologischen Methoden (d.h. dem „state of the art“ der quantitativen Histologie) durchgeführt wurde. Dementsprechend muss unklar bleiben, ob (und wenn ja, in welchem Ausmaß) die beschriebenen Widersprüche in der neuropathologischen Literatur zur Beteiligung des Kleinhirns an der Pathogenese von SIDS auf die verwendeten Methoden zurückzuführen sind. Dies machte eine Neuauswertung der genannten Parameter im Kleinhirn bei SIDS mit design-based stereologischen Methoden notwendig. Darüber hinaus wurde in einer Nebenuntersuchung der Frage nachgegangen, ob im menschlichen Kleinhirn von den Purkinjezellen im ersten Lebensjahr Sonic hedgehog exprimiert wird, dem bei Labortieren (Maus, Ratte, Huhn) bei der Entstehung der inneren Granularzellschicht im Kleinhirn eine zentrale Steuerfunktion zukommt. Die Beantwortung dieser Frage bezog sich auf einen Bericht in der jüngeren Literatur, nach dem dies bei der Entwicklung des menschlichen Kleinhirns anders sein sollte. Für die Hauptuntersuchung wurden insgesamt n=23 Kleinhirnhälften (je eine Kleinhirnhälfte pro Fall) von Kindern untersucht, die im ersten Lebensjahr verstorben waren. Von diesen n=23 Kleinhirnhälften stammten n=9 von SIDS-Fällen (im Alter zwischen zwei und zehn Monaten verstorben), n=9 von alters- und geschlechtsgematchten Kontrollen, sowie n=5 weitere von Kontrollen, die entweder in einem früheren oder einem späteren Alter als die SIDS-Fälle gestorben waren (sowie ein Kind, das im Alter von 8 Monaten gestorben war). Die Nebenuntersuchung erfolgte an insgesamt n=6 Kleinhirnhälften (davon n=4 SIDS-Fälle und n=2 Kontrollen, die im Alter zwischen einem und zehn Monaten gestorben waren). Alle Kleinhirnhälften stammten aus einer Sammlung des Instituts für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München und wurden dort in den Jahren 1999 bis 2001 durch Herrn Univ.Prof. Dr.med. Andreas Büttner (heute: Direktor des Instituts für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Rostock) im Rahmen von Autopsien gesammelt. Die Verwendung dieser Kleinhirnhälften für die vorliegende Arbeit wurde von der Ethikkommission der Medizinischen Fakultät der Universität Rostock unter der Nummer A2012-0053 genehmigt. Bei der Hauptuntersuchung wurden für jede Kleinhirnhälfte an mit Nissl gefärbten 100 µm dicken parasagittalen Serienschnitten die folgenden Parameter mittels „high-precision design-based stereology“ bestimmt: (i) Volumen der Molekularschicht; (ii) Volumen der inneren Granularzellschicht (einschliesslich der Purkinjezellschicht); (iii) Volumen der weißen Substanz; (iv) Gesamtzahl von Purkinjezellen; (v) Gesamtzahl von Granularzellen (in der inneren Granularzellschicht); und (vi) Anzahl von Granularzellen pro Purkinjezelle. Die Bestimmung der Volumina erfolgte mit dem sogenannten Cavalieri-Prinzip, und die Bestimmung der Gesamtzahlen von Purkinjezellen und Granularzellen mit dem sogenannten „optical fractionator“. Bei der Nebenuntersuchung erfolgte ein immunhistochemischer Nachweis von Sonic hedgehog und Calbindin in den Purkinjezellen. Keiner der beschriebenen Parameter zeigte in der Hauptuntersuchung einen statistisch signifikanten (p
Medizinische Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 02/19
Im Rahmen der multizentrischen BMBF-Studie „Plötzlicher Säuglingstod“ (Leitung Westfälische Wilhelms-Universität Münster) wurden in den Jahren 1999 bis 2001 am Münchener Institut für Rechtsmedizin 93 verstorbene Säuglinge staatsanwaltschaftlich obduziert. 80 der Kinder konnten in die Studie eingeschlossen werden. Von allen Säuglingen wurden epidemiologische Daten erhoben und eine rechtsmedizinische Obduktion wurde durchgeführt. Weiter wurden eine bakteriologische, virologische und toxikologische Untersuchung sowie eine Serumethanolbestimmung und eine Begleitstoffanalyse durchgeführt. Aus im Rahmen der Obduktion entnommenen Gewebsproben wurden umfangreiche histologische Untersuchungen anhand von 80 Präparaten aus 39 verschiedenen Organen bzw. Körperregionen durchgeführt. Nach Abschluß sämtlicher Untersuchungen wurden die Kinder im Rahmen einer „Fallbesprechung“ einer von der Studienzentrale vorgegebene Kategorie von 1 bis 4 zugeordnet, wobei die Kategorien eins und zwei die sog. SIDS (=Sudden Infant Death Syndrome)-Fälle umfaßten, die Kategorien drei und vier die Kinder mit aufgedeckter wahrscheinlicher oder sicherer anderer Todesursache. Die durchgeführten Untersuchungen erbrachten folgende Ergebnisse: Die epidemiologischen Daten wie Alter, Geschlecht, Auffindesituation etc. der verstorbenen Säugling standen weitestgehend mit den in der internationalen Literatur publizierten Daten in Einklang, wobei es nach wie vor für diese „SIDS-typischen“ Verteilungsmuster keine ausreichende Erklärung gibt. Die histologischen Untersuchungen erwiesen sich als sehr bedeutend, was die Feststellung der Todesursache anging. Es konnten bei einem Viertel der Kinder leichte bis schwere Pneumonien nachgewiesen werden, die alle makroskopisch allenfalls vermutet worden waren, und zum Teil durchaus als todesursächlich angesehen werden können. Es ließen sich auch andere bedeutende Befunde wie Myokardinfarkte, Williams-Beuren-Syndrome, Myokarditiden etc. nachweisen, die ohne umfangreiche histologische Untersuchungen unbemerkt geblieben wären. Insgesamt konnten bei über 90% der Kinder pathologische histologische Befunde erhoben werden. Durch die mikrobiologischen Untersuchungen anhand verschiedener Untersuchungsmaterialien im Max-von-Pettenkofer-Institut in München wurden bei 32% der Kinder pathogene Keime nachgewiesen (am häufigsten Staphylokokkus aureus), die in mehreren Fällen sogar Hinweise auf das Vorliegen einer Sepsis gaben. Virologische Untersuchungen wurden in Erlangen durchgeführt, bislang nur an Stuhlproben und Trachealabstrichen. Bei 23% der Kinder wurden pathogene Viren nachgewiesen, am häufigsten Zytomegalieviren bei 15% der Kinder. Die toxikologische Untersuchung ergab, außer zwei positiven Morphinnachweisen ungeklärter Ursache, keine relevanten Hinweise auf Intoxikationen. Im Rahmen der Serumethanolbestimmung und Begleitstoffanalyse fielen bei neun Kindern Ethanolspiegel von mehr als 0,1 Promille auf, so wie in elf Fällen unphysiologisch hohe Serummethanolspiegel von mehr als 2 mg/l. Eine Erklärung für erhöhte Ethanolspiegel konnten wir nicht finden. Die erhöhten Methanolspiegel sind am ehesten, da sie ausschließlich Kinder mit einem Alter von mehr als vier Monaten betrafen, auf eine veränderte Ernährung des Kindes mit obsthaltigen Produkten zurückzuführen. Zur Verifizierung dieser Annahme haben wir auch eine Ethanol- und Methanolbestimmung an elf Babynahrungsprodukten durchgeführt, die unsere Annahme teilweise bestätigten, da die Babynahrungsprodukte verschiedener Firmen sowohl Ethanol als auch Methanol in geringen Mengen enthielten. Nach Abschluß aller dieser Untersuchungen wurden die Kinder kategorisiert. Es konnten nur 5% der Kinder der Kategorie 1 (keinerlei pathologische Befunde in irgendeiner Untersuchung) zugeordnet werden, also als eigentliche SIDS-Fälle per definitionem eingestuft werden. Der Großteil der Kinder (60%) wurde der Kategorie 2 zugeordnet (leichte pathologische Veränderungen oder Auffälligkeiten, die den Tod jedoch nicht erklären können). 13% wurden in Kategorie 3 eingeordnet (pathologische Veränderungen, die durchaus mit dem Todeseintritt in Verbindung stehen können) und in 22% der Fälle konnten wir eine sichere Todesursache nachweisen (Kategorie 4). Durch die Obduktion dieser Kinder, die alle mit der Verdachtsdiagnose „Plötzlicher Säuglingstod“ obduziert wurden, konnten auch vier Tötungsdelikte aufgedeckt werden. Diese Ergebnisse lassen deutlich werden, dass es den plötzlichen Säuglingstod, so wie er im Allgemeinen bekannt ist, nicht gibt. Bei sorgfältiger, umfangreicher Untersuchung kann man vielfach Hinweise auf die Todesursache erhalten, die ohne Obduktion und vor allem histologische und bakteriologische Untersuchungen dem Nachweis entgangen wären. Ohne unsere Untersuchungen wäre fast die Hälfte der in dieser Studie untersuchten Kinder, zum Teil mit gravierenden Konsequenzen (weitere Familienplanung, kriminelle Delikte, weitere Infektionsfälle in der Familie etc.), als SIDS-Fälle fehldiagnostiziert worden.