POPULARITY
Medizinische Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 12/19
Die Versorgung von ertaubten Patienten mit Cochlea Implantaten ist seit 20 Jahren ein Routineeingriff in der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde des Klinikums Großhadern. Jährlich werden 40 bis 50 Patienten implantiert. Eine häufige Komplikation der Cochlea Implantation ist die Entwicklung von Gleichgewichts-störungen. Andere Studien über die Häufigkeit von Schwindel nach Implantation zeigten unterschiedliche Ergebnisse: 12% bis 75% der CI-Patienten entwickelten Schwindel postoperativ (z.B. Enticott et al. 2006; Fina et al. 2003; Ito et al. 1998; Kubo et al. 2001). In unserer Studiengruppe lag die Inzidenz für postoperativen Schwindel bei annähernd 50 Prozent. Die Mehrheit der symptomatischen Patienten beschrieben die Symptome als Dreh- und/oder Schwankschwindel mit unregelmäßigen und minutenlangen Attacken, die innerhalb der erste Woche nach OP anfingen. Typische Begleitsymptome waren Tinnitus und fluktuierende Hörminderung. Somit deuteten bei 90% der Patienten die Symptome auf eine otogene Ursache. In der apparativen Gleichgewichtsprüfung zeigte sich eine signifikante Reduktion der kalorischen Antwort im operierten Ohr nach CI. Diese Ergebnisse weisen auf eine Schädigung des horizontalen Bogenganges des implantierten Ohres hin. Einen Zusammenhang mit der subjektiven Schwindelsymptomatik postoperativ konnte jedoch statistisch nicht erwiesen werden. Weiterhin konnten wir in dieser Studie keine prognostischen Risikofaktoren für die Entstehung der Schwindelsymptomatik feststellen. Vermutlich spielen weitere Faktoren wie eine Schädigung des Sacculus, sensorische Afferenzen und zentrale kompensatorische Mechanismen eine wichtige Rolle in der Gleichgewichtsfunktion nach der Implantation. Um diese Studie zu ergänzen und zu erweitern, sollen in zukünftigen Studien mit einem größeren Patientengut nicht nur die Bogengangsfunktion sondern auch die Otolithenfunktion mit Hilfe der VEMPs untersucht werden. Außerdem kann die Untersuchung von Kompensationsmechanismen bei CI-Kandidaten eine hilfreiche Aussage über die zentrale Kompensationsfähigkeit geben. Dies ist besonders wichtig für die bilaterale Implantation, die immer häufiger durchgeführt wird.
Medizinische Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 07/19
Zahlreiche Befunde deuten auf eine Störung der interhemisphärischen Konnektivität bei Patienten mit Schizophrenie. Funktionell wurden beispielsweise Veränderungen der interhemisphärischen Kohärenz gefunden. Die Kohärenz gilt als ein Indikator für funktionelle Verbindungen zwischen den entsprechenden Hirnregionen und ist in ihrer interhemisphärischen Variante ein Maß für die Synchronisation des EEG zwischen den korrespondierenden bilateralen Regionen. Für die interhemisphärische Kohärenz und die interhemisphärische Konnektivität kommt dem Corpus Callosum (CC) als wichtigster kommissuraler Verbindung der Hemisphären eine entscheidende Bedeutung zu. Gleichzeitig ist bei CC-Pathologien einerseits die Prävalenz der Schizophrenie erhöht und es findet sich andererseits bei Patienten mit Schizophrenie ein erhöhtes Vorkommen von CC-Pathologien. Strukturelle MRT-Befunde deuten auf ein leicht verkleinertes CC bei Patienten mit Schizophrenie. Zusätzlich finden sich pathologische Veränderungen in der Lamina III des präfrontalen Kortex von Patienten mit Schizophrenie, dem Ursprungsort der kallosalen Projektionen. Auch Entwicklungshypothesen finden Bezug zu einer Pathologie des CC bei Patienten mit Schizophrenie: seine Entwicklung, bei der die Elimination von Axonen mit zunehmender Myelinisierung und Vergrößerung einhergeht, zieht sich bis in die dritte Lebensdekade hin und zeigt damit Parallelen zur späten klinischen Manifestation der Erkrankung. Aufgrund der Heterogenität der Befunde ist allerdings nicht klar, welcher Art die Störung der interhemisphärischen Konnektivität bei Patienten mit Schizophrenie ist. Eine Hypokonnektivität würde z.B. die Assoziation zwischen CC-Agenesien und Schizophrenie vermuten lassen, neuro- und psychophysiologische Experimente deuten eher in Richtung einer Hyperkonnektivität. Ziel der Arbeit war die explorative Untersuchung der Frage, ob eine Störung der interhemisphärischen Konnektivität bei Patienten mit Schizophrenie vorliegt und welcher Art diese interhemisphärische Konnektivitätsstörung sein könnte. Methode: Es wurden 27 männliche Patienten mit chronischer Schizophrenie und 25 gematchte Kontrollen untersucht. Anhand des Ruhe-EEGs wurden fünf interhemisphärische Kohärenzen bipolarer Verschaltungen berechnet. Mittels MRT wurde die CC-Größe durch Vermessung der midsagittalen Fläche des CC ermittelt und in fünf Unterabschnitte unterteilt. Neben der Analyse auf Unterschiede bezüglich der Kohärenzen und der CC-Größe, wurden die interhemisphärischen Kohärenzen mit der CC-Größe korreliert, um über die Verbindung von strukturellen und funktionellen Parametern Hinweise über die Integrität der interhemisphärischen Konnektivität zu erhalten. Zusätzlich wurde der Einfluss der neuroleptischen Medikation und die Abhängigkeit der Kohärenzen und der CC-Größe von klinischen Parametern anhand der PANSS-Skala untersucht. Ergebnisse: Die Mittelwerte frontozentraler interhemisphärischer Kohärenzen waren im Beta-Frequenzbereich signifikant bei den Patienten mit Schizophrenie gegenüber den Kontrollpersonen erhöht. Dabei zeigte sich eine negative Korrelation zwischen der Neuroleptika-Dosis und der Höhe der Kohärenzen. Für die CC-Größe zeigten sich keine signifikanten Unterschiede. Klinisch korrelierten frontale und frontotemporale Theta-Kohärenzen mit der Psychopathologischen Globalskala, aber nicht mit der Positiv- oder Negativsymptomatik. Die Pearson-Korrelationen der interhemisphärischen Kohärenzen mit der CC-Größe zeigten bei den Patienten für alle Frequenzbereiche signifikant positive Korrelationen zwischen den interhemisphärischen Kohärenzen besonders in mittleren Segmenten des CC. Nach Berücksichtigung des Neuroleptika-Einflusses waren diese Korrelationen noch deutlicher. Dagegen wiesen die Gesunden negative Korrelationen zwischen allen interhemisphärischen Kohärenzen im Delta- und Beta-Frequenzbereich ebenfalls besonders in mittleren CC-Segmenten auf. Diskussion: Damit bestehen Hinweise für eine interhemisphärische Hyperkonnektivität bei Patienten mit Schizophrenie. Während bei Gesunden mit steigender CC-Größe die interhemisphärische Konnektivität abnimmt, nimmt sie bei den Patienten mit Schizophrenie zu. Im Rahmen einer Entwicklungshypothese mit gestörter kallosaler Entwicklung könnte die in der Literatur gefundene Tendenz einer CC-Verkleinerung für eine vermehrte Anzahl an Axonen, mit verminderter Myelinisierung sprechen, da in der kallosalen Entwicklung die Größenzunahme und zunehmende Myelinisierung mit der massiven Elimination von Axonen einhergeht. Eine verminderte Elimination von Axonen könnte somit die Grundlage einer interhemisphärischen Hyperkonnektivität sein. Verkleinerungen von Pyramidenzellen in Lamina III des präfrontalen Kortex, den Ursprüngen der kallosalen Axone scheinen dies zu bestätigen. Auch psychophysiologische Experimente unterstützen eine interhemisphärische Hyperkonnektivitäts-Hypothese. Ähnlich wird sie durch das Modell einer verminderten Lateralisierung bei Patienten mit Schizophrenie unterstützt, welche mit einer Hyperkonnektivität einhergeht. Ein weiterer Aspekt der interhemisphärischen Hyperkonnektivität ist eine verminderte Inhibition auf kortikaler Ebene, welche durch eine Funktionsabschwächung inhibitorischer GABAerger Interneuronen in Lamina III des präfrontalen Kortex erklärt wird. Die GABAergen Interneuronen werden ihrerseits durch dopaminerge Afferenzen inhibiert, welche bei Patienten mit Schizophrenie pathologisch vermehrt sind. Es resultiert daher eine Disinhibition der Pyramidenzellen, den Ursprungsorten kortikaler Projektionen. Neuroleptika als Dopamin-Antagonisten würden damit diese Hyperkonnektivität reduzieren. Die signifikante Korrelation der Kohärenzen mit der globalen Psychopathologie, aber nicht mit den jeweiligen Positiv- oder Negativ-Skalen spricht eher für die Einheit dieser Symptomkonstellationen, unter dem Vollbild der Schizophrenie.
Medizinische Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 06/19
Funktionsstörungen der Otolithenorgane sind relativ häufig unter peripheren und zentralen vestibulären Funktionsstörungen. Deren Diagnose ist aufgrund der komplexen Anatomie und Physiologie sowie bislang fehlender klinisch einsetzbaren Untersuchungstechniken oft schwierig, weshalb derartige Funktionsstörungen oft übersehen werden. Während einer Kippung des Kopfes um die naso-okzipitale Achse führen die Augen eine kompensatorische Gegenrollung (ocular counterroll, OCR) aus. Obwohl es schon seit langem Versuche gibt, die Funktion des Utrikulus durch die Messung des OCR zu untersuchen, war ein solcher in der klinischen Routine einsetzbarer Test bislang noch nicht etabliert. Gründe dafür waren technische Schwierigkeiten bei der Registrierung der Augentorsion, uneinheitliche Methoden der Stimulation des Utrikulus sowie kontroverse Daten aus vorausgegangenen Untersuchungen. Ziel dieser Studie war es u.a. durch den Vergleich unterschiedlicher Stimulationsbedingungen einen klinisch leicht einsetzbaren reliablen Otolithenfunktionstest zu entwickeln. Dafür wurde der OCR bei einem Probandenkollektiv mit Hilfe der Videookulographie gemessen und die torsionelle Augenposition und -geschwindigkeit bzw. der Gain für Position und Geschwindigkeit während aktiver und passiver Kopf-, sowie passiver Ganzkörperkippungen verglichen. Die Stimulation erfolgte mit Amplituden von 12,5 und 25 Grad. Der OCR wurde getrennt für die Richtungen von der 0-Grad-Stellung und zurück zur 0-Grad-Stellung bestimmt. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Studie waren: (1) Der OCR zeigte bei aktiven Kopfkippungen eine signifikant höhere Variabilität als bei passiven Kopf- und Ganzkörperkippungen. (2) Der Gain der torsionellen Augenposition waren kleiner [0,133 (+/-0,006)] als der Gain der torsionellen Augengeschwindigkeit [0,183 (+/-0,011)]. Der Gain der torsionellen Augenposition war umgekehrt proportional der Amplitude der Kopf- / Körperkippung [0,121 (+/-0,007) bei Amplitude 25 Grad; 0,146 (+/- 0,010) bei Amplitude 12,5 Grad]. Der Gain der torsionellen Augengeschwindigkeit war proportional der Amplitude der Kopf- / Körperkippung. [0,205 (+/-0,016) bei 25 Grad; 0,162 (+/-0,016) bei 12,5 Grad]. (3) Es wurde kein Einfluss der zervikalen Afferenzen auf tVOR gesehen. Aus den Untersuchungen lässt sich schließen, dass die Stimulation der Utrikuli durch passive Kopfkippungen mit der Messung der kompensatorischen Augenverrollungen mittels Videookulographie ist als klinisch einsetzbarer Otolithentest geeignet. Um die klinische Wertigkeit dieses Testes zu analysieren, werden auf der Basis dieser Befunde Patienten mit peripheren und zentralen Gleichgewichtsstörungen in Nachfolgestudien untersucht.
Medizinische Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 03/19
Der Ausgangspunkt dieser Arbeit war die Frage, ob sich die galvanische vestibuläre Stimulation (GVS) und die Messung der dadurch ausgelösten torsionellen Augenbewegungen zur Diagnostik vestibulärer Störungen eignen. Hierzu ist eine genaue Kenntnis der Wirkmechanismen der GVS notwendig. Bei der GVS wird ein Strom von einigen mA über die Felsenbeine geleitet, unter denen sich die Gleichgewichtsorgane befinden. Der Strom reizt diese Strukturen und verursacht so Bewegungsempfindungen, Körperschwankungen und -- durch den vestibulo-okulären Reflex (VOR) -- Augenbewegungen, die neben horizontalem Nystagmus auch aus phasischen und tonischen Torsionskomponenten bestehen. Letztere haben in der Literatur zu der Vermutung eines starken Otolithenbeitrags geführt. Bei näherer Betrachtung der bekannten VOR-Verstärkungen fiel jedoch auf, dass die tonische Komponente eine zu hohe Amplitude aufweist, um allein aus der elektrischen Erregung von Otolithen zu stammen. Deshalb wurde für die GVS die Hypothese eines dominanten Bogengangsanteils experimentell überprüft. Die Augenbewegungen wurden mittels Video-Okulographie (VOG) gemessen. Bei den eingesetzten Stimulationsintensitäten traten aber oft nur kleine Nystagmusschläge auf, die vom Rauschen des ursprünglich verwendeten VOG-Systems verdeckt wurden. Deshalb wurde mit handelsüblicher digitaler Videotechnik ein neues, rauschärmeres VOG-System entwickelt, das die Messung auch kleiner torsioneller Nystagmusschläge ermöglichte. Zusätzlich wurde zur Analyse der in phasischen und tonischen Komponenten interindividuell unterschiedlichen Augentorsionen ein neues Verfahren zur künstlichen Elimination von torsionellem Nystagmus eingeführt. Dies ermöglichte einerseits, alle Probandendaten trotz interindividueller Unterschiede auf einer gemeinsamen Basis miteinander zu vergleichen, und andererseits, die Eigenschaften der beobachteten Augenbewegungen im Kontext der Ergebnisse anderer VOR-Studien zu diskutieren. Bei den Experimenten mit gesunden Probanden wurden Augentorsionen während transmastoidaler Wechselstromstimulationen aufgezeichnet. Im Bereich von 0,005-1,67 Hz entsprach die gemessene Frequenzcharakteristik jener des torsionellen VOR-Integrators. In einem weiteren Versuch wurden Gleichstromstimulationen mit natürlichen Kopfdrehungen verglichen, deren Verlauf so angepasst wurde, dass die Afferenzen im Bogengangsmodell in ähnlicher Weise wie bei der galvanischen Reizung aktiviert wurden. Dabei waren die Augenbewegungen beider Bedingungen statistisch nicht unterscheidbar, was die eingangs formulierte Hypothese weiter stützte. Zusätzlich konnten Idiosynkrasien in den tonischen und phasischen Komponenten der Augentorsion auf eine individuell variierende Nystagmusverarbeitung zurückgeführt werden, die auch vorhandene Nichtlinearitäten im torsionellen VOR erklären konnte. Bei allen eingesetzten Reizen wurde beobachtet, dass jeder Lidschlag eine torsionelle Sakkade auslöste, deren Amplitude im Vergleich zu den sonstigen Nystagmusschlägen signifikant erhöht war. Da bei Patienten mit einer einseitigen vestibulären Störung eine zumindest qualitativ ähnliche Tonus-Imbalance vorliegt wie bei der galvanischen Reizung, stellte sich die Frage nach der Übertragbarkeit dieses Effektes auf den pathologischen Fall. In der Tat konnten Messungen an Patienten belegen, dass auch hier jeder Lidschlag eine schnelle torsionelle Nystagmusphase auslöst. Damit konnte gezeigt werden, dass sich torsionelle Augenbewegungen während wiederholtem Blinzeln als einfacher Standardtest für die klinische Untersuchung einseitiger vestibulärer Erkrankungen eignen.
Medizinische Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 01/19
Das Ziel dieser Studie ist es, die Rolle des Kleinhirns bei der Verarbeitung vestibul ärer Signale besser zu verstehen. Entsprechend wurden in dem Experiment, auf welchem diese Arbeit aufbaut, Einzelzellableitungen rein vestibulärer Neurone im rostralen Nucleus fastigii von Affen (Macaca mulatta) durchgeführt. Die Affen wurden in einer Schaukelvorrichtung bei verschiedenen Frequenzen (0.06 - 1.4 Hz) und Orientierungen in vertikalen Ebenen einer sinusförmig vestibulären, passiven Stimulation unterzogen. Innerhalb einer Messung wurde hierbei die Stimulusfrequenz konstant gehalten, während die Stimulusorientierung langsam um 180 Grad gedreht wurde. In einem ersten Schritt wurden die 195 Messungen aus 28 Neuronen systemtheoretisch vorverarbeitet. Hierzu wurde hergeleitet, wie das Antwortsignal einer Messung bei dem gegebenen Stimulus unter der Annahme linearer spatio-temporaler Konvergenz, d.h. Konvergenz peripherer vestibulärer Afferenzen mit unterschiedlichen räumlichen und zeitlichen Eigenschaften, aussehen sollte. Mit der so erhaltenen Gleichung wurden die gemessenen neuronalen Entladungsraten gefittet. Es konnte dabei gezeigt werden, dass sich ein Großteil der Messungen gut fitten lässt. Die Neurone verhalten sich somit bei konstanter Stimulusfrequenz im allgemeinen wie lineare STC-Neurone. In Übereinstimmung mit Siebold et al. (1999) konnten dabei einige komplexe Eigenschaften der Neurone beobachtet werden. In vielen Messungen gibt es keine Stimulusorientierung, bei welcher der Gain verschwindet. Die Phasendifferenz zwischen Entladungsrate und Stimulus ändert sich hierbei langsam aber stetig mit der Stimulusorientierung. Bei einigen Neuronen konnte auch eine starke Abhängigkeit der Vorzugsorientierung von der Stimulusfrequenz beobachtet werden. Des weiteren ist die Phase in Richtung der Vorzugsorientierung oft stark frequenzabhängig. Darüber hinaus konnte mit dieser Fitprozedur zum ersten Mal gezeigt werden, dass der FN vermutlich einen Eingang aus dem Sakkulus erhält. Da der Sakkulus jedoch bei den verwendeten kleinen Stimulusamplituden nur wenig stimuliert wird, sollte dieses Ergebnis in zukünftigen Experimenten bei größeren Stimulusamplituden überprüft werden. Im Folgenden wurden 10 Messungen bei den Frequenzen 0.06 Hz und 0.1 Hz mit einem schlechten Signal-Rausch Verhältnis (geringer dynamischer Input, wenig Stimulusperioden) herausgenommen, so dass sich die Gesamtzahl der Messungen auf 185 reduzierte. Im nächsten Verarbeitungsschritt konnte gezeigt werden, dass sich die neuronalen Entladungsraten von 22 der 28 Neurone durch eine lineare Summation der Signale aus den Bogengängen und Otolithen fitten lassen. Die Qualität der Fits war bei den meisten Neuronen nur dann gut, wenn von einem Bogengangs- und zwei Otolitheneingängen, einem regulären und einem irregulären, ausgegangen wurde. Die Verwendung von nur einem Otolitheneingang führte im allgemeinen zu schlechten Fitergebnissen. Hierbei war es egal, welcher Art der Otolitheneingang - regulär, irregulär oder eine Mischung beider Typen - war. Die so berechneten Vorzugsorientierungen der Eingänge zeigten im allgemeinen entweder in etwa in die gleiche (Kanal- und reguläre Otolithenafferenz) oder entgegengesetzte (irregul äre Otolithenafferenz) Richtung. Hierdurch wurde eine mögliche Erklärung für das Zustandekommen der obigen, bis dahin unverstandenen komplexen Eigenschaften gewonnen. Unter der Annahme einer einfach gestalteten, zentralen, linearen Nachverarbeitung konnten noch vier weitere Neurone gefittet werden. Im Folgenden konnte eine relativ einfache systemtheoretische Beschreibung der Neurone durch zwei senkrecht aufeinanderstehende Transferfunktionen mit je fünf Parametern gefunden werden. 25 der 28 Neurone des FN können hierdurch im gesamten Frequenz- und Orientierungsbereich als lineare STC-Neurone beschrieben werden. Im letzten Teil der Arbeit konnte in einer Computersimulation gezeigt werden, dass bereits eine lineare Summation der Signale aus den Bogengängen und Otolithen genügt, um ein simuliertes zweidimensionales Pendel aufrecht zu halten, d.h. seine subjektive Vertikale zu bestimmen. Das sich im Gravitationsfeld befindliche Pendel besitzt in seinem Kopf (oberes Ende) simulierte Bogengänge und Otolithen. Diese geben ihre Signale direkt an simulierte Muskeln an seinem unteren Ende weiter. Diese einfache Rückkopplung genügt bereits, um dem simulierten Pendel im Gravitationsfeld die aufrechte Haltung zu ermöglichen und Störungen in Form von äußeren Kräften entgegenzuwirken.