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Die Unfallforschung der Versicherer (UDV) hat in einem mehrjährigen Forschungsprojekt untersucht, wie stark Alter, Geschlecht und Körpergröße von Insassen, Fahrzeuggröße sowie Sitzplatz die Verletzungsschwere bei Unfällen beeinflussen. Ergebnis: Vor allem ältere Personen und Frauen sind besonders gefährdet. Christine Langer im Gespräch mit Kirstin Zeidler, Unfallforschung der Versicherer.
Medizinische Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 09/19
In den vergangenen Jahren ist es gelungen mittels verbesserter Fahrzeugtechniken, verkürzten Rettungszeiten und verbesserten Primärversorgungskonzepten, sowie standardisiertem Schockraum-Management und kontinuierlich optimierter intensivmedizinischer Behandlung, etc. die frühe Mortalität nach schwerem Polytrauma zu senken. Immer weniger Patienten versterben somit an den direkten Traumafolgen. Im weiteren Verlauf jedoch versterben noch immer bis zu 30 % an den Folgen eines posttraumatischen MOF. Somit stellt dieses immunologische Phänomen die schwerwiegendste Komplikation nach Polytrauma dar. In diesem Zusammenhang haben verschiedene Autoren versucht, jene Faktoren und Mechanismen zu identifizieren, die den Organismus dazu bewegen, seine eigenen, von dem initialen Trauma nicht betroffenen Organe zu zerstören. Jüngste Veröffentlichungen geben starke Hinweise darauf, dass der gefürchteten Ausbildung einer posttraumatischen Immunsystemdysfunktion mit konsekutivem Organversagen die Fehlfunktion immunkompetenter Zellen (Monozyten, Granulozyten) vorausgeht. Ferner sind intrazelluläre Netzwerke zahlreicher pro- und antiinflammatorischer Mediatoren, die in komplexen Verkettungen miteinander interagieren, daran beteiligt. Die intrazellulären Steuerungsmechanismen, die diese Fehlfunktion induzieren und regulieren, sind bislang jedoch weitgehend unerforscht. Zahlreiche Studien belegen, dass insbesondere Zytokine und ihre Signaltransduktionskaskaden an der Immunantwort beteiligt sind. Deren initiierende Steuerung ist jedoch weitgehend unbekannt. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang die Transkriptionsfaktoren, da diese über die Expression von Reporter- und Effektorgenen entscheiden und sowohl hemmende als auch aktivierende Effekte ausüben können. Zahlreiche Untersuchungen weisen auf die Bedeutung der Signal Transducer and Activator of Transcription (STAT) Proteine in Inflammationsreaktionen hin. Bislang liegen jedoch noch keine Daten über die Aktivierung von STAT1 und STAT3 in immunkompetenten Zellen polytraumatisierter Patienten vor. Kenntnisse dieser Aktivität wären jedoch klinisch von essentieller Bedeutung für das Verständnis der posttraumatischen Immunreaktion und für die Entwicklung potentieller innovativer Therapiestrategien. Ziel der vorliegenden Arbeit war es daher, die DNA-Bindungsaktivität dieser Transkriptionsfaktoren in Monozyten und Granulozyten von Normalprobanden und schwerst verletzten Patienten in der initialen Phase nach Polytrauma zu analysieren und die Ergebnisse mit den klinischen Parametern wie Überleben, Verletzungsschwere und erhaltener Massentransfusion zu vergleichen. Zu diesem Zweck wurden polytraumatisierte Patienten mit einem Injury Severity Score größer 16 Punkten eingeschlossen. Die Blutabnahmen erfolgten zu festgelegten Abnahmezeitpunkten, nämlich initial nach Trauma und nach 6, 12, 24, 48 und 72h. Wobei die Initialabnahme innerhalb der ersten 90min nach Trauma erfolgte. Zur Zellisolation wurden aus dem entnommenen EDTA-Vollblut mittels positiven cell-sortings durch magnetische AK-Markierung CD-14 positive Monozyten und CD 15 positive Granulozyten isoliert. Das nukleäre Protein aus diesen wurde radioaktiv markiert und mittels EMSA elektrophoretisch aufgetrennt um so die DNA-Bindungsaktivität von STAT3 und STAT1 quantitativ nachzuweisen. Zusätzlich wurden Monozyten und Granulozyten gesunder Normalprobanden als Negativkontrolle bzw. mit LPS stimuliert als Positivkontrolle untersucht. Die Ergebnisse zeigen die DNA Bindungsaktivität von STAT1 und STAT3 in den Normalprobanden signifikant erhöht nach LPS Stimulation. Bei den Patienten konnte in beiden Zellpopulationen eine erhöhte Aktivität von STAT1 und STAT3 im Vergleich zur Nativkontrolle detektierte werden. Die Aufteilung des Kollektivs hinsichtlich klinischer Parameter wie outcome, Verletzungsschwere und erhaltener Massentransfusion zeigt, dass Patienten mit einem schlechteren klinischen Verlauf eine Reduktion der Aktivität von STAT1 und STAT3 in beiden Zellpopulationen aufweisen. Die vorgelegten Ergebnisse sind eine erstmalige Analyse der intranukleären DNA-Bindungsaktivität von STAT1 und STAT3 in polytraumatisierten Patienten in der direkt posttraumatischen Phase. Die frühe Induktion der Bindungsaktivität in Monozyten und Granulozyten im gesamten Kollektiv weist auf die beginnende systemische Entzündungsreaktion hin, und die Reduktion in massentransfundierten bzw. verstorbenen Patienten auf die bereits postulierte Unfähigkeit des Immunsystems, nach schwererer Verletzung adäquat zu reagieren. Die Daten sind Grundlage weiterer Folgeuntersuchungen wobei insbesondere die Frage nach der biologischen Relevanz mittels Reportergenexpression untersucht werden sollte.
Medizinische Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 08/19
Polytraumatisierte Patienten entwickeln eine systemische Entzündungsreaktion (systemic inflammatory response syndrome, SIRS), die entscheidend den klinischen Verlauf der Patienten determiniert. Zahlreiche Untersuchungen weisen dem Immunsystem dabei eine zentrale steuernde Funktion zu, wobei die initialen Triggermechanismen der traumabedingten Immunantwort bisher unbekannt ist. Obwohl den Monozyten dabei eine führende Rolle zugesprochen wird, sind die hierfür verantwortlichen intrazellulären Steuerungsmechanismen, insbesondere die Signaltransduktion, die Transkription sowie die Modulation der Translation von inflammatorisch wirksamen Proteinen bislang nur ansatzweise aufgeklärt. Ziele der vorliegenden Untersuchungen waren daher: i) zu überprüfen, ob es überhaupt spezifische, Trauma-responsive mRNA Expressionsmuster in Monozyten polytraumatisierter Patienten in der frühen posttraumatischen Phase gibt, ii) in einem zweiten Schritt zu untersuchen, ob es darüber hinaus Genexpressionsprofile gibt, die in Abhängigkeit von klinischen Parametern einer signifikant unterschiedlichen Expression unterliegen iii) und schließlich diese identifizierten Faktoren auf ihre biologisch funktionelle Rolle im Organismus zu untersuchen Mittels Affymetrix Oligonukleotid Microarray (22.000 Probe Sets, 14.500 Gene) wurde eine Genom-weite mRNA Expressionsanalyse in Monozyten polytraumatisierter Patienten in der unmittelbar posttraumatischen Phase (0h-72h) durchgeführt und in einem mehrstufigen biostatistischen Verfahren mit klinischen Einflussfaktoren korreliert. Zur Überprüfung der biologischen Funktion der identifizierter Genexpressionsprofile wurden biologisch-funktionelle Pathway Analysen mittels Ingenuity Pathway Systems durchgeführt. Um das erste Teilziel zu erreichen wurde eine unsupervised-Analyse anhand der ermittelten Microarray Daten durchgeführt. Zentrales Kriterium der unsupervised Analyse ist nun der Variationskoeffizient eines einzelnen Faktors/Gens. Somit lassen sich diejenigen genetischen Expressionsprofile identifizieren, die durch das gemeinsame klinische Ereignis „Trauma“ zu einer gemeinsamen Expressionsänderung angeregt wurden. Dabei fanden sich 318 Probe Sets (280 Gene) signifikant durch das klinische Ereignis „Trauma“ verändert. Somit lässt sich anhand der vorliegenden Studie die Fragestellung i) klar dahingehend beantworten, dass Trauma-sensitive Gene Zeichen der gleichsinnigen Aktivierung bzw. Deaktivierung zeigen können. Um die Teilfragestellung ii) zu beantworten, wurden die Patienten im Anschluss in klinisch relevante Gruppen unterteilt. Führende Zielparameter waren dabei zunächst die Quantifizierung der anatomischen Verletzungsschwere quantifiziert mittels Injury Severity Score (ISS). In den so gruppierten Datensätzen fanden sich interessanterweise 295 Probe Sets (273 Gene), hochsignifikant verschieden exprimiert in Patienten mit einem ISS > 40 im Vergleich zu weniger schwer verletzten Patienten (ISS < 40 Punkte). Eine ähnliche supervised- Analyse wurde anhand des Kriteriums „Massive Substitution von Erythrozytenkonzentraten“ (>10 EKs/24h) berechnet. Dabei fanden sich 224 Probe Sets (205 Gene) differentiell exprimiert. Besonders interessant zeigten sich die Ergebnisse der supervised-Analyse nach Einteilung der Patienten anhand der Ausprägung eines Multiorganversagens. 660 Probe Sets (642 Gene) waren bei Patienten mit Anzeichen eines solchen (MOF Score ≥4 Punkte) hochsignifikant differentiell exprimiert im Vergleich zu Patienten ohne klinische Hinweise auf ein manifestes Multiorganversagen (MOF-Score < 4 Punkte). Schließlich konnten in einer weiteren supervised-Analyse 763 Probe Sets (696 Gene) identifiziert werden, deren Expression je nach dem, ob der Patient das Trauma überlebt hatte, oder im späteren posttraumatischen Verlauf verstorben war, erneut ein hochdifferentiell unterschiedliches Expressionsprofil aufweisen. Somit lässt sich Fragestellung ii) dahingehen beantworten, dass es tatsächlich spezifische Genxpressionsmuster gibt, die durch verschiedene klinische Situationen, wie z.B. die Verletzungsschwere, Massentransfusionen, die Entwicklung eines Multiorganversagens oder das endgültige klinische Outcome induziert werden können. Zur Beantwortung der Fragestellung iii) wurden Pathway Analysen durchgeführt. Dieses Instrumentarium fasst den derzeitigen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in einer groß-dimensionierten Software zusammen und zeigt die biologisch-funktionellen Beziehungen der einzelnen Faktoren auf. Dabei fanden sich für die klinische Entität der Verletzungsschwere vor allem Gene, die bei der oxydativen Phosphorylierung von Proteinen eine Rolle spielen, als differentiell exprimiert. Patienten, die einer massiven Bluttransfusion zugeführt werden mussten, zeigen eine signifikant andere Regulation des Ubiquitin-C Pathways als Patienten mit geringerem Transfusionsbedarf. Bei polytraumatisierten Patienten, die im Beobachtungszeitraum Anzeichen eines Multiorganversagens entwickelten, zeigte die Pathway Analyse Software eine unterschiedliche Regulation des Ephrin Rezeptor Pathways. Betrachtet man schließlich das Datenset der Outcome-klassifizierenden Gene, so fällt auf, dass Patienten mit positivem klinischen Outcome eine hochsignifikant andere Expression der PPAR-Signalkaskade aufweisen im Vergleich zu Patienten, die im späteren posttraumatischen Verlauf verstorben waren. Somit lässt sich Fragestellung iii) dahingehend beantworten, dass in der Tat einzelnen, biologisch relevanten, funktionellen Gruppen spezifische, klinische Ereignisse zugeordnet werden können. Die vorliegende Arbeit zeigt somit erstmals, dass es Trauma-responsive, hochspezifische mRNA Expressionsmuster und Signalkaskaden in Monozyten polytraumatisierter Patienten in der unmittelbaren posttraumatischen Phase gibt, die nicht nur mit dem Ausmaß des Traumas, sondern auch mit dem klinischen Verlauf des Patienten hochsignifikant korrelierbar sind.
Medizinische Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 06/19
Das Ziel der vorliegenden Studie war es zu untersuchen, inwiefern die Einführung des pauschalierten Entgeltsystem in Deutschland (G-DRG-System) die Erlösstruktur eines Krankenhauses der Maximalversorgung im Vergleich zu dem bisherigen Abrechnungssystem nach Bundespflegesatzverordnung verändern kann. Anhand der Daten sollte abgeleitet werden, ob ein 24-stündig einsatzbereites Team und die Bereitstellung eines chirurgischen Schockraumes sowie die Versorgung von polytraumatisierten und kritisch kranken Patienten finanzierbar ist. In einer prospektiven Längsschnittstudie wurden anhand des Traumaregisters der Chirurgischen Klinik, Klinikum Innenstadt der Ludwig-Maximilians-Universität München, 411 Patienten, die innerhalb von zwei Jahren über den Schockraum aufgenommen wurden erfasst. Erhoben wurden neben persönlichen Daten, die Anzahl der Tage des Gesamtaufenthaltes, des Aufenthaltes auf Intensiv- und Normalstation, die Anzahl der Beatmungsstunden, der Verletzungsmechanismus, Glasgow Coma Scale, systolischer Blutdruck, Atemfrequenz sowie alle Diagnosen und durchgeführten Prozeduren. Zur Beurteilung der Verletzungsschwere erfolgte die Ermittlung des ISS-Wertes. Die Diagnosen und Prozeduren wurden nach ICD-10-GM 2005 bzw. OPS 301 SGB V verschlüsselt. Die Erlöse nach Tagessätzen konnten aus den Rechnungen, die an die Krankenkassen gestellt worden waren, entnommen werden. Die Handbücher der Australian Refined-Diagnosis Related Groups Version 4.1 Band 1-3 galten als Vorlage für die Kodierung für das australische DRG-System. Anhand der in diesen Bänden vorgegebenen Entscheidungsbäume wurde jedem einzelnen Patienten eine DRG zugeordnet. Die Gruppierung für das deutsche DRG-System für das Jahr 2003 und 2005 erfolgte mittels einer Grouper-Software. Nach entsprechender Kodierung erfolgten Ermittlung und Vergleich der Erlöse für speziell ausgewählte Patientengruppen und DRGs, nach Tagessätzen, Australian Refined-Diagnosis Related Groups und German Diagnosis Related Groups der Version von 2003 und 2005. Bei der Betrachtung des Gesamtpatientenkollektivs konnte mit dem G-DRG-System von 2003 ein Mindererlös von 3 % und mit dem G-DRG System von 2005 ein Mehrerlös von 16 % gegenüber den tatsächlichen Einnahmen nach Tagespflegesätzen erzielt werden. Die Berechnung der Erlöse nach dem australischen System ergab einen Mehrerlös von 36 % gegenüber den Tagespflegesätzen. Vergleicht man die Erlösberechnung zwischen den Jahren 2003 und 2005 im deutschen DRG-System, so wurden für 2005 zusätzliche Einnahmen von 20 % ermittelt. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen auf, dass mit dem G-DRG-System für das Jahr 2005 für polytraumatisierte Patienten im Vergleich zu den Tagessätzen ein Mehrerlös von 44,2 % erzielt wurde. Der Mehrerlös für 2003 lag bei 0,6 % und der Mehrerlös nach dem australischen System bei 22,3 % im Vergleich zu den Tagessätzen. Trotz der in der vorliegenden Arbeit festgestellten Erlöszunahme für polytraumatisierte Patienten im G-DRG-System 2005, können alle Kosten, welche für die Versorgung eines Polytraumas anfallen, mit dem pauschalierten Entgeltsystem nicht abgedeckt werden. Dies belegen Studien, welche einen direkten Kosten-Erlös-Vergleich durchgeführt haben. In einer aktuellen Arbeit aus München von Billing et al.2 wird bestätigt, dass mit dem DRG-System von 2005 erhebliche Einbußen bei der Versorgung von Schwerstkranken auftreten. In Anbetracht dieser aktuellen Studienlage zu den kalkulierten Kosten der Versorgung von Schwerstverletzten zeigt sich eine Diskrepanz zum derzeitigen Entgeltsystem. Wegen der Komplexität der Fälle erscheint es fast unmöglich, derzeit einen adäquaten Pauschalbetrag für einen polytraumatisierten Patienten festzulegen. Zur Versorgung schwerstkranker und polytraumatisierter Patienten wären, wie von Haas et al.9 angestrebt, spezialisierte Traumazentren in Zukunft denkbar, wo durch die Kostenbündelung eine adäquate Erlösstruktur erzielt werden könnte.
Medizinische Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 01/19
In einer prospektiven Studie wurden Daten zur Unfallschwere und Verletzungen nach Auffahrunfällen im sogenannten Niedergeschwindigkeitsbereich erhoben. Dafür wurden 22 Unfälle mit 32 Insassen ausgewertet. Dabei standen zwei Fragen im Vordergrund: 1. Wie und welche Befunde werden in praxi von den behandelnden Ärzten erhoben? 2. In welchem Bereich der Geschwindigkeitsänderung ∆v des Fahrzeuges der Patienten liegen diese Unfälle? Das Beschwerdebild, das u.a. als HWS-Distorsion bezeichnet wird, tritt häufig als alleinige Verletzung nach Auffahrunfällen mit geringer Geschwindigkeitsänderung auf. Bei 32 Personen, die einen derartigen Unfall erlitten und ein Krankenhaus aufgesucht hatten, wurden, mit deren schriftlichem Einverständnis, die erhobenen Befunde der behandelnden Ärzte ausgewertet und nach der Klassifikation der Quebec Task Force (QTF) eingeteilt. Die Fahrzeugschäden wurden besichtigt und fotographisch dokumentiert sowie die Sitzposition während des Unfalls rekonstruiert. Dabei wurden diverse Sitzparameter, der horizontale und vertikale Abstand zwischen Kopf und Kopfstütze bestimmt. Bei der Befragung der Patienten wurden neben den Basisdaten Alter, Geschlecht, Körperlänge und Gewicht, die Beschwerden im Bereich der HWS ermittelt. Nach ca. einem halben Jahr wurden die Patienten zum Verlauf der Beschwerden und Entschädigungszahlungen befragt. In einigen Fällen wurden entsprechende Versicherungsakten eingesehen. Die Geschwindigkeitsänderung ∆ v des gestoßenen Fahrzeuges wird heute als verletzungsmechanisch relevanter Parameter bei derartigen Unfällen angesehen. Dieser wurde nach zwei rechnerischen Verfahren aufgrund der Fahrzeugbeschädigung des gestoßenen Fahrzeuges abgeschätzt. Die Geschwindigkeitsänderung der untersuchten Unfälle lag zwischen 6 und 17 km/h. Bereits bei niedrigen Geschwindigkeiten zwischen 6 und 9 km/h traten initiale Beschwerden auf, die die Betroffenen veranlaßten, einen Arzt aufzusuchen. Im Bereich zwischen 6 und 12 km/h kam es in zwei Fällen zu reversiblen neurologischen Defiziten. Schwerere Verletzungen, wie z.B. Frakturen oder Instabilitäten der HWS, konnten in keinem Fall radiologisch nachgewiesen werden. Trotz nicht objektivierbarer Beschwerden wurde von den untersuchenden Ärzten oft die Diagnose HWS-Distorsion gestellt. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Arbeit sind: - Höhere ∆v verursachen im Mittel schwerwiegendere Verletzungen nach QTF. - Höhere ∆v verursachen im Mittel eher Kopfschmerzen. - Dem schmerzfreien Intervall ist bei der Einstufung der Verletzung nicht die Bedeutung zuzuweisen, die es in der Einteilung nach Erdmann erfährt. - Bei zunehmenden Abständen zwischen Kopf und Kopfstütze in der Horizontalen nimmt die durchschnittliche Verletzungsschwere zu. - In der Vertikalen findet sich kein Zusammenhang zwischen dem Abstand Kopf - Kopfstütze und der Verletzungsschwere. - Die mittlere Dauer der Beschwerden nimmt bei schweren Verletzungen zu, überstieg aber in der Regel auch bei Verletzungen, die nach QTF 2 eingestuft wurden, 3 Wochen nicht. - Für die hier untersuchten Verletzungen wurden von den Versicherungen Schmerzensgelder in Höhe von 200.- DM bis zu 1800.- DM gezahlt. Die Höhe hängt offensichtlich nicht mit der Verletzungsschwere nach QTF zusammen. - Bei schwereren stoßenden Fahrzeugen und bei einem größeren Quotienten aus Gewicht des stoßenden durch das Gewicht des gestoßenen Fahrzeuges sind die Verletzungen schwerer. - Im Unterschied zu anderen Studien zeigte sich kein Zusammenhang zwischen der Schwere der Verletzung und dem Geschlecht. - Es findet sich kein Zusammenhang zwischen dem Alter und der Verletzungsschwere. - Die Stoßerwartung reduziert die Verletzungsschwere, d.h. bei Personen, die auf den Unfall vorbereitet waren, weil sie den Unfallgegner im Rückspiegel haben kommen sehen, war die Verletzung im Mittel weniger stark ausgeprägt. Daraus läßt sich zusammenfassen, daß eine geringe ∆v, ein geringer Abstand zur Kopfstütze, ein schweres Auto, ein leichter Unfallgegner und eine Vorbereitung auf den Anprall zu einer schwächeren Ausprägung der typischen Beschwerden nach Auffahrunfällen führt. Die Einteilung der initialen Beschwerden sollte durch ein transparentes, nachvollziehbares System erfolgen, wie es die Quebec Task Force entwickelt hat, da komplexere Einteilungen wie die von Erdmann weder den behandelnden Ärzten in ihrem vollen Umfang bekannt sind noch eine größere klinische und forensische Relevanz haben.
Medizinische Fakultät - Digitale Hochschulschriften der LMU - Teil 01/19
Bei einem Massenanfall Verletzter und Erkrankter (MANV) übersteigt das Patientenaufkommen initial die Behandlungskapazitäten, so daß in dieser Phase noch keine individualmedizinische Patientenversorgung möglich ist [Rebentisch 1986; Hansak 1998; Sefrin 1998; Veronesi and Kompare 1998]. Um einen gezielten Überblick über das Patientenaufkommen zu erhalten, besondere Verletzungen oder Erkrankungen zu registrieren und die zur Verfügung stehenden Ressourcen möglichst effizient einzusetzen, muß in dieser Situation eine Patientensichtung (Triage) durchgeführt werden. Im Rahmen dieser Sichtung soll vor Ort in möglichst kurzer Zeit eine Einstufung sämtlicher Patienten nach zunehmender Verletzungsschwere erfolgen und auf deren Basis über die Art und Reihenfolge der medizinischen Behandlung entschieden werden. Ziel der vorliegenden, prospektiven Studie war es, bestehende Richtlinien der Patientensichtung unter Realbedingungen zu evaluieren, um deren Prozeßqualität im Weiteren verbessern zu können. Außerdem wurde die Aussagekraft und Praktikabilität gängiger Triagekriterien sowie notfall- bzw. katastrophenmedizinischer Einschätzungskategorien und Score-Systeme untersucht. Während des Zeitraums vom 19.September bis 04.Oktober 1998 wurden insgesamt 1.976 Patienten gesichtet und das Sichtungsergebnis auf speziell entworfenen Dokumentationsprotokollen festgehalten. Als Studienort wurde die Notfall- und Sanitätsstation während des Oktoberfestes in München gewählt, wo nahezu regelhaft ein großer Anfall von Notfallpatienten innerhalb kurzer Zeit besteht. Aufgrund der gut ausgebauten Versorgungsstruktur ist dort in der Regel eine Individualversorgung der Patienten sichergestellt, so daß durch zusätzliches Personal diese Beobachtungsstudie realisiert werden konnte. Aus dem gesichteten Gesamtkollektiv von 1.976 Patienten rekrutierten sich insgesamt 220 Patienten, deren weiterer medizinischer Verlauf bis zur Entlassung von der Notfall- und Sanitätsstation bzw. aus der Klinik, in die sie zur weiteren Versorgung transportiert wurden, im Detail nachverfolgt wurde. Die auf den verschiedenen Protokollen dokumentierten Aussagen der triagierenden Notärzte wurden mit den entsprechenden Daten der im Anschluß erfolgten regulären Patientenversorgung verglichen. Die Auswertung sämtlicher auf diese Weise zusammengetragenen Daten lieferte neben zahlreichen Einzelergebnissen folgende Hauptaussagen: Im Rahmen der Triage unter katastrophenmedizinischen Bedingungen besteht im untersuchten Patientenkollektiv die Tendenz, Patienten als zu kritisch verletzt bzw. erkrankt einzustufen. Dies galt sowohl für die Einteilung nach den Sichtungskategorien (21% bei Kategorie I und 36% bei Kategorie II), als auch nach dem NACA-Score (46% bei NACA-3 und 47% bei NACA-4). Eine zu harmlose Einschätzung wurde hingegen nur in weniger als 3% der Fälle vorgenommen (0,7% bei Kategorie III, 1,0% bei den NACA-Stufen 1 und 2 sowie 2,3% der NACA-Stufe 3). Unter dieser Strategie werden potentiell kaum kritisch Kranke und Verletzte „übersehen“, jedoch würde dies im Realfall zu einer unnötig hohen Bindung von Personal und Material führen. Empfehlenswert für die Praxis ist, nicht zuletzt deshalb, eine zeitnahe Nachtriagierung und Neueinstufung der gesichteten Patienten durchzuführen. Der benötigte Zeitaufwand für die Triageuntersuchung betrug im Median 30 Sekunden und lag damit deutlich unter den in der Literatur empfohlenen Richtwerten. Weitere 31 Sekunden mußten im Median jedoch noch für die anschließende Triagedokumentation aufgewandt werden. Um angesichts des im MANV herrschenden Zeitdrucks eine möglichst zeiteffektive Sichtung durchführen zu können, sollten dem triagierenden Arzt ausreichend Dokumentationskräfte zur Verfügung stehen. Außerdem sollte ein ausgereiftes und standardisiertes Dokumentationssystem für den MANV flächendeckend etabliert werden, was gegenwärtig in Deutschland so nicht etabliert ist. Um Verbesserungen der Prozeßqualität der Triage von Notfallpatienten beim MANV zu ermöglichen, wurde auch die Prognoserichtigkeit bezüglich der Anzahl und Art notwendiger Krankenhaustransporte bestimmt. Der entsprechende Vergleich der Triageprognosen der Studienärzte zu Transportindikation und gegebenenfalls Transportmittelart ergab eine Prognoserichtigkeit von lediglich 67 % hinsichtlich der Transportindikation sowie von lediglich 59 % hinsichtlich der Transportmittelart. Versorgungsmodalitäten wie Transportfragen sollten daher nicht schon im Rahmen der initialen Triage, sondern erst später nach einer genaueren Abklärung des Patientenzustandes entschieden werden. Dies setzt jedoch auch voraus, daß zeitnahe Nachtriagierungen und gegebenenfalls Neueinstufungen aller gesichteten Patienten durchgeführt werden. Die Transportpriorität sollte dabei unabhängig von der Dringlichkeit und dem Ausmaß notfallmedizinischer Therapie festgelegt werden. Die Überprüfung der Aussagekraft und Praktikabilität der beiden notfall- bzw. katastrophenmedizinischen Bewertungssysteme NACA-Score und Sichtungskategorien aus der Katastrophenmedizin unter den Bedingungen eines MANV zeigte für beide Systeme deutliche Mängel auf. Beide, auf subjektiven Kriterien beruhenden Einschätzungssysteme sind nur eingeschränkt auf die spezielle Situation des Massenanfalls Verletzter und Erkrankter übertragbar. Nach den Ergebnissen dieser Studie wäre die Entwicklung eines auf den Erkenntnissen notfallmedizinischer Patientenversorgung beim Großschadensfall basierenden, zeiteffektiven und einheitlichen Bewertungs- und Dokumentationssystemes für den MANV dringend indiziert.