«International» befasst sich wöchentlich mit internationaler Politik und Gesellschaft. Seit 1978 am Radio und von Anbeginn auch online. Reportagen, Analysen und Geschichten zur internationalen Aktualität, meist erzählt von Auslandskorrespondenten und -korrespondentinnen von Radio SRF.
Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)
Die Heilige Stadt hat ein Verkehrsproblem: Die Altstadt mit der Klagemauer, dem Tempelberg und der Grabeskirche ist mit öffentlichem Verkehr schwer zu erreichen. Doch das Projekt einer Gondelbahn zu den Altstadtmauern ist aus vielen Gründen höchst umstritten. Jerusalem ist den drei monotheistischen Religionen heilig und nimmt in den Herzen vieler Gläubigen einen besonderen Platz ein. Gleichzeitig ist die Stadt politischer Zankapfel. Der Status Jerusalems soll in Friedensverhandlungen geklärt werden, diese sind jedoch in weiter Ferne. Derweil gibt es im israelisch besetzten Ostjerusalem, das Palästinenserinnen und Palästinenser als Hauptstadt eines unabhängigen Palästinas beanspruchen, laufend mehr israelische Siedlungen und Bauprojekte. Zum Beispiel die Gondelbahn. Sie soll Touristinnen und Stadtbewohner von Westjerusalem via Silwan in Ostjerusalem zur Altstadt transportieren, in Zehnergondeln. Kritiker finden, die Seilbahn würde die einmalige Skyline der Stadt verschandeln. Ausserdem sei sie ein weiteres politisch-ideologisches Projekt, das den Anspruch Israels auf die ganze Stadt untermauern solle. Der stellvertretende Stadtpräsident hingegen sagt: Die Gondelbahn ist die billigste und einfachste Variante, den motorisierten Verkehr zu reduzieren und die grosse Masse an Touristinnen und Pilgern in die Altstadt zu führen. Und er sieht das Bauprojekt auch in einem religiösen Kontext: Als Beitrag, die Ankunft des Messias herbeizuführen.
Seit wenigen Jahren gedenkt das EU-Parlament jeweils mit einer speziellen Erinnerungsfeier der Opfer des Holocaust. Dieses Jahr mit einem besonderen «Gast»: Dem Cello des Holocaust-Opfers Pàl Hermann. Überall in Europa nimmt der Antisemitismus stark zu. Die Terrorangriffe der Hamas vom 7. Oktober 2023 und die massive militärische Reaktion Israels im Gazastreifen haben diesen Trend verstärkt. Drei-Viertel der europäischen Jüdinnen und Juden verbergen darum zumindest gelegentlich ihre jüdische Identität. Der stete Kampf gegen Antisemitismus sei untrennbar mit dem aktiven Erinnern an den Holocaust verbunden, unterstrich bereits die erste Frau an der Spitze des Europäischen Parlaments, die Französin Simone Veil, selbst eine Holocaust-Überlebende. Im Zentrum der Erinnerungsfeier an den Holocaust im EU-Parlament standen 80 Jahre nach der Befreiung der Deportierten im Vernichtungslager in Auschwitz für einmal nicht Zeitzeuginnen, sondern ein Instrument: Das Cello des Holocaust-Opfers Pàl Hermann. Dieses Instrument, untrennbar verbunden mit dem jungen jüdischen Musiker und Komponisten, steht für die Unbesiegbarkeit der Musik. Pàl Hermann wurde von der Hitler-Diktatur umgebracht. Das Cello wurde gerettet, weil der Cellist eine Notiz aus dem Güterwagen werfen konnte, in dem er deportiert wurde. In dieser aussergewöhnlichen Geschichte hat ein Cello den Holocaust überlebt - und wird zum klingenden Stolperstein gegen das Vergessen.
Der nordkoreanische Diktator Kim richtet seine Atomwaffen auf den Süden, die junge Generation in Südkorea zuckt mit den Schultern: Sie hat den Glauben an eine gemeinsame Zukunft verloren und auch das Interesse daran. Nord und Süd verbindet nur noch die Vergangenheit – und ein dünner Telefondraht. «Wenn man rüber schaut, dann spürt man eine unbeschreibliche Energie, die von diesem Land ausgeht». Der Künstler Sunmu schaut durchs Fernrohr über den Fluss Han in seine alte Heimat. Er kommt manchmal auf die Aussichtsplattform an der hermetisch abgeriegelten Grenze zwischen beiden Koreas, um Inspiration zu sammeln. Seine knallbunten Bilder nehmen die nordkoreanische Diktatorenfamilie aufs Korn – zeigen aber auch ein vereinigtes Korea: Schulkinder aus Nord und Süd, die zusammen baden, spielen, lachen. Es sind Bilder voller Hoffnung – aber weit entfernt von der Realität. Nordkorea agiert immer aggressiver, während in Südkorea eine neue Generation heranwächst, die nicht mehr an die Wiedervereinigung glaubt. Für die diplomatische Kommunikation über die Demarkationslinie existiert noch ein Telefondraht. Manchmal wird er benutzt, öfters ist er tot. Über die Hintergründe des Auseinanderdriftens die Reportage aus Südkorea.
Frieden zu schaffen und abzusichern ist die oberste Priorität der Vereinten Nationen. Das wird für ihre Blauhelmsoldaten aber immer schwieriger: mehr Risiko, mehr Verletzte und Todesopfer, weniger Akzeptanz und Ressourcen. Vor dem Hauptquartier der UNTSO-Mission in Jerusalem führt Generalmajor Patrick Gauchat zu einer Gedenktafel. Immer wieder seien Verluste zu beklagen, sagt der Freiburger. Seit vier Jahren kommandiert er – als erster Schweizer – eine Blauhelm-Operation. Momentan sei das Risiko für die Soldaten aus zwanzig Ländern wieder beträchtlich, sagt UNTSO-Chef Gauchat. In Folge des Hamas-Überfalls auf Israel im Oktober 2023 herrsche wieder Krieg: in Gaza, in Libanon, in Syrien. Auftrag der UNTSO – der ältesten Blauhelmmission überhaupt: den Waffenstillstand von 1948 zwischen Israel und seinen vier arabischen Nachbarn überwachen. Der Besuch bei einem UNTSO-Beobachtungsposten auf den Golanhöhen zeigt: die Blauhelme beobachten nahezu täglich Verletzungen des Waffenstillstands. Sie können nur zuschauen und diese dokumentieren. Ihre Berichte werden aber immerhin von allen involvierten Staaten akzeptiert. Das ist bei Blauhelmoperationen nicht immer so. In Kongo-Kinshasa begann im letzten Frühling der schrittweise Abzug der Monusco-Blauhelme. Was mit einer Friedensmission im Zentrum einer der tödlichsten Konflikte seit dem Zweiten Weltkrieg angefangen hatte, endete als die tödlichste und teuerste Blauhelmmission der UNO. Aus anfänglicher Akzeptanz, sogar Begeisterung der Bevölkerung, wurde Ablehnung, aus beobachtenden UNO-Soldaten wurden kämpfende, die an der Seite der kongolesischen Armee gegen die Rebellengruppe M23 vorgingen. Schützen konnten sie die Bevölkerung trotzdem nicht. «Gleich neben den Stützpunkten der MONUSCO werden Menschen massakriert, Häuser niedergebrannt, Frauen vergewaltigt,» sagt die junge Aktivistin Rebecca Kabugho. Zwanzig Jahre waren die Blauhelme im Kongo, 440 von ihnen wurden getötet: eine Mahnung. Die Reportagen von den Golanhöhen und aus dem Ostkongo von zwei unterschiedlichen Blauhelm-Missionen.
Vor zwanzig Jahren brannten Frankreichs Vorstädte. Heute wird im Norden von Paris an einer besseren Zukunft gebaut. Rückkehr nach Seine-Saint-Denis, ins ärmste Département Frankreichs, wo 2005 eine beispiellose Welle von Jugendgewalt ihren Anfang nahm. Zehntausende Autos wurden abgefackelt, Schulhäuser, Postgebäude, Polizeikommissariate in Brand gesteckt. Innenminister Sarkozy verhängte über ganz Frankreich den Ausnahmezustand, er brachte dennoch zwei Wochen lang die Lage nicht unter Kontrolle. Die Politik wirkte hilflos angesichts der jugendlichen Zerstörungswut. Zwanzig Jahre danach hat sich das berüchtigtste Hochhausquartier in Aulnay-sous-Bois verändert. Der heruntergekommene, dreihundert Meter lange Wohnriegel ist verschwunden, Mietshäuser in humanerem Massstab stehen an seiner Stelle, umgeben von Geschäften. Eine Baustelle kündigt die Erschliessung durch die Metro an, sie soll die Vorstadt auf zwanzig Minuten an Paris heranbringen. Auch im benachbarten Clichy-sous-Bois wird gebaut. Wieweit hat sich auch die soziale Situation verbessert? International redet mit Jugendlichen und politischen Verantwortlichen in der Banlieue über Jugendkriminalität, Polizeigewalt, Drogenmafias - und die Hoffnung auf ein besseres Leben.
In eigentlich stillgelegten Minen Südafrikas versuchen tausende Bergleute, noch etwas Gold aus dem Untergrund zu kratzen. Der Staat geht hart gegen sie vor. Mit dramatischen Folgen. Es sind schreckliche Bilder. Erschöpfte Männer, abgemagert bis auf die Knochen. Daneben aufeinandergestapelte Leichensäcke. Das Leben in der aufgegebenen Goldmine in Stilfontein muss die Hölle gewesen sein. Bei einer gerichtlich angeordneten Rettungsaktion wurden 248 Bergleute lebend ans Tageslicht gebracht, für 87 kam jede Hilfe zu spät. Die Kritik am Vorgehen von Regierung und Polizei wird immer lauter. Menschenrechtsorganisationen sprechen vom schlimmsten Massaker seit dem Ende der Apartheid und verlangen eine unabhängige Untersuchung, damit die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden können. Einstweilen geht die gefährliche Suche nach Gold weiter, auch die Tragödie von Stilfontein vermochte sie nicht zu beenden. Denn der illegale Bergbau ist ein Milliardengeschäft, gesteuert von internationalen Verbrechersyndikaten. Und an Bergleuten mangelt es nicht: Die meisten kommen aus armen Nachbarländern wie Mosambik, Simbabwe oder Lesotho. Sie suchen in den verlassenen Goldminen Südafrikas nach einem besseren Leben.
In Thailand sterben täglich Dutzende Menschen im Strassenverkehr – viele auf Motorrädern, oft ohne Helm. Eine Ärztin, ein US-Aktivist und ein Rettungssanitäter kämpfen gegen Gleichgültigkeit, Bürokratie und Aberglauben. Bangkok bei Nacht: Ein Rettungssanitäter rast im Ambulanzwagen zur Unfallstelle. Ein Rollerfahrer ist mit einem Lastwagen kollidiert – Alltag auf Thailands Strassen. Täglich kommen rund 50 Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben, besonders betroffen sind Motorradfahrerinnen und -fahrer. Helmtragen ist zwar Pflicht, doch viele verzichten, aus Bequemlichkeit. Eine Augenärztin wurde auf einem Zebrastreifen von einem Polizisten auf einem Motorrad überfahren. Daraufhin starten ihre Arbeitskolleginnen eine Bewegung für sichere Fussgängerstreifen. Ein US-Amerikaner verteilt mit Hilfe der Polizei gratis Kinderhelme, während Fachleute eine Kultur der Verantwortungslosigkeit beklagen. Ein Land kämpft mit Korruption, mangelndem Sicherheitsbewusstsein – und den Geistern seiner Strassen. Doch gibt es auch Hoffnung. Und sie beginnt manchmal nur mit einem Helm.
Viel Sonne und Wind: Griechenland hat beste Voraussetzungen für erneuerbare Energien. Doch besonders Windräder sind höchst umstritten: Viele Griechinnen und Griechen glauben gar an kriminelle Machenschaften der Energiefirmen. Griechenland ist vielen anderen Ländern in Sachen erneuerbare Energie voraus. Und die Regierung hat weiter grosse Pläne. «Wir wollen nicht nur unseren eigenen Bedarf decken, sondern auch große Mengen an grüner Energie ins Ausland exportieren», sagt der zuständige Minister. Während jedoch Solaranlagen bei der Bevölkerung durchaus gut ankommen, sind Windparks oft umstritten. Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen wehren sich gegen Grossprojekte. Und viele Leute verdächtigen die Grosskonzerne, sie würden extra Waldbrände legen, um weitere Windparks aufstellen zu können. Ein Vorwurf, den die Firmen vehement dementieren. Um die Akzeptanz von Windenergie zu steigern, gibt es aber auch alternative Wege. So etwa, wenn nicht Grosskonzerne die Anlagen bauen, sondern Genossenschaften, die von Anwohnerinnen und Anwohnern selbst getragen werden. So möchte es auch die Genossenschaft «Minoan Energy» auf Kreta machen, die momentan mit ihren Photovoltaik-Anlagen Strom für mehr als 1200 Mitglieder liefert und bald auch gerne in Windräder investieren würde. Griechenland hat bei den erneuerbaren Energien eine Vorreiterrolle inne. Aber gesichert ist diese Position nicht - die Ängste und Sorgen der Bevölkerung müssen immer wieder ausgeräumt werden.
Seit Wochen gehen die Menschen in Serbien gegen die Regierung von Aleksandar Vucic auf die Strasse. Was als Studentenprotest begann, hat sich zum Volksaufstand entwickelt. Am Anfang steht ein Unglück: Am 1. November bricht in Serbiens zweitgrösster Stadt Novi Sad das Vordach des Bahnhofs ein. Dabei sterben 16 Menschen. Was wie ein Unfall aussieht, entwickelt sich schnell zum Politikum. Die Menschen Fragen sich, wie ein frisch renoviertes Dach einstürzen kann. Viele vermuten Baupfusch und Korruption als Ware Ursache. Das Unglück von Novi Sad wird zum Symbol für die grassierende Korruption im Land und befeuert die Wut gegen die Regierung. Die Menschen verlangen eine strafrechtliche Untersuchung. Doch schon längst geht es um mehr als nur das Bahnhofsunglück. Vielmehr verlangen die Menschen einen funktionierenden Rechtstaat mit unabhängig arbeitenden Institutionen. Sie zielen damit ins Herz des Herrschaftssystems, das sich Präsident Aleksandar Vucic und seine serbische Fortschrittspartei in den zwölf Jahren aufgebaut haben. Sie haben in dieser Zeit alle Ebenen des Staates unter ihre Kontrolle gebracht. Von den lokalen Parlamenten über die Justiz bis hin zu den Medien. Der Protest ist breit abgestützt: Bauern, Lehrerinnen, Anwältinnen und Rentner haben sich den Studentenprotesten angeschlossen. Doch reicht dies? «SRF-International» mit einem Stimmungsbild aus einem Land im Aufruhr.
Seit Jahrzehnten kämpfen die Sahraouis, das Volk der Westsahara, für ihren eigenen, unabhängigen Staat in der «letzten Kolonie Afrikas», der Westsahara. Gegen einen Gegner, der andere Pläne hat: Marokko. Es ist einer jener Konflikte, die die Welt fast vergessen hat. Gelöst ist er bei weitem nicht. «Es gibt ganz offensichtlich Menschen, die mehr wert sind als andere». Der Ingenieur Lehbib Mahjoub Abdelfatah sagt diesen Satz, ein bisschen verärgert und vielleicht auch verbittert. Wovon er spricht? Vom Wunsch seines Volkes, dass die Einhaltung des Völkerrechts nicht der «Realpolitik» weicht. Seit rund einem halben Jahrhundert lebt ein Grossteil der Sahraouis im Exil im Südwesten Algeriens, angeführt vom Frente Polisario, der politisch-militärischen Organisation der Sahraouis. Sie leben in einer der unwirtlichsten Gegenden der Welt: Wüste, so weit das Auge blicken kann, kaum Wasser, kaum Vegetation. Die Menschen hier sind Flüchtlinge, einst geflohen vor der Armee Marokkos, das einen Grossteil ihres angestammten Gebietes besetzte: der Westsahara. Seither warten die Sahraouis darauf, dass sie zu ihrem Recht kommen: dem Recht, selbst darüber bestimmen zu dürfen, ob sie in der Westsahara ihren eigenen Staat errichten oder zu Marokko gehören wollen. Sie warten. Und bereiten sich vor. Auf den Tag der Unabhängigkeit, den sie einst nahe glaubten, und der inzwischen weit in die Ferne gerückt ist. Augenschein in den sahraouischen Flüchtlingslagern in Algerien, bei Menschen, die ohne fremde Hilfe nicht überleben können, für die aber Aufgeben auch keine Option ist.
Gut drei Monate ist es her, dass das Assad-Regime in Syrien gestürzt wurde, nach mehr als 50 Jahren Diktatur und 13 Jahren Krieg. Nun wünscht sich die syrische Zivilgesellschaft Freiheit und Demokratie. Doch was die neuen Herrscher wollen, ist ungewiss. «Wir sind wie Blinde, die einen noch unbekannten Raum ertasten müssen»: So schildert die politische Aktivistin Malak Shanawani die Situation, in der sich die syrische Zivilgesellschaft derzeit befindet. Lange Jahre hätten sie auf Veränderungen in ferner Zukunft hingearbeitet, und nun seien diese Veränderungen plötzlich Wirklichkeit, sagt Shanawani. Das ist herausfordernd: «Es gibt jetzt Millionen Dinge zu besprechen. Wo sollen wir nur anfangen?» Unter der Diktatur des Assad-Clans war politisches Engagement so gut wie unmöglich. Jetzt ist Syrien von der Last des alten Regimes befreit, und politisch interessierte Syrerinnen und Syrer beginnen, ihre Freiheiten zu erkunden. Doch wie frei ist das neue Syrien? Und welche Vision haben die neuen Machthaber unter Interimspräsident Ahmad al-Sharaa für das Land? «International» unternimmt eine Reise durch ein Land im Wandel.
Im Sommer 2024 musste die autokratische Regierung nach landesweiten Protesten zurücktreten. Seitdem führt eine Interimsregierung unter Nobelpreisträger Muhammed Yunus – bekannt als «Banker der Armen» - die Geschäfte. Doch die Gewalt nimmt zu, die Preise bleiben hoch und Reformen fehlen. Shima Akhter, 24, geht schon wieder demonstrieren. «Die Situation ist gefährlicher als im Juli und August». Damals hatten Studierende nach wochenlangen Protesten das autokratische Regime der Regierungschefin Sheikh Hasina aus dem Amt verjagt. Mehr als 1400 Menschen verloren nach UNO-Schätzungen ihr Leben im Kugelhagel der Polizei. Hasina und ihre Partei Awami League hatten das Land 15 Jahre lang mit eiserner Faust regiert, die Wahlen gefälscht und Meinungsfreiheit unterdrückt. Nach ihrem Rücktritt versprach Nobelpreisträger Muhammad Yunus demokratische Reformen. Doch die Kriminalität steigt, die extreme Armut auch. Zehntausende Textilarbeiterinnen und -arbeiter haben ihre Arbeit verloren. Das Vertrauen schwindet, dass Dr. Yunus und seine Interimsregierung die Lage in den Griff bekommen. «Die Flitterwochen sind vorbei», urteilt Polit-Ökonom Parviz Abbasi aus Dhaka. Jeder habe zwar gewusst, dass der Weg steinig werde. Aber niemand habe realisiert, dass die Übergangsregierung nicht in der Lage sein würde, Antworten zu liefern.
Mexiko hat jahrzehntelange Erfahrung mit Migrantinnen und Migranten, als Herkunfts- und Durchgangsland. Doch die Migration verändert sich gerade fundamental. Die Grenzen zu den USA sind de facto dicht. Immer mehr Menschen bleiben in Mexiko hängen. Das Land muss sich auf eine neue Rolle einstellen. Demilton Rodriguez' Traum war ein besseres Leben in den USA. Nach einer waghalsigen Flucht durch die Todeszone des Darien-Dschungels ist der 24-jährige Venezolaner bis nach Mexiko gekommen. Als Freizeit-Rapper und Kleiderverkäufer hat er sich hier eine neue Existenz aufgebaut. Den Traum von den USA hat er begraben. Er ist nicht der einzige. Das Profil der Migrierenden verändert sich stark. Das hat nicht nur mit Donald Trump zu tun. Früher waren es fast ausschliesslich junge Männer aus Zentralamerika, die Mexiko nur durchquerten. Mittlerweile dominieren Familien und Minderjährige. Es machen sich auch Menschen aus der Karibik, Südamerika, Asien, Afrika und Europa auf die Reise der Hoffnung. Und immer mehr Migrantinnen und Migranten bleiben im nördlichsten lateinamerikanischen Staat. Ist Mexiko bereit für seine neue Rolle als Einwanderungsland?
Ecuador war einst bekannt als friedliches Land in einer instabilen Region. Doch das südamerikanische Land hat sich in Rekordzeit zu einer Hochburg der Gewalt gewandelt. Hintergrund ist der wachsende Einfluss von Drogen-Banden. «Ecuador ist in den letzten zehn Jahren zu einem der wichtigsten Player im Kokainhandel in der Region geworden. Laut manchen Statistiken kommen bis zu 60 Prozent des Kokains, welches in Europa ankommt, inzwischen aus Ecuador», sagt Experte Sebastián Hurtado. Vor den letzten Präsidentschaftswahlen wurde einer der Kandidaten auf offener Strasse ermordet: Fernando Villavicencio starb durch einen Kopfschuss, als er in sein Auto stieg. Er wollte die Drogenmafia und die Korruption im Land bekämpfen. Ecuadors Präsident Daniel Noboa setzt auf militärische Repression. Im Januar 2024 rief er den Ausnahmezustand aus und erklärte in einem Dekret die Drogenkartelle zu Terroristen. Dieser Schachzug erlaubt ihm, die Banden mit der gesamten Macht des Staates zu bekämpfen. Mit fatalen Folgen für die Menschenrechtslage, kritisiert die Aktivistin Dayuma Amores: «Letztes Jahr verschwanden fast 800 Personen in Ecuador spurlos nach Polizei- oder Militäreinsätzen». Staatliche Repression und Korruption bis in die höchsten Ränge der Justiz – wie weiter in Ecuador? Bei den bald anstehenden Präsidentschaftswahlen steht viel auf dem Spiel. Wenn das Land nicht weiter in Gewalt versinken soll.
Wider Erwarten kann sich die Ukraine auch drei Jahre nach der russischen Invasion behaupten. Doch der Krieg hat das Land und die Menschen von Grund auf verändert. Wie es mit der Ukraine weitergeht, ist weiterhin ungewiss. Inessa Antonenka wurde mit ihrer Familie und dem ganzen Dorf von den Russen vier Wochen lang in einem engen Keller eingesperrt. Mittlerweile ist ihr Dorf zwar befreit und das Haus wieder aufgebaut. Doch sie wohnt lieber in der Einzimmerwohnung in der nahegelegenen Kleinstadt. Denn das Gefühl von zuhause gibt es nicht mehr und lässt sich nicht neu aufbauen. Yahidne ist dabei nur einer von vielen Schauplätzen russischer Kriegsverbrechen. Der Krieg hinterlässt bei vielen tiefe Wunden. Die letzten drei Jahre haben die Menschen und das Land komplett verändert. Der Zusammenhalt ist viel stärker, das gegenseitige Verständnis und der Nationalstolz sind gewachsen. Der Wille zum Widerstand ist weiterhin gross. Doch es gibt nach drei Jahren Krieg auch Ermüdungserscheinungen. Wie es mit dem Land weitergeht, scheint ungewisser denn je. Die USA wollen mit Russland über einen Frieden verhandeln. Territoriale Verluste scheinen für die Ukraine unvermeidbar zu sein. Dabei sind weiterhin viele Fragen ungeklärt: Was passiert mit den nach Russland verschleppten Kindern und Jugendlichen? Wie geht es weiter mit den Vertriebenen, deren Heimatdörfer und Städte von Russland besetzt sind – und was würde ein Frieden ohne Sicherheitsgarantien für die Ukraine bedeuten? «International» mit einem vielschichtigen Portrait über ein Land im Krieg um seine Existenz.
Präsident Putin belohnt «Heldenmütter», die der Nation viele Kinder gebären. Die tiefe Geburtenrate erfüllt den Kreml mit Sorge, besonders seit dem Krieg gegen die Ukraine. Überhaupt propagiert die russische Führung «traditionelle Werte» - die sexuellen Minderheiten bezahlen den Preis. Alexei in Sankt Petersburg ist Punkmusiker. Früher besang er Männer, doch seit die LGBT-Bewegung vom Kreml als «extremistisch» eingestuft wurde, hat er seine Songs umgetextet. Nun singt er von Freundinnen und es geht angeblich um heterosexuelle Liebe. «Natürlich ist es ein totaler Scheiss. Meine Lieder fühlen sich jetzt an wie gelogen». Die schwule Band tarnt sich und ihre Auftritte. Aus Angst vor Repression. Was bleibt, sind unterschwellige Andeutungen. «Wer sie versteht, versteht sie». Der Kreml inszeniert sich als Verteidiger von «traditionellen Werten» in einer «Schicksalsschlacht» gegen den angeblich moralisch korrupten Westen. Seit Beginn der sogenannten «Spezialoperation», dem Krieg gegen die Ukraine, sucht er verstärkt auch nach Mitteln, um die Geburtenrate zu steigern. Frauen, die der Nation zehn Kinder schenken, bekommen eine Prämie. Der Zugang zu Abtreibungen dagegen wird erschwert. Der Kreml weiss dabei die orthodoxe Kirche auf seiner Seite. Doch lässt sich auch die Bevölkerung für Putins «traditionelle Werte» mobilisieren?
Papua-Neuguinea ist nur selten in den Nachrichten. Und wenn, dann geht es oft um beunruhigende Ereignisse: Naturkatastrophen, Stammeskriege, Ausschreitungen oder Gewalt gegen Frauen. Was steckt hinter diesen Berichten? Papua-Neuguinea ist ein Staat auf der östlichen Seite der Insel Neuguinea, nördlich von Australien. Es ist ein Land der Gegensätze: Auf der einen Seite unberührte Regenwälder mit grosser Biodiversität sowie jahrhundertealte, traditionsreiche Stammeskulturen. Auf der anderen Seite gewaltsame Konflikte zwischen diesen Stämmen – und ein Wettlauf um Rohstoffe und natürliche Ressourcen. Dazu kommt eine hohe Kriminalitätsrate. Auf Reisen drohen so manche Gefahren: Strassensperren bewaffneter Gruppen in entlegenen Gebieten etwa. Die Regierung versucht, zwischen den Stämmen zu vermitteln. Im vergangenen Februar gab es Friedensgespräche mit Vertretern verschiedener verfeindeter Stämme. Es gelang jedoch nicht, einen Waffenstillstand auszuhandeln. Das Misstrauen gegenüber staatlichen Autoritäten ist gross. Papua-Neuguinea: Eine Reise durch ein wenig bekanntes Land zwischen den Extremen.
Mit dem italienischen Gorizia und dem slowenischen Nova Gorica sind dieses Jahr zum ersten Mal zwei Städte in zwei Ländern als europäische Kulturhauptstadt ausgewählt worden. Die Kultur überwindet Grenzen. Jean Monnet, einer der Gründerväter der Europäischen Gemeinschaften, der Vorgängerin der EU, soll angeblich einmal gesagt haben: »Wenn ich nochmals mit dem Aufbau Europas beginnen könnte, würde ich mit der Kultur beginnen». So oder so: Wahr ist dieser Satz auf jeden Fall. Der Beweis sind die diesjährigen Kulturhauptstädte Gorizia in Italien und Novo Gorica in Slowenien. Einst gehörte Gorizia zu Österreich-Ungarn und galt als «Nizza Österreichs». Nach 1918 wurde Gorizia italienisch, und 1945 wurde die Stadt sogar geteilt. Das Zentrum gehörte zu Italien und die Aussenbezirke wurden zu Nova Gorica, einer sozialistischen Planstadt Jugoslawiens. Von 1947 bis 1954 waren beide Teile durch den Eisernen Vorhang hermetisch getrennt. Familien wurden auseinandergerissen. Später wurden die Schlagbäume schrittweise wieder gehoben. Heute sind Gorizia und Nova Gorica gemeinsam eine Kulturhauptstadt Europas. Und das ist wichtig. Denn Gorizia und Nova Gorica haben einen unterschiedlichen Blick auf eine gemeinsame, blutige Geschichte. Der italienische Diktator Mussolini ist noch immer Ehrenbürger von Goriza und der Namenszug von Tito, dem jugoslawischen Autokraten, prangt noch immer auf den Hängen hinter Nova Gorica. Mussolini unterdrückte die Slowenen blutig und Titos Partisanen rächten sich grausam an den Italienern. Nun versuchen Gorizia und Nova Gorica zu verstehen, dass die blutigen Geschichten zwei Seiten derselben Medaille sind.
Seit fünf Jahren funktioniert Venedigs Hochwasserschutz mit dem Namen «Mose». Seither sind die schweren Überschwemmungen Venedigs gebannt. Eine Erfolgsgeschichte. Doch «Mose» verändert auch die Lagune und viele fragen sich: hält er dem Klimawandel stand? Bei Hochwasser wird Luft in die Fluttore am Meeresboden gepresst, sie heben sich und schliessen die Lagune. Über 6 Milliarden Euro hat die innovative Anlage mit dem Namen «Mose» gekostet. Auch der Betrieb und der Unterhalt der insgesamt vier Barrieren zum Schutz von Venedig sind äusserst aufwändig. Trotzdem überwiegt der Nutzen die Kosten bei weitem. Denn die schweren Schäden, die die Hochwasser bisher regelmässig anrichtete, kosteten ein Mehrfaches. Die Erleichterung im Weltkulturerbe Venedig ist darum gross. Es gibt aber auch Kritik. Denn die Barrieren sind ein massiver Eingriff ins Ökosystem der Lagune. Und wegen des Klimawandels und des steigenden Meeresspiegels zeichnet sich ab, dass sie immer öfter und immer länger geschlossen bleiben müssen. Wird die Lagune von Venedig so zur Kloake?
Das Burgenland wird seit 60 Jahren von den Sozialdemokraten regiert. Die Wahl am Wochenende wird zum Showdown gegen die Freiheitliche Partei FPÖ. Mit Folgen für ganz Österreich. Hat die SPÖ im Burgenland ein Rezept gegen den Siegesszug der FPÖ unter Herbert Kickl? Das ländlich geprägte Burgenland im Südosten von Wien an der Grenze zu Ungarn und der Slowakei ist bevölkerungsmässig das kleinste Bundesland Österreichs. Lange lag es im toten Winkel Europas, direkt am Eisernen Vorhang und galt als Armenhaus des Landes. Doch seit dem Fall der Mauer ist es dank massiver Förderung der EU aufgeblüht und hat sogar das ehrgeizige Ziel, bis 2030 gleich viel Energie aus erneuerbaren Quellen zu produzieren, wie es verbraucht. Seit 60 Jahren regieren die Sozialdemokraten das Burgenland, in den letzten 5 Jahren sogar mit einer absoluten Mehrheit. Heute ist nicht mehr der tote, sondern der rote Winkel Österreichs. Bei der Wahl am 19. Januar kommt es zu einem Showdown. Auch wenn die SPÖ klar gewinnen wird, könnten sich die FPÖ mit der konservativen ÖVP gegen die Sozialdemokraten verbünden und sie auf die Oppositionsbänke verbannen. Um an der Macht zu bleiben, würde die SPÖ notfalls sogar ein Bündnis mit der rechtspopulistischen FPÖ eingehen. Zu tief ist das Misstrauen gegen die konservative ÖVP. Das Burgenland ist also ein politisches Experimentierfeld für ganz Österreich.
Machismo – das spanische Wort hat es sogar in die deutsche Sprache geschafft. Doch Spanien ist auch das Land in Europa, das sich am längsten schon der Bekämpfung machistischer Gewalt verschrieben hat: mit einem umfassenden Gesetz zum Schutz der Frauen. Vor genau 20 Jahren trat das spanische Pioniergesetz in Kraft. Als Folge entstanden beispielsweise eigene Gerichtsabteilungen, die sich ausschliesslich um Fälle von Gewalt an Frauen kümmern. «Von Gewalt betroffene Frauen befinden sich in einer besonders verletzlichen Situation» , erklärt Richterin Herminia Rangel, «dank der eigenen Gerichtsabteilungen fällt es ihnen leichter, Anzeige zu erstatten.» Auch in der polizeilichen Prävention und im Opferschutz hat Spanien neue Strukturen aufgebaut. So etwa mit einem ausgeklügelten Informationssystem, das mithilfe eines Algorithmus Risikoprofile von Tätern erstellt. Durchaus mit Erfolg: Spanien hat eine der niedrigsten Opferraten der Welt. Spanien war 2004 europaweit das erste Land, das derart umfangreiche Massnahmen in die Wege leitete. Erst 10 Jahre später beschloss der Europarat ähnliche Anliegen - mit der so genannten Istanbul-Konvention. In der Schweiz trat diese sogar erst 2018 in Kraft.
Uruguay geht konsequent seinen eigenen Weg. Als laizistisches Land hat es die Religion aus dem Staat entfernt. Dies hat Folgen, die tief in Politik und Gesellschaft spürbar sind – und Uruguay so in vielerlei Hinsicht zu einem Sonderfall machen. Lateinamerika ist grossmehrheitlich katholisch geprägt. Manchenorts haben evangelikale christliche Bewegungen einen grossen Zulauf. Das Wort des Pfarrers hat bei vielen ein grosses Gewicht. Der Einfluss der Kirche auf die Politik ist dementsprechend gross. In Uruguay ist der Laizismus dagegen seit über hundert Jahren per Verfassung festgeschrieben. Das Land liess sich dabei von Frankreich inspirieren. Als Folge davon ist Uruguay das am wenigsten religiöse Land auf dem gesamten amerikanischen Kontinent. Die Folgen sind überall spürbar. Weihnachten gibt es offiziell nicht. Der Feiertag heisst hier «Fest der Familie». Kirchenräume werden vom Staat für soziale Einrichtungen genutzt. Und in gesellschaftspolitischen Fragen ist das Land progressiver als die Nachbarn. Der Sonderfall äussert sich aber auch in den politischen Debatten: Diese gehen hierzulande gesitteter zu und her. Die politische Landschaft ist weniger gespalten als im Rest Lateinamerikas. Und auch der Nationalismus ist weniger ausgeprägt, wenngleich die Uruguayer und Uruguayerinnen stolz sind auf ihr Land. Erstausstrahlung: 19. Oktober 2024
Das Sarajevo Filmfestival ist das grösste Filmfestival in Südosteuropa. Dies allein ist bemerkenswert. Denn entstanden ist das Festival mitten im Bosnienkrieg, während der jahrelangen Belagerung Sarajevos. Aufgrund dieser Geschichte will das Festival mehr sein als ein reines Filmfestival. Selbst von den grausamen Folgen von Krieg und Nationalismus betroffen, hat sich das Filmfestival neben einer kulturellen auch eine aufklärerische und politische Mission gesetzt. Es versteht sich als Ort des Austausches, als Ort, der den Dialog über Landesgrenzen hinweg in der gesamten Region fördert. Gerade jetzt, wo weltweit die Spannungen wieder zunehmen und auch auf dem Balkan die Rhetorik aggressiver wird, ist dieser Ansatz so aktuell wie lange nicht. Davon ist der Festivaldirektor Jovan Marjanovic überzeugt. Doch nicht nur am Filmfestival, in ganz Bosnien Herzegowina sind die Folgen des Krieges weiterhin überall spürbar. Das Land ist weiterhin gespalten zwischen den einzelnen Volksgruppen. Bosnien ist geografisch und politisch aufgeteilt zwischen muslimischen Bosniaken, katholischen Kroaten und orthodoxen Serben. Die meisten Parteien sind ethnisch definiert und verstehen sich als Verteidiger ihrer jeweiligen Volksgruppen. Dabei haben sich die Politiker aller Seiten längst ein Klientelsystem aufgebaut, das einzig ihrem Machterhalt dient. Die Situation scheint zerfahren. Viele verlassen daher das Land und suchen ihr Glück anderswo. Das Filmfestival gab den Bewohnerinnen und Bewohner Sarajevos in den dunkelsten Stunden der Stadtgeschichte Halt. Und es bietet noch immer jenen Hoffnung, die auf Dialog und Verständigung setzen. Es nimmt damit eine Gegenposition ein in einer Region, in welcher der Nationalismus zuletzt in vielen Ländern wieder stärker wurde. Erstausstrahlung: 7. September 2024.
Fifi Bauma und Queen Mwanze sind Kämpferinnen, die eine mit Waffen, die andere mit Worten. In einer Region, die geprägt ist von Krieg und Chaos. Ihr Schlachtfeld ist nicht das gleiche, doch sie verfolgen das gleiche Ziel: Frieden im Ostkongo. Das Portrait zweier Frauen in einer zerrissenen Welt. «Töten wird normal: Siehst du den Feind zuerst, tötest du ihn. Sieht er dich zuerst, tötet er dich». In der Welt von Fifi Bauma haben Gefühle keinen Platz, genauso wenig wie persönliche Gegenstände. Fifis Welt ist der Kampf, der Krieg. Gegen einen unbarmherzigen Gegner. Traumatisiert von Gewalt, Flucht und Armut, hat Fifi selbst zur Waffe gegriffen und sich einer Miliz angeschlossen. Sie ist vierundzwanzig. Der Tod kann jederzeit kommen. Dabei wünscht sich Fifi nur eins: Dass der Frieden im Ostkongo zurückkehrt. Der Tod ist auch ständiger Begleiter von Queen. Die Aktivistin setzt auf Protest, glaubt an Dialog, an die Kraft der Worte; und erlebt doch ständige Repression. «In diesem Land Aktivistin zu sein, heisst, mit dem Sarg unter dem Bett zu leben», sagt sie. Der Ostkongo ist ihre Heimat. Und gleichzeitig ihr Trauma. Queen ist sechsundzwanzig. Sie hofft auf einen Ostkongo, in dem die Menschen eine Zukunft haben. Zwei Frauen – zwei Wege – ein Ziel: Frieden in Ostkongo.
Die Hisbollah dominierte die libanesische Politik. Doch der Krieg mit Israel hat die schiitische Miliz geschwächt und grosse Zerstörung nach Libanon gebracht. Wächst aus den Trümmern die Chance für einen politischen Neustart im zerrütteten Mittelmeerstaat? Die Druckwelle der Explosion hat im ganzen Quartier die Fenster zerschlagen, das Nachbarhaus liegt in Trümmern. Schon im Treppenhaus von Ali und Ria Charafeddines Wohnung liegen überall Glassplitter. Die Fenster und Türen sind aus den Fugen gesprungen. Ria Charafeddine steht fassungslos in der Wohnung. «Ich bin so wütend, wir haben nichts getan, wir sind keine Terroristen», sagt die Rentnerin, die gemeinsam mit ihrem Mann und einer Million anderer Libanesinnen und Libanesen vor den israelischen Angriffen geflohen war. Jetzt nach Beginn der Waffenruhe sind beide in ihre Heimatstadt Tyros im Süden Libanons zurückgekehrt und stehen vor einem Scherbenhaufen. Die Hisbollah («Partei Gottes») hatte vom Süden aus ein Jahr lang Israel beschossen, in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung in Gaza, wie die Hisbollah erklärte. Die Miliz - und Libanon - bezahlten einen enormen Preis: Die israelische Armee tötete die Führungselite der schiitischen Organisation, zerstörte die meisten ihrer Raketenstellungen. Im Süden Libanons wurden dabei ganze Dörfer zu Trümmerlandschaften, die israelische Armee tötete oder verletzte auch tausende Zivilistinnen und Zivilisten. Die von Iran unterstützte Hisbollah ist seither in der Defensive und hat mit dem Sturz des Regimes Assad im benachbarten Syrien auch noch ihren wichtigsten Verbündeten in der Region verloren. Libanon ist Klientelismus und Spannungen zwischen den Volksgruppen gewohnt. Der Wiederaufbau wäre die Chance, den kleinen Mittelmeerstaat neu zu denken. Ria Charafeddine hält sich an dieser Hoffnung fest. Es sollten nun alle an einem Strang ziehen, sagt sie. «Das ist so ein schönes Land und diese Vielfältigkeit, die solltet ihr ausnützen, ihr Libanesen».
Dänemark bleibt Weltspitze beim Klimaschutz. Die Schweiz dagegen ist im jährlichen Index ins Mittelfeld abgerutscht. Weshalb kommt der skandinavische Kleinstaat bei der Energiewende schneller voran? Augenschein in Kopenhagen und in der «grünen» Provinzstadt Sonderburg. «Amager Bakke» ist nicht nur die modernste Müllverbrennungsanlage der Welt. Sie ist auch eine Touristenattraktion, mit Skipiste auf dem Dach und einem «Gipfelkaffee». Jacob Hartvig Simonsen ist Direktor der Anlage, sie versorgt inzwischen mehr als 160.000 Haushalte mit Fernwärme und über 63.000 Häuser mit Strom. Nebenan steht eine Testanlage. Nächstes Jahr soll sie in Vollbetrieb gehen – und 500.000 Tonnen CO2 einfangen, per CCS-Technologie, also durch Abscheidung und Speicherung des klimaschädlichen Kohlendioxids, das auch bei der Müllverbrennung anfällt. Dänemark ist innovationsfreudig. Die Anlage ist bereit, die Finanzierung für den Betrieb in grossem Stil muss aber noch geklärt werden, sagt Simonsen. Projekte mit vergleichbarer Technologie gibt es auch in der Schweiz, allerdings kommen sie nicht richtig vom Fleck, sagt Patrick Hofstetter, Klimaschutzexperte beim WWF. „Eigentlich war die Schweiz sehr früh damit, der Branchenverband der Kehrrichtverbrennungsanlagen hat sich verpflichtet, ebenfalls eine solche C02-Abscheidung zu machen bei der Kehrrichtverbrennung.“ Als Pionieranlage wurde Linth ausgewählt. Doch die Umsetzung lässt noch auf sich warten. Auch bei der Fernwärme ist die Schweiz gegenüber dem Musterschüler Dänemark ein gutes Stück zurück, sagt der Klimaschutzexperte in Zürich, dem auffällig, wie das nordische Land sogar die Landwirtschaft für die Energiewende in die Pflicht nimmt.
Vergewaltigt und ermordet – der Fall einer jungen Ärztin in Kolkata erschütterte diesen Sommer die indische Öffentlichkeit. Trotz monatelanger Demonstrationen ist der Fall noch immer nicht aufgeklärt. Es ist kein Einzelfall: Im patriarchalen Indien grassiert eine wahre Vergewaltigungs-Epidemie. Fast 90 Frauen werden in Indien jeden Tag vergewaltigt, oft von Gruppen, oft besonders brutal. Und das sei nur die Spitze des Eisbergs, sagen Expertinnen. Viele Fälle würden in Indien gar nicht erst angezeigt: Aus Scham, aus Angst vor den Tätern oder mangelndem Vertrauern in die polizeilichen Ermittlungen. Den Grund für die hohe Zahl von Vergewaltigungen sehen viele im indischen Gesellschaftssystem, das Männer traditionell höher wertet als Frauen. Schuld sei das patriarchalische System, sagt eine Demonstrantin in Kolkata. Schärfere Gesetze bis hin zur Todesstrafe für die Täter haben den Anstieg der Vergewaltigungen nicht verhindern können. «Um die Vergewaltigungskultur zu bekämpfen, muss man auch die Mikro-Aggressionen bekämpfen, den Frauenhass, den Alltagssexismus», sagt der Sozialaktivist Harish Sadani. Er und sein Team setzen auf Sensibilisierung in Schulen. Während die frühere Regierungsangestellte und Aktivistin Yogita Bhayana sich für politische Reformen einsetzt, etwa für höhere Frauenquoten in der Politik und bei der Polizei. Doch allen ist klar: Der Kampf gegen die Vergewaltigungskultur wird noch länger dauern.
Nach über tausend Tagen Krieg sind die Menschen in der Ukraine zermürbt. Sie wollen ein Ende des Krieges, aber kein Ende, das es Russland erlaubt, in wenigen Jahren die Ukraine erneut anzugreifen. Der ukrainischen Armee fehlt es an Soldaten, Waffen, Munition. Und es fehlt an einer klaren Strategie des Westens. Was ein US-Präsident Trump für die Ukraine bedeutet, weiss niemand. Wie zuverlässig Deutschland und Westeuropa hinter der Ukraine stehen, ist zweifelhaft. Unter dem steigenden Druck spricht auch die ukrainische Führung öffentlich über mögliche Verhandlungen mit Russland. Aber welche Chancen auf einen gerechten Frieden gibt es? Und wie empfinden die Menschen in der Ukraine diese Debatten? «Es verunsichert mich, und es tut weh, dass abgesehen von Slogans und schönen Worten wenig Taten folgen», sagt die Ukrainerin Ljudmyla Hotytsch. «Wir wollen den Krieg hier und jetzt beenden. Gebt uns die Mittel dafür. Ihr reicht uns eine Hand und fesselt die andere. So werden wir langsam sterben».
In Grossbritannien ist die Wasserversorgung keine öffentliche Dienstleistung, sondern ein privates Geschäft. Vor mehr als 30 Jahren verkaufte die Regierung die Wasserwerke. Dies hatte Folgen. Wasser wurde teuer, und Flüsse wurden schmutzig. Tausende Britinnen und Briten strömten Anfang November nach London. Viele waren blau gekleidet und trugen Plakate mit Botschaften wie «Cut the crap!» oder «Voters against Floaters». Übersetzt heisst das so ungefähr: «Hört auf mit dem Sch…», und «Wähler gegen schwimmende Exkremente». Es war eine Grossdemonstration gegen die Verschmutzung der britischen Gewässer und Küsten. Ein Problem, das eng mit der Privatisierung der Wasserversorgung verknüpft ist. Premierministerin Margaret Thatcher hatte sie 1989 vorangetrieben, um die Staatskasse zu entlasten. Private Investoren würden das völlig veraltete Kanalisationssystem schon sanieren, und zwar mindestens ebenso gut wie der Staat, lautete ihre Botschaft. Thatcher hatte sich verrechnet. Die Investitionen blieben aus. Das Kanalisations-System ist mittlerweile noch älter, und die privaten Wasserwerke leiten jedes Jahr riesige Mengen ungeklärtes Abwasser in Bäche und Flüsse. Mit der Folge, dass Baden in englischen Gewässern nicht erfrischt, sondern krank macht. Eine Reportage über die unappetitlichen Folgen der Privatisierung der Wasserversorgung in Grossbritannien.
Es geht um Rohstoffe, Rüstungsdeals und internationale Anerkennung. Im Schatten des Ukrainekriegs hat Russland seinen Einfluss in vielen afrikanischen Staaten ausgeweitet. Russische Paramilitärs spielen dabei eine Schlüsselrolle, wie das Beispiel Mali zeigt. «Wir wissen, dass die Russen heute die wichtigsten Partner der malischen Armee sind», sagt ein Goldhändler der Tuareg in der nordmalischen Stadt Gao. Man erkenne die russischen Kämpfer leicht an ihren Uniformen und Abzeichen und daran, dass die wenigsten Französisch sprächen. Der Kreml hat im letzten Jahrzehnt mit 43 afrikanischen Staaten Militärabkommen geschlossen. Er profitierte dabei vom schlechten Ruf des Westens. In unsicheren Sahelstaaten wie Mali ist die Verbitterung insbesondere gegenüber Frankreich gross. Russland inszeniert sich in Afrika gern als Gegenentwurf zu den alten Kolonialmächten. Doch selbstlos ist das russische Engagement nicht. Auch ist es begleitet vom Vorwurf schwerer Menschenrechtsverletzungen. Besonders im Fokus: die «Wagner»-Gruppe. Jewgeni Prigoschin, der berüchtigte Anführer dieser russischen Söldnertruppe, kam 2023 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben, kurz nach seiner Rebellion gegen die russische Regierung. Der Kreml hat Prigoschins Imperium im Afrika seither direkt übernommen.
Der Krieg im Nahen Osten dauert seit mehr als einem Jahr, Zehntausende sind getötet, Millionen vertrieben worden, im Gazastreifen, im Westjordanland, in Libanon. Israel will den «totalen Sieg» über islamistische Terrorgruppen, um jeden Preis. Wer gegen diesen Krieg ist, hat es schwer. Jede Woche demonstrieren in Israel Tausende: für die Freilassung der Geiseln, welche die extremistische Hamas vor mehr als einem Jahr in den Gazastreifen verschleppte, gegen die Regierung, welche die Geiseln in ihren Augen im Stich lässt. Anti-Kriegsdemonstrationen sind das jedoch nicht. Der eigene Schmerz blendet das Leiden der Zivilbevölkerung im Gazastreifen und in Libanon fast komplett aus. «Wir klammern uns an die Hoffnung, dass die Geiseln zurückkehren können. Erst danach können wir hoffen, dass aus den Trümmern etwas Besseres entsteht. Aber zuerst müssen die Geiseln zurückkommen», sagt die 30-jährige Adi, eine ehemalige Späherin der israelischen Armee. Die sogenannten «Tatzpitaniyot», die jungen Soldatinnen, die auf ihren Beobachtungsposten vergeblich vor einem Hamas-Angriff gewarnt hatten, waren unter den ersten Opfern der Hamas. Mai Albini Peri, 29, ist der Enkel des von der Hamas entführten und getöteten Friedensaktivisten Chaim Peri. Der grausame Tod seines Grossvaters hindert ihn nicht daran, gegen den Krieg seiner Regierung zu kämpfen. Im Gegenteil: sein Grossvater habe immer gesagt, Israels Besatzung des palästinensischen Volkes führe ins Verderben. «Wir können im Gazastreifen nicht so weitermachen wie im vergangenen Jahr und behaupten: «Wir verteidigen uns nur!». Hättet ihr uns am 7. Oktober verteidigt! Dann wäre mein Grossvater noch am Leben. Was wir jetzt machen, hat mit Verteidigung nichts zu tun: das ist nur Rache», sagt der jüdische Israeli. Es gibt in Israel und den palästinensischen Gebieten Menschen, welche diesen Krieg dringend stoppen wollen. Aber wie? «Dieser Krieg ist nicht wie andere Kriege. Wenn sie ihn nicht beenden, nehmen wir die Auslöschung eines anderen Volkes in Kauf. Einfach beenden können wir den Krieg aber nicht: dafür braucht es eine politische Vision», sagt Rula Hardal. Sie ist eine der beiden israelischen Frauen, welche die gemeinsame israelische und palästinensische Organisation «A land for all» leitet, die sich für eine Zweistaatenlösung einsetzt. Wer stoppt den Krieg und wie? Eine Reportage aus Israel und dem Westjordanland.
Japanerinnen und Japaner werden immer älter. Und häufig auch einsamer. So sterben immer mehr Menschen allein in ihrer Wohnung, ohne Angehörige, Freundinnen oder Freunde. Nun sucht Japan neue Wege im Kampf gegen den einsamen Tod. Es mag etwas gruselig anmuten: Im Sozialamt der Yokosuka gibt es eine Abstellkammer, in der fein säuberlich aufgereiht rund 150 Behälter stehen. «In jedem Behälter befindet sich eine Urne mit Asche und Knochenstücken, die nicht abgeholt worden ist», erklärt ein Gemeindeangestellter. Die nicht abgeholten Urnen stehen für ein Phänomen, das in Japan zunehmend zum Problem wird: Menschen, die im Alter vereinsamen. Wenn sie sterben, wird ihr Tod häufig erst sehr spät entdeckt. Japan versucht mit verschiedenen Ansätzen, das Problem des einsamen Todes zu entschärfen. Gemeinden etwa unterstützen Seniorinnen und Senioren dabei, im Voraus zu regeln, wie und wo sie bestattet werden sollen. Agenturen oder Vereine helfen den älteren Menschen, soziale Kontakte für den letzten Lebensabschnitt zu knüpfen.
Uruguay geht konsequent seinen eigenen Weg. Als laizistisches Land hat es die Religion aus dem Staat entfernt. Dies hat Folgen, die tief in Politik und Gesellschaft spürbar sind – und Uruguay so in vielerlei Hinsicht zu einem Sonderfall machen. Lateinamerika ist grossmehrheitlich katholisch geprägt. Manchenorts haben evangelikale christliche Bewegungen einen grossen Zulauf. Das Wort des Pfarrers hat bei vielen ein grosses Gewicht. Der Einfluss der Kirche auf die Politik ist dementsprechend gross. In Uruguay ist der Laizismus dagegen seit über hundert Jahren per Verfassung festgeschrieben. Das Land liess sich dabei von Frankreich inspirieren. Als Folge davon ist Uruguay das am wenigsten religiöse Land auf dem gesamten amerikanischen Kontinent. Die Folgen sind überall spürbar. Weihnachten gibt es offiziell nicht. Der Feiertag heisst hier «Fest der Familie». Kirchenräume werden vom Staat für soziale Einrichtungen genutzt. Und in gesellschaftspolitischen Fragen ist das Land progressiver als die Nachbarn. Der Sonderfall äussert sich aber auch in den politischen Debatten: Diese gehen hierzulande gesitteter zu und her. Die politische Landschaft ist weniger gespalten als im Rest Lateinamerikas. Und auch der Nationalismus ist weniger ausgeprägt, wenngleich die Uruguayer und Uruguayerinnen stolz sind auf ihr Land.
Die grösste Insel der Welt war lange Spielball fremder Interessen. Dänemark kolonisierte das Inuit-Volk, die USA errichteten Militärstützpunkte. Nun aber ist Grönland unterwegs in die Unabhängigkeit: mittels Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur und einer selbstbewussten Aussenpolitik. Zwei Asphaltpisten machen Grönlands Zeitenwende deutlich: der Flugplatz im abgelegenen Narsarsuaq, zu Beginn der 1940-Jahre von den Amerikanern gebaut, steht vor der Schliessung. 500 Kilometer nordwestlich, in der boomenden Hauptstadt Nuuk, eröffnet Ende November der neue internationale Flughafen des aufstrebenden Landes. Mit der Neuausrichtung des Flugverkehrs vollzieht Grönland auch eine aussenpolitische Neuorientierung. Es geht zunehmend auf Distanz zur früheren Kolonialmacht Dänemark. Stattdessen sucht die Regierung in Nuuk die Nähe zu den direkten Nachbarn im Westen, im kanadischen Nunavut. Nach isländischem Vorbild möchte Grönland zu einem Hub zwischen Europa und Amerika werden. Grönlands Weg zur indigenen Macht in der Arktis ist jedoch voller Hürden: dazu gehört die spannungsgeladene Geopolitik im hohen Norden, aber auch der gesellschaftliche Zusammenhalt des sehr kleinen und über eine riesige Fläche verteilten Volkes zwischen Tradition und Moderne. Wirtschaftlich sucht Grönland künftig sein Glück im Tourismus und Bergbau, und begibt sich auf eine herausfordernde Gratwanderung zwischen Nachhaltigkeit und internationalen Begehrlichkeiten.
Palmenstrand, exotische Tempel und lächelnde Menschen. Thailand gehört zu den beliebtesten Ferienzielen der Schweizerinnen und Schweizer. Was viele nicht wissen: Ganz im Süden des Landes kämpfen seit Jahrzehnten Rebellen für einen eigenen Staat und schrecken dabei auch vor Anschlägen nicht zurück. Mehr als sieben Tausend Menschen sind in den vergangenen zwanzig Jahren bei den blutigen Auseinandersetzungen ums Leben gekommen. Es ist ein Konflikt zwischen malaiischen Aufständischen und der thailändischen Staatsmacht. Im sogenannt "tiefen Süden" Thailands gehört die muslimische Ethnie der Malaien zur Bevölkerungsmehrheit. Ganz anders als im Rest Thailands, das überwiegend buddhistisch geprägt ist. Viele der malaiischen Muslime fühlen sich politisch und kulturell vom Zentralstaat bevormundet. Gleichzeitig hat die thailändische Regierung die Region während Jahren wirtschaftlich vernachlässigt. Sie gehört heute zu den ärmsten Gegenden des Landes. Seit Jahrzehnten kämpfen verschieden Separatistengruppen für eine Unabhängigkeit vom Zentralstaat. Der thailändische Staat wiederum hat eine grosse Militär- und Polizeipräsenz im Gebiet aufgebaut. Den Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen – sie sind im «tiefen Süden» jedoch weitgehend immun vor einer Strafverfolgung. Es ist ein komplizierter und langwieriger Konflikt, der von der Welt vergessen wurde. Ein Konflikt, der tiefe Gräben in der Bevölkerung hinterlassen hat.
In der Schweiz und in ganz Europa kommt viel Italienisches auf die Teller. Doch die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Früchte und Gemüse ernten, haben oft weder Aufenthaltsbewilligung noch Arbeitsvertrag. Italiens Regierungen versprechen regelmässig Abhilfe, tatsächlich aber ändert sich wenig. Kurz vor den Sommerferien rüttelte ein schwerer Arbeitsunfall ganz Italien auf. Ein aus Indien stammender Feldarbeiter starb, nachdem ihm eine Maschine einen Arm abgetrennt hatte. Der Schwerverletzte wurde von seinem Arbeitgeber nicht in ein Spital gebracht. Denn er war nicht krankenversichert und verfügte auch über keinen Arbeitsvertrag. Gemäss Schätzungen arbeiten in Italiens Landwirtschaft rund 400'000 Angestellte schwarz. Das Problem ist bekannt und noch jede Regierung hat bisher versprochen, das Übel endlich anzugehen. Doch passiert ist wenig. Denn es profitieren viele von der Ausbeutung der Arbeitskräfte: Landwirtschaftsbetriebe, die tiefe Löhne zahlen. Grossverteiler, die billig Früchte und Gemüse einkaufen. Konsumentinnen und Konsumenten in ganz Europa, die günstig einkaufen können. Und Längst hat auch das organisierte Verbrechen seine Finger im Milliardengeschäft. Ein Augenschein in der Pontinischen Ebene südlich von Rom - einem der landwirtschaftlichen Zentren Italiens.
Darauf war Kuwait immer stolz: Als einziges Land am arabischen Golf war Kuwait in Ansätzen demokratisch. Das frei gewählte Parlament gilt als eines der mächtigsten im ganzen Nahen Osten. Oder besser: Galt. Denn vor wenigen Monaten hat der Emir das Parlament aufgelöst. Kuwait ist eines der reichsten Länder der Welt. Und trotzdem rückständig. Vetternwirtschaft, Korruption, ein aufgeblähter Staat und endlose politische Querelen sind die Gründe. Neidvoll schauen kuwaitische Unternehmer wie Khaled al-Khaled nach Abu Dhabi, Katar oder Saudi-Arabien. Sie fühlen sich abgehängt. Schuld daran sei die Demokratie, sagt al-Khaled: «Wie viele Menschen haben auf einem Schiff das Sagen: Ein Kapitän oder zehn?» Seit 1962 garantiert die Verfassung Kuwaits freie Parlamentswahlen. Und meistens fanden sie auch statt. Die Erbmonarchie und das Parlament teilten sich die Macht, doch das Nebeneinander funktioniert in der Praxis immer weniger. Im vergangenen Mai hat der Emir das Parlament für vier Jahre aufgelöst, und das Land ist zu einer Autokratie geworden. Kuwait ist ein kleines Land, aber einer der wichtigsten Ölexporteure der Welt. Was in Kuwait, geschieht, ist strategisch von Bedeutung.
Es war ein beispielloser Angriff auf die Demokratie: Vor vier Jahren weigerte sich Donald Trump, seine Wahlniederlage anzuerkennen. Trotz dieser Lüge und dem Sturm aufs Kapitol nominierte ihn die republikanische Partei zum dritten Mal als Präsidentschaftskandidaten. Was ist da geschehen? «Trump kicks ass» steht auf Sharon Andersons Hut – «Trump ist ein harter Kerl», heisst das im übertragenen Sinn. Anderson ist Trump-Anhängerin der ersten Stunde, und sie würde ihn wählen, selbst wenn er im Gefängnis sässe. Für Anderson ist klar: Trump hat die bedeutendste politische Bewegung aller Zeiten geschaffen. Seit der Immobilienmakler und TV-Star in die US-Politik eingestiegen ist und 2016 zum Präsidenten gewählt wurde, dominiert er die Schlagzeilen. Und die republikanische Partei. Manche Beobachter glaubten, nach dem gewaltsamen Ansturm von Trump-Anhängern auf das Kapitol würde sich das republikanische Establishment von ihm abwenden. Zu plump schien seine x-fach wiederholte und x-fach widerlegte Lüge vom gestohlenen Wahlsieg, zu krude waren seine Angriffe auf den demokratischen Wahlprozess. Doch das Gegenteil geschah: Er schloss die Reihen hinter sich. Wie kam es dazu, dass sich so viele Parteigängerinnen und Parteigänger von den traditionellen konservativen Werten eines Ronald Reagan abwendeten und die republikanische Partei ganz zur Partei Trumps wurde?
Das Sarajevo Filmfestival ist das grösste Filmfestival in Südosteuropa. Dies allein ist bemerkenswert. Denn entstanden ist das Festival mitten im Bosnienkrieg, während der jahrelangen Belagerung Sarajevos. Aufgrund dieser Geschichte will das Festival mehr sein als ein reines Filmfestival. Selbst von den grausamen Folgen von Krieg und Nationalismus betroffen, hat sich das Filmfestival neben einer kulturellen auch eine aufklärerische und politische Mission gesetzt. Es versteht sich als Ort des Austausches, als Ort, der den Dialog über Landesgrenzen hinweg in der gesamten Region fördert. Gerade jetzt, wo weltweit die Spannungen wieder zunehmen und auch auf dem Balkan die Rhetorik aggressiver wird, ist dieser Ansatz so aktuell wie lange nicht. Davon ist der Festivaldirektor Jovan Marjanovic überzeugt. Doch nicht nur am Filmfestival, in ganz Bosnien Herzegowina sind die Folgen des Krieges weiterhin überall spürbar. Das Land ist weiterhin gespalten zwischen den einzelnen Volksgruppen. Bosnien ist geografisch und politisch aufgeteilt zwischen muslimischen Bosniaken, katholischen Kroaten und orthodoxen Serben. Die meisten Parteien sind ethnisch definiert und verstehen sich als Verteidiger ihrer jeweiligen Volksgruppen. Dabei haben sich die Politiker aller Seiten längst ein Klientelsystem aufgebaut, das einzig ihrem Machterhalt dient. Die Situation scheint zerfahren. Viele verlassen daher das Land und suchen ihr Glück anderswo. Das Filmfestival gab den Bewohnerinnen und Bewohner Sarajevos in den dunkelsten Stunden der Stadtgeschichte Halt. Und es bietet noch immer jenen Hoffnung, die auf Dialog und Verständigung setzen. Es nimmt damit eine Gegenposition ein in einer Region, in welcher der Nationalismus zuletzt in vielen Ländern wieder stärker wurde.
Die Mongolei ist eingezwängt zwischen China und Russland und wirtschaftlich abhängig von den beiden autoritären Nachbarn. Doch die junge Demokratie will sich emanzipieren. Sie sucht nach neuen «Nachbarn» und hofft sogar auf spirituelle Kräfte. Die chinesische Führung sah rot, als 2016 im wichtigsten buddhistischen Kloster der Mongolei Babys zu krabbeln begannen. Es ging bei dem Ritual darum, den höchsten buddhistischen Würdenträger für die Mongolei zu finden - einen spirituellen Führer, der sich der Kontrolle Chinas entzieht. Als der religiöse Würdenträger gefunden war und der Dalai Lama dafür anreiste, belegte China den Nachbarstaat kurzerhand mit Wirtschaftssanktionen. Bis heute greift die asiatische Grossmacht zum Mittel der Erpressung und öffnet oder schliesst die Grenzen zur Mongolei je nach Grad der Verstimmung. Doch abhängig ist die Mongolei auch von Russland, dem zweiten Nachbarn. Wenn Russland die Energieversorgung drosselt, gehen in der Mongolei die Lichter aus. Aber die junge Demokratie möchte sich aus den Zwängen ihrer geographischen Lage befreien – sie hält Ausschau nach politischen und wirtschaftlichen Partnern anderswo in der Welt. Wie weit sie damit kommt – dazu die Reportage aus Ulaanbaatar.
Nach Jahrzehnten mit Kriegen und Zerstörung, glauben im Irak heute viele Menschen an eine bessere Zukunft. Ihre Hoffnungen liegen auch auf einem riesigen Bauprojekt. Der Plan ist ehrgeizig: Eine internationale Verbindungsstrasse soll künftig vom persischen Golf mitten durch den Irak bis in die Türkei und nach Europa führen. Eine Strasse, die einerseits Teil der neuen chinesischen Seidenstrasse sein soll, andererseits aber auch den Handel im Land selbst ankurbeln soll. «Mit der neuen Entwicklungsstrasse ist der Zeitpunkt gekommen, an dem die irakische Wirtschaft wieder als heller Stern in der Region erstrahlen kann», sagt Rawan Al-Zaidi, eine junge Unternehmerin aus Bagdad. Viele im Land teilen ihren Optimismus. Doch damit es so weit kommt, reicht es nicht, eine grosse Strasse zu bauen. Das Land muss weitere Herausforderungen bewältigen: Die grassierende Korruption bekämpfen. Oder auch sich mit der kurdischen Bevölkerung im Norden des Landes versöhnen. Irak und die Hoffnung auf den Aufschwung: Eine Reportage quer durchs Land.
Eine Online-Bekanntschaft, schöne Gefühle. Und am Ende: kein Geld mehr. Weltweit werden Menschen von Betrügern um ihr ganzes Geld gebracht. Diese agieren zum Beispiel aus Südostasien, wo in den letzten Jahren diverse sogenannte Betrugsfabriken entstanden sind. Und wo Täter manchmal auch Opfer sind. Die Bezeichnung klingt martialisch: «Schweine schlachten». Im Betrügerjargon heisst das nichts anderes als: jemanden derart ausnehmen, ja ausweiden, bis kein Geld mehr zu holen ist. Das geschieht zum Beispiel über gefälschte Profile auf Dating-Plattformen, durch vorgetäuschte Interessen und Gefühle. Mit Hilfe perfider Techniken. Die Betrüger brauchen dazu nicht viel: in erster Linie Strom und Internet. Und ein Umfeld, das nicht so genau hinschaut, zum Beispiel in Staaten mit schwachen Institutionen und einem ausreichenden Mass an Korruption. Staaten wie Kambodscha, Laos oder auch Myanmar. In diesen Ländern sind in den letzten Jahren Industriegebiete und sogar Sonderwirtschaftszonen entstanden, die unter der Kontrolle zwielichtiger Gestalten aus China stehen. Von dort aus – aus gut ausgerüsteten Gebäudekomplexen – werden Menschen aus aller Welt belogen und betrogen. Einige Betrüger verrichten ihre Arbeit freiwillig. Andere werden jedoch dazu gezwungen und sind selbst Opfer der Betrugsindustrie.