Periodical literature
POPULARITY
Vossische Zeitung, Berliner Lokal-Anzeiger, Berliner Börsen-Courier – langjährigen Hörerinnen und Hörern dieses Podcast dürften diese Namen noch sehr geläufig sein. Dass sie es heute gleich in Mannschaftsstärke in das Programm von Auf den Tag genau geschafft haben, läutet keine Rückkehr nach Berlin ein, sondern ist dem Umstand geschuldet, dass man in Hamburg zwar seine eigenen Zeitungen las, diese in begründeten Fällen aber durchaus ein Auge darauf warfen, wie die Hauptstadtpresse bestimmte Entwicklungen kommentierte. Konkreter Anlass für die Presseschau im Hamburgischen Correspondenten vom 18. August 1924 waren die Resultate einer Londoner Konferenz, die sich mal wieder um Einigkeit in Kriegsreparationsfragen bemühte. Dass die regierungsnahen Organe wie der sozialdemokratische Vorwärts, die Zentrums-Parteizeitung Germania oder das liberale Berliner Tageblatt das deutsche Verhandlungsergebnis positiver bewerteten als die Blätter des nationalkonservativen bis völkischen Lagers, vermag wenig zu überraschen. Es liest Frank Riede.
Kleine feuilletonistische Betrachtung über den Routinier des Alltags, der den Zauber des "ersten Males" nie wieder sehen kann (Vossische Zeitung, 20.10.1924).
Feinironisch erfundenes Interview mit der ebenso erfundenen Gattin des französischen Präsidenten (Vossische Zeitung, 31.7.1924).
"Eines Tages beschloss der Berliner, etwas Schönes, Angenehmes, Liebliches, etwas, das das Herz erfreut, mit Knorke zu bezeichnen." (Vossische Zeitung 7.10.1924)
Wie sich die Liebespaare beim abendlichen Flanieren im Berliner Tiergarten ihren Alltagsärger von der Seele reden und endlich einen geneigten Zuhörer finden (Vossische Zeitung, 27.9.1924).
Ein ländliches Pastell: Pariser Großstädter in der Sommerfrische - der Zugereiste neidet ihnen ihre unbefangene Fröhlichkeit (Vossische Zeitung, 19.7.1924).
Willkommen bei der vorerst letzten Folge von Auf den Tag genau. Mit dem rasant zunehmenden Erfolg des „Unterhaltungs“-Rundfunks in den 20er Jahren, war zum ersten Mal ein komplexes technisches Gerät notwendig, um an diesem werdenden Massenmedium teilzuhaben. Benötigte man für die Rezeption einer Zeitung die Kulturtechnik des Lesens, so war man fürs Radio-Hören von einem funktionierenden Empfänger abhängig. Wo gab es Hilfe bei defekten Geräten? Wo gab es Antworten auf Fragen rund um die Positionierung der Antenne? Nicht unähnlich von heutigen Reparatur-Cafés hielt ein Techniker im Berlin des Jahres 1924 kostenfrei Sprechstunden, in denen er geduldig Fragen beantwortete und Geräte reparierte – und von diesem „Rundfunkarzt“ berichtete die Vossische Zeitung vom 29. Februar. Paula Rosa Leu hat ihn für uns besucht. Einen „Podcastarzt“ müsst ihr nicht aufsuchen, wenn es ab morgen zunächst keine weiteren Folgen Auf den Tag genau gibt. Es liegt nicht an Euren Geräten, es liegt daran, dass wir eine Pause machen. Wir verabschieden uns also vom Jahr 1924, von Euch, danken für Eure Treue und freuen uns auf ein Wiederhören.
Peter Panter über Paris und seine Bewohner: "Das, was die einzige Atmosphäre dieser Stadt ausmacht, ist ihre Menschlichkeit." (Vossische Zeitung 19.6.1924)
Mit der Stabilisierung der Währung und damit der Verbesserung zumindest der inflationsbedingten Verarmung fand die Vossische Zeitung vom 8. Februar 1924 nun die Zeit und den Raum, sich einer anderen leidenden, unterdrückten und ausgebeuteten Bevölkerungsgruppe zuzuwenden: den Hundehalter*innen. Ein Walter Simon-Gusner echauffiert sich hier über den anhaltenden Leinen- und Maulkorbzwang in Berlin, den er deutlich von anderen Städten abhebt, die liberalere Verordnungen haben. Unseres Wissens gehört Paula Rosa Leu nicht zu den Hundehalterinnen in Berlin, so dass sie uns keinerlei Auskunft über den jetzigen Stand geben kann – über die anhaltende Hundesperre vor 100 Jahren schon.
Auch sie sind in vier Jahren ein Evergreen von Auf den Tag genau: Artikel, die von der Spree an die Donau schauen und Facetten des Lebensgefühls in Wien nach Berlin zu vermitteln versuchen. Für die Vossische Zeitung war es zumeist Karl Lahm, der diese Korrespondentendienste übernahm. Am 7. Februar 1924 widmete er sich ausnahmsweise keinen direkt politischen Fragen, berichtete nicht aus dem regen Wiener Musik- oder Theaterleben und entwickelte auch keine feuilletonistische Typenkomödie. Vielmehr geht es ihm hier um die Bauaktivitäten, die in der alten Metropole von Kakanien nach dessen Untergang aufgenommen wurden – und führt uns damit zu den äußersten Anfängen des bis heute berühmten kommunalen Gemeindebauwesens im Roten Wien. Angeschlossen auf seiner Tour hat sich für uns Frank Riede.
Die Verbindungen der Familie Mann zur Tschechoslowakei wurden erst vor nicht allzu langer Zeit gründlicher erforscht. So half etwa der Präsident der Tschechoslowakei Tomáš Garrigue Masaryk nach der Emigration Heinrich Manns aktiv und finanziell dabei, die Bibliothek und das Archiv aus der Münchener Wohnung ins Ausland zu schaffen. 1936 erhielten Thomas und Heinrich Mann die Tschechoslowakische Staatsbürgerschaft. In den Abhandlungen zu den weit über diese zwei soeben genannten Tatsachen hinausreichenden Beziehungen der Manns zu dem Intellektuellen an der Spitze des jungen Staates, den viele Tschechen respektvoll als Papa Masaryk bezeichneten, steht immer geschrieben, dass Heinrich Mann, Masaryk 1924 kennen gelernt hatte. Und genau diese erste Begegnung schilderte er für die Vossische Zeitung vom 1. Februar 1924. Neben seinem Eindruck vom Präsidenten als Person beschreibt er auch die Gespräche über das Verhältnis von Deutschland zu Frankreich. Da Masaryk von Paris aus die Exilregierung der Tschechoslowakei während des Ersten Weltkriegs anführte, dort den unabhängigen Staat verhandelte und stets beste Beziehungen zu französischen Politikern pflegte, verwundert es nicht, dass seine Position sich deutlich abhebt von der in der deutschen Presse propagierten Sichtweise, der Hauptschuldige an der Ruhrbesetzung sei Poincaré. Paula Rosa Leu war zusammen mit Heinrich Mann zu Besuch auf dem Landsitz des tschechoslowakischen Präsidenten in Lány.
Das 1877 eröffnete Café Bauer an der zentralen Kreuzung Unter den Linden/Friedrichstraße war in Berlin über Jahrzehnte eine gastronomische Institution. Sein Gründer Matthias Bauer hatte ähnliche Cafés zuvor schon in seiner Heimatstadt Wien betrieben und erkannte weitsichtig, dass das Konzept des Wiener Kaffeehauses mit Mokka und österreichischen Mehlspeisen auch im traditionell eher asketischen, aber aufstrebenden Berlin funktionieren müsste. Neben den großartigen Backwaren und einer opulenten Ausstattung punktete das „Bauer“ bereits ab 1884 zudem als Pionier mit einem besonderen Service bei seinem Publikum: elektrischem Licht. Das war insofern bedeutsam, als das „Bauer“ für seine große Auslage von angeblich bis zu 800 europäischen Tageszeitungen berühmt war. Davon, dass sich darunter auch die Vossische Zeitung befand und man am 8. Januar 1924 in dieser von der großartigen Zeitungsauswahl sowie dem bevorstehenden Umzug des „Bauer“ in ein Hotel am Bahnhof Friedrichstraße lesen konnte, ist schwer auszugehen. Bei elektrischem Licht, aber nicht in einem Kaffeehaus hat das für uns Frank Riede getan.
Alle Jahre wieder knallt es an Silvester, und das nicht nur im wörtlichen Sinne. Gewaltausbrüche, Verletzungen, Krankenhauseinlieferungen – auch die Bilanz des Jahreswechsels 1923/24 in Berlin konnte davon eine stattliche Zahl vorweisen. Und dennoch resümiert die Vossische Zeitung vom 2. Januar des neuen Jahres ein im Vergleich mit den Vorjahren relativ friedliches Silvesterfest. Und nicht nur dies: Nach den vielen Krisen der jüngeren Vergangenheit registrierte sie eine deutlich freudvollere Stimmung, in der man das neue Jahr begrüßte. Berlin, erfahren wir von Frank Riede, hatte seinen Optimismus wieder.
Det kan gå så ofantligt fort. Ann-Sofi Ljung Svensson berättar om attacken på litteraturen och författarna i Tyskland i februari 1933. Och om vad som följde i dess ställe. Lyssna på alla avsnitt i Sveriges Radio Play. ESSÄ: Detta är en text där skribenten reflekterar över ett ämne eller ett verk. Åsikter som uttrycks är skribentens egna. Ursprungligen sänd 2022-08-22.Tisdagen den 14 februari 1933, två veckor efter det nationalsocialistiska maktövertagandet i Tyskland, får landets mest inflytelserika teaterkritiker, Alfred Kerr, ett oväntat telefonsamtal. Den 65-årige Kerr har 39 graders feber och har inte lämnat villan i Berlinförorten Grünewald på över en vecka. En våg av svår influensa har drabbat Europa, och i Tyskland räknar man nyinsjuknade dag för dag.Samtalet kommer från en välvillig polisman som varnar Kerr för att hans pass kommer att spärras nästkommande dag. Kerr reagerar instinktivt. Efter tre och en halv timme befinner han sig i Prag.En vecka senare flyr författaren Heinrich Mann. I ett par år har han varit president i den två hundra år gamla preussiska akademins mer moderna litteratursektion – ett barn av Weimarrepubliken. Senaste tiden har varit turbulent. Under lång tid har Mann trotsat den framväxande nationalsocialismen. Nu har han tvingats avgå. Mest graverande för de nya makthavarnas alltmer likriktade lakejer är nu att Mann – tillsammans med konstnären Käthe Kollwitz – precis skrivit på en ”brådskande appell” mot nationalsocialisterna och för socialdemokrater och kommunister. Man ser den klistrad på reklampelare över hela Berlin inför Hitlers utlysta nyval till riksdagen den 5 mars.Två dagar innan han lämnar landet deltar Mann vid en soirée hemma hos chefredaktören för en av Weimartidens mest betydelsefulla liberala dagstidningar, Vossische Zeitung. Det talas om de snabba förändringarna, och oron sprider sig under kvällen. Efter nyvalet kommer huvuden att rulla, sägs det.Beslutet är fattat, resväskan står packad i våningen på Fasanenstrasse. Heinrich Mann är välbeställd efter framgångarna med romanen Professor Unrat som filmatiserats med Marlene Dietrich som Den blå ängeln.Han är van att resa. Men nu krävs en undanmanöver.Med enbart ett paraply i handen lämnar han morgonen därpå lägenheten för att ta tåget till Frankfurt. Fästmön Nelly Kröger har redan varit på stationen och placerat resväskan på tågets hatthylla. Efter flera förvillande tågbyten anländer Mann till franska gränsen och promenerar med sitt handbagage in genom stadsportarna till Strasbourg. Han beräknar vara borta några månader, inte mer. Sen borde det vara över.Så snabbt det gick. Så förvånande, så förödande snabbt. På bara fyra veckor kunde nationalsocialisterna med lagar, förordningar och våld montera ner Weimarrepublikens demokratiska institutioner, och få en stor del av Tysklands mest framstående kulturpersonligheter att fly landet.I den tyske litteraturkritikern Uwe Wittstocks bästsäljande bok Februar 1933. Der Winter der Literatur från 2021 kan man följa hur det gick till när snaran drogs åt kring de författare som inte längre var önskvärda.Manegen var krattad. Alfred Rosenberg och Joseph Goebbels hade satt nationalsocialismens kulturpolitik i verket redan i slutet av 1920-talet: Rosenberg med sitt Kampförbund för tysk kultur, och Goebbels som ledare för NSDAP:s Rikspropagandaministerium. Ingen kulturarbetare kan ha varit helt oförberedd.Men det som först smyger sig på växer och blir snart ett faktum. Plötsligt är det för sent.Det är som med den långsamt annalkande vinter. Man ser att färgerna förändras, känner den lätta krispiga kylan, men njuter ännu av den svaga höstsolen. Så vaknar man en morgon och ryser. Termometern står på noll. Det ligger en hinna av frost över allt. Nu är den här. Så plötsligt den kom.För sent var det definitivt den 28 februari, dagen efter den ödesdigra riksdagshusbranden i Berlin. Hitlers kabinett sammanträder på förmiddagen och presenterar därefter de två förordningar som kom att lägga sig som en förkvävande brandfilt över alla Weimarrepublikens rättigheter: yttrandefriheten, pressfriheten, föreningsfriheten, församlingsfriheten. Post kunde öppnas, telefoner avlyssnas och privata bostäder var inte längre skyddade för intrång. Med ett Alexanderhugg var rättsstaten avskaffad, och 1920-talets tyska avantgardistiska kulturmiljö gick i graven.Många flyr samma dag: Bertolt Brecht går redan på morgonen ombord på ett tåg till Prag. Alfred Döblin, författaren till storstadsromanen Berlin Alexanderplatz, lyckas skaka av sig en SS-man som vakar utanför bostaden, och beger sig sent på kvällen mot Paris.Men andra hann inte.När journalisten och pacifisten Carl von Ossietzky får meddelandet om branden på kvällen den 27 februari har han redan fått flera uppmaningar om att ge sig av. Han har tidigare suttit fängslad för landsförräderi efter att ha avslöjat att Tyskland trots Versaillesfördragets förbud ¬rustat upp sitt flygvapen.Han vägrar åka. Han har för mycket att stå i och dessutom vill han lägga sin röst i valet den 5 mars. Och han har ju ingen namnskylt på dörren, så hur skulle polisen kunna hitta honom?Men morgonen efter branden går det som en våg genom Berlin. De nya förordningarna har ännu inte trätt i kraft, ja, de finns ju egentligen inte. Men diktaturen står och stampar i farstun och vill in. Polisen knackar på långt före gryningen.Halv fyra på morgonen står de utanför dörren hos Ossietzky. Han kommer aldrig mer att återvända.Det är historiens ständiga ironi. Vi vet, de visste inte. Vi lägger vårt tidsavstånd och dess verkningshistoria som ett raster över allt som hänt och läser människors livsberättelser med facit i hand.Men just innan det sker vet vi inte att det ska ske. När det väl händer, händer det plötsligt, och vi förvånas över att det sker och över att vi inte förstod att det skulle komma att ske.I februari 1933 var Tysklands författare omedvetna om det kommande bokbålet på Opernplatz i Berlin den 10 maj, om inrättandet av Rikskulturkammaren i september, och om dess underavdelning Rikslitteraturkammaren året efter. Den månghövdade kulturfamiljen Mann – Thomas, Heinrich, Klaus och Erika – var heller inte medvetna om att en av familjens tidigare vänner, författaren Hanns Johst, två år senare skulle bli den tyska litteraturens ständige övervakare i egenskap av president både för litteratursektionen inom den preussiska akademin och för Rikslitteraturkammaren. Men senare under våren 33 visade Johst tydligt var han stod i en pjäs som uruppfördes på Hitlers födelsedag den 20 april.”När jag hör ordet kultur osäkrar jag min Browning.”Det var precis vad den nya regimen just hade gjort.Den idag kanoniserade tyska litteraturen blev inom landets gränser skjuten i sank. Om det som uppstod istället har Christian Adam berättat i den uppmärksammade Lesen unter Hitler från 2010. Ideologiskt likriktad propagandalitteratur, men framförallt – en flod av lättsam underhållning blir det som tar över på den tillrättalagda bokmarknaden. Nu startar bland annat den tyska deckarboomen.Kultur har alltid varit ett vapen. Bröd och skådespel har använts för att stilla massorna. Populärlitteraturen kom i Tyskland att fungera som en tät och behaglig dimridå som för en tillräckligt stor del av medborgarna kunde dölja den krutrök som i rasande takt spred sig över Europa.Ann-Sofi Ljung Svensson, litteraturforskareLitteraturUwe Wittstock: Februar 33 – Der winter der literatur. Beck C. H. 2021.*Sedan essän spelades in har boken utkommit på svenska på Nirstedt/Litteratur i översättning av Jens Christian Brandt.
Auch die zweite Novemberhälfte des Jahres 1923 lässt sich als der schnelle Wechsel multipler Krisen beschreiben. Der militärische Belagerungszustand in Sachsen verärgerte die Sozialdemokratie, die, sollte dieser nicht aufgehoben werden, ein Mißtrauensvotum einbringen wollte. Aber auch die Frage des Umgangs mit der Ruhr- und Rheinbesetzung und mit Bayern stellten das Kabinett vor Herausforderungen, für deren Lösungsansätze kein breiterer politischer Konsens existierte. Wie die Lage im Reichstag war berichtete die Vossische Zeitung vom 22. November, die für 100 Milliarden Mark zu kaufen war. Für uns hat sich Paula Rosa Leu ein Exemplar gesichert.
Der deutsche Oktober des Jahres 1923 war eine Zeit multipler Krisen – aber er war meteorologisch, zumindest partiell, auch ein goldener Herbst. Dass überall im Reich Aufstände aufbrachen und Putschgerüchte die Runde machten, dass die Inflation in schwindelerregende Höhen schoss, Grundnahrungsmittel kaum noch erschwinglich waren und eine Vossische Zeitung am Montag, dem 15. Oktober, schlappe 30 Millionen Mark kostete – all das konnte man für einen Moment verdrängen, wenn man sich eben dort auf Seite 4 mit Feuilletonchef Monty Jacobs zum Wannsee begab und mit einer Prozession von Segelschiffen symbolisch-melancholisch den Sommer zu Grabe trug. Schöner kann man die Segel kaum reffen, für uns tut dies Paula Rosa Leu.
Der Deutsche und sein Kraftfahrzeug – das ist eine lange symbiotische Geschichte. Anfangs ein Privileg weniger Betuchter, kamen bereits in den 1920er Jahren Bestrebungen auf, auch ein „Auto für den kleinen Mann“ zu ermöglichen. An die „kleine“ Frau haben damals vermutlich weder die produzierende Industrie, noch die Vossische Zeitung gedacht, als sie am 4. Oktober 1923 unter eben diesem geschlechtsspezifizierten Titel von einem Rundgang über die gerade in Berlin stattfindende Internationale Automobil-Ausstellung berichtete. Die Volkswagen AG gab es seinerzeit bekanntlich noch nicht. Am Konzept „Volkswagen“, entnehmen wir dem Artikel, haben aber bereits etliche, heute großteils nicht mehr so schrecklich bekannte Hersteller getüftelt. Wieviel konkret man für ein Lindcar, eine Sphinx oder ein Omicron damals hinblättern musste, verrät der Text nicht; die Morgenausgabe der Vossischen Zeitung, in der dieser heute vor einhundert Jahren abgedruckt war, kostete auf jeden Fall 5 Millionen Mark. Unsere Automobilexpertin ist eine Frau: Paula Rosa Leu.
Der Landtag von Thüringen hat schon so manche Turbulenz erlebt – es sei nur an die 28tägige Ministerpräsidentschaft von Thomas Kemmerich aus dem Jahre 2020 erinnert, der mit den Stimmen der AFD gewählt worden und unter enormem Druck sofort wieder zurüchgetreten war. 1923 regierten die SPD unter August Fröhlich zusammen mit der USPD als von der KPD tolerierte Minderheitsregierung seit beinahe zwei Jahren. Doch ein Scheitern dieses Modells stand unmittelbar bevor, wovon die Vossische Zeitung am 11. September berichtete. Wir entnehmen diesem Artikel, für dessen Lektüre bereits 300.000 Mark zu zahlen waren, dass auch damals das Hauptaugenmerk darauf lag, wie man eine Stärkung der NSDAP und der KPD verhindern könne – was uns wieder zur kommenden Wahl in Thüringen 2024 und den Umfragewerten der AFD führt. Es liest Frank Riede.
Jubiläen nehmen nicht immer Rücksicht auf die Zeit, in die sie gerade fallen. Die Erinnerungen, in denen die Vossische Zeitung vor einhundert Jahren zum damals fünfzigsten Geburtstag der Siegessäule kramte, mussten den Zeitgenoss*innen seinerzeit wie ein Märchen aus uralter Zeit vorkommen. 150.000, statt wie noch in der Vorwoche 100.000 Mark hatte man für deren Sonntagsausgabe am 2. September 1923 mittlerweile zu berappen, und auch sonst war alle überschwängliche Aufbruchsstimmung – wie sie zumindest die wilhelministischen Historiker für die Gründerjahre des Reiches gerne herbeischrieben – vor dem Hintergrund von Kriegsniederlage, politischer Instabilität, Putschgerüchten und Wirtschaftskrise längst verflogen. Das reflektierte die Vossische natürlich bereits auch in ihrem Geburtstagsständchen, das denn entgegen der ursprünglichen Intention des besungenen Baus auch auf einem deutlich pazifistische Schlussakkord endet. Unser Solist ist Frank Riede.
Dass die Filmproduktionen den Wert von Berichten von Dreharbeiten, spektakulären Sets oder aufwändigen Reisen für die Vermarktung entstehender Filme erkannt hatten, ist an dieser Stelle schon deutlich geworden. So überrascht es nicht, dass die Vossische Zeitung den Regisseur Fritz Lang bei seinem Dreh zu dem Zweiteiler „Die Nibelungen“ besuchte, der erst 1924 seine Premiere feierte. Für den Film, der in die Filmgeschichte eingehen würde, hatte Fritz Langs damalige Ehefrau Thea von Harbou das Drehbuch geschrieben. Der zweite Teil mit dem Titel „Kriemhilds Rache“ gipfelt in dem Gemetzel am Hofe des Hunnenfürsten Etzel, wohin Kriemhild ihre Verwandtschaft lockt, um blutige Gerechtigkeit für Siegfrieds Ermordung zu erlangen. Colin Roß, der die Vossische eigentlich mit seinen Reiseberichten aus fernen Ländern belieferte, reiste also zu den Hunnen nach Potsdam-Babelsberg und gab einen sehr lebendigen Eindruck davon, wie Stummfilm-Dreharbeiten abliefen. Wer sich dafür interessierte, musste am 18. August 1923 für die Ausgabe der Zeitung schon 50.000 Mark berappen. Roß, der in diesem Podcast öfter mit seinem rassistischen Blick auf die besuchten Regionen, negativ aufgefallen war, bestätigt diese Geisteshaltung leider auch in diesem Text, mit einem despektierlichen Blick auf die Hunnen. Es liest Paula Rosa Leu.
Der Protest gegen und die Empörung über die Urteile der französischen Besatzungsjustiz fand in allen Zeitungen und auch in diesem Podcast seinen Widerhall. Immer wieder wurden im Ruhrgebiet und im Rheinland Menschen wegen tatsächlicher oder angeblicher Beteiligung an Sabotageakten zu Tode verurteilt und hingerichtet. Daher bat die Vossische Zeitung den Präsidenten des Reichsgerichts Dr. Walter Simons um eine Einordnung zur Rechtslage in den besetzten Gebieten. Seine Ausführungen druckte sie in ihrer Ausgabe vom 5.7.1923. Wie es bei diesem Staatsmann zu erwarten war, fallen sie sehr nüchtern und sachlich aus, unterstreichen aber gerade in ihrer Differenziertheit wo, aus der Sicht des internationalen Rechts, der eigentlich skandalöse Machtmissbrauch der Besatzungsbehörden genau zu finden ist. Für uns liest Frank Riede.
Für die Vossische Zeitung schrieb im Sommer 1923 der uns mittlerweile, dank dieses Podcasts, wohlbekannte Autor Erdmann Graeser eine Serie von Artikeln, in denen er religiöse Gemeinschaften in Berlin besuchte, an deren Ritualen teilnahm und sich mit Gemeindemitgliedern unterhielt. Dabei reflektiert er auch die Vorurteile, die diesen kleineren religiöseren Gruppierungen entgegengebracht wurden. Den Auftakt dieser Reihe machten die Mormonen-Gemeinden, die sich selbst als die „Heiligen der Letzten Tage“ bezeichnen. Frank Riede hat sich für uns unter die Gläubigen gemischt.
Karlsbad, Kissingen, Bad Ems oder Spa – man kann sich zahlreiche mondäne Ziele für eine Bäderreise mit anschließendem Zeitungsbericht vorstellen. Die Badereise, die die Vossische Zeitung am 17. Juni 1923 unternahm, führte sie inflationsbedingt jedoch nicht an einen der dafür berühmten Kurorte, sondern in Berlins wohl ärmsten Arbeiterbezirk, den Wedding, wo Ludwig Hoffmann noch in den Jahren der Kaiserzeit einen seiner großzügigen Volksbäderbauten hingesetzt hatte. Die politisch-ökonomischen Krisen der Jahre nach dem Ersten Weltkrieg hatten den Betrieb freilich auch hier zurückfahren lassen, was in Verbindung mit den für viele Berlinerinnen und Berliner nicht bezahlbaren Preisen wiederum die Auslastungszahlen drückte und die Wirtschaftlichkeit des Bades zunehmend in Frage stellte. Um die Volksgesundheit sorgt sich angesichts dieser Situation für uns Frank Riede.
Am 29. Juni 1923 verstarb der Philosoph, Schriftsteller und Publizist Fritz Mauthner im Alter von 73 Jahren. Geboren in Böhmen, wuchs er in Prag auf, wo er Rechtswissenschaften studierte, dieses Studium aber abbrach. Nach ersten Essays, sprachphilosophischen Überlegungen, Erzählungen und Theaterstücken ging er 1876 nach Berlin und arbeitete für das Berliner Tageblatt. Neben Romanen verfasste er immer wieder beißende Satiren, auch auf den journalistischen Betrieb. Den heutigen Text publizierte die Vossische Zeitung in ihrer Pfingstausgabe vom 20. Mai 1923, die auch den Pfingstmontag, der heute auf den Tag genau vor hundert Jahren war, bespielte. Er ist vom Genre schwer zu fassen, bezeichnet sich selbst als Fabel, hat jedenfalls einen gehörigen Anteil an philosophischen Überlegungen. Frank Riede liest für uns diesen Artikel, der wohl zu den letzten Publikationen von Fritz Mauthner gehört und ganz große Fragen der Menschheit anreißt.
Therese Rie, 1878 in Wien geboren, war Schriftstellerin, Journalistin und Musikkritikerin und veröffentlichte etwa ab dem Anfang des 20 Jahrhunderts Opern- und Theaterkritiken für die Vossische Zeitung und österreichische Zeitschriften. Nach dem frühen Tod ihres Mannes im Jahre 1908 begann sie auch verstärkt literarische Werke zu publizieren. Dabei signierte sie mit dem Pseudonym L. Andro. Dass sie weiterhin auch für das Feuilleton der Vossischen tätig war, zeigt uns die Ausgabe vom 12. April 1923, in der wir unter dem Titel „Naturgeschichten“ drei kleine Miniaturen von ihr lesen, bzw. diese Rosa Leu für uns liest. Therese Rie, die auch Werke französischer Autoren, u.a. von Romain Rolland, ins Deutsche übersetzte, verstarb 1934 in Wien.
Im historischen Text die Gegenwart aufspüren und darüber Gemeinschaft mit dem Publikum herzustellen ist ein alter Theaterschaffendentraum, der indes selten so spektakulär in Erfüllung geht, wie das bei der Wiederaufnahme von Leopold Jessners Inszenierung von Schillers Wilhelm Tell im Februar 1923 im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt der Fall war. Ohne dass an der bereits 1919 herausgebrachten Produktion wahrscheinlich viel geändert worden war, identifizierten sich die Berlinerinnen und Berliner vor dem Hintergrund der ohnmächtig ertragenen französischen Besetzung des Ruhrgebiets plötzlich emphatisch mit den fremdbeherrschten Eidgenossen im Stück und beglaubigten diese Selbst-Erkenntnis in zahlreichen emotionalen Reaktionen auf die Aufführung. Unter den prominenten Gästen, die den Weg ins Staatstheater gefunden hatten und den schweizerischen Freiheitskampf auf der Bühne u.a. mit der ersten Strophe des Deutschlandliedes ‘kommentierten‘, befanden sich bis hinauf zum Reichspräsidenten zahlreiche hochrangige Repräsentanten der Republik, deren Anwesenheit zugleich dokumentiert, dass die nationale Aufwallung im Parkett doch nicht ganz so spontan erfolgte, wie der erste Eindruck suggeriert. Für die Vossische Zeitung, die am 17. Februar von der Wiederaufnahme berichtete, war Alfred Klaar vor Ort, für Auf den Tag genau Frank Riede.
Zu den beliebtesten Klischees der Zwanziger Jahren ist gewiss das von der überbordenden Partymetropole Berlin zu zählen. Daran ist manches nicht falsch, als Alleinstellungsmerkmal taugt diese Zuschreibung aber wohl nicht. Auch anderswo tanzte man seinerzeit auf dem Vulkan, zum Beispiel, wie uns die Vossische Zeitung vom 10. Februar 1923 berichtet, auch im nicht allzu fernen Warschau. Autor August Hermann Zeiz gewährt tiefere Einblicke in das Nachtleben der Hauptstadt des so jungen wie aufgewühlten polnischen Staates und reichert seine Beschreibungen dabei interessanterweise mit allerlei Images an, die man aus den Narrativen über das Berlin der ‘goldenen Zwanziger‘ kennt. Zeiz war übrigens nicht nur als Journalist, sondern auch als Dramatiker und Theaterdramaturg aktiv. 1935 emigrierte er mit seiner jüdischen Frau nach Österreich und betätigte sich dort später im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Er überlebte mehrere Inhaftierungen und auch die Internierung im Konzentrationslager Dachau. 100 Jahre nach ihm ist für uns Paula Leu an die Weichsel gereist.
Die Besatzer des Ruhrgebiets stießen bei ihren Bemühungen, die als geschuldete Reparationen angesehene Kohle direkt von den Zechen nach Frankreich und Belgien zu verfrachten, auf den passiven Widerstand der Bevölkerung, zu dem diese ja von der politischen Führung aufgerufen worden war. Besonders der Streik der Eisenbahner war da relevant, aber auch die Führung der Montanindustrie, angeführt durch Fritz Thyssen, weigerte sich, den französischen Kommissaren Zugriff auf den Abbau zu gewähren. Die Besatzungsbehörden entschieden sich für eine harte Gangart und ließen Thyssen und fünf weitere Industrielle verhaften und vor ein Militärgericht stellen. Dass sie damit Märtyrer schufen, dessen war sich die Vossische Zeitung sicher, die am 21. Januar von den Verhaftungen selbst und von der Verteidigungsstrategie der Verhafteten berichtete. Frank Riede liest.
Hamburg zieht nicht nur wegen seines maritimen Flairs, neuerdings der Elbphilharmonie und, nun ja, der Reeperbahn zahlreich touristisches Publikum in seinen Bann. Auch seine reiche Theaterlandschaft macht einen Besuch an der Elbe von jeher lohnend und veranlasste die Vossische Zeitung am 9. Januar 1923 zu einem ausgedehnten Streifzug durch eben diese. Die neben dem ‘Stadttheater‘, der Oper, hier gewürdigten Bühnen, das Deutsche Schauspielhaus, das Thalia Theater, die Hamburger Kammerspiele, können wohl auch heute noch die Leuchttürme der hanseatischen Kulturszene gelten. Das Profil der jeweiligen Häuser, erfahren wir aus dem Bericht von Paul Theodor Hoffmann, sah seinerzeit teilweise aber durchaus noch sehr anders aus. Der Autor war seines Zeichens übrigens nicht nur ein intimer Kenner der Hamburger Lokalgeschichte, sondern publizierte später auch ausführlich über indische Kultur und Philosophie, um seine Publikationsliste in der NS-Zeit auch um einige Blut- und Boden-Titel zu ergänzen. Frank Riede war für uns in der Hansestadt.
Heute geht es mal wieder um die Nutzung nicht fossiler Energieträger. Man könnte meinen, dass wir, sobald bei unserer Lektüre der Hauptstadtzeitungen ein Artikel dieser Thematik auftaucht, wegen der heutigen Brisanz sofort zuschlagen. Das Gegenteil ist der Fall. Wir sind überrascht davon, wie oft festgestellt wurde, dass die Vorräte an Kohle und Erdöl auf der Erde irgendwann aufgebraucht sein würden. Es scheint einen Konsens gegeben zu haben darüber, dass es unabdingbar sei, die Energiereserven des Wassers, des Windes und der Sonnenstrahlen anzuzapfen. Am 7. Januar 1923 berichtet der deutsch-jüdische Astronom Adolf Marcuse in der Vossische Zeitung von einem neuen Patent für eine Sonnenenergiemaschine, auf die er durchaus Hoffnungen setzt zur Lösung künftiger Energiekrisen. Für uns fängt Frank Riede die Sonnenstrahlen ein.
Zu den nach dem Ende des Ersten Weltkrieges entstandenen neuen Staaten zählen auch die drei flächenmäßig kleinen Länder des Baltikums: Estland, Lettland und Litauen. Im Zweiten Weltkrieg verloren sie wieder ihre Unabhängigkeit, um sie Anfang der 90er in einer Loslösung von der Sowjetunion wiederzuerlangen. Aktuell ist das Baltikum angesichts der revisionistischen Kriegspolitik Russlands wieder besonders im Fokus. 1922 bereiste im Auftrag der Vossischen Zeitung deren Korrespondent in Polen Max Theodor Behrmann Lettland und Estland. In der Ausgabe vom 22. November berichtet er von seiner Überfahrt von Riga nach Reval, das heutige und auch schon damalige Tallinn. Und schon die Weigerung, diese Bezeichnung der Stadt zu benutzen, zeugt von der unverhohlenen Ablehnung des Autors gegenüber den baltischen Staatengebilden, die sich durch den Text zieht. In seinem beständigen Zweifel an deren Überlebensfähigkeit und der wiederkeherenden Polemik gegen den angeblich unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand manifestiert sich eine nicht nur überhebliche, sondern klar deutschnationale Perspektive, die für die liberale Vossische Zeitung eigentlich eher unüblich ist. Für uns reist an den Finnischen Meerbusen Paula Leu.
Berlin ist ohne Wien wahrscheinlich genauso wenig zu ertragen wie umgekehrt, weshalb die Presse an der Spree auch in Zeiten mangelnder Valuta es sich nie nehmen ließ, ausgiebig aus der Donaumetropole zu berichten. Damals wie heute war es nicht zuletzt das Kultur-, will damals wie heute vornehmlich heißen: das Theaterleben, das man mit besonderem Interesse beobachtete, auf wie hinter der Bühne. Für beides ist das Burgtheater, damals wie heute, berühmt wie kaum eine zweite Bühne im deutschsprachigen Raum, und entsprechend schauen alle theaterkritischen Augen, damals wie heute, nirgendwohin so gerne wie nach Wien. So am 20. November 1922 auch die Vossische Zeitung – und für uns Frank Riede.
Chile liegt im sogenannten Pazifischen Feuerring, einer sich rund um den Pazifischen Ozean erstreckenden Zone hoher seismischer und vulkanischer Aktivität, weshalb das Land immer wieder von schweren Erdbeben heimgesucht wird. Am 11. November 1922 hatte ein solches vor allem die Wüstenregion Atacama getroffen. Schreckensberichte über Zerstörungen und vermeintlich vierstellige Opferzahlen machten bald auch am anderen Ende der Welt die Runde, wo die Berliner Presse sich um verlässliche Informationen und eine seriöse Einschätzung der Lage bemühte. Dabei baute die Vossische Zeitung auf die Expertise des in Berlin ansässigen Reiseschriftstellers Colin Roß, der sich erst unlängst länger in Chile aufgehalten und von dort – auch in diesem Podcast – berichtet hatte. Seinen Hintergrundartikel zu den Umständen der Katastrophe aus der Ausgabe vom 14. November 1922 liest für uns Paula Leu.
Die krankhafte Liebe zu Büchern und die damit verbundene Sammelleidenschaft geht oftmals zu Lasten der öffentlichen Bibliotheken, denen entliehene Bücher nicht zurückgebracht werden. Der Schriftsteller und Journalist Fedor von Zobeltitz, Mitbegründer der “Gesellschaft der Bibliophilen” und selber passionierter Büchersammler, wirft in seinem Artikel für die Vossische Zeitung vom 6. Oktober 1922 anlässlich eines Prozesses zu umfangreichem Bücherdiebstahl, bei dem er als Sachverständiger beteiligt war, Schlaglichter auf berühmte und abgründige Fälle von kriminellem “Bücherwahn” der Geschichte. Paula Leu ist für uns bei diesem true-crime-Streifzug zu den Bibliomanen dabei.
Die Zustände in den großen Arbeiter-Wohnblöcken in Neukölln, im Wedding, oder im Prenzlauer Berg sind hinlänglich bekannt. Geteilte vormoderne Sanitäranlagen, Großfamilien oder mehrere Familien in einer beengten Wohnung, Dunkelheit, Betten, die man sozusagen im Schichtbetrieb untereinander teilt. Für die Familien, die in diesen Siedlungen lebten, war ein Sommerurlaub in der Natur, am Meer, auf dem Land schlichtweg nicht finanzierbar. Drum organisierten Wohlfahrtsverbände Sommerurlaube für Kinder bei temporären Pflegefamilien in ländlichen Gegenden. Rund 75.000 Kindern wurde so eine Erholung in gesunderer Umgebung ermöglicht. Erdmann Graeser nimmt für die Vossische Zeitung vom 2. Oktober 1922 die letzten Heimkehrenden am Bahnhof in Empfang. Seine Eindrücke liest Frank Riede.
Ein Wesenszug von modernen totalitären Systemen besteht in der Verbreitung von Angst, die sich aus einer nur nach außen hin auf Gesetzen basierenden Gewalt speist, welche vielmehr willkürlich ist und jederzeit und überall jeden treffen kann. Auf ein neues und grausiges Niveau hob diesen Unterdrückungsmechanismus das junge bolschewistische Russland. Im Dezember 1917 wurde eine Geheimpolizei mit großen Vollmachten unter dem Kürzel Tscheka gegründet, ausgeschrieben und übersetzt lautete der Name: Außerordentliche Allrussische Kommission zur Bekämpfung von Konterrevolution, Spekulation und Sabotage. Von ihnen Zuhause, auf der Straße oder auf dem Arbeitsplatz zu einem Gespräch abgeholte Personen tendierten dazu, nie mehr wieder aufzutauchen. Von diesem Alltagsterror berichtet für die Vossische Zeitung vom 26. September 1922 die 1880 geborene Archäologin Tatiana Warscher, die später Russland verließ und sich Ausgrabungen in Pompeji widmete. Es liest Frank Riede.
Vor zwei Tagen ging es um die Verschandlungen der Schulhöfe, heute um die Verschandlungen des Alten Museums auf der Museumsinsel. Nachdem man die Treppe zum Eingang hinaufgestiegen ist und sich umdreht, blickt man auf den Lustgarten, links der Dom und vis-a-vis nun das Humboldt-Forum mit Schlossfassade. Dabei steht man in einer weitestgehend leeren eindrucksvollen Säulenhalle. Vor 100 Jahren schmückten diese Säulenhalle Wandgemälde und es waren dort Statuen bedeutender deutscher Künstler und Architekten des 18. und 19. Jahrhunderts aufgestellt. Nun war der Lustgarten, wie auch noch heute, ein beliebter Ort um Versammlungen und Demonstrationen abzuhalten. Und genau bei solchen litt die öffentlich zugängliche Säulenhalle nicht nur unter „Wildpinklern“, sondern auch unter Beschmierungen und gravierenden Schädigungen der Statuen. Eine Schande für Berlin und Deutschland, fand die Vossische Zeitung und appellierte am 10. September 1922 an die Verantwortlichen, diese Missstände zu beheben. Frank Riede, ein gern gesehener Gast auf Empfängen in dieser Säulenhalle, liest.
Der 62. Katholikentag fand vom 27. Bis zum 30. August 1922 in München statt. Vom pompösen Eröffnungstag berichtete am 28. die Vossische Zeitung und dokumentierte nicht nur die zum guten Teil schon damals reaktionären Positionen zu Fragen des Lebensalltags, die von den geistlichen Potentaten vorgetragen wurden, sondern auch den von ihnen offen geäußerten Zweifel an der Legitimität der Weimarer Republik und ihrer Verfassung. Dieses düstere Bild eines monarchistischen Katholikentags, der das göttliche Recht über die Verfassung der Weimarer Republik stellt, gibt allerdings nur eine mächtige Strömung innerhalb des deutschen Katholizismus wieder, da der Bericht die Schlussworte des Präsidenten des Katholikentages, des damaligen Oberbürgermeisters von Köln Konrad Adenauer noch nicht kannte, der sich mit diesen deutlich gegen die Angriffe auf die Weimarer Republik stellte. Paula Leu liest für uns vom Kampf gegen einen Staat der es wagt, Ehescheidungen und ehelose Mutterschaft zu unterstützen und nicht die „Kinoseuche“ zu verbieten.
Mittlerweile hat es sich rumgesprochen. Die Regierung Schmidt hatte bereits 1981 Pläne für einen bundesweiten Glasfaserkabelausbau beschlossen, der nach der Machtübernahme durch die Regierung Kohl schon ein Jahr später auf Eis gelegt wurde. Stattdessen wurden fleißig Kupferkabel verlegt. Folge dessen im Großen ist, dass Deutschland, was die Galsfaserinfrastruktur betrifft, ein Schlusslicht Europas ist, und im Kleinen, dass der Cutter dieses Podcasts, in Berlin lebend, keinen Glasfaseranschluss im Haus hat und beim Upload der fertigen Folgen ewig warten muss … 1922 befand sich Deutschland, was das Kabelnetz anging, auch an einem Scheideweg. Die Frage, wie sie die Vossische Zeitung vom 23.8. präsentiert, lautete damals: überirdisch oder unterirdisch verlegen? Paula Leu gräbt sich für uns in die Materie ein.
Der deutsche Nobelpreisträger Thomas Mann ist bekanntlich nicht als Republikaner auf die Welt gekommen, sondern entwickelte sich zu einem solchen erst zu einem durchaus schon fortgeschrittenen Zeitpunkt seines Lebens im Laufe der Weimarer Jahre. Ein Schlüsselerlebnis auf diesem Weg weg vom antidemokratischen Nationalkonservativismus, den er noch 1918 in seinen „Betrachtungen eines Unpolitischen“ ausgebreitet hatte, markierte angeblich die Ermordung Walther Rathenaus im Juni 1922, und tatsächlich entstanden in der Folge mehrere Artikel, in denen sich die kopernikanische Wende in der politischen Biographie Manns abzuzeichnen beginnt. Als Schlüsseltext genannt wird hier gewöhnlich seine Laudatio anlässlich von Gerhard Hauptmanns 60. Geburtstag „Von deutscher Republik“ vom 13. Oktober 1922. Aber auch schon sein Essay „National und international“, den die Vossische Zeitung am 20. September abdruckte, deutet an, das sich Thomas Mann im nationalen Lager ohne Dialektik nicht mehr recht wohlfühlte. Wegen seiner historischen Bedeutung in voller Länge liest diesen Text: Frank Riede.
Det kan gå så ofantligt fort. Ann-Sofi Ljung Svensson berättar om attacken på litteraturen och författarna i Tyskland i februari 1933. Och om vad som följde i dess ställe. ESSÄ: Detta är en text där skribenten reflekterar över ett ämne eller ett verk. Åsikter som uttrycks är skribentens egna.Tisdagen den 14 februari 1933, två veckor efter det nationalsocialistiska maktövertagandet i Tyskland, får landets mest inflytelserika teaterkritiker, Alfred Kerr, ett oväntat telefonsamtal. Den 65-årige Kerr har 39 graders feber och har inte lämnat villan i Berlinförorten Grünewald på över en vecka. En våg av svår influensa har drabbat Europa, och i Tyskland räknar man nyinsjuknade dag för dag. Samtalet kommer från en välvillig polisman som varnar Kerr för att hans pass kommer att spärras nästkommande dag. Kerr reagerar instinktivt. Efter tre och en halv timme befinner han sig i Prag. En vecka senare flyr författaren Heinrich Mann. I ett par år har han varit president i den två hundra år gamla preussiska akademins mer moderna litteratursektion ett barn av Weimarrepubliken. Senaste tiden har varit turbulent. Under lång tid har Mann trotsat den framväxande nationalsocialismen. Nu har han tvingats avgå. Mest graverande för de nya makthavarnas alltmer likriktade lakejer är nu att Mann tillsammans med konstnären Käthe Kollwitz precis skrivit på en brådskande appell mot nationalsocialisterna och för socialdemokrater och kommunister. Man ser den klistrad på reklampelare över hela Berlin inför Hitlers utlysta nyval till riksdagen den 5 mars. Två dagar innan han lämnar landet deltar Mann vid en soirée hemma hos chefredaktören för en av Weimartidens mest betydelsefulla liberala dagstidningar, Vossische Zeitung. Det talas om de snabba förändringarna, och oron sprider sig under kvällen. Efter nyvalet kommer huvuden att rulla, sägs det.Beslutet är fattat, resväskan står packad i våningen på Fasanenstrasse. Heinrich Mann är välbeställd efter framgångarna med romanen Professor Unrat som filmatiserats med Marlene Dietrich som Den blå ängeln. Han är van att resa. Men nu krävs en undanmanöver. Med enbart ett paraply i handen lämnar han morgonen därpå lägenheten för att ta tåget till Frankfurt. Fästmön Nelly Kröger har redan varit på stationen och placerat resväskan på tågets hatthylla. Efter flera förvillande tågbyten anländer Mann till franska gränsen och promenerar med sitt handbagage in genom stadsportarna till Strasbourg. Han beräknar vara borta några månader, inte mer. Sen borde det vara över. Så snabbt det gick. Så förvånande, så förödande snabbt. På bara fyra veckor kunde nationalsocialisterna med lagar, förordningar och våld montera ner Weimarrepublikens demokratiska institutioner, och få en stor del av Tysklands mest framstående kulturpersonligheter att fly landet. I den tyske litteraturkritikern Uwe Wittstocks bästsäljande bok Februar 1933. Der Winter der Literatur från 2021 kan man följa hur det gick till när snaran drogs åt kring de författare som inte längre var önskvärda. Manegen var krattad. Alfred Rosenberg och Joseph Goebbels hade satt nationalsocialismens kulturpolitik i verket redan i slutet av 1920-talet: Rosenberg med sitt Kampförbund för tysk kultur, och Goebbels som ledare för NSDAP:s Rikspropagandaministerium. Ingen kulturarbetare kan ha varit helt oförberedd. Men det som först smyger sig på växer och blir snart ett faktum. Plötsligt är det för sent. Det är som med den långsamt annalkande vinter. Man ser att färgerna förändras, känner den lätta krispiga kylan, men njuter ännu av den svaga höstsolen. Så vaknar man en morgon och ryser. Termometern står på noll. Det ligger en hinna av frost över allt. Nu är den här. Så plötsligt den kom.För sent var det definitivt den 28 februari, dagen efter den ödesdigra riksdagshusbranden i Berlin. Hitlers kabinett sammanträder på förmiddagen och presenterar därefter de två förordningar som kom att lägga sig som en förkvävande brandfilt över alla Weimarrepublikens rättigheter: yttrandefriheten, pressfriheten, föreningsfriheten, församlingsfriheten. Post kunde öppnas, telefoner avlyssnas och privata bostäder var inte längre skyddade för intrång. Med ett Alexanderhugg var rättsstaten avskaffad, och 1920-talets tyska avantgardistiska kulturmiljö gick i graven. Många flyr samma dag: Bertolt Brecht går redan på morgonen ombord på ett tåg till Prag. Alfred Döblin, författaren till storstadsromanen Berlin Alexanderplatz, lyckas skaka av sig en SS-man som vakar utanför bostaden, och beger sig sent på kvällen mot Paris. Men andra hann inte. När journalisten och pacifisten Carl von Ossietzky får meddelandet om branden på kvällen den 27 februari har han redan fått flera uppmaningar om att ge sig av. Han har tidigare suttit fängslad för landsförräderi efter att ha avslöjat att Tyskland trots Versaillesfördragets förbud ¬rustat upp sitt flygvapen. Han vägrar åka. Han har för mycket att stå i och dessutom vill han lägga sin röst i valet den 5 mars. Och han har ju ingen namnskylt på dörren, så hur skulle polisen kunna hitta honom? Men morgonen efter branden går det som en våg genom Berlin. De nya förordningarna har ännu inte trätt i kraft, ja, de finns ju egentligen inte. Men diktaturen står och stampar i farstun och vill in. Polisen knackar på långt före gryningen.Halv fyra på morgonen står de utanför dörren hos Ossietzky. Han kommer aldrig mer att återvända. Det är historiens ständiga ironi. Vi vet, de visste inte. Vi lägger vårt tidsavstånd och dess verkningshistoria som ett raster över allt som hänt och läser människors livsberättelser med facit i hand. Men just innan det sker vet vi inte att det ska ske. När det väl händer, händer det plötsligt, och vi förvånas över att det sker och över att vi inte förstod att det skulle komma att ske. I februari 1933 var Tysklands författare omedvetna om det kommande bokbålet på Opernplatz i Berlin den 10 maj, om inrättandet av Rikskulturkammaren i september, och om dess underavdelning Rikslitteraturkammaren året efter. Den månghövdade kulturfamiljen Mann Thomas, Heinrich, Klaus och Erika var heller inte medvetna om att en av familjens tidigare vänner, författaren Hanns Johst, två år senare skulle bli den tyska litteraturens ständige övervakare i egenskap av president både för litteratursektionen inom den preussiska akademin och för Rikslitteraturkammaren. Men senare under våren 33 visade Johst tydligt var han stod i en pjäs som uruppfördes på Hitlers födelsedag den 20 april. När jag hör ordet kultur osäkrar jag min Browning. Det var precis vad den nya regimen just hade gjort. Den idag kanoniserade tyska litteraturen blev inom landets gränser skjuten i sank. Om det som uppstod istället har Christian Adam berättat i den uppmärksammade Lesen unter Hitler från 2010. Ideologiskt likriktad propagandalitteratur, men framförallt en flod av lättsam underhållning blir det som tar över på den tillrättalagda bokmarknaden. Nu startar bland annat den tyska deckarboomen. Kultur har alltid varit ett vapen. Bröd och skådespel har använts för att stilla massorna. Populärlitteraturen kom i Tyskland att fungera som en tät och behaglig dimridå som för en tillräckligt stor del av medborgarna kunde dölja den krutrök som i rasande takt spred sig över Europa. Ann-Sofi Ljung Svensson, litteraturforskareLitteraturUwe Wittstock: Februar 33 Der winter der literatur. Beck C. H. 2021.*Sedan essän spelades in har boken utkommit på svenska på Nirstedt/Litteratur i översättning av Jens Christian Brandt.
Der 1841 in Frankreich geborene Gustave le Bon gilt als einer der Begründer der Massenpsychologie. Seine Schriften zur Psychologie der Massen (1895), Psychologie des Sozialismus (1898), Psychologie der Erziehung (1902) wurden auch im deutschsprachigen Raum breit gelesen und diskutiert. Im Sommer 1922 erschien in einer Übersetzung ins Deutsche seine Schrift aus dem Jahre 1984 „Die psychologischen Grundgesetze der Völkerentwicklung“, was die Vossische Zeitung veranlasste, le Bon das Wort zu geben und einen kleinen Ausschnitt aus dem Buch in ihrer Ausgabe vom 27.7.1922 abzudrucken. Es geht um ein Thema, mit dem sich die Menscheit damals wie heute beschäftigt: um die Macht der Illusionen. Paula verleiht ihm ihre Stimme.
Das Berlin der 1920er Jahre war nicht nur berühmt für die große Zahl seiner großen und kleinen Theater, sondern, damit einhergehend, auch für die vielen in der Stadt ansässigen prominenten Schauspielerinnen und Schauspieler. Zu den gefeierten Stars jener Zeit gehörte Käthe Dorsch, die, ursprünglich aus der Oberpfalz stammend, seit 1911 in Berlin wirkte – zunächst noch als Operettensoubrette, bald aber schon als gefeierte Charakterdarstellerin an den bedeutendsten Bühnen. Ebenso wie die Berliner Morgenpost und die Vossische Zeitung leistete sich auch das 8-Uhr-Abendblatt im Frühjahr 1922 eine Porträtserie berühmter Berliner Persönlichkeiten. In diesem Rahmen widmete sich am 10. Juni der renommierte Publizist Kurt Pinthus der Dorsch und versuchte ihre Faszination zu ergründen. Für uns folgt ihm dabei Paula Leu.
Nachdem wir gestern ein Porträt von Heinrich Zille gehört haben, folgt nun in der kleinen Porträt-Reihe eine weitere große, in Berlin tätige Persönlichkeit: Max Planck. Als Autorität in Sachen Physik in Deutschland, war er ja 1919 mit dem Nobelpreis des Jahres 1918 ausgezeichnet worden, war er Beständiger Sekretär der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Gründer der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Senator der Kaiser-Willhelm-Gesellschaft, die später zur Max-Planck-Gesellschaft werden sollte. Doch er war auch weiterhin Professor und hielt regelmäßig Vorlesungen. Und in eine dieser setzte sich Werner Bloch für die Vossische Zeitung und beschrieb den großen Wissenschaftler aus dieser kleinen Beobachtung heraus. Den Text druckte die Zeitung am 9. Juni 1922 ab und für uns drückte Frank Riede die Studienbank.
Athen hat Piräus, Paris Le Havre, Sao Paolo hat Santos, Peking Tianjin. Und Berlin? Hatte früher Stettin. Fragen des Hafenwesens, der Löschung von Waren und des städtischen Handels interessierten Star-Kolumnist Sling bei seiner Reise ans Haff respektive in seinem dort entstandenen Bericht für die Vossische Zeitung vom 7. Juni 1922 freilich nur insoweit, als sie gewiss zu dem urban-maritimen Flair beitrugen, das Sling hier weit mehr in den Bann schlug als alle Restaurants und Rathausfassaden, die ihm sein mitgebrachter Reiseführer dröge aufreihte. Sein Ärger über dessen steif-bildungsbürgerliche Einfalt lässt Sling einen empörten Brief an die Redaktion des Baedeker verfassen. Bzw. seine kleine Hymne auf Stettin sich als Brief an die Redaktion des Baedeker maskieren. Gelesen hat ihn für uns Frank Riede.
Die älteste Moschee in Deutschland war der zwischen 1915 und 1930 bestehende Sakralbau im brandenburgischen Wünsdorf vor den Toren Berlins. Auf dem Gelände eines Kriegsgefangenenlagers, in dem überwiegend Gefangene muslimischen Glaubens interniert waren, genehmigte das Kriegsministerium den Bau eines hölzernen Gotteshauses. Nach dem Kriege kehrten die meisten Gefangenen in ihre Herkunftsländer zurück, es blieb aber eine etwa 90köpfige Gruppe zurück, die die Moschee als religiöses Zentrum weiternutzte, und zu besonderen Festen ihre Türen für interessierte Berliner öffnete. So auch zum Ende des Fastenmonats Ramadan 1922, dem 28. Mai, als der Schriftsteller Erdmann Graeser für die Vossische Zeitung die Moschee und ihre Gemeinde besuchte. Seinen Bericht darüber druckte die Zeitung am 30.5. ab, und Frank Riede trägt ihn für uns vor, wobei er, wie es Graeser tut, die türkische und persische Bezeichnung des Fastenmonats nutzt: Ramasan.
Am 27. Mai 1832 begann auf dem Hambacher Schloss und in Neustadt an der Haardt in der damals zum Königreich Bayern gehörenden Rheinpfalz das sogenannte Hambacher Fest. Auf dem versammelte sich die bürgerliche Opposition, um gegen die repressiven Politik des Deutschen Bundes zu protestieren und Freiheit, politische Partizipation sowie nationale Einheit zu fordern. 90 Jahre später, würde man meinen, sollte die Weimarer Republik an dieses Erbe anknüpfen und das Jubiläum feierlich begehen. Und tatsächlich fand 1922 eine Festveranstaltung am Schloss statt, wie die Vossische Zeitung vom 26.5. zu berichten weiß. Wie es uns oft in der Weimarer Zeit begegnet, war diese aber parteipolitisch klar definiert. Die Deutsche Demokratische Partei hatte geladen und stellte die Redner. Paula Leu feiert dennoch mit.
Mit Hans Goslar kommt bei Auf den Tag genau heute eine weitere Stimme des journalistischen Weimars zu Wort, die nach 1933 gewaltsam unterdrückt wurde und anschließend dem Nazi-Regime zum Opfer fiel. Im Falle des 1889 geborenen Goslar führte der Leidensweg über die Emigration nach Amsterdam, wo seine Familie 1943 verhaftet und ins Konzentrationslager Bergen-Belsen verschleppt wurde. Dort starb Hans Goslar im Februar 1945. 1922 war er, der Nationalökonomie studiert hatte, Leiter der Pressestelle des preußischen Staatsministeriums. Seine auf einer Studienreise in die USA gewonnenen Eindrücke fasste er im Buch mit dem Titel „Amerika 1922“ zusammen. Für die Vossische Zeitung vom 13. April beschrieb er die Ernährungsgewohnheiten der Amerikaner, und damit Schnellrestaurant-Ketten, viele frische Früchte, Milch, offiziell keinen Alkohol, aber vor allem: unglaublich viel Zucker. Für uns tingelt Frank Riede vom Grapefruit- zum Candy-store.
O tempora, o mores! Die Verpackungen von Tabakartikeln, lehrt uns ein Blick in die Vossische Zeitung vom 5. April 1922, waren auch schon vor einhundert Jahren ein Politikum. Wo heute drastische Photographien von künstlich beatmeten Menschen und verkohlten Lungen vor den Gefahren des Rauchens warnen und die Verbraucher*innen vom Kauf des nämlichen Produktes abschrecken sollen, galt der Nikotinismus dabei seinerzeit noch als unschuldiges Laster, das in den buntesten Farben und mit gesundesten Körperbildern beworben werden durfte. Es sei denn, diese Körper waren zu nachlässig bekleidet. Dann waren nicht einmal mythologische Darstellungen des Renaissancemaler Correggio vor der preußischen Sittenpolizei sicher. Ob Leda und Zeus damals in mythischer Zeit ihren Geschlechtsakt mit einer Zigarette danach beschlossen und ob sie dies – nicht auszudenken! – womöglich à poil taten, ließ sich leider nicht zuverlässig ermitteln. Alle weiteren nackten Fakten kennt Frank Riede.
Die Gebrüder Louis und Gustav Castan eröffneten „Castans Panopticum“ im Jahre 1869 in Berlin. Die Ausstellung erfreute sich einiger Beliebtheit und wurde mit der Zeit zu einer „Berliner Institution“. 1888 bezog es seine Räumlichkeiten in der Friedrichstraße, in denen es auch 1922 zu finden war. Über vier Etagen konnten die Besucher:innen dort Wachsfiguren berühmter Persönlichkeiten, aber auch berühmter Verbrecher:innen, historische Kostüme und Gegenstände sowie medizinische Kuriositäten betrachten. Castans Panoptikum expandierte sogar in andere Städte des Reiches: nach Köln, Frankfurt, Dresden und Breslau. 1922 war das Museum finanziell nicht mehr zu halten. Neben der allgemein schlechten wirtschaftlichen Lage während des Weltkrieges und der Nachkriegszeit spielte dabei sicherlich die Attraktion der Kinosäle eine gewichtige Rolle. Und so wurden im Februar 1922 die Ausstellungsgegenstände auf einer mehrtägigen Auktion versteigert. Wie heutige Wachsfigurenkabinette, Museen der Folter und Gruselkabinette belegen, hat sich mittlerweile wieder ein Markt für mehr oder weniger inszenierte Wachsfiguren etabliert. Den Abschied von Castan dokumentiert die Vossische Zeitung vom 20. Februar mit einer Kindheitserinnerung des Kolumnisten Felix Paul Schlesinger, der unter dem Kürzel Sling publizierte – und heute von Frank Riede gelesen wird.