Aus dem Kiez in die Welt, von der Oper in den Boxring – mit täglich einer Zeitungsnachricht aus der Hauptstadtpresse heute vor 100 Jahren tauchen wir ein in die Fragen und Debatten, die das Berlin von 1920 bewegten. Halte dich informiert und bleib auf dem Laufenden über eine Welt, die uns heute doch…
Jan Fusek, Fabian Goppelsröder und Robert Sollich
Am 10. September 1925 sorgte die Berliner Kriminalpolizei mit einer Pressekonferenz für eine Sensation, indem sie von der Existenz und der Bekämpfung des „Ordens der Ritter vom feurigen Kreuz“ berichtete. Dieser Geheimbund soll nach dem Vorbild des amerikanischen Ku-Klux-Klan gebildet worden sein, unter Mitwirkung von Klan-Mitgliedern aus Übersee. Alle Tageszeitungen griffen diese Meldung auf, positionierten sich ganz unterschiedlich dazu, wie sehr diese Organisation, der eine Verbindung zu Fememorden im Umfeld des Küstriner Putschversuches zur Last gelegt wurde, ernst zu nehmen sei. Das Pinneberger Tageblatt war sich am selbigen Tage sicher, dass bei diesem „Ableger“ des Klans in Deutschaland ganz viel Mummenschanz dabei war, nahm aber die von der Polizei ermittelte personelle Überschneidung von völkischen Gruppierungen und diesem Geheimbund durchaus ernst. In unserer morgigen Folge präsentieren wir dann einen anderen Blick auf den Weimarer Ku-Klux-Klan. Heute liest Rosa Leu.
Paul Löbe, nach dem heute das Funktionsgebäude des Deutschen Bundestages benannt ist, war einer der zentralen Figuren der Sozialdemokratie in der Weimarer Republik. Zwischen 1920 und 1933 war er durchgängig Mitglied des Reichstages und in dieser Zeit insgesamt 11 Jahre dessen Präsident. Ein besonderes Anliegen war ihm die Aussöhnung mit den europäischen Nachbarstaaten. Im Zuge dessen engagierte er sich in der 1922 gegründeten Paneuropa-Union und bemühte sich intensiv um einen Ausgleich mit Polen. Aber auch nach Frankreich richteten sich seine diplomatischen Bemühungen, wo er u.a. 1925 in Paris am XXIV. Weltfriedenskongress teilnahm. Von diesem und von den Ergebnissen des kurz zuvor in Marseille veranstalteten Zweiten Kongress der Sozialistischen Arbeiter-Internationale handelt sein Bericht im Hamburger Echo vom 9. September, den für uns Frank Riede liest.
Richard Coudenhove-Kalergi wurde 1894 in Tokio geboren als Sohn eines österreichischen k.u.k. Diplomaten und seiner japanischen Gattin. Als Schriftsteller, Philosoph und Politiker begründete er 1924 die Pan-Europa-Union, wohl die älteste Einigungsbewegung Europas, der sich nach und nach zahlreiche Prominente anschlossen, wie Albert Einstein, Thomas Mann, Otto von Habsburg und Konrad Adenauer. Ein Jahr nach der Gründung befragte er zahlreiche europäische Intellektuelle und Politiker nach ihren Ansichten zu der Möglichkeit, die Vereinigten Staaten von Europa zu begründen. Interessant ist, dass der eigentlich in diesem Podcast durch sehr konservative bis nationalistische Positionen auffällig gewordene Hamburgische Correspondent in seiner Ausgabe vom 8. September diese Umfrage ausführlich abdruckt und auch den französischen Politikern Raum gibt. Eine Distanzierung von den pazifistischen Ideen lässt sich die Zeitung gleich zu Beginn dann noch nicht nehmen. Für uns lesen die Vereinigten Sprecher*innen von Auf den Tag genau, Rosa Leu und Frank Riede.
Nachdem wir in der gestrigen Folge die Pferdedroschke verabschiedet haben, blicken wir heute mit dem Pinneberger Tageblatt vom 7. September 1925 in die damalige Zukunft des Automobils. Und dieser Blick orientierte sich an den Ford-Werken in den USA und führte zu der Frage, ob es denn auch bald ein „Volksfahrzeug“ in Deutschland geben würde. Der Autor ist darum bemüht, die aufgeregte Debatte zu beruhigen, und zeigt nüchtern die Gründe dafür auf, dass ein wirklich billiges Automobil zunächst nicht zu erwarten sei. Vermutlich schreibt hier der im Jahre 1925 79-jährige legendäre Automobil- und Motorenkonstrukteur August Wilhelm Maybach selbst. Hundertprozentig sicher können wir uns aber nicht sein. Der Artikel ist mit Dr. E. W. Maybach gezeichnet. Dabei würde der Doktortitel passen, da der Ingenieur 1916 eine Ehrendoktorwürde erhalten hatte, nur das „E.“ für den ersten Vornamen irritiert. Wie dem auch sei: Rosa Leu kontert für uns die Hoffnungen auf einen günstigen Wagen für alle.
Von Pferden gezogene Fortbewegungsmittel verschwanden im Laufe der 1920er Jahre endgültig aus dem städtischen Verkehr und wurden durch Verbrenner- und Elektromotoren mit gleich mehreren Pferdestärken ersetzt. So hatte in Hamburg im Dezember 1922 die letzte Pferdebahnstrecke in Marienthal ihren Betrieb eingestellt. Und auch die Hamburger Pferdedroschken hatten bald ausgedient. Zu ihrer Verabschiedung fand am 6. September 1925 ein feierlicher Umzug statt. Zumindest finden wir - zusammen mit einem Blick in die Geschichte der Pferdedroschke - im Hamburger Echo dieses Tages eine Ankündigung des Abschiedsumzugs. Für uns blickt Frank Riede zurück.
Syltisch – wer nicht weiß, was sich hinter dieser Bezeichnung für ein Wetter bzw. Klima verbirgt, dem seien der Artikel von Lisbet Dill aus dem Hamburger Anzeiger vom 5. September 1925 und die Lesung desselbigen von Rosa Leu hier in dieser Auf den Tag genau-Episode dringend empfohlen. Dass die Saison auf des Hamburgers liebster Insel seinerzeit noch eher kurz ausfiel, erfährt man dort genauso wie von den Vorzügen der Vor- und Nachsaison, welche die Autorin ausgiebig auskostet. Neben jeder Menge Sonne und Wind hatte Sylt, scheint es, auch schon vor einhundert Jahren sehr viel Flair und war dabei, glaubt man jedenfalls Lisbet Dills Reisebericht, unglaublicherweise auch noch einigermaßen günstig.
Es war eine große Menschheitsutopie: Wo über Grenzverläufe und Staatszugehörigkeiten bislang überwiegend ein paar Großmächte entschieden – bald in kriegerischen Schlachten, bald diplomatisch am Konferenztisch –, sollten derartige Fragen nach dem Ersten Weltkrieg durch den neugegründeten Völkerbund geklärt und dabei die Interessen aller Staaten und Menschen gleichermaßen berücksichtigt werden. Dass dies erwartungsgemäß nicht konfliktfrei abging und es auch nach bald sieben Jahren des Friedens noch ein paar harte Nüsse zu knacken gab, davon handelt der nachfolgende Artikel aus dem Hamburger Anzeiger vom 4. September 1925. Deutsche Themen streift der Text dabei nur am Rande, in seinem Zentrum steht vielmehr die Lösung der sogenannten Mossul-Frage, bei der es nicht zuletzt um gewinnträchtige Bodenschätze ging. Dass der Blick auf die arabische Welt nicht nur in den europäischen Staatskanzleien, sondern auch in den Redaktionsstuben noch immer arg kolonialistisch geprägt war, geht nicht nur aus despektierlichen Formulierungen des Artikels über den Kulturstand im Irak hervor, sondern auch aus den mindestens um das Zehnfache zu niedrig eingeschätzten Einwohnerzahlen Mossuls und Basras, die hier genannt werden. Das Wort hat Frank Riede.
Slavoma, Florida, L'onde. Was ist das? Diese Frage vermögen heutzutage vermutlich nur mehr Tanzhistorikerinnen und -historiker zu beantworten. Vor einhundert Jahren, am 3. September 1925, versuchte sich daran auch die Schiffbeker Zeitung. So richtig überzeugt scheint die anonyme Autorenstimme von der mit den entsprechenden Namen zu identifizierenden Welle nach Deutschland drängender Modetänze zwar nicht; zwischenzeitlich klingt der Text doch sehr nach Kohlrouladen und Kartoffelsuppe. Am Ende steht aber doch ein freundliches Chacun respektive Cacune à son goût. Und wonach Slavoma, Florida und L'onde klangen – weniger, wie man sich dazu bewegte –, erfahren wir ungefähr auch – von Rosa Leu.
„Das ist doch ein anständiges Stück, das muss man doch nicht so spielen!" – Dieser Zwischenruf hat zweifellos Hamburger Theatergeschichte geschrieben. Sein Absender war niemand Geringeres als der ehemalige Erste Bürgermeister der Stadt Klaus von Dohnanyi, und er galt der Neuinszenierung des Stückes Liliom von Ferenc Molnár durch den Regisseur Michael Thalheimer am Thalia Theater im Jahr 2000. An exakt selber Stelle war ein Dreivierteljahrhundert vorher auch die Hamburger Erstaufführung des Stückes über die Bühne gegangen. Klaus von Dohnanyi kam erst drei Jahre später zur Welt, kann sie also schwerlich aus eigener Anschauung gekannt haben. Die Vorstellung von einem „anständigen“ Liliom, auf die er mit seinem Protest rekurrierte, verdankt sich jedoch, neben der Interpretation der Rolle durch Hans Albers, gewiss auch jener damals zu besichtigenden von Max Pallenberg, die nicht nur der Hamburgische Correspondent vom 2. September 1925 für mustergültig hielt. Andere Darsteller und vor allem Darstellerinnen kamen in dieser Rezension indes nicht so gut weg, wie wir von Frank Riede erfahren.
Dem anrückenden Herbst entfliehen und den Sommer in südlicheren Gefilden verlängern – Hermann Hesse liebäugelt mit diesem Gedanken schon am 1. September des Jahres 1925 im Hamburgischen Correspondenten und erläutert, warum er diesem Gelüst dann doch nicht nachgibt. Er tut dies allerdings nicht, ohne sich nicht dennoch zwischendurch wegzuträumen, bald nach Italien, bald nach Nordafrika, dessen Reize er zumindest an einer Stelle mit einem heute nicht mehr gebräuchlichen, weil rassistischen konnotierten Begriff skizziert, der damals in diesem Kontext allerdings weithin üblich war. Warum Hesse sich nicht auf den Herbst, dann aber doch an ihm erfreut, erfahren wir von Rosa Leu.
Was passierte heute auf den Tag genau vor soundsoviel Jahren – dieses Spiel spielen wir mit Euch seit über fünfeinhalb Jahren und fast 2000 Episoden. Erfunden haben wir das natürlich nicht, vielmehr haben auch schon die Zeitungen, die wir durchforsten, solche Rückblicke getätigt und dabei nur gelegentlich andere Zeitintervalle und Formate gewählt als wir. Der Hamburgische Correspondent beschäftigte sich am 31. August 1925 – also, Überraschung, heute vor auf den Tag genau einhundert Jahren – mit ausgewählten und überraschenderweise zumeist dezimal unspezifischen Jahrestagen der angelaufenen Woche. Einen Auszug daraus verliest für uns, auf den Tag genau einhundert Jahre später, Frank Riede.
Anna Blos, 1866 als Anna Tomaczewska im niederschlesischen Legnica, deutsch Liegnitz, geboren, studierte an der Humboldt-Universität Berlin Geschichte, Literatur und Sprachen und war danach als Lehrerin, ab 1905 in Stuttgart, tätig, trat aber auch in die SPD ein und in die aktive Politik. Sie war Verfechterin des Frauenwahlrechts und 1919 die einzige aus Württemberg in die Weimarer Nationalversammlung gewählte Frau. Wie sehr sie auch juristische Benachteiligungen der Frauen umtrieben, belegt der heutige Artikel, den sie im Hamburger Echo vom 30. August 1925 veröffentlichte. Damals konnten laut Gesetz Ehen nicht einfach geschieden werden, weil beide Seiten eine Scheidung wünschten. Es mussten vielmehr Scheidungsgründe herbeigeführt werden. Und bei all den dafür üblichen Strategien waren nicht nur ganz grundsätzlich die weniger wohlhabenden Schichten benachteiligt, sondern auch insbesondere die Frauen. Woran das lag schildert Anna Blos und für uns Rosa Leu.
Im Hamburgischen Correspondenten vom 29. August 1925 stellte sich Stefan Fingal, ein Freund Joseph Roths, der mit ihm 1920 nach Berlin gekommen war und mit ihm 1933 nach Paris ins Exil weiterziehen sollte, die Frage, was eigentlich einen Filmklassiker ausmacht. Die Kunstform war verhältnismäßig jung, konnte man also schon zeitlose Werke identifizieren? Ein Kriterium bestand für ihn darin, dass das Kunstwerk erst Jahre später wirklich populär wird und nicht schon bei erscheinen. Welcher Film war also seiner Zeit voraus und hatte bestand auch gegen die rasch aufeinanderfolgenden technischen Neuerungen der Filmapparate? Mit seiner Wahl, so viel sei angedeutet, findet Fingal mit Sicherheit Zustimmung bei heutigen Filmhistoriker*innen und Filmliebhaber*innen. Um welchen Film geht es? Frank Riede verrät es uns.
Die Weimarer Republik versuchte Mitte der 1925, die Wohnungskrise durch staatliche Bauprogramme und andere Eingriffe der Wohnungswirtschaft zu lösen. Das rief damals, wenig überraschend, diejenigen aufs Tapet, die gegen staatliche Einmischung wetterten, die Lage des Wohnungsmarktes rosiger zeichneten und sich sogar für noch höhere Mieten aussprachen, da die Einnahmen der Vermieter letztendlich zu den Arbeitern herunter-„trickeln“ würden. Diese Argumente enthielt offenbar allesamt ein Artikel des Hamburgischen Correspondenten - entnehmen wir zumindest der polemischen Erwiderung im Hamburger Echo vom 28. August 1925. Für uns regt sich Frank Riede auf.
Immer wieder versetzen wilde oder entlaufene Tiere die Menschen in Schrecken und Angst. Neben mehreren Problembären brachte es 2023 ein bislang unbekanntes Wildschwein aus Kleinmachnow bei Berlin zur Berühmtheit, da es für eine Löwin gehalten einen Großaufgebot der Polizei beschäftigte, das dicht gefolgt wurde von einem Medien-Großaufgebot. Gemein haben diese Tier-Geschichten in der Regel, dass sie schlecht für das Tier ausgehen. Im Sommer 1925 durchstreifte ein aus dem Zoo entflohener Leopard Paris und bestimmte die Ängste der dortigen Bevölkerung. Die Altonaer Nachrichten vom 27. August erzählen mit deutlicher Sympathie für die Raubkatze die Ereignisse nach – bis zum bitteren Ende. Für uns hat sich Rosa Leu in die oberen Etagen der angrenzenden Häuser geflüchtet.
Die guten alten Passdokumente sind einfach nicht tot zu kriegen. Schengen sollte sie eigentlich vergessen machen, aber seit einigen Jahren nehmen Grenzkontrollen auch innerhalb der Europäischen Union wieder zu und mit ihnen die Wichtigkeit der ‘richtigen‘ Ausweispapiere. Vor einhundert Jahren war die Situation diesbezüglich noch schlimmer – vor allem weil die Menschen sich an eine Zeit vor dem Ersten Weltkrieg erinnern konnten, in der das Reisen durch Europa schon einmal deutlich entbürokratisiert war. „Öffnet die Grenzen!“, fordert deshalb das Pinneberger Tageblatt vom 26. August 1925 und erkennt in einem Europa der abgerüsteten Passkontrollen eine Utopie der Völkerverständigung. Ein Text der zurück- und vorausschaut, hier gelesen von Frank Riede.
Seit 1920 lockten die federführend von Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal gegründeten Salzburger Festspiele allsommerlich ein illustres Publikum an die Salzach zwischen Mönchs- und Kapuzinerberg. Nachdem der Festspielbetrieb 1923 nur sehr eingeschränkt und 1924 aus finanziellen Gründen gar nicht aufrechterhalten werden konnte, war 1925 das Jahr der Trendwende. Neben diversen Konzerten und drei Opernproduktionen wies der Spielplan auch gleich drei große Schauspielneuinszenierungen auf, die allesamt in der in nur vier Monaten zum ersten Salzburger Festspielhaus umgebauten alten fürsterzbischöflichen Großen Winterreitschule über die Bühne gingen. Die meiste Aufmerksamkeit zog zweifellos die zur Eröffnung gegebene Premiere von Hofmannsthals Salzburger großen Welttheater in der Regie Reinhardts auf sich. Sie steht auch im Zentrum des Festspielberichtes von Leonhard Adelt im Hamburger Anzeiger, den sich für uns Frank Riede angeschaut hat.
Was ein Faradayscher Käfig ist und wieso man beispielsweise in Eisenbahnzügen vor Blitzeinschlag geschützt ist, war im Grunde schon Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt. Im Pinneberger Tageblatt vom 24. August 1925, das sich mit den „Launen des Blitzes“ befasste, findet sich davon erstaunlicherweise jedoch nichts. Statt naturwissenschaftlicher Vertiefung werden allerlei Legenden von Blitzeinschlägen der Vergangenheit hervorgekramt und erzählerisch hübsch aufbereitet, womit bewiesen wäre, dass sich die Mystifizierung von Extremwetterereignissen, wie sie die Menschen über Jahrtausende betrieben, nicht innerhalb weniger Jahrzehnte naturwissenschaftlicher Aufklärung aus der Kultur verbannen ließ. Rosa Leu berichtet für uns von Katastrophen und Wundern.
Seit dem Jahr 1958 wacht das Bundeskartellamt unter Anderem darüber, ob Unternehmen insgeheim Preisabsprachen treffen, die sich zu Lasten der Verbraucher*innen auswirken. Vor 100 Jahren stellten sich die Sozialdemokraten die Frage, wie solchen willkürlichen Teuerungen zu begegnen sei. Und ein Lösungsweg, bei dem man sich nicht auf den Staat verlassen musste, bestand in Konsumgenossenschaften. Ein W. Postelt führt die Vorteile, die ein Zusammenschluss der Kund*innen bringen könnte, im Hamburger Echo vom 23. August 1925 aus. Dabei sollten die Genossenschaften nicht nur als große Konsumenten mit einer die Situation auf dem Markt beeinflussenden Kaufkraft auftreten, sondern auch bestimmte Gegenstände des alltäglichen Bedarfs selber herstellen und sich so der Preispolitik der privatwirtschaftlichen Unternehmen gänzlichen entziehen. Rosa Leu träumt für uns den Traum der Genossenschaften.
Der Eindruck einer multiplen Krisenhaftigkeit ist äußerst prägend für unsere Gegenwart, aber er ist welthistorisch natürlich keinesfalls präzedenzlos. Trotz einer gewissen politischen Stabilisierung nach der Hyperinflation von 1923 und dem Ende der französisch-belgischen Ruhr-Besetzung blieb auch vor einhundert Jahren das Gefühl, in unruhigen Zeiten zu leben, weitverbreitet. Der sächsische DDP-Reichstagsabgeordnete Wilhelm Külz nimmt in seinem Statement im Hamburger Anzeiger vom 22. August 1925 verschiedene sich überkreuzende, einander verstärkende Schwierigkeiten der deutschen Ökonomie in den Blick. Er warnt zugleich aber auch davor, vor lauter Krisendiagnosen die positiven Anzeichen im Wirtschaftsleben zu übersehen. Wilhelm Külz war neben seiner Parlamentariertätigkeit ab 1931 Oberbürgermeister von Dresden. Nachdem er sich 1933 weigerte, die Hakenkreuzfahne auf dem Rathaus zu hissen, wurde er von den Nazis seines Amtes enthoben und arbeitete in den Folgejahren als Anwalt. 1945 kehrte er in die Politik zurück und wurde in der Sowjetischen Besatzungszone Vorsitzender der Liberal-Demokratischen Partei Deutschlands. Er starb 1948 in Berlin. Es liest Frank Riede.
Der Zeppelin galt in den 1920er Jahren als absolute Zukunftstechnologie und entsprechend stolz war man hierzulande ob der deutschen Herkunft, die in der Benennung nach seinem Erfinder, Ferdinand Graf von Zeppelin, überdeutlich zum Ausdruck kam. Im Sommer 1925 feierte der Erstaufstieg des Prototyps immerhin auch schon sein 25. Jubiläum, und gerade der Umstand, dass das Reich seine Luftschiffe, die den Ersten Weltkrieg überlebt hatten, den Siegermächten ausliefern musste, überhöhte den Mythos vom deutschen Zeppelin paradoxerweise noch weiter. Die Überstellung des LZ 126, des sogenannten Amerikaluftschiffs, 1924 in die USA bzw. die vorausgehenden Rundflüge über Deutschland waren ein gesellschaftliches Ereignis, in dessen Zeichen auch noch die Feierlichkeiten im darauffolgenden Sommer standen. Von diesen berichteten am 21. August die Altonaer Nachrichten, und für uns war Rosa Leu am Bodensee.
Helmut Kohl zog es regelmäßig ins Salzkammergut an den Wolfgangsee, Angela Merkel urlaubte, sobald sie Bayreuth hinter sich gebracht hatte, gerne in Südtirol und auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier verschlägt es, so heißt es, ein- bis zweimal im Jahr eben dorthin, auf den Ritten oberhalb von Bozen. Paul von Hindenburg, erfahren wir im Folgenden von Frank Riede, hatte die sommerliche Angewohnheit, sich für ein paar Tage der Sommerfrische nach Dietramszell bei Bad Tölz ins Bayerische Oberland zurückzuziehen, und von dieser mochte er auch 1925 als neugewählter Reichspräsident nicht abzulassen. So schickten die bayerische Regierung zur Sicherheit ein paar Gendarmen und der konservative Hamburgische Correspondent einen Journalisten, der, schon ein paar Tage nach Hindenburgs Rückkehr aus dem Bajuwarischen, am 20. August, aus der dörflichen Idylle berichtete und in seinem Artikel landeskundliche Beschreibung und, nun ja, freundliche Hofberichterstattung miteinander verband.
Der berühmte Stummfilmregisseur Friedrich Wilhelm Murnau lebte von 1919 bis zu seiner Auswanderung in die USA in einer Villa im Grunewald. Während er sich im Sommer 1925 bei den Dreharbeiten zu seinem Film „Tartüff“ befand, wurde das Haus in der Douglasstr. 22 zu einem Ort des Verbrechens. Ein wohl als „House-sitter“ engagierter Diener tötete eine Prostituierte und lieferte sich bei seiner Verhaftung ein Schussgefecht mit den Polizisten, die dabei von den neuartigen Panzerwesten geschützt wurden. Rosa Leu liest für uns den Bericht der Altonaer Nachrichten vom 19. August zu diesem „True Crime“.
Hugo Stinnes gehörte in den ersten Jahren der Weimarer Republik zu den mächtigsten deutschen Industriemagnaten. Das geerbte, im Bereich Handel und Bergbau tätige Familienunternehmen baute er entschlossen aus und verflocht es geschickt, aber auch risikofreudig mit anderen Gesellschaften wie etwa der RWE. Durch sein dichtes Beziehungsnetz zu Größen in Politik und Bankwesen sowie den Erwerb einflussreicher Presseorgane wie der Deutschen Allgemeinen Zeitung mischte er ab 1919 darüber hinaus auch intensiv in der Reichspolitik mit, ehe er im April 1924 bei einer Gallenoperation plötzlich im Alter von nur 54 Jahren verstarb. Stinnes‘ Wirtschaftsimperium überlebte ihn nicht lang. Seine beiden Söhne Edmund und Hugo junior, die ihn beerbten, waren bald schon nicht mehr in der Lage, die zahlreichen Kredite zu bedienen und mussten bereits 1925 mit fast allen Konzernteilen Konkurs anmelden. Von einer unorthodoxen Idee, zumindest die in Berlin ansässige Aktiengesellschaft für Automobilbau, kurz: Aga zu retten, erzählen die Harburger Anzeigen und Nachrichten vom 18. August und für uns Rosa Leu.
24 Jahre lang, zwischen 1909 und 1933, wirkte der gebürtige Bremer Fritz Schumacher in Hamburg als Oberbaudirektor und prägte in dieser Zeit das moderne Gesicht der Hansestadt als Stadtplaner wie auch als Architekt in großem Stile mit. Die Konstante über die wechselvollen Zeitläufe seiner Amtszeit war der Backstein als bevorzugter Baustoff. Stilistisch hingegen zeigte Schumacher durchaus Bereitschaft, mit der Zeit zu gehen: Während die Anfänge seiner Tätigkeit noch eher vom spitzgiebligen Geschmack der Kaiserzeit geprägt waren – siehe etwa die Davidwache auf St. Pauli –, setzte er spätestens ab 1924 zunehmend konsequent auf Projekte im Stile des Neuen Bauens und realisierte unter anderem die Grundbuchhalle, das Krematorium im Friedhof Ohlsdorf sowie über 30 Schulbauten. Auch der spektakuläre Ausbau des Winterhuder Wasserturms zum Planetarium geschah unter seiner Ägide. Obwohl letztgenannte Projekte im Sommer 1925 samt und sonders noch nicht verwirklicht waren, zeichnete sich die Bedeutung Schumachers für die Hamburger Stadtentwicklung anscheinend bereits so klar ab, dass ihn der Hamburger Anzeiger vom 17. August auf halber Strecke mit einer ausführlichen Würdigung ehrte. Es liest sie für uns Frank Riede.
Sachbuchrezensionen hatten in den Hamburgischen Zeitungen vor 100 Jahren keinen festen Ort, keine eigene Rubrik. Dass sie dennoch ein Bestandteil der journalistischen Arbeit waren, belegt die heutige Sammelrezension aus dem Hamburgischen Correspondenten vom 16. August 1925. Der Autor mit dem Kürzel R. M. versammelt mehrere politikwissenschaftliche Bücher, die sich mit europäischer Politik befassen. Dabei sind die großen Themen, wen wird es verwundern, die „Ismen“ auf der politischen Landkarte. Eine Analyse zum italienischen Faschismus eröffnet den Reigen, und, nach einem Abstecher auf den Balkan, beleuchten gleich mehrere Werke aus verschiedenen Perspektiven den Bolschewismus in Russland. Wie die (allesamt) Autoren über die Lage in Italien und im Osten urteilten und wo sich dabei die Hoffnung auf einen überlegenen Europäischen Machtmenschen äußert, hören wir nun von Rosa Leu.
Immerhin 16 Sterne-Restaurants zählt die Freie und Hansestadt Hamburg aktuell. Ob man deshalb, wie im Hamburgischen Correspondenten vom 15. August 1925 zu lesen, „in keiner Stadt so gut essen könne als in Hamburg“, sei einmal dahingestellt. Dass die Stadt in früheren Zeiten eben diesen Ruf zumindest im deutschen Vergleich genoss, hatte gewiss mit der privilegierten Hafenlage zu tun, die sie nicht nur verlässlich mit frischem Fisch und Meeresfrüchten versorgte, sondern auch über Lebensmittel aus anderen Weltgegenden relativ stabil verfügen ließ. Wie bei vielen gastronomischen Artikeln der Zeit überrascht auch hier, wie fremd uns viele Gerichte und Gebräuche aus dem zeitlichen Abstand von wenigen Generationen sind; und interessanterweise hören wir genau von dieser Beobachtung auch schon aus dem Mund von Frank Riede.
Dass nicht jede Reise, mit der man zu Hause Eindruck zu schinden vermag, so auch stattgefunden hat, weiß man in Deutschland spätestens seit Karl May. Wieviel von der Weltumrundung eines gewissen Benno Jacob wahr ist, der von dieser im Hamburger Echo vom 14. August 1925 Kunde gibt, lässt sich auf die Ferne nicht ermitteln – gewisse Zweifel sind wohl durchaus angebracht an seinem Bericht, der sich gleichwohl launig liest. Vom Balkan bis in den Wilden Westen – fast alle Weltgegenden, in denen Old Shatterhand alias Kara ben Nemsi seine Abenteuer bestand, will dieser Benno Jacob auch durchstreift haben. Wo Karl May daraus etliche Dutzend vielhundertseitige Romane generierte, bringt unser Held seine Weltreise indes in nicht einmal achtzig Zeilen unter. Rosa Leu rauscht mit ihm einmal um den Globus.
Wer bisher glaubte, die spätesten möglichen Sommerferien seien die bayerischen – welche bekanntlich jedes Jahr von Anfang August bis Mitte September reichen –, der sieht sich zumindest in historischer Perspektive schwer getäuscht. Bis zum 12. August schuftete man 1925 in Berlin, allerdings nicht auf den Schul-, sondern auf den Parlamentsbänken. Erst dann entließ Reichstagspräsident Paul Löbe die Abgeordneten in die, wie der Hamburgische Correspondent vom 13. schrieb, „verdiente Parlamentspause“ – die dafür gleich bis November angesetzt war. Wie vor solch einer langen Auszeit nicht anders zu erwarten, war in der letzten Sitzung noch viel wegzuschaffen, weshalb Frank Riede für Auf den Tag genau, das natürlich auch dieses Jahr keine Sommerpause macht, noch einmal kräftig etwas wegzulesen hat.
August ist Festspielzeit, auch bei Auf den Tag genau. Vor wenigen Tagen waren wir das erste Mal seit Bestehen des Podcast bei jenen in Bayreuth, in ein paar Tagen absolvieren wir wieder unseren beinahe jährlichen Gang nach Salzburg, und heute schauen wir nach fünf Jahren wieder einmal bei den Freiluftspielen in der Arena di Verona vorbei, die 1913 zum einhundertsten Geburtstag von Giuseppe Verdi erstmals und seit 1919 alljährlich große Zuschauermengen in das alte römische Baudenkmal zogen. Meistgespieltes Werk ist dort von jeher Verdis Aida, die Berichterstatterin der Altonaer Nachrichten Margarethe Schuch-Mankiewicz wohnte indes einer Aufführung von Amilcare Ponchiellis hierzulande tatsächlich immer noch unterschätzter Oper La Gioconda bei, die sie durchaus zu würdigen weiß. Das Hauptaugenmerk ihres am 12. August 1925 erschienenen Textes gilt allerdings den einmaligen atmosphärischen Begleiterscheinungen dieses nächtlichen Spektakels, die sich über die Dauer eines Jahrhunderts gar nicht allzu stark verändert zu haben scheinen. Rosa Leu war für uns an der Piazza Brá.
Am sogenannten Verfassungstag, dem Nationalfeiertag der Weimarer Republik am 11. August, erkennt man viel von der Misere, die über ihre gesamte Dauer auf der ersten gesamtstaatlichen Demokratie auf deutschem Boden lastete. 1921 zum Gedenken an die Unterzeichnung der Reichsverfassung 1919 erstmals begangen, war er doch kein landesweiter gesetzlicher Feiertag; d.h. während dieser Status in einigen Ländern wie Baden oder Hessen zustande kam, verzichtete man etwa in Bayern auf ein entsprechendes Bekenntnis zur Republik. In Hamburg mit seinen langen hanseatischen und freistädtischen Traditionen war ein solches dagegen relativ weit verbreitet, und der liberale Hamburger Anzeiger nahm den Verfassungstag 1925 denn auch zum Anlass, an die lange Demokratiegeschichte der Stadt nachdrücklich zu erinnern. Wichtiger Kronzeuge ist ihm dabei der „Alt-Achtundvierziger“ Friedrich Christoph Dahlmann. Weshalb, weiß Frank Riede.
Im Artikel 150 der Weimarer Reichsverfassung war das Ziel verankert, dass „Denkmäler der (…) Natur sowie die Landschaft (…) den Schutz und die Pflege des Staates“ genießen. Zu einer großflächigen Einrichtung von Naturschutzgebieten führte dies fürs Erste zwar nicht; langfristig war aber doch die Grundlage gelegt für eine Verankerung dieses Ideals in relevanten Teilen der Bevölkerung, die sich unter anderem in der Einrichtung eines in zweijährigem Turnus ausgerichteten Deutschen Naturschutztages niederschlug. Die erste Veranstaltung dieser Art 1925 in München nahm ein Autor namens W. Wächter zum Anlass für eine in der Wilhelmsburger Zeitung vom 10. August veröffentlichte Mahnung, den Auftrag zur Pflege der heimischen Ökosysteme ernst zu nehmen. Frank Riede wirft mit ihm einen Blick in die Vorreiterregionen des Berchtesgadener Landes und der Lüneburger Heide.
Eva Leidmann entstammte einer Bauern- und Wirtshausfamilie aus Mühldorf am Inn. Nach Scheidung von ihrem ersten Ehemann, einem Bierbrauer, zog sie aus Bayern nach Hamburg, wo sie als Journalistin unter anderem für die Hamburger Illustrierte, eine bedeutende Wochenzeitung, arbeitete. 1932 veröffentlichte sie einen ersten Roman, Auch meine Mutter freute sich nicht – die Fehltritte eines bayerischen Mädchens, noch 1933 folgte ihr Zweitling Wie man sich bettet, der den Abstieg einer Münchener Kellnerin in die Prostitution schilderte, wenige Monate später aber bereits verboten und bei den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten verbrannt wurde. In den folgenden Jahren kam Eva Leidmann als Drehbuchautorin bei der UFA unter, starb aber bereits 1938 mit 49 Jahren an den Folgen einer Blinddarmoperation. Entgegen den eher schweren Themen ihrer Bücher atmet ihr kleiner Text „Ja, der Sommer ...“, den sie am 9. August 1925 im Hamburgischen Correspondenten veröffentlichte, eine große Leichtigkeit. Es liest Rosa Leu.
Die Zeiten der USA als ein Einwanderungsland, das die Freiheitssuchenden aus aller Welt ohne Ansehen der Person und der Herkunft mit offenen Armen aufnahm – sie waren auch schon in den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts vorbei. Verschiedene Quoten regelten die Zuwanderung, wie wir unserem heutigen Artikel aus dem Hamburger Anzeiger vom 8. August 1925 entnehmen, der auch sonst einige interessante Parallelen zu gegenwärtigen Debatten zum Thema Einwanderung aufweist. So werden wir von Frank Riede hören, dass man auch schon damals versuchte, die Verfahren, die über eine Aufnahme in die USA entschieden, von Ellis Island in die Herkunftsländer der Auswanderer zu „verlagern“. Und auch die Frage des Familiennachzugs erhitzte offenbar bereits seinerzeit die Gemüter. Verräterischerweise macht der Text sprachlich erhebliche Unterschiede zwischen europäischen und außereuropäischen Einwanderergruppen und verwendet für Letztere teilweise nicht erst nach heutigen Maßstäben diskriminierende Begriffe.
Kaum zu glauben, aber wahr: Auch nach beinahe 2000 Episoden Auf den Tag genau gibt es immer noch Themenbereiche, die bislang in diesem Podcast überhaupt nicht zur Sprache gekommen sind. Im heutigen Fall überrascht das umso mehr, denn dass die Zahngesundheit einen nicht unbeträchtlichen Aspekt des menschlichen Wohlbefindens ausmacht, dürfte auch schon vor einhundert Jahren, vielleicht sogar noch mehr als heute, niemanden überrascht haben. Die zahnheilkundliche Ausstellung in Karlsruhe, von der der Hamburgische Correspondent am 7. August 1925 berichtete, unterstrich die Bedeutung gesunder Zähne, so erfahren wir, mit einer drastischen Statistik – deren dort vorgenommene Deutung man auf die Entfernung durchaus anzweifeln kann. Am aufklärerischen Wert der Karlsruher Schau, die außerdem auch mit historischen Kuriosa prunkte, ändert das vermutlich nichts. Dem Text auf den Zahn gefühlt hat für uns Frank Riede.
Die Wohnungsknappheit war ein großes Problem der Weimarer Republik. Dass es im Sommer 1925 plötzlich geballt die Tageszeitungen beherrschte, hängt vermutlich mit einigen Gesetzesvorschlägen zusammen, die diesbezüglich im Reichstag verhandelt wurden. Ganz wie heute konkurrierten auch schon damals ganz unterschiedliche regionale und kommunale Konzepte, der Thematik Herr zu werden; was den Vorteil hatte, dass man vergleichen konnte, was wie gut funktionierte. Mit eben dieser Absicht schaute der Hamburgische Correspondent am 6. August 1925 nach Bremen, wo man den öffentlichen Wohnungsbau vor allem versuchte über eine Haus- bzw. Mietsteuer zu finanzieren. Ob man damit an der Weser den Schlüssel zur Lösung des Problems gefunden hatte, weiß Rosa Leu.
Als die Bayreuther Festspiele 1924 zum ersten Mal nach dem Weltkrieg wieder über die Bühne gingen, machten sie vor allem mit chauvinistischen Demonstrationen Schlagzeilen: Auf dem Dach des Festspielhauses wehte die schwarz-weiß-rote Flagge der Republikfeinde und unten im Parkett beantwortete die Festspielgemeinde die nationalistischen Worte der Schlussansprache des Hans Sachs in den Meistersingern von Nürnberg stehend mit dem Absingen aller drei Strophen des Deutschlandliedes. Auch 1925 öffnete sich der Vorhang über dem mystischen Abgrund wieder und lud zur Pilgerfahrt nach Bayreuth. Unter den Zuschauern befand sich auch der angehende Musiklehrer Otto Daube, der seinerzeit dem Bayreuther Bund deutscher Jugend vorstand und dessen Festspielbericht von der Premierenwoche am 5. August im Hamburgischen Correspondenten durchaus erahnen lässt, dass es mit dem restaurativen, um nicht zu sagen: reaktionären Geist in Bayreuth auch im zweiten Jahr nach Wiedereröffnung nicht vorbei war. Für uns auf dem grünen Hügel umgesehen und umgehört hat sich Frank Riede.
Im Sommer 1925 beschäftigte eine veritable Flüchtlingskrise die deutsche Öffentlichkeit. Nach der Abtretung von Teilen Oberschlesiens in Folge des Versailler Friedensvertrags hatten zahlreiche Angehörige der deutschen Minderheit in diesen nun polnischen Gebieten dafür „optiert“, ihre alte deutsche Staatsangehörigkeit zu behalten und auf eine polnische zu verzichten. 1923 hatte man in Polen begonnen, diese „Optanten“ auch gegen ihren Willen nach Deutschland umzusiedeln, was zwei Jahre später zu schweren Spannungen zwischen beiden Ländern führte. Zu Tausenden wurden die Ausgewiesenen damals in grenznahen Aufnahmelagern erstversorgt. Die Zustände im größten seiner Art in Schneidemühl, heute Piła [sprich: ‘Pi-wa], nahe der Netze, erregten die Gemüter nicht nur in den Regierungsbüros, sondern auch in der hamburgischen Presse. Die Schiffbeker Zeitung berichtete am 4. August 1925 vom Besuch des preußischen Innenministers Carl Severing in Schneidemühl. Es liest Rosa Leu.
An der gestrigen Folge unseres Podcasts ließ sich ablesen wie unter anderem in der Presse die Feindschaft zu den Siegermächten des Ersten Weltkriegs, besonders zu Frankreich angefacht und befeuert wurde. Dass es möglich war, einen anderen Umgang mit den Wunden des Krieges zu finden – zumindest auf individueller Ebene –, zeigt die Geschichte, welche das Hamburger Echo vom 3. August 1925 präsentiert. Hollywood hätte sich diese englisch-deutsche Freundschaft zwischen Schützengräben, Gasangriffen und Drahtverhau nicht besser ausdenken können. Dass sie ausgerechnet von Egon Wertheimer, damals Auslandskorrespondent in London, kolportiert wird, ist wohl kein Zufall. Der 1894 geborene Journalist, Diplomat und Rechtswissenschaftler Egon Ranshofen-Wertheimer schrieb eine wegweisende Arbeit über die britische Arbeiterbewegung, war Diplomat in Genf, flüchtete in die USA, wo er unterrichtete und zu einem der Wegbereiter und Geistigen Väter der Vereinten Nationen wurde. Es liest Rosa Leu.
1731 erstmals unter diesem Namen erschienen, handelte es sich beim Hamburgischen Correspondenten um die älteste Tageszeitung in Hamburg. Neben dem liberalen Hamburger Anzeiger und dem sozialdemokratischen Hamburger Echo zählt der konservative Correspondent seit einem Jahr zu den Eckpfeilern dieses Podcast. Wie bei einigen ‘bürgerlichen‘ Organen ist seit der Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten indes auch hier zu beobachten, dass sich immer häufiger ein stärker deutschnationaler Zungenschlag in die Berichterstattung mischt. Ein anschauliches Beispiel dafür ist der nachfolgende Artikel über die alte Kaiserstadt Aachen aus der Ausgabe vom 2. August 1925. Vermeintlich unverfänglich geht es um Karl den Großen, Münster und Kaiserkrone und eine hier gezeigte Ausstellung über die deutschen Rheinlande. Erzählt wird dies jedoch auf die Melodie von der Wacht am Rhein. Ein durchaus brachiales Zeitstück, dokumentiert für uns von Frank Riede.
Die Suche nach der Work-Life-Balance, die Kunst, nach der Arbeit abzuschalten, oder einfach mal achtsam den Urlaub zu genießen. Das sind Fähigkeiten, die heutzutage in Coachings und Workshops erworben werden können. Vor 100 Jahren waren die Begriffe noch ganz andere, die Herausforderung, aus dem Trott der Arbeit herauszufinden, aber war die gleiche. Im Hamburger Anzeiger vom 1. August 1925 wird dieses Themenfeld unter der Überschrift „Die Kunst des Faulenzens“ behandelt. Rosa Leu hat sich für uns aufgerafft, den Kaffee und die Zeitung zur Seite gelegt und hat für uns aufgenommen.
Der Blick auf die Volksbräuche ist uns immer willkommen, erfahren wir doch auf diesem Weg von Praktiken, die schon vor 100 Jahren kaum noch bekannt waren, aber auch von solchen, die damals noch zum Alltag gehörten, oder die eventuell Gemeinden erst wieder vor wenigen Jahrzehnten haben aufleben lassen – wie etwa die Gemeinde Bretten, die sich in den 1960 Jahren mit den Traditionen der Region beschäftigte und den Brettener Schäfersprung nach langer Zeit wieder zelebrierte. Die Altonaer Nachrichten berichten in der Ausgabe vom 31. Juli 1925, am Vorabend des Augustanfangs von in diesem Monat überlieferten und praktizierten Bräuchen. Rosa Leu kann uns dank dieses Artikels mitteilen, an welchen Tagen im August es gilt, besonders vorsichtig zu sein.
Ritualisierte politische Scharmützel zwischen München und Berlin, man weiß es im Prinzip, sind keine ‘Errungenschaft‘ erst der deutschen Nachkriegsgeschichte. Dennoch vermag schon zu überraschen, wie vertraut die die preußisch-bajuwarischen Raufereien wirken, von denen der nachfolgende Artikel aus dem Hamburgischen Correspondenten vom 30. Juli 1925 zu berichten weiß. Sehr klar analysiert der Text die den regelmäßigen Querschüssen – bis heute – zugrunde liegende Logik und erläutert ganz nebenbei, warum sich damit natürlich nie so viel Aufmerksamkeit generieren ließ wie im Sommerloch. Nur in seiner Einschätzung bezüglich der Gefahr, die noch immer von den Nationalsozialisten ausging, lag der Correspondent hier leider genauso falsch, wie der von ihm beobachtete bayerische Ministerpräsident Heinrich Held. Es liest Frank Riede.
Das süße Leben war in Rom vielleicht nie so süß wie in den 1950er und 1960er Jahren, als die Sylvias und Rubinis, alias Ekbergs und Mastroiannis, dort noch unbehelligt von überbordenden Touristenscharen nächtelang ihre lässigen Partys feiern konnten. Aber auch schon in den 1920er Jahren, erfahren ausgerechnet aus dem sonst eher teutonisch-nationalistischen Harburger Tageblatt vom 29. Juli 1925, konnte man in der Ewigen Stadt, scheint es, gut feiern. Mochte es am Tiber auch nicht so exzessiv zugehen wie an der Seine oder an der Spree, so machte den Römern doch in puncto Eleganz noch nie jemand etwas vor. Den Trevi-Brunnen hat Rosa Leu für uns links liegen gelassen, dafür war sie beim Foxtrott mit Blick auf St. Peter und bei glanzvollen Teezeremonien im heute noch bestehenden Luxushotel Excelsior an der Via Vittorio Veneto.
Den Begriff „Energiewende“ wird man in den Zeitungen der 1920er Jahre vermutlich vergeblich suchen; dass eben eine solche seinerzeit durchaus ernsthaft eruiert wurde, muss man regelmäßigen Hörerinnen und Hörer von Auf den Tag genau indes nicht erläutern. Der Verlust der großen Steinkohlelager in Oberschlesien sowie die Besetzung des Ruhrgebietes führten nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland nicht nur zu einem sprunghaften Ausbau der Braunkohle-Förderung, sondern auch zu einer ingenieurwissenschaftlichen Rückbesinnung auf die Energiequellen, die immer schon da sind: Wasser, Sonne, Erdwärme – Forschungen zu diesen Themen fanden immer wieder ihren Weg in die Berliner und Hamburger Tageszeitungen und darüber auch in diesen Podcast. Heute werfen wir mit dem Hamburgischen Correspondenten vom 28. Juli 1925 mal wieder einen Blick auf den Stand der Möglichkeiten der Windenergie. Zwei Fragen stehen dort im Zentrum, um die auch heute noch oder wieder die Diskussionen kreisen: Was tut man, wenn kein Wind weht, und wie speichert man die überschüssigen Kräfte, wenn er es tut? Die Antworten der Zeit kennt Frank Riede.
Das Krankheitsbild der Nervosität, oftmals bezeichnet als Neurasthenie, wurde im 19. Jahrhundert und vor 100 Jahren sehr häufig diagnostiziert. Von manchen Historiker*innen wird das nervöse Leiden als Modekrankheit der Zeit bezeichnet. Während die Psychologen und Neurologen darüber stritten, wie sehr diese Krankheit vererbbar ist, wurde zweifelsfrei die Diagnose oft auf Frauen angewendet, um diese zu pathologisieren und damit aus dem Diskurs zu nehmen. Die emotional instabile und nervöse Frau ist Teil eines Frauenbildes, das bis heute noch wirksamer ist, als uns lieb sein kann. In den Altonaer Nachrichten vom 27. Juli 1925 fasst der Wiener Neurologe Sigmund Erben den Stand der Forschung zusammen und gibt praktische Tipps dazu, was sich gegen Nervosität tun lässt. Das Spektrum reicht dabei von kalten Bädern, über Zigaretten bis zum Umzug aufs Land. Sigmund Erben wurde siebzehn Jahre später im Ghetto Theresienstadt getötet. Es liest Rosa Leu.
In Sachen Energiewirtschaft waren die 1920er Jahre in Deutschland eine Zeit ausgeprägter Diversifizierung. Der Ausbau der Stromnetze schritt zügig voran, gleichzeitig wurde auch in die Wasserkraft weiter investiert. Nach Möglichkeit kam es in vereinzelt bereits auch zum Import von Erdgas und -öl, vor allem aber hatte man in den Jahren der Ruhrbesetzung und des dadurch reduzierten Zugriffs auf die dortigen Steinkohle die Förderung der Braunkohle in den mitteldeutschen Revieren massiv hochgefahren. Die deutsche Industrie als ganze kam damit recht über die Runden. Leidtragende waren indes die Kumpel an Ruhr und Emscher; ihren Sorgen und Nöten widmete sich das sozialdemokratische Hamburger Echo am 26. Juli 1925. Und für uns Frank Riede.
Vor einigen Tagen ging es an dieser Stelle um das Wetter vor 100 Jahren, um den sehr heißen und trockenen Sommer 1925. Eine Konsequenz dieser Wetterlage waren unzählige, teilweise sehr bedrohliche Heide-, Moor- und Waldbrände. Besonders schlimm traf es die Lüneburger Heide. Die Wilhelmsburger Zeitung vom 25. Juli berichtet von den einzelnen Flächenbränden und vom Kampf der Anwohner, Feuerwehren und des abkommandierten Militärs gegen die Flammen. Rosa Leu verschafft uns einen Überblick.
Bahnreisen sind bekanntlich gerade hierzulande – nicht immer vergnügungssteuerpflichtig. Nein, die Rede ist diesmal ausnahmsweise nicht von ausgefallenen, umgeleiteten, liegengebliebenen oder aus anderen Gründen verspäteten Zügen. Diese Probleme mag es vor hundert Jahren hier und da auch schon gegeben haben, aber der Autor der nachfolgenden Glosse aus den Altonaer Nachrichten vom 24. Juli 1925 hat ungleich wichtigere Probleme: Die Sonne scheint durchs Abteilfenster, und zum Einsteigen wird man in der Deutschen Bahn seit neuestem nicht mehr aufgefordert. Und dann haben sich auch noch Nichtraucher im Raucherabteil niedergelassen und trällern dort fröhliche Lieder, statt schweigend das Coupé voll zu quarzen. Zu allem Überfluss sind es natürlich auch noch Berliner. Frank Riede ist Rheinländer und singt nicht, sondern liest.
Heutzutage tauchen in den Medien hin und wieder Meldungen auf über Ausbrüche von gefährlichen Krankheiten, die man eigentlich durch Impfungen und hygienischen Maßnahmen nahezu ausgemerzt hatte. Die Gründe dafür reichen von Kürzungen der Gelder für die WHO, Impfskepsis bis zum Klimawandel. Wie man in der Weimarer Republik über das Auftreten solcher epidemischen Krankheiten berichtete, verrät uns die Wilhelmsburger Zeitung von 23. Juli 1925. Rosa Leu weiß, wo es Ausbrüche von Typhus oder Pocken gab und welche Meldungen sich als Fehlalarme herausgestellt haben.
Ein Blick in die historischen Wetterstatistiken bestätigt es: Der Hochsommer 1925 war in Norddeutschland, zumindest für damalige Verhältnisse, außergewöhnlich heiß. Entsprechend verlässlich tropft der Schweiß auch aus den damaligen Tageszeitungen, die das nachrichtenmäßige Sommerloch mit zahlreichen Beobachtungen zum Wetter füllten. Der Hamburgische Correspondent nahm das Thema dabei am 22. Juli von seiner wissenschaftlich-physiologischen Seite und erläuterte, wie der menschliche Körper es vermöge, äußere Extremtemperaturen innerlich auszugleichen. Einen aktuellen Anlass für diese Überlegungen will der Artikel übrigens nicht gelten lassen, wo doch die aktuellen Temperaturen noch weit hinter den Spitzenwerten anderer Jahre zurückblieben. Aber was tut man nicht alles im Sommerloch, um sein Publikum mit ein paar spritzigen Informationen zu erfrischen! Frank Riede behält für uns kühlen Kopf.