Aus dem Kiez in die Welt, von der Oper in den Boxring – mit täglich einer Zeitungsnachricht aus der Hauptstadtpresse heute vor 100 Jahren tauchen wir ein in die Fragen und Debatten, die das Berlin von 1920 bewegten. Halte dich informiert und bleib auf dem Laufenden über eine Welt, die uns heute doch…
Jan Fusek, Fabian Goppelsröder und Robert Sollich

Auf den Tag genau ist bekanntermaßen Spezialist für Zeitreisen in die Welt vor einhundert Jahren, aber gelegentlich bieten wir, wie regelmäßige Hörerinnen und Hörer wissen, auch Trips in noch ferne historische Epochen an. Das geschieht immer dann, wenn bereits unsere Fundstücke in die Vergangenheit schauen – so wie der Hamburgische Correspondent vom 2. Dezember 1925, der beim Gang über den aktuellen „Dom“, den Hamburger Weihnachtsmarkt, von nostalgischen Anwandlungen befallen wird. Dankenswerterweise bleibt er dabei aber nicht bei einem „Letztes Jahr war mehr Lametta“ stehen, sondern schaut in ungenannte Chroniken und entführt uns in tiefere geschichtliche Schichten des Hamburger Vorweihnachtstrubels, in denen sich manches, noch von heutigen Christmärkten Bekanntes auffindet, aber auch gänzlich in Vergessenheit geratene Bräuche und Gaben zum Vorschein kommen. Frank Riede hat für uns, nein, keinen Glühwein getrunken.

Vor zwei Tagen haben wir an dieser Stelle von der Ratifizierung des Vertragswerkes von Locarno durch den deutschen Reichstag berichtet, heute können wir seine Unterzeichnung in London vermelden. Mit dem feierlichen Procedere hält sich der Kommentar aus dem Hamburger Anzeiger vom 1. Dezember 1925 indes nicht auf, sondern bekennt sich noch einmal sehr nüchtern und doch mit aller Verve zu den Vertragsinhalten. Der Autor ist sich sicher, eine historische Stunde erlebt zu haben, und will die abschließende Beurteilung doch nachfolgenden Historikergenerationen überlassen. Von dem traurigen Ende der Vereinbarungen von Locarno durch das Hitler-Regime, das 1936 einen im Vorjahr abgeschlossenen französisch-sowjetischen Beistandspakt zum Vorwand nahm, den Vertrag zu kündigen und ins entmilitarisierte Rheinland einzumarschieren, konnte er naturgemäß nichts ahnen. Es liest Frank Riede.

Zu den wenigen Längengraden, über den unser kleiner Podcast in den zurückliegenden bald sechs Jahren noch nicht geschippert ist, zählt ausgerechnet der 180., der, wie Eingeweihte wissen, heute, wie auch schon 1925, die Datumsgrenze markiert. Für Arnold Höllriegel, Autor für Auf den Tag genau fast seit der ersten Stunde, war es ebenfalls eine Premiere, als das Luxusschiff Aorangi, das er vermutlich in Vancouver bestiegen hatte und das damals, soeben in Dienst gestellt, als das schnellste Motorschiff der Welt galt, nach Zwischenhalt auf Hawaii Kurs auf die Fidschi-Inseln nahm – und er, also Höllriegel, mit Schrecken feststellen musste, dass ihm auf diesem Weg ein ganzer Tag ins Wasser fiel. Der 7. Oktober 1925 fand nicht statt, jedenfalls nicht für Arnold Höllriegel, der dafür den 30. November 1925 mit Hilfe der Altonaer Nachrichten um den folgenden Text bereicherte, den für uns Frank Riede liest.

Vorträgliche Glückwünsche zum Geburtstag gelten hierzulande mittlerweile als unüblich, in den 1920er Jahren war man diesbezüglich aber noch nicht so streng. Rainer Maria Rilke feierte seinen 50. erst am 4. Dezember 1925, die Hamburger Nachrichten gratulierten aber bereits am 29. November. Sein Laudator Hans Bethge war selbst Schriftsteller und vor allem für seine Nachdichtungen orientalischer Lyrik bekannt. Gustav Mahlers berühmtes Lied von der Erde geht auf Gedichte Bethges zurück, der, wie bekanntlich auch Rilke, teilweise im Worpsweder Künstlerkreis verkehrte. Dass er ein intimer Kenner von Rilkes Lyrik war, verrät sein Text allemal – obwohl man über die These, Rilke habe niemals ein Liebeslied gedichtet, gewiss trefflich streiten kann. Es liest Rosa Leu.

Die Regierungskoalition war darüber zerbrochen, aber mit den Stimmen der nach dem Austritt der DNVP verbliebenen Koalitionäre von Zentrum, DVP, BVP und DDP sowie denen der oppositionellen SPD ratifizierte der deutsche Reichstag die Verträge von Locarno dennoch mit klarer Mehrheit. Der Hamburger Anzeiger widmete diesem Ereignis am 28. November 1925 weite Teile seiner Titelseite. Statt für den Sachbericht haben wir uns für den Kommentar entschieden, der sich – wenig überraschend bei der liberalen Ausrichtung dieser Zeitung – sehr erleichtert von dem Abstimmungsergebnis zeigt. Von Euphorie hält der mit C.P. zeichnende Autor sich fern, erläutert aber mit hanseatischer Sachlichkeit die Vorteile der neuen europäischen Friedensordnung gegenüber dem vorangegangenen Zustand. Dass sich Lob für den Reichstag mit vorsichtiger Kritik an Kanzler Luther mischt – das und noch mehr hören wir von Frank Riede.

Auch im Jahre 1925 fand in Berlin an den Messehallen am Funkturm die Deutsche Automobilausstellung statt. Während der Fokus der Presse in der Regel auf den Personenkraftwagen lag, und dort besonders auf den erschwinglichen Kleinwägen, interessiert sich der Berichterstatter der Wilhelmsburger Zeitung für landwirtschaftliche Maschinen. Waren in den Großstädten die Pferde-Busse und Kutschen durch motorisierte Gefährte ersetzt, so stand eine Motorisierung der Landwirtschaft noch bevor. Was bot also die Ausstellung dem Landwirt, wenn er seine Zugpferde und -ochsen durch Nutzmaschinen ersetzten wollte? Und war das überhaupt erschwinglich? Antworten darauf gab es in der Ausgabe vom 27. November zu lesen. Die große Bedeutung dieser Leistungsschau der deutschen Auto-Industrie unterstrich auch schon 1925 die Anwesenheit wichtiger Politiker und des Präsidenten Hindenburg. Wer genau da war bei der Eröffnung und welche Nutzmaschinen es zu bestaunen gab, erfahren wir von Rosa Leu.

10 Jahre nach der Hauptstadt Berlin, aber immerhin fast 60 Jahre vor einer weiteren bekannten deutschen Großstadt an der Isar eröffnete 1912 auf der Strecke Barmbek-Rathausmarkt die erste Hamburger Untergrundbahn. Erweiterungen des damit begonnenen Hamburger Hochbahnnetzes erfolgten schrittweise. 1915 war die geplante Ringbahn mit Zweiglinien nach Eimsbüttel, Ohlsdorf und Rothenburgsort komplettiert, bis 1918, also mitten während des Krieges, wurden mehrere weitere Streckenverlängerungen in Betrieb genommen. Nach einer außerplanmäßigen Unterbrechung des Baubetriebes während der Krisen- und Inflationsjahre wurden Mitte der 1920er Jahre wieder neue Pläne geschmiedet: Der Jungfernstieg sollte endlich auch ins Netz eingebunden und weitere Vorstädte angeschlossen werden. Es berichteten am 26. Novembern 1925 die Altonaer Nachrichten, es liest für uns Frank Riede.

Während des Ersten Weltkriegs und noch lange danach war er Mangelware, jetzt Mitte der Zwanziger Jahre lag er endlich wieder in ausreichender Menge und Qualität vor: der Deutschen liebster Trunk aus der Kaffeebohne. Als Hafenstadt war Hamburg naturgemäß auch Standort wichtiger Röstereien, und eine davon, deren Namen man auch heute noch kennt, besichtigte der Hamburgische Correspondent am 25. November 1925. Bemerkenswert an dem Bericht erscheint nicht nur die Komplexität des Prozesses, sondern auch der hohe Grad an Technisierung, der damals bereits gegeben war, um die Bohne in die Tasse zu bringen. Die passionierte Kaffeetrinkerin Rosa Leu hat sich für uns umgesehen – und umgerochen.

Die Branchen und Geschäftsideen, in denen bzw. durch die die Super-Reichen dieser Welt ihr Vermögen machen, mögen sich über die Zeit erheblich verändern – die Statussymbole, mit denen sie ihren bisweilen obszönen Reichtum zur Schau stellen, variieren historisch erstaunlich wenig. Auch schon die Vanderbilts, die als Reeder und Eisenbahnunternehmer zu einer der ersten Familien in den USA des Gilded Age im späten 19. Jahrhundert aufgestiegen waren, protzten mit palastartigen Domizilen an der neuenglischen Küste sowie mit gigantomanen Yachten, auf denen sie um die Welt schipperten. Die Neugier der Menschen war ihnen ebenso gewiss wie den Oligarchen unserer Tage, und auch seinerzeit fanden sich bereitwillig Pressevertreter, die sich für die Erlaubnis, einmal hinter die mondänen Kulissen zu blicken, mit ehrfurchtsvollen Homestories revanchierten. Die Harburger Anzeigen und Nachrichten waren dabei nicht einmal selbst an Bord der „Ara“, sondern stützten sich bei ihrem Ausflug in das Genre des Luxury Lifestyle Journalism vom 24. November 1925 auf die Eindrücke schwedischer Kollegen, die für uns wiederum Frank Riede reproduziert.

Zur Kabinettskrise Frankreichs des Jahres 1925 führte nicht unbedingt eine Kontroverse rund um die Unterzeichnung des Vertrags von Locarno. Grund war vielmehr das endgültige Zerbrechen des „Cartel des gauches“, des Links-Bündnisses, welches nach den Wahlen 1924 an die Macht gekommen war. Premierminister Paul Painlevé versuchte, der hohen Staatsverschuldung mit einer Austeritätspolitik zu begegnen, und wurde darob (aber auch als Reaktion auf andere Kompromisse mit dem bürgerlichen Lager) vom linken Flügel am 22. November gestürzt. Painlevé war ein renommierter Mathematiker, mit dem Spezialgebiet der nicht-linearen Differentialgleichungen zweiter Ordnung, deren eine Eigenschaft heute als Painlevé-Eigenschaft bezeichnet wird. Im Zuge der Dreyfus-Affäre trat er, bereits Mitglied der Liga für Menschenrechte, in die Politik ein. Er pflegte gute Beziehungen nach Deutschland, sprach wohl fließend Deutsch und war ein glühender Anhänger der Mahlerschen Musik. Zudem begeisterte er sich fürs Fliegen, war 1908 der erste französische Passagier beim Flug Wilbur Whrigts und begründete die Lehre der Aeronautik an den französischen Universitäten… Aber: In der heutigen Folge liest Rosa Leu für uns aus der Bergedorfer Zeitung vom 23. November die damals aktuellsten Nachrichten und Agenturmeldungen über den Sturz Painlevés.

Dass die Kommunikation zwischen den Soldaten an der Front und ihren Familien daheim eine wertvolle Informationsquelle zur Stimmungslage der Soldaten ist, war der militärischen Führung im 1. Weltkriegs sehr bewusst, weshalb sog. Militärische Überwachungsstellen geschaffen wurden, die die Feldpost mitlasen, zensierten und Berichte, man könnte sagen, zur Lage in den Köpfen der Soldaten verfassten. Ob der Geheimrat L. Gülle ein Historiker, ein Militär war, oder ein Pseudonym ist, konnten wir nicht feststellen. Jedenfalls berichtet er sehr freimütig und konkret im Hamburgischen Correspondenten vom 22. November 1925 über diese Zensur-Stellen und über die Aufgaben der dort tätigen Offiziere, dass man vermuten müsste, der Autor selbst wäre einer dieser Offiziere gewesen. In seiner „Skizze“ erfahren wir recht detailliert, wie sich im Kriegsverlauf die Stimmung, die aus der Feldpost sprach, wandelte. Frank Riede gibt uns Einblick in die Stimmungen im Schützengraben.

Den Totensonntag des Jahres 1925, der auf den 22. November fiel, nahm in der Schiffbeker Zeitung ein gewisser Gustav Lindt zum Anlass, über unterschiedliche aktuelle und historische Totenbräuche zu berichten. Sein Artikel stellt diese Praktiken recht unsystematisch zusammen, enthüllt dabei aber vielleicht noch unbekannte und überraschende Fakten, was ihn sicherlich zu einem Artikel macht, den man leicht überarbeitet alle paar Jahre publizieren konnte. Rosa Leu führt uns also von China bis in die „Toten-Tram“ Göteborgs.

Die Vertragsverhandlungen von Locarno waren – wir berichteten im Podcast ausführlich – zwar zu einem erfolgreichen Abschluss gekommen. Deutschland stürzten sie jedoch abermals in eine schwere Regierungskrise, da die Deutschnationale Volkspartei die Beschlüsse nicht mittragen wollte und ihren Auszug aus dem Kabinett Luther beschloss. Weniger Widerstand, erfahren wir aus dem Hamburgischen Correspondenten vom 20. November 1925, wurde dem Vertragswerk aus den deutschen Ländern entgegengebracht, die dessen Konsequenzen mitzutragen hatten und deren Zustimmung deshalb, neben der des Reichstags, für die Annahme der Vereinbarungen unabdingbar war. Außerdem informiert der Correspondent sein Publikum noch über Reaktionen auf Locarno aus England bzw. über die Reaktionen deutscher Tageszeitungen wiederum darauf. Paula Leu lichtet den Nebel.

Im Herbst des Jahres 1925 herrschte in vielen europäischen Staaten eine politische Instabilität. Im Deutschen Reich ließ die DNVP die Regierung platzen, das Kabinett Painleve wurde in Frankreich gestürzt – aber auch im Osten konnten Regierungen sich nicht behaupten. Die Schiffbeker Zeitung vom 19. November informierte ihrer Leserschaft über die Lage in der Tschechoslowakei und in Polen – und liefert durchaus treffende Prognosen zur weiten Entwicklung. Die Krise des Kabinetts Švehla (Schwehla) in der Folge der tschechoslowakischen Parlamentswahl des 15. Novembers will sie nicht allzu hoch hängen. Und tatsächlich folgte im Dezember auf das Kabinett Švehla 1, das Kabinett Švehla 2. Gravierender schätzt die Zeitung die Situation in Polen ein, wo der Ministerpräsident Grabski am 13. November sein Amt niederlegte. Die Rolle, die Marschall Piłsudski spielen sollte, der zwar kein Amt bekleidete, aber enormen Einfluss beim Militär und in der Politik besaß, deutet der Artikel ebenfalls an. Im Mai 1926 würde er einen Putsch führen und die Macht an sich reißen. Frank Riede ist für uns am Mikro.

Mit den Nobelpreisen in den 1920er Jahren verhält es sich teilweise etwas unübersichtlich. Der Nobelpreis für Physik des Jahres 1925 etwa wurde erst im Folgejahr gemeinsam mit dem für 1926 verliehen. Dafür erhielt der schwedische Forscher Manne Siegbahn 1925 den Preis für 1924, wo man auf eine Auszeichnung zunächst verzichtet hatte. Siegbahn war nicht nur, wie die Fachwelt befand eine der Sache nach, sondern auch geographisch naheliegende Entscheidung. Wirkte er doch seit 1923 unweit der Stockholmer Königlichen Akademie der Wissenschaften an der Universität Uppsala und revolutionierte von dort aus die Physik auf dem Gebiet der Röntgenspektralanalyse. Den dankenswerten Versuch die Entdeckungen von Siegbahn (dessen Sohn Kai übrigens 1981 ebenfalls mit dem Physik-Nobelpreis ausgezeichnet wurde) auch interessierten Laiinnen und Laien nahezubringen, unternahmen am 18. November 1925 die Hamburger Nachrichten. Für uns tut dies Rosa Leu.

Nichts, heißt es in einem bekannten Bonmot, sei so alt wie die Tageszeitung vom Vortag, und insofern ist es wohl durchaus etwas unfair von uns, dass wir in diesem Podcast beständig in uralten Sachen wühlen und schauen, wie gut sie gealtert sind. Unser heutiges Fundstück aus dem Pinneberger Tageblatt vom 17. November 1925, soviel steht fest, ist von der Geschichte eher widerlegt worden: „Die beginnende Auflösung des Islam“, die der Artikel, inspiriert vor allem von kemalistischen Tendenzen und Autoren in der Türkei, damals diagnostiziert, will aus dem Rückblick von einhundert Jahren nicht als das letzte Wort der Geschichte erscheinen. Als Dokument einer Zeit, in der sich der Orient, teils freiwillig, teils unter Zwang rasant dem Westen öffnete, ist er dennoch von größtem historischem Interesse. Einige Begriffe, die der Text verwendet, hatten vermutlich damals bereits einen pejorativen Klang, für andere gilt dies zumindest in unseren Ohren. Es liest Frank Riede.

Er gilt bis heute als einer der größten Zirkuskünstler aller Zeiten: Enrico Rastelli, in Russland geborener Spross einer Artistenfamilie aus dem italienischen Bergamo, schlug in den 1920er Jahren das Publikum mit seinen Jonglage Shows weltweit in seinen Bann. Nach Paris, Wien, Budapest oder New York verschlug es Rastelli 1925 erstmals an den legendären Berliner Wintergarten, wo er fortan jährlich das Parkett füllte. Aber auch am berühmten Hamburger Hansa-Theater am Steindamm in St. Georg machte Rastelli in diesem Jahr Station, was der Hamburger Anzeiger zum Anlass nahm, ihm in seiner Ausgabe vom 16. November ein ausgiebiges Porträt zu widmen. Dessen jugendlicher Autor Hans Feld sollte sich später als Filmkritiker und Produzent einen Namen machen. Wie Rastelli die Gesetze der Schwerkraft außer Kraft setzte, schildert uns Rosa Leu.

Nach dem Zweiten Weltkrieg fungierte das Ruhrgebiet noch ein letztes Mal als Motor der deutschen Industrie während des Wirtschaftswunders, danach geriet die Region zunehmend in Strukturprobleme, die sie bekanntlich bis heute nur zum Teil für sich hat lösen können. Der Artikel eines ehemaligen Regierungsbaumeisters Müller aus dem Hamburgischen Correspondenten vom 15. November 1925 sieht eine solche Entwicklung interessanterweise bereits vor einhundert Jahren voraus und macht diese weitsichtig an einem bevorstehenden Bedeutungsverlust der Kohle fest. Es sind jedoch nicht fossile Brennstoffe wie Öl oder Gas, die er die Steinkohle perspektivisch unrentabel machen sieht; Müller ist seiner Zeit noch weiter voraus und antizipiert bereits einen Siegeszug erneuerbarer Energien. Wie man sich 1925 das Ruhrgebiet des Jahres 2025 vorstellte, weiß Frank Riede.

Der Starkult rund um Schauspieler*innen und ihr Privatleben, ihren Luxus und ihr Beziehungsleben kommt spätestens mit dem Studio-System der Filmproduktion auf und wird sich an der Verehrung anderer Künstler*innen aus Theater und Oper orientiert haben. Und während die Fans von einem sorglosen und entspannten Leben in Berühmtheit und Prunk träumen, widersprechen die Stars in ihren „Homestories“ aus ihren riesigen Villen stets mit dem Verweis darauf, wie hart der Beruf eigentlich ist. Im Falle des heutigen Artikels aus dem Hamburgischen Correspondenten vom 14. November 1925 bietet ein Dr. Karl Grunert den ernüchternden Blick hinter die Fassade des Lebensalltags einer idealtypischen Filmdiva. Es liest Rosa Leu.

Hjalmar Schacht – Reichsbankpräsident sowohl in der Weimarer Republik, als auch später wieder bei den Nazis, bei diesen aber 1939 in Ungnade gefallen und in den letzten Monaten des Regimes erst Gestapo-Häftling, dann in verschiedenen Konzentrationslagern interniert – war der einzige Angeklagte beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess, der in allen Punkten freigesprochen wurde. Von dieser biographischen Wendung konnte naturgemäß niemand etwas ahnen, als Schacht genau zwanzig Jahre zuvor in seiner Eigenschaft als höchster deutscher Banker ausgiebig die USA bereiste und dort intensiv um Kredite warb, die der durch die Kriegsfolgen nach wie vor gebeutelten deutschen Wirtschaft wieder Schwung verleihen sollten. Das Pinneberger Tageblatt vernahm seine Bemühungen mit Wohlwollen, wie der von Frank Riede gelesene Artikel vom 13. November 1925 verrät.

Am 25. Oktober 1925 fanden die Schweizer Parlamentswahlen statt, bei denen sich, glauben wir Wikipedia, ein Linksrutsch vollzog, da sowohl Sozialdemokratie, als auch die Kommunisten dazugewinnen konnten. Ganz so deutlich fasste es der Hamburgische Correspondent am 12. November nicht und verwies lieber auf die konstante, unaufgeregte und bürgerliche Politik der Schweiz. Rosa Leu geht mit uns die Ergebnisse durch und erläutert dabei das eigentümliche Wahlsystem der Schweiz.

Zwischen 1912 bis 1956 war das vormals stolze Sultanat Marokko zu einem französischen Protektorat herabgesunken. Mochte die Macht des nominell im Amt belassenen Sultans aus der Dynastie der Alawiden seither begrenzt gewesen sein – dem traditionellen Prunk und der Prachtentfaltung tat diese Degradierung keinen Abbruch. Entsprechend reizvoll ist das orientalische Gemälde, das der Reiseschriftsteller Otto Zeltin am 11. November 1925 in den Altonaer Nachrichten von den Feierlichkeiten zum Ende des Fastenmonats Ramadan zeichnet. Neben manchem Klischee aus 1001 Nacht, das dabei gestreift wird, fallen in dem Text auch einige heute nicht mehr gebräuchliche, da rassistisch aufgeladene Begriffe. Wir senden den Artikel dennoch, weil er einen faszinierenden Blick sowohl hinter die Kulissen des herrschaftlichen Palasts von Rabat, als auch auf die politischen Realitäten des späten Kolonialzeitalters in Nordafrika wirft. Für uns tut dies Frank Riede.

Bayern und der Rest des Landes – dieses ewig junge Thema haben wir verschiedentlich auch schon hier im Podcast bespielt. Politische Querschüsse, die zuverlässig immer wieder bis nach Berlin hallten, schafften es auch in Weimarer Zeit regelmäßig in die norddeutsche Tagespresse, so am 10. November 1925 Nachrichten darüber, dass man südlich des Weißwurst-Äquators an einer Restituierung des Wittelsbacher-Monarchie arbeite. Die bayerische Staatsregierung dementierte entsprechende Berichte zwar, die Altonaer Nachrichten stürzten sich trotzdem drauf, und auch wir mochten nicht davon lassen. Es liest Frank Riede.

Der Ausbau der faschistischen Herrschaft in Italien zu einer totalitären Diktatur erfolgte schrittweise. Ein Schlüsseldatum hierbei war das gescheiterte Attentat des Freimaurers und sozialistischen Parlamentsabgeordneten Tito Zaniboni auf Faschistenführer Benito Mussolini am 4. November 1925. Vom Balkon seines Zimmers im römischen Hotel Dragoni gegenüber vom Palazzo Chigi hatte Zaniboni auf Mussolini schießen wollen, um die Ermordung seines Parteifreundes und sozialistischen Parteivorsitzenden Giacomo Matteotti zu rächen; doch seine Geliebte Marisa Romano hatte ihn und seine Pläne verraten. Zaniboni wurde bei Betreten des Hotels in der Lobby verhaftet und die faschistische Staatsführung nahm diese Vorfälle nach bekanntem Muster zum Anlass, den Partito Socialista Unitario sowie dessen Parteizeitung aufzulösen und drastische Gesetze gegen die Freimauerei durchs Parlament zu bringen. Vieles von den Umständen wie den Konsequenzen dieses ausgefallenen Attentates ist am 9. November 1925 noch Gerücht, als die Harburger Anzeigen und Nachrichten davon berichteten. Es liest Rosa Leu.

1904 wurde der Longacre Square in New York, an dem Stellmacher und Pferdestallungen angesiedelt waren, nach dem Bau des Hochhauses der New York Times in Times Square umbenannt. In der Folge wandelte sich der Platz, der an der Kreuzung Broadway und Seventh Avenue liegt, zu einem Kristallisationspunkt für noble Hotels, Austernbars und vor allem Theater-, Cabaret- und Musicalbühnen. Früh wurden an den Fassaden der Gebäude Lichtreklamen angebracht, die zunächst aus weißen Lampen bestanden, was dem Broadway den Namen „The Great White Way“ bescherte. Wie beeindruckend sich die Beleuchtung im Jahre 1925 darstellte und wie sehr die Lichtreklame der Theater von den angebrachten Produktwerbungen abgelöst worden war, sendete der Korrespondent mit dem Kürzel L. A. H. über den großen Teich an den Hamburgischen Correspondenten, der seinen Bericht am 8. November abdruckte. Zwischen Hafergrütze. Kaugummi und flammenden Kreuzen hat sich für uns Rosa Leu herumgetrieben.

n einer Phase des europäischen und amerikanischen Kinos, in der sich das System der Studios durchgesetzt hatte und die Filmproduktionen in den riesigen Ateliers, wie wir sie gestern in Babelsberg besuchten, die ganze Welt, zumindest wie man sie sich so vorstellte, nachbauten, war der Film „Die Leuchte Asiens“ des Jahres 1925 eine aufsehenerregende Ausnahme. Dieser Film, der die Lebensgeschichte des Buddha erzählt, war die erste deutsch-indische Koproduktion und wurde weitestgehend in Indien „on location“ mit Laiendarstellern gedreht. Der Film begründete eine lange Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur Franz Osten und dem Hauptdarsteller Himansu Rai, für dessen Firma Bombay Talkies Osten bis 1939 unzählige Filme drehte, bevor er, das sei nicht verschwiegen, der NSDAP beitrat. Vom Hamburgischen Correspondenten am 7. November erfahren wir, dass das Passagetheater bei der Hamburger Erstaufführung „indisch“ dekoriert war und es im Foyer eine kleine Ausstellung zum Heimatland Buddhas gab. Die sehr zahlreiche Berichterstattung zu dem Film wimmelt oft von auf Rasselehren basierenden Überlegungen zum Aussehen der indischen Schauspieler*innen und zur Nähe von Europa und Indien. Die entsprechenden Sätze im heutigen Artikel, den Frank Riede liest, stellen eine verhältnismäßig zurückhaltende Variante dieser Überlegungen dar.

Ganz großes Kino! Sie hören gerade die 2000ste Folge von „Auf den Tag genau“. Vom 1. Januar 1920 an haben wir, mit einer kleinen Unterbrechung, täglich, an Wochenenden, in den Ferien und an Feiertagen gesendet und dabei einen einzigartigen Blick auf die Weimarer Republik geboten. Ob es im Januar 1926 weitergeht, ist ungewiss, aktuell eher unwahrscheinlich. Wir warten also immer noch auf Enthusiast*innen und Mäzen*innen oder Institutionen, die uns ein Weiterleben ermöglichen. Das wäre wahrlich größtes Kino….womit wir beim Thema der heutigen Folge wären. Die Harburger Anzeigen und Nachrichten, die von ihrem Glück, uns den Stoff für die Jubiläumsfolge zu liefern, nichts ahnten, trieben sich am 6. November 1925 in der deutschen Antwort auf Hollywood herum, gelegen in Neubabelsberg. Rosa Leu führt uns also über das UFA-Gelände mit seinen Kulissen, Lagern und einem eigenen Zoo. Dabei gibt es auch erste Bauten für den kommenden Filmklassiker Metropolis zu entdecken. Mögen wir auch noch 1927, also 2027, in unserer 2500 Folge von dessen Premiere berichten.

Die allermeisten Zeitungstexte, die sich in den 1920er um im weitesten Sinne technische Dinge drehen, sind von einem aus dem Rückblick fast rührend anmutenden Fortschrittsoptimismus erfüllt. Auch unser heutiger Artikel über „Das Haus von übermorgen“ aus der Schiffbeker Zeitung vom 5. November 1925 macht da vordergründig keine Ausnahme. Von der Zentralheizung über die Klimaanlage bis zum Elektroherd malt er sich die Zukunft in den buntesten Farben aus – und liegt mit einigen antizipierten Entwicklungen, wie so oft, gar nicht falsch. Im zweiten Teil nimmt er dann aber doch eine etwas unerwartete Wendung, indem er die Frage aufwirft, ob von den ganzen technischen Annehmlichkeiten, mit denen man so rechnete, unter dem Strich wirklich ein nachhaltig positiver Effekt auf die Lebensqualität zu erwarten sei. Frank Riede artikuliert für uns diesbezüglich so einige Zweifel.

Dass den Zeitungen mit dem Radio ein mächtiger Konkurrent heranwuchs, der an ihrer Stellung als dem Leitmedium der Zeit rüttelte, erkennen wir nicht nur an der Berichterstattung über die Radioprogramme der Sender und über technische Innovationen auf dem Gebiet der Tonübertragung. Immer häufiger kam es vor, dass die Zeitungen sich gezwungen sahen, über Radioansprachen zu berichten, und damit nachzuliefern, was die Radiohörerinnen bereits kannten. Am 3. November 1925 hatte der Außenminister Gustav Stresemann im Radio über den Vertrag von Locarno gesprochen und für den Kurs der Regierung geworben. Welche Argumente er dabei ins Feld führte, können wir uns nicht im Original anhören, da diese Radioaufnahme nicht mehr vorliegt, sondern erfahren es aus den Altonaer Nachrichten vom 4. November. Von Audio zu Text und nun zurück zur Stimme… im Jahr 2025 der von Rosa Leu.

Die Zahl der Arbeitslosen war bereits auch schon vor der großen Weltwirtschaftskrise, in den ökonomisch relativ stabilen Jahren Mitte der 1920er ein gewichtiges Problem der deutschen Politik. Wie den Bedürftigen helfen, ohne falsche Anreize zu schaffen und durch hohe Abgaben die Konjunktur zu bedrohen – dieser alte Widerstreit scheint auch im Hamburgischen Correspondenten vom 3. November 1925 auf, der das Problem der Arbeitslosenversicherung thematisiert und dieses dabei, dem konservativen Profil der Zeitung folgend, relativ konsequent durch die Brille der Hamburgischen Handelskammer betrachtet. Wie sehr uns die Argumente aus den aktuellen Debatten um das Bürgergeld bekannt vorkommen dürfen, erfahren wir von Frank Riede.

Die deutsche Regierungskrise, sie zog immer weitere Kreise. Nach wie vor stand nach dem Ausscheiden der deutschnationalen Minister aus dem Kabinett die Ratifizierung der Vereinbarungen von Locarno durch den Reichstag auf Messers Schneide. Die SPD zierte sich, den Mehrheitsbeschaffer zu spielen, und auch Zentrum und DDP übten Druck auf Kanzler Hans Luther aus, die Vorlage nicht ohne Aussicht auf eine stabile Regierung einzubringen. Das Szenario ‘Neuwahlen‘ war weiterhin nicht vom Tisch, und auch die Option, die Zustimmung zu Locarno in einem Volksentscheid abzufragen, wurde offensichtlich ernsthaft diskutiert. Das behaupten jedenfalls am 2. November 1925 die Altonaer Nachrichten, in denen für uns Rosa Leu geblättert hat.

Erst vor drei Tagen waren wir mit dem Podcast in Damaskus und sahen uns dort mit der blutigen Bürgerkriegsgegenwart des Jahres 1925 konfrontiert. Am 1. November schaute nun der Hamburgische Correspondent gleichfalls in die syrische Hauptstadt, dabei aber zurück ins Jahr 1898, als Kaiser Wilhelm II. Damaskus einen Besuch abgestattet hatte, und zeichnete dabei das gewaltig weichgezeichnete Bild einer orientalischen Märchenmetropole. Nostalgisch verklärt an den Erinnerungen des deutschbaltisch-österreichischen Reiseschriftstellers Bernhard Stern-Szana, der ‘Seine Majestät‘ damals angeblich begleitete, mutet ferner nicht nur die eigene Bedeutsamkeit im Reisetross an, sondern auch der Blick auf die vermeintliche Herrlichkeit der Kaiserzeit. Dass sich der Autor aus dieser zumindest den exzessiven Franzosenhass bewahrt hat, dokumentiert sich spätestens im letzten Satz. Ihn, wie auch alle davor, liest Rosa Leu.

Die Dolchstoßlegende, dergemäß wahlweise Linke, Demokraten und/oder Juden Schuld an der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg gewesen seien, zählte zu den wirkmäßigsten rechten Verschwörungstheorien der Weimarer Republik. Im Herbst 1925 wurde um sie in München sogar ein Prozess geführt: Martin Gruber, Chefredakteur der Münchener Post, hatte die Süddeutschen Monatshefte wegen der Verbreitung der Dolchstoßlegende der Geschichtsverfälschung bezichtigt, woraufhin deren Herausgeber Paul Nikolaus Cossmann Gruber verklagte. Prominente Personen der Zeitgeschichte wurden in den Zeugenstand gebeten, unter ihnen etwa der ehemalige Reichskanzler Philipp Scheidemann, von dessen Vernehmung in seiner Ausgabe vom 31. Oktober auch der Hamburger Anzeiger berichtete. Es liest Frank Riede.

Der berühmt-berüchtigte französische Zentralismus, er bildet sich auch in der deutschen Frankreich-Berichterstattung der 1920er Jahre und darüber vermittelt unvermeidlich in diesem Podcast ab. Immer wieder hat es uns in den zurückliegenden Jahren nach Paris verschlagen. Auf Ausflüge in den kleinen Rest des Landes, den man vom Kirchturm von Notre Dame aus nicht überblicken kann, sind wir dagegen selten gestoßen; zweimal in Reims, einmal in der Provence, ein Blick ins Elsass – viel mehr sind wir bislang nicht herumgekommen. Walter Hasenclever indes wollte sich mit diesem Radius nicht begnügen und zog in seiner Sommerfrische hinaus bis weit aufs Mittelmeer, wo die Franzosen den Genuesen im 18. Jahrhundert die stolze Insel Korsika abgeknüpft hatten. Deren mittelalterlichem Charakter, stellt Hasenclever im Hamburger Anzeiger vom 30. Oktober 1925 fest, hatte dies zumindest stellenweise aber wenig Abbruch getan. Davon hat sich für uns Frank Riede überzeugt.

Über viele Jahrhunderte, seit dem späten Mittelalter bis zum Ersten Weltkrieg, standen weite Teile des Vorderen Orients unter türkischer Herrschaft. Nach der Niederlage des Osmanischen Reiches an der Seite der Mittelmächte fielen das alte Zweistromland, der heutige Irak, sowie Palästina nun als Mandatsgebiete an das Vereinigte Königreich, Syrien und der Libanon gerieten unter französische Verwaltung, und hier wie dort regte sich schnell Widerstand gegen die neuen Kolonialherren im fernen Europa. Insbesondere im multiethnischen und multikonfessionellen Syrien führte dies Mitte der 1920er Jahre zu blutigen Aufständen, die vom französischen Militär höchst gewaltsam bekämpft wurden. Die Ergebnisse der Geschichtsforschung lassen befürchten, dass die Opferzahlen, die die Wilhelmsburger Zeitung in ihrer Ausgabe vom 29. Oktober 1925 allein aus Damaskus vermeldet, nicht altem anti-französischem Ressentiment in Deutschland entsprangen, sondern relativ realistisch waren. Es liest Rosa Leu.

Wie stark Zölle die wirtschaftliche Dynamik zu behindern und den gesellschaftlichen Wohlstand auszubremsen vermögen, ist dieser Tage wieder zu besichtigen. Vor einhundert Jahren, in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, war dies nicht nur eine transatlantische, sondern auch eine innereuropäische Thematik, denn nach dem Ersten Weltkrieg frönten teilweise auch die kleinsten der neuentstandenen Nationalstaaten dem Ideal der Autarkie. Dass dies dem Kontinent ökonomisch kaum wieder auf die Sprünge helfen würde, wurde relativ schnell klar, weshalb die vorsichtig positiv stimmenden Ergebnisse der Konferenz von Locarno vielerorts zum Anlass genommen wurden, über den Weg in eine europäische Zollunion nachzudenken. Entsprechende Vorgriffe auf eine europäische Einigung finden sich mit etwas ungeklärter Autorschaft auch in den Altonaer Nachrichten vom 28. Oktober 1925 formuliert. Frank Riede hat sie sich angesehen.

Erst im Januar 1925 war das Kabinett Luther I, bestehend aus Mitgliedern der DVP, der DNVP, des Zentrums, der DDP sowie der BVP, gebildet worden – im Oktober stand es bereits wieder vor dem Aus. Grund dafür war das in Locarno ausgehandelte Vertragswerk, welches von großen Teilen der deutschnationalen Fraktion abgelehnt wurde. Auch die Interventionen des der DNVP eigentlich nahestehenden Reichspräsidenten Hindenburg vermochten das Blatt nicht zu wenden, so dass der Hamburgische Correspondent am 27. Oktober das bevorstehende Ausscheiden dreier Minister vermeldete und über die weiteren politischen Konsequenzen spekulierte. Drohte die Ratifizierung von Locarno gar zu scheitern? Stand Deutschland mal wieder vor vorgezogenen Neuwahlen? Oder fand sich im bestehenden Reichstag eine neue Regierungsmehrheit? Rosa Leu kennt den Stand der Spekulationen.

Ein paar Tage lang tagten die Gremien, stritten die unterschiedlichen Parteiflügel, dann war klar: Die Deutschnationale Volkspartei, seit den Wahlen des Jahres 1924 zweitstärkste Fraktion im Reichstag und größte Regierungspartei im Kabinett von Reichskanzler Hans Luther, war nicht gewillt die Ergebnisse der Verhandlungen von Locarno mitzutragen und drohte offen mit dem Koalitionsbruch. Interessant an der Begründung dieses Schrittes ist die Tatsache, dass die deutschnationale Interpretation des Vertragstextes offensichtlich eher der französischen und britischen Lesart entsprach, als der offiziellen deutschen Sicht von Kanzler Luther und Außenminister Stresemann. So deuteten es jedenfalls am 26. Oktober 1925 die Altonaer Nachrichten, in die für uns Frank Riede schaut.

Das Thema des Drogenkonsums wurde in den Tageszeitungen regelmäßig verhandelt und taucht daher auch immer wieder in unserem Podcast auf. Die Forschung, die stets eine Nutzung der Präparate für medizinische Zwecke verteidigte, wollte wissen, welche Drogen welche Wirkungen auf den Körper und Geist der Konsument*innen zeitigen. Auch untersuchte man Gewöhnungseffekte, die bei regelmäßigen Rauschzuständen eintraten. Für den Hamburgischen Correspondenten vom 24. Oktober fasst Dr. Robert Fließ seinen Wissensstand rund um die „krankhaften Rauschzustände“ zusammen. Mit recht hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei ihm um den Sohn des berühmten und umstrittenen Arztes Wilhelm Fließ, der eine Verbindung zwischen der Nasenschleimhaut und den weiblichen Geschlechtsorganen postulierte und mit dieser Theorie und den daraus abgeleiteten Therapien die Pschoanalyse von Sigmund Freud, mit dem er lange befreundet war, beeinflusste. Robert war Allgemeinmediziner und Psychiater und emigrierte 1933 in die USA. Rosa Leu, die, soweit wir wissen, lediglich dem Kaffeekonsum frönt, breitet für uns die Wirkungen der Drogen der 1920er Jahre aus.

Beim Verfassen dieser Anmoderation zeigte der „Weltbevölkerungszähler“ 8 Milliarden 252 Millionen 218 Tausend 576. Dass die Weltbevölkerung rasch wuchs und irgendwann an die Grenze stoßen könnte, die durch das Maximum der auf der Erde produzierbaren Nahrungsmittel gegeben sei, kalkulierte man schon vor 100 Jahren. Der Hamburger Anzeiger berichtete in seiner Ausgabe vom 24. Oktober 1925 über die Schätzungen von George Handley Knibbs, einem Mathematiker aus Australien, der zur Mathematical Theory of Population publiziert hatte. Rosa Leu weiß, wie weit von der aktuellen Weltbevölkerung seine damalige Prognose lag.

Allenfalls noch neben dem Doktor Faustus seines Vaters gilt Klaus Manns Exil-Werk Mephisto aus dem Jahr 1936 als der berühmteste Schlüsselroman deutscher Sprache. Hinter der Hauptfigur des opportunistischen Theaterintendanten Hendrik Höfgen glaubte man allenthalben den den Nazis treu ergebenen Staatsschauspieler Gustaf Gründgens zu erkennen, welcher sich an seinem ehemaligen Schwager Klaus Mann fünf Jahre später mit dem wenig schmeichelhaften Filmporträt Friedemann Bach über den mittelmäßig begabten Sohn eines Jahrhundertkünstlers revanchierte. Die Verbindung der beiden Widersacher reicht freilich zurück bis in die 1920er Jahre, als Klaus Mann an den Hamburger Kammerspielen seinen dramatischen Erstling Anja und Esther zur Aufführung brachte, in dem neben Gründgens und ihm auch seine Schwester Erika, Gründgens‘ spätere Ehefrau, sowie Frank Wedekinds Tochter Pamela auf der Bühne standen. Warum das Stück seinerzeit erheblichen Skandal machte, deutet die Rezension aus den Altonaer Nachrichten vom 23. Oktober 1925 – die den damals noch weithin unbekannten Gründgens zwischen all den prominenten Namen um ihn herum nur kurz nennt – zumindest an. Es liest Frank Riede.

Obwohl sich der Geburtstag von Walzerkönig Johann Strauß Sohn erst am 25. Oktober zum 200. Mal jährt, feiert Wien dieses Jubiläum heuer bereits seit dem Neujahrskonzert am 1. Januar. Auch vor einhundert Jahren mochten offensichtlich nicht alle mit ihren Gratulationen bis zum Stichtag warten. Die Schiffbeker Zeitung etwa würdigte den Jubilar bereits drei Tage vorab, am 22. Oktober, und ob Strauß die Elogen, die ihm da gewunden wurden, so recht gewesen wären, sei einmal dahingestellt. Vielleicht konnte die Musikpublizistik damals einfach nicht anders, aber das höchste Lob, zu dem sich der Artikel emporschwingt, sind Parallelen zwischen der Fledermaus und des ‘größten deutschen Meisters‘ Richard Wagners Meistersingern von Nürnberg, welche hier allen Ernstes gezogen werden. Naja. Auch das Bashing der zeitgenössischen amerikanischen Unterhaltungsmusik im Namen von Johann Strauß, wirkt aus dem historischen Rückblick eher befremdlich, verrät aber viel über den zeitgenössischen Diskurs, in den uns Rosa Leu entführt.

Die Staaten Europas im harten Ringen um Kompromisse, die den Kontinent stabilisieren sollten; Russland als lauernder Beobachter, im Schulterschluss mit China, weitere Bündnisse gen Asien knüpfend – dieses Bild der aktuellen politischen Lage zeichnet der Hamburgische Correspondent in seiner Ausgabe vom 21. Oktober 1925. Der Kontext ist einmal mehr die zurückliegende Konferenz von Locarno, die man im Kreml mit Argusaugen verfolgte, weil man durch sie die nach Rapallo zurückreichenden Spezialbeziehungen der Sowjetmacht mit dem bis dato in Europa isolierten Deutschland tangiert sehen mochte. Warum der Moskauer Korrespondent des Hamburgischen Correspondenten die Nachfolger Lenins dennoch in einer relativ komfortablen strategischen Position glaubte, weiß Frank Riede.

Seit beinahe anderthalb Jahrhunderten, nämlich seit 1882, besteht das Berliner Philharmonische Orchester und bald ebenso lang wird es als einer der besten Klangkörper weit und breit gefeiert. Auch in den 1920er Jahren und auch in Hamburg, wo die „Berliner“ damals regelmäßig gastierten, tat man dies, wie wir einer euphorischen, nur mit „M“ gezeichneten Kritik der Altonaer Nachrichten vom 20. Oktober 1925 entnehmen. Etwas befremdlich an ihr muten allenfalls die drastischen Worte an, mit denen die Leistung von Chefdirigent Wilhelm Furtwängler hier genieästhetisch überhöht wird. Der Conventgarten, von dem hier die Rede und der nicht mit Covent Garden in London zu verwechseln ist, befand sich übrigens in Hamburg-Neustadt, an der Stelle des heutigen Springer-Hochhauses. 1853 als Musikpavillon errichtet, wurde er mehrfach ausgebaut, bevor er 1943 bei einem Luftangriff im Zuge der sogenannten Operation Gomorrha zerstört wurde. Es liest Frank Riede.

Präsidenten und Minister, die in vornehmen Salonwagen per Eisenbahn zu Regierungskonsultationen reisen – dieses Konzept hat zuletzt im Zuge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine eine unerwartete Renaissance erlebt. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war diese Art der Fortbewegung selbstredend der Normalfall bei Staatsbesuchen, der freilich wiederum auch erst relativ spät in der Geschichte Pferd, Sänfte und Kutsche abgelöst hatte. Daran erinnert uns das Pinneberger Tageblatt vom 19. Oktober 1925 genauso, wie es auch einen Blick in die Zukunft wirft, die unsere Gegenwart ist und in der vornehmlich das Flugzeug Politiker durch die Welt befördert. Dass diese Zukunft damals bereits angefangen hatte, erfahren wir von Rosa Leu.

Die Konferenz von Locarno endete mit einem Schlussprotokoll, in dem die Einigungen festgehalten waren, die anschließend von den Parlamenten der einzelnen Staaten bestätigt werden mussten, bevor sie endgültig unterzeichnet werden konnten. Der Kern des sich abzeichnenden Abkommens war die langfristige Festlegung und Garantie der Westgrenzen Deutschlands, wie sie im Versailler Vertrag definiert waren. Dass die Weimarer Republik auf eine diplomatische oder gewaltsame Revision dieser Grenzziehung verzichtete, führte bei den politischen Rändern zu Protesten. Und da ja die DNVP Teil der Regierung Luther war, zeichnete sich eine Regierungskrise ab. Der Hamburgische Correspondent versammelt am 18. Oktober die Reaktionen der Presse und der Parteien auf die Nachrichten aus Locarno. Es liest Frank Riede.

Nach 12 Verhandlungstagen zeichnete sich ein Ende der Konferenz in Locarno ab und die Zeitungen zoomten, wenn man so will, wieder von den kleinen Geschichten, Erkenntnissen und Gerüchten zum Großen und Ganzen zurück und begannen zu resümieren. Die Wilhelmsburger Zeitung tat dies unter dem Titel „Einfach und Ehrlich“, einem Zitat des britischen Premiers Baldwin zu einem deutschen Memorandum im Vorfeld der Konferenz. Der Leitartikler warnt vor voreiligen Schlüssen und Bewertungen, vor zu viel Pessimismus oder Optimismus, da die Ergebnisse der Konferenz ja auch noch nicht wirklich kommuniziert worden waren, vermutet aber auch, dass in der Reichsregierung nicht alle glücklich über den Verlauf der Verhandlungen sein würden. Doch dazu morgen mehr. Den Wissenstand der Wilhelmsburger vom 17. Oktober 1925 liest für uns Rosa Leu.

Über den aktuellen Umgang der Vereinigten Staaten von Amerika mit sogenannten illegalen Einwanderern ist alles gesagt. Land of the Free, entnehmen wir den Hamburger Nachrichten vom 16. Oktober 1925, waren die USA indes auch schon vor einhundert Jahren längst nicht mehr für alle, die es an ihre Gestade geschafft hatten. Wer ohne gültige Papiere ankam, musste zwar nicht fürchten, in einem brutalen Abschiebeknast in einem Drittland zu landen; die Freiheitsstatue sahen er oder sie jedoch zumeist nur von Ferne, bevor sie wieder zurück in den Ausgangshafen geschifft wurden. Dass viele es offenbar trotzdem versuchten und dabei ähnlich hohe Risiken eingingen wie jene, die sich heute auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer machen, beschreibt der Autor Gerd-Rudolf Bachmann in einem Text, der nichts für sensible Gemüter ist und den für uns Frank Riede liest.

Trotz populärer Krimireihen – die Stadt Triest gilt selbst unter Italienkennern heutzutage fast noch als Geheimtipp. Vor einhundert Jahren war das interessanterweise ganz anders. Immer wieder sind wir in den vergangenen Jahren bei unseren Recherchen auf Reiseberichte aus dieser ehemals österreichischen, jetzt nordostitalienischen Ecke gestoßen und haben sie bisweilen auch zur Anhörung gebracht, der heutige Text aus dem Hamburger Anzeiger vom 15. Oktober 1925 fügt sich also in eine längere, bis weit in Berliner Zeiten zurückreichende Reihe. Er besticht durch präzise Beschreibung, irritiert aber auch durch einige, für den liberalen Anzeiger eher untypische nationale Stereotypen. Das Wort hat Rosa Leu.

Wir über uns – aus dieser Rubrik stammte bereits die Ballade von der journalistischen Tätigkeit in der gestrigen Ausgabe unseres Podcast. Auch heute schmoren wir, wenn man so will, weiter im eigenen Saft und singen das hohe Lied auf die großartige Erfindung der Tageszeitung. Dass Eigenlob stinkt, wusste freilich auch das Pinneberger Tageblatt, als es am 14. Oktober 1925 seine Apotheose auf „Zeitungslust und -nutz“ anstimmte, weshalb es dafür auf einen entsprechend bezeichneten Text aus der Zeit um 1700 und der Feder Kaspar von Stielers zurückgreift. Was wir dort von der kulturbildenden und friedenssichernden Funktion der Qualitätspresse hören, möchten wir gerne glauben und mit Auf den Tag genau weitergeben. Nur der Mahnung, die Zeitung unbedingt immer von der ersten bis zur letzten Zeile zu rezipieren, werden wir hier auch weiterhin keine Folge leisten. Es bleibt täglich bei einem einzigen Artikel, den für uns heute Rosa Leu interpretiert.

„Was ist ein Journalist?“ – Es gibt so Artikelüberschriften, an denen wir als Zeitungs-Podcast schlechterdings nicht vorbeigehen können. Das schöne am nachfolgenden Text aus den Altonaer Nachrichten vom 13. Oktober 1925 ist, dass er diese Frage der Selbstvergewisserung zudem auch noch in Balladenform beantwortet. Der Autor – oder die Autorin – hört auf den Namen Schippang und machte sich seinen/ihren Reim auf die eigene Berufstätigkeit ursprünglich für die Kieler Neuesten Nachrichten. Man darf aber mit Fug und Recht davon ausgehen, dass der Alltag auch eines Hamburger Journalisten wenig anders aussah – und vielleicht heute noch aussieht. Frank Riede gibt für uns den Rezitator.