«Kultur-Talk» nimmt kulturelle und gesellschaftliche Themen auf, die bewegen und einer Vertiefung oder Klärung bedürfen.                                                           Â
Schweizer Radio und Fernsehen (SRF)
Franz Kafka lästerte gerne über seine Familie. Er wohne «im Hauptquartier des Lärms», schrieb er 1911 in sein Tagebuch. Doch bis zu seinem Tod 1924 blieb er das Zentrum dieser Familie. Nicht nur bei den Eltern, auch bei seinen drei Schwestern stand er immer an erster Stelle. Der Kafka-Forscher Hans-Gerd Koch präsentiert in «Kafkas Familie. Ein Fotoalbum» neben bekannten über hundert bislang unbekannte Fotografien, die Franz Kafkas Familie ins Zentrum rücken. Man erfährt von ihrem bemerkenswerten Aufstieg aus ärmlichen südböhmischen Verhältnissen ins Bürgertum von Prag, bis sie im Holocaust fast ganz vernichtet wurde. Begleitet von kurzen Texten Kafkas und seines Umfelds zeigen die Fotos einen Lebensalltag, den Kafka prägte und der ihn prägte. Mit Hans-Gerd Koch spricht Franziska Hirsbrunner. Buchhinweis: Hans-Gerd Koch (Hrsg.). Kafkas Familie. Ein Fotoalbum. 208 Seiten. Wagenbach.
Das Filmfestival von Cannes ist die Olympiade des Kinos. Kein anderes Festival mischt dermassen gekonnt Glamour und PR, Kunst und Kommerz. Wie wirkungsvoll feiert «le festival» dieses Jahr das Kino und seine Kunst? Michael Sennhauser diskutiert mit Katja Nicodemus und Anke Leweke. Die Aufmerksamkeit von Cannes hilft dem Autorenfilm, aber auch den Kinos im Kampf gegen die Publikumsabwanderung. Der Mix aus neuen Namen und bewährten Grössen des Autorenfilms wie Francis Ford Coppola mit kommerziell schlagkräftigen Titeln wie etwa «Furiosa: A Mad Max Saga» sorgt für Medienpräsenz. Die Anwesenheit der Schönen und Berühmten auf dem roten Teppich sorgt für einen zwölftägigen Bilderstrom in den Medien der Welt. Wird Cannes seinem Ruf weiterhin gerecht? Gibt es Zeitzeichen im Wettbewerb? Michael Sennhauser diskutiert mit den Kritikerkolleginnen Anke Leweke und Katja Nicodemus.
Pfingsten steht vor der Tür. Pfingsten, das «Geburtsfest der Kirche». Doch wie geht es diesem «Kind», das längst erwachsen geworden ist, wie geht es der Kirche heute? Und welche Rolle spielt Theologie dabei? Gespräch mit dem Basler Theologie-Professor Reinhold Bernhardt. Menschen kehren den grossen Kirchen massenhaft den Rücken. Und immer weniger junge Menschen entscheiden sich für ein Studium der Theologie. Manche stimmen schon den Abgesang auf das christliche Zeitalter an. Wie sieht das der emeritierte Professor für Dogmatik, Reinhold Bernhardt? Ist die Zeit der grossen Kirchen bald vorbei? Hat die Theologie ihre Chancen verpasst? Und was hat all das mit Pfingsten zu tun, einem Fest, bei dem die Kraft des Lebendigseins im Zentrum steht?
Dort hinschauen, wo sonst niemand hinblickt. Dies tut die mehrfach preisgekrönte und in Paris lebende deutsche Autorin Anne Weber in ihrem aktuellen Buch «Bannmeilen»: Sie erkundet die Banlieues. Anne Weber ist zu Gast bei Felix Münger im «Kultur-Talk» live von den Solothurner Literaturtagen. Bei ihren Streifzügen erforscht Anne Weber behutsam die Lebensgeschichten, die sich hinter den Vorurteilen von Betonwüsten, Armut, Langeweile und Kriminalität verbergen. Und entwickelt in ihren Schilderungen eine grosse Poesie. Im Gespräch mit Felix Münger sagt sie, was die Chancen der Literatur sind, unser Interesse für Bedeutsames zu schärfen, das gerne übersehen wird – und uns doch viel über uns selbst erzählt. Anne Weber erhält den diesjährigen Solothurner Literaturpreis. Buchhinweis: Anne Weber. Bannmeilen. 301 Seiten. Matthes & Seitz 2024.
Die Biennale Venedig, eines der grossen Kunstevents, die auch über die Kunstwelt hinaus bekannt sind, blickt in diesem Jahr in den globalen Süden. «Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere», steht als Titel über der diesjährigen Biennale. Fremde überall. Es geht um Fremdheit, um Einwanderer, Auswandererinnen, Menschen zwischen Kulturen, Nationen, Lebensformen. In dem Titel schwingt deutlich der Anspruch der Biennale mit: Kunst hat was zu aktuellen Situation, zu den aktuellen Krisen zu sagen. Kann die Ausstellung im Arsenale und im Zentralpavillon dieses Versprechen einlösen? Oder findet der beste Teil der Biennale in diesem Jahr in den Länderpavillons statt? Talk mit Deborah Keller, Chefredakteurin des Kunstbulletins, und Kathleen Bühler, Chefkuratorin des Kunstmuseums Bern.
Der Dokumentarfilm ist nach wie vor das stärkste Exportprodukt der Schweizer Filmszene. An den Visions du Réel in Nyon trifft er Jahr für Jahr auf ein fasziniertes Publikum. Und auf die internationale Konkurrenz, in einem zunehmend globalisierten Austausch. Die eh schon renommierten Visions du Réel in Nyon sind unter der Leitung der international bestens vernetzten Emilie Bujès zu einem der europäischen Hotspots für den Dokumentarfilm geworden. Der Basler Regisseur und Produzent Vadim Jendreyko ist mit seinem sehr persönlichen Europa-Essay-Film «The Song of Others» im internationalen Wettbewerb. Mit ihm und der Künstlerin und Szenekennerin Ruth Baettig («Filmexplorer») diskutiert Michael Sennhauser die Entwicklung des Festivals und den aktuellen Status des Dokumentarfilms in der Schweiz und im globalen Kontext.
Einhornforschung – ein Pferd mit Stirnhorn und Bambiblick trappelt seit Jahrtausenden durch die Geschichte der Menschheit. Oft gejagt, aber unsterblich, dient es als Projektionsfläche für den Traum vom Unschuldigen und Wilden, von Liebe und Einzigartigkeit und sonstigen Sehnsüchten jeglicher Art. Das Pferd mit dem Horn auf der Stirn beflügelt die menschliche Fantasie seit Jahrtausenden. Einige wollen es gesehen haben. Andere haben davon gehört. Und angefasst haben es bisher nur Jungfrauen. Das Tier, dessen Horn wundersame entgiftende Eigenschaften nachgesagt werden, wird bereits in der Antike von Gelehrten beschrieben. Im Mittelalter erhält es sogar einen Platz auf der Arche Noah. Heute ist es Cashcow der Spielzeugindustrie und Maskottchen der LGBTQ+ Community. Einhornforscherin Julia Weitbrecht hat das unfassbare Wesen wissenschaftlich eingefangen.
In Zeiten polarisierter Debatten tritt der israelische Philosoph Omri Boehm gegen identitäres Denken an und beruft sich dabei auf Immanuel Kant. Für sein vieldiskutiertes Buch «Radikaler Universalismus. Jenseits von Identität» bekommt er nun den «Leipziger Buchpreis für Verständigung». Für welche Grundwerte stehen wir ein in liberalen Demokratien? Omri Boehm schlägt den Bogen von der Philosophie zur gegenwärtigen Politik und erinnert in seinem streitbaren Buch an das Erbe der Aufklärung und Kants universalistischen Humanismus. Dabei kritisiert er identitäres Denken quer durch das politische Spektrum und mahnt an, sich nicht mit Konformismus zu begnügen. Omri Boehm führt aus, was seine universalistische Position in Bezug auf den Konflikt zwischen Israel und Palästina bedeutet und warum es eine Pflicht zur Hoffnung gibt, wenn man nicht bei einer Dystopie enden will.
Egal ob geplant oder plötzlich: Veränderungen im Leben sind meist eine Herausforderung. Unser Umfeld verändert sich, und wir verändern uns mit. Wie uns Krisen stark machen, davon schreibt die Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello in ihrem neuen Buch «Own your age». Manche Veränderungen fühlen sich leicht und befreiend an, andere sind schmerzlich und manchmal haben wir das Gefühl, daran fast zu zerbrechen. Weniger bekannt ist, dass Krisen immunisierend wirken, dass das, was uns herausfordert, auch stark machen kann. Die Entwicklungspsychologin Pasqualina Perrig-Chiello beschreibt im Gespräch nicht nur die drei Lebensphasen ab der Lebensmitte, sie fokussiert vor allem auf die Lebensübergänge. Und so viel sei bereits verraten: Wer Krisen und Umbrüche bewusst anpackt, ist auch mit Blick auf die verlustreichen Veränderungen im Alter gut gewappnet. Hinweis zum Buch: Prof. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello: Own your age. Die Psychologie der Lebensübergänge nutzen. Beltz Verlag, 285 Seiten.
Antijüdische Hasspropaganda grassiert online und auf der Strasse. Der Antisemitismus kommt von rechts, von links und aus der Mitte. Wir besuchen die jüdische Schule Noam in Zürich und fragen deren Rektor Zsolt Balkanyi-Guery, welchem Antisemitismus er begegnet und woher der kommt. Gast im Kultur-Talk ist der Historiker Zsolt Balkanyi: Er ist Präsident der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus, Rektor der jüdischen Schule Noam in Zürich, Familienvater und jüdischer Armeeseelsorger. Balkanyi hat sich als Forscher mit der Geschichte von Antisemitismus in der Schweiz befasst. Er erlebt antisemitische Attacken aber auch im Alltag, mit seiner Familie und im Umfeld der jüdischen Schule Noam. Wie hält er das aus? Als Präsident der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus GRA hat Zsolt Balkanyi die ganze Schweiz im Blick. Hier hat Antisemitismus hat neue Dimensionen angenommen: er wird laut artikuliert und gewalttätig ausagiert. Was hat die Schweiz, was haben Bildungssystem und Zivilgesellschaft hier versäumt? Die antijüdischen Hass-Stereotype sind Jahrhunderte alt, neu werden sie in digitalen Schläuchen millionenfach reproduziert. Wie konnte das passieren? Weitere Beiträge auf SRF zum Thema: https://www.srf.ch/play/tv/sternstunde-religion/video/antisemitismus-und-muslimfeindlichkeit-in-der-schweiz?urn=urn:srf:video:33a1b163-fd1c-4b10-9e57-9903b7063f2a https://www.srf.ch/audio/perspektiven/evangelikale-und-israel-ist-das-echte-zionsliebe?id=12480654 https://www.srf.ch/audio/kontext/kultur-talk-davos-ferien-vom-antisemitismus?id=12502512
Blicken wir aus dem Fenster, wandern wir durch die Stadt, sehen wir Gebäude, Strassen und Autos. Erik Wegerhoff erkundet in seinem Buch «Automobil und Architektur» das Spannungsfeld der beweglichen Fortbewegungsmaschine und der unbewegten Bauwerke, und dies fast übers ganze 20. Jahrhundert. Auf die Erfindung des Autos hätten die Architekten im frühen 20. Jahrhundert zunächst mit Panik reagiert, sagt Erik Wegerhoff, Dozent für Geschichte und Theorie der Architektur an der ETH Zürich. Denn die engen Städte taugten nicht für das schnelle Verkehrsmittel. Wegerhoff denkt anhand dreier Kapitel – «Beschleunigen», «Schalten», «Abbremsen» – darüber nach, wie sich das Automobil auf Gebäude, Städte, Strassen ausgewirkt hat. Der einstige Geschwindigkeitsrausch sei längst einer Planung gewichen, die auch dem langsamen Verkehr, den Radfahrerinnen und Fussgängern, grossen Stellenwert beimisst. Buchhinweis: Erik Wegerhoff: «Automobil und Architektur», Berlin: Wagenbach.
Ein letztes Mal verantwortet der einstige Locarno-Leiter Carlo Chatrian das Programm der Berliner Filmfestspiele. Ein Drittel weniger Filme aus Spargründen, deutlich mehr Arthouse-Produktionen und politische Misstöne im Vorfeld. Nichts mehr zu verlieren oder ein Abschied in Ehren? Die 74. Berlinale ist die letzte des Leitungsduos Mariette Rissenbeek und Carlo Chatrian. Sparmassnahmen, schwindende Infrastruktur, das Absägen des einst als Hoffnungsträger geholten künstlerischen Leiters und die politischen Misstöne um wieder ausgeladene AfD-Parlamentarier drückten auf die Stimmung vor Europas grösstem Publikumsfestival. Dafür ist das Filmprogramm in allen Sektionen anspruchsvoller geworden und ambitionierter. Nutzt Chatrian das Programm als trotzige Abschiedsvorstellung? Michael Sennhauser fragt nach bei den Berlinale-Runde-Stammgästen Katja Nicodemus und Peter Claus.
Am Anfang war die Erde wüst und leer – und gehörte als Gemeineigentum allen. Als die Menschen sesshaft wurden, begann sich das zu ändern. Und heute bezahlen wir Miete oder Hypothekarzinsen für die Fläche, die wir bewohnen, weil wir nicht unter der sprichwörtlichen Brücke schlafen können. Warum? Francis Cheneval, Professor für politische Philosophie an der Universität Zürich, und der emeritierte Anthropologe Carel van Schaik unterhalten sich darüber, wie es kam, dass der Boden zum Privateigentum wurde. Sie denken über Ungleichheit nach und über die Frage, wann Gewinnstreben auf Kosten der Mieterinnen und Mieter unethisch wird. Und weshalb das Eigentum in allen grundlegenden Texten von der Bundesverfassung bis zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als Grundrecht gilt.
Jedes Jahr im Januar versammelt sich die Schweizer Filmwelt in Solothurn: Seit bald 60 Jahren wird hier jährlich Bilanz über das Schweizer Filmschaffen gezogen. Die «Filmernte» des letzten Jahres, Premieren und Reprisen werden in der Barockstadt während einer Woche gezeigt. Auch das Gespräch über das Schweizer Kino, über die gezeigten Filme, aber auch über filmpolitische und andere Themen wird in Solothurn gesucht und geboten. Zum zweiten Mal verantwortet der Tessiner Niccolò Castelli als künstlerischer Leiter das Programm – und er lädt jeden Vormittag zum öffentlichen Gespräch über die laufenden Filme ins Restaurant Kreuz. Funktionieren diese Publikumsgespräche? Was bewegt die Schweizer Filmwelt aktuell? Und welche Filme sind an dieser 59. Ausgabe besonders aufgefallen? Ein Bilanzgespräch mit Ruth Baettig von filmexplorer.ch und der Film- und Kulturwissenschaftlerin Marcy Goldberg, direkt von den Solothurner Filmtagen.
Putin bekämpft in der Ukraine ein faschistisches Regime. In den USA haben Demokratiefeinde Trump die Wahl gestohlen. Propagandalügen, welche die Realität ins Gegenteil verkehren, haben Konjunktur. Felix Münger unterhält sich mit der Slawistin Sylvia Sasse über die toxische Mechanik des Lügens. Die Wahrheit ins Gegenteil zu verkehren, sei bei autoritären Machthabern seit jeher beliebt, sagt Sylvia Sasse. Sie ist Autorin eines aktuellen Essays zum Thema. Verdrehungen und Fakenews würden sich zunehmend auch in liberale Demokratien fressen. Dies verunsichere die Menschen und untergrabe zuletzt deren Vertrauen in ihre demokratisch gewählten Exponentinnen und Exponenten. Es gelte, Verkehrungen zu entlarven, zu benenen – und ihnen so ihre Wirkung zu nehmen. Buchhinweis: Sylvia Sasse: Verkehrungen ins Gegenteil. Über Subversion als Machttechnik, Matthes und Seitz 2023.
Schmerzen bei Kindern waren lange kein Thema. Bis in die 1980er Jahre wurden Babys ohne Narkose operiert. Man sprach ihnen das Schmerzempfinden ab. Noch heute findet der Schmerz von Kindern wenig Beachtung. Helen Koechlin erforscht den Schmerz der Kleinen und den blinden Fleck der Erwachsenen. Jedes Kind hat Schmerzen. Hin und wieder. Das wissen wir. Weniger bekannt ist dagegen, dass auch bei Kindern nicht jeder Schmerz nachlässt. Jedes vierte Kind leidet unter chronischen Schmerzen – oft nicht diagnostiziert und nicht behandelt. Selbst Fachleute unterschätzen den Schmerz der Kleinen. Im Schnitt vergehen zwei Jahre, bis ein Kind in die Schmerzsprechstunde kommt. Dann hat sich das Leiden schon tief eingegraben: Im Gehirn, im Alltag, in der Psyche. Ängste, Depression und Suizidalität gehen oft mit dem Schmerz einher. Und der Schmerz bleibt oft bis ins Erwachsenenalter.
Seit 150 Jahren ist Davos Feriendestination. Genauso lang zieht der Kurort auch jüdische Gäste an: aus dem In- und Ausland. Rund 4'000 jüdisch-orthodoxe Menschen suchten diesen Sommer Erholung in Davos. Doch es kam zu Knatsch und Negativschlagzeilen wie: «Juden unerwünscht». Was steckt dahinter? Jonathan Kreutner vom jüdischen Verband der Schweiz SIG ist schockiert: Pauschalisierende Posts werfen «den» jüdischen Gäste Littering vor. Davos stieg aus dem Vermittlungsprojekt des SIG aus, das Verständnis schaffen wollte zwischen jüdisch-orthodoxen Gästen aus dem Ausland und Davoser Hoteliers. Was sagt Landammann Philipp Wilhelm dazu? Er steht für ein weltoffenes Davos. Die Geschichte von Davos ist schillernd: Juden und Jüdinnen fanden hier Erholung von Tuberkulose und Antisemitismus. Zugleich war Davos Hotspot der Nationalsozialisten. Nicole Freudiger befragt SRF-Religionsexpertin Judith Wipfler über die Hintergründe. In der Sendung zu hören sind: * Jonathan Kreutner (Jg. 1978), Davos-Tourist seit Kindertagen, seit 2009 Generalsekretär des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds SIG, Mit-Initiant des Vermittlungsprojekts Likrat Public in Schweizer Ferienorten; Doktorat zum Verhältnis Schweiz Israel * Landammann Philipp Wilhelm (Jg. 1988), Architekt ETH, Gemeindepräsident Davos, Mitglied Grosser Rat GR; Mitbegründer des Vereins IG offenes Davos, der sich insbesondere für Geflüchtete einsetzt; engagiert für ein soziales, grünes und kulturell lebendiges Davos
Sie war eine der ersten Frauen, die in der Schweiz die Fotografie zum Beruf machten. Und Pia Zanettis Fotos erzählen immer Geschichten: tragische, lustige, menschliche. Ein neues Buch liefert einen Überblick über das Werk der Fotografin, die dieses Jahr ihren 80. Geburtstag feierte. Der Schalk blitzt in ihren Augen. Pia Zanetti hat Humor. Oft genug entstehen die Geschichten, die ihre Bilder erzählen, weil die fotografierten Menschen auf Zanetti reagieren. Seit über 60 Jahren fotografiert sie auf der halben Welt, mit einem offenen Blick für die Situation der Ärmsten. Einen Überblick über ihr Gesamtwerk liefert nach der Ausstellung in der Schweizer Fotostiftung 2021 nun das Buch «Pia Zanetti», erschienen im Verlag Galleria Edizioni Periferia. Warum Neugierde alles ist und wieso ihr digital mehr liegt als analog, darüber spricht Pia Zanetti im Kultur-Talk.
Zeit für eine Pause? Zu oft nehmen wir uns nicht die Zeit dazu. Dabei passiert in der Pause so viel – im Sport, im Theater, am Mittag. «Ohne Pausen gibt es keine Musik. Und das sagt doch schon alles», sagt Autorin Andrea Gerk. Eine Annäherung an die unterschätzte Unterbrechung des Alltäglichen. Wir alle brauchen sie, wie die Luft zum Atmen: die Pause. Ob in der Schule, oder am Mittag, ob die berühmte Rauchpause, im Theater, die Kunstpause – die Pause scheint nichtig und kann doch alles sein. In ihr werden Ideen gesponnen, Freundschaften geknüpft, Körper und Seele regeneriert. Die Pause ist meist völlig unterschätzt. Und immer wieder scheitern wir am Pausemachen. «Das kleine Glück dazwischen» nennt die Autorin und Moderatorin Andrea Gerk die Pause. Sie nähert sich ihr in essayistischen Betrachtungen. Andrea Gerk ist bei Noëmi Gradwohl zu Gast im Kultur-Talk. Andrea Gerk und Moni Port: «Pause! Das kleine Glück dazwischen». Kein und Aber Verlag 2023.
Der Wissenschaftsjournalist Reto U. Schneider vermisst vernünftige Debatten mit rationalen Argumenten. Wir hätten verlernt, auf Fakten basierend zu diskutieren, sagt er. In diesem «Kultur-Talk» gibt er Tipps fürs kluge Streitgespräch. «Filterblase», «Shitstorm», «Verschwörungstheorie», «gespaltene Gesellschaft». Das sind Begriffe, die in letzter Zeit oft fallen, wenn es um unsere Debattenkultur geht. Die Liste lässt sich problemlos erweitern – sogar um Wörter, die eigentlich aus dem Militär stammen: «Meinungskrieg» zum Beispiel oder «verhärtete Fronten». Haben wir verlernt, uns ohne Kriegsrhetorik miteinander auszutauschen, andere Meinungen zuzu- oder uns selbst auch einmal umstimmen zu lassen? Haben wir verlernt, vernünftig miteinander zu diskutieren? Der Schweizer Wissenschaftsjournalist Reto U. Schneider meint: Ja. In seinem neuen Sachbuch «Die Kunst des klugen Streitgesprächs» widmet er sich unserer desolaten Debattenkultur. So zelebrierten wir extreme Einzelfälle oder sähen Zusammenhänge, wo es gar keine gebe. Im «Kultur-Talk» erklärt Schneider, auf welch zweifelhaften Wegen unsere Meinungen überhaupt zustande kommen, wie sehr Menschen ihr eigenes Wissen überschätzen – und woran man merkt, dass eine Diskussion mit jemandem vergeudete Zeit ist. Buchangaben: Reto U. Schneider: «Die Kunst des klugen Streitgesprächs. Wer diskutieren will, sollte diese Regeln kennen – Ein Crashkurs in Vernunft». 160 Seiten. Kösel-Verlag, 2023.
Die Kritik war laut, als im Herbst 2021 die Bilder aus der Sammlung des Waffenhändlers Emil Bührle erstmals im Kunsthaus Zürich ausgestellt wurden. Zwei Jahre später wird die neue, überarbeitete Ausstellung eröffnet. Ist nun alles anders und besser? Mit der Bührle-Sammlung schlitterte das Kunsthaus in die Krise. Für die Leihgaben wurde ein Erweiterungsbau für über 200 Mio. Franken erstellt. Nach wie vor ist unklar, ob unter den Werken Bilder sind, die zurückgegeben werden müssten. Kritik gab es auch an der Ausstellung selbst: Der zeithistorische Kontext von Flucht und Holocaust werde ungenügend vermittelt, Emil Bührle unkritisch als Wohltäter präsentiert. Nach zwei Jahren legt das Kunsthaus unter neuer Leitung nun eine Überarbeitung vor – allerdings wieder begleitet von Misstönen. Der wissenschaftliche Beirat, der Unabhängigkeit hätte garantieren sollen, trat kurz vor der Eröffnung geschlossen zurück. SRF-Kunstredaktorin Ellinor Landmann schätzt die neue Ausstellung ein.
Die Bevölkerung in der Schweiz ist überdurchschnittlich spendefreudig, das gesellschaftliche Engagement von Freiwilligen kann sich sehen lassen, und zahlreiche potente Stiftungen schütten Geld aus, wo es fehlt. Doch die Philanthropie ist auch mit Kritik konfrontiert. «Gutes tun oder es besser lassen?» – Philanthropie neu denken «Es gibt nichts Gutes. Ausser man tut es!» Das Zitat von Erich Kästner ist aktuell in Zeiten von Krieg, Krisen und menschlicher Not. Gefragt sind Spenden, Stifter, Gönnerinnen und Freiwillige. Doch gerade grosse Geldgeber werden kritisiert: Sie würden Macht mit Geld ausüben, das sie nicht selbst erarbeitet hatten, entzögen die Verteilung einem demokratischen Prozess und optimierten Steuern. In einem neuen Buch «Gutes Tun oder es besser lassen? Philanthropie zwischen Kritik und Ankerkennung», herausgegeben von Georg von Schnurbein, werden neue Perspektiven auf ein altes Engagement entwickelt. Buch: Georg von Schnurbein (Hrsg.): Gutes tun oder es besser lassen? Philanthropie zwischen Kritik und Anerkennung. Christoph Merian Verlag. 2023.
Slowenien ist das Gastland an der Frankfurter Buchmesse. Mit seinen nur zwei Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern hat es die dichteste literarische Produktion Europas. Im Gespräch mit Felix Münger sagt der slowenische Literat Aleš Šteger, warum sein Land seine Existenz der Literatur verdanke. Slowenien stand bis zur Unabhängigkeit 1991 stets unter Fremdherrschaft: Habsburger, Königreich Jugoslawien, Besetzung, Tito-Jugoslawien. Dass sich dennoch eine slowenische Identität herausbildete, verdankt Slowenien laut Aleš Šteger der gemeinsamen Sprache, die Autorinnen und Autoren zwischen Buchdeckeln bannten. Die Dichtung ist für das slowenische Selbstverständnis noch immer zentral. Entsprechend grosszügig ist die staatliche Förderung. Im Ausland ist die slowenische Literatur noch immer wenig bekannt. Die Buchmesse bietet die Gelegenheit, sie endlich zu entdecken.
Gestern wurde in Stockholm der Literaturnobelpreis 2023 vergeben. Gewonnen hat ihn der norwegische Autor Jon Fosse. Wir stellen den Preisträger und sein Werk im Gespräch mit dem Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel und Klaus Müller-Wille, Professor für Nordische Philologie, vor. Schon länger gilt er als Anwärter auf den Literaturnobelpreis, nun hat er ihn bekommen: Jon Fosse. Die Akademie begründet die Vergabe des Nobelpreises an Jon Fosse damit, dass er in seinen Theaterstücken und Prosawerken «dem Unsagbaren eine Stimme» gebe. Im Gespräch mit dem Übersetzer Hinrich Schmidt-Henkel und dem nordischen Philologen Klaus Müller-Wille stellen wir Jon Fosses Schaffen vor und gehen den Fragen nach, was Jon Fosses Literatur ausmacht, welchen Stellenwert seine Romane und Theaterstücke haben und was es denn konkret heisst, «dem Unsagbaren eine Stimme zu geben».
Herta Müller gehört zu den renommiertesten Schriftstellerinnen überhaupt. Sie ist Literaturnobelpreisträgerin und Autorin erfolgreicher Romane wie «Herztier» und «Atemschaukel». Nun erscheint ein Band mit Reden, Artikeln und Essays, in denen sie sich einmal mehr mit ihrem Lebensthema befasst. Und dieses Thema ist die Diktatur. 1953 als Kind Banater Schwaben in Rumänien geboren, gerät sie bald in Konflikt mit dem kommunistischen Regime Nicolai Ceausescus. Gleichzeitig überwirft sie sich mit ihren Banater Landsleute, deren Schweigen über die NS-Vergangenheit sie nicht mittragen will. Schreibend beginnt sie, sich mit sich und ihrer Situation auseinanderzusetzen, bis sie schliesslich Rumänien verlässt. Doch auch im Westen ist der Schrecken nicht vorbei. Eine Verleumdungskampagne führt dazu, dass sie sich auch hier wieder mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, eine feindliche Agentin zu sein. Im Kultur-Talk mit Michael Luisier verrät Herta Müller, wie sie mit ihren Diktatur-Erfahrungen zurechtkommt. Und warum sie das Thema immer noch nicht ad acta legen kann. Buchangaben: Herta Müller. Eine Fliege kommt durch einen halben Wald. Hanser Verlag, 2023.
Musikwettbewerbe sind in der Kritik. Es würden nur «sportliche» Leistungen honoriert. Stimmt das? Klar, gebe es so genannte «Wettbewerbs-Typen», sagt die Geigerin und Antje Weithaas. Jene, die ihr Instrument virtuos beherrschen, aber «kalt» spielen. Ein Musikwettbewerb sollte seine Kandidat:innen auch künstlerisch herausfordern, sagt sie. Das geht auch, wie ein Wettbewerb in Hannover zeigt. Für die Sängerin Mara Maria Möritz sind Wettbewerbe eine gute Vorbereitung, im Berufsalltag bestehen zu können. Aber auch sie, die gerade ihr Masterdiplom an der HKB absolviert hat, blickt kritisch auf Musikwettbewerbe.
Aus religiöser Überzeugung gegen ein neues Gesetz zur erleichterten Sterbehilfe sein oder Gott um einen Auftrag fürs Parlament anfragen. Solche Einflüsse des persönlichen Glaubens von Politikerinnen und Politikern untersucht Vanessa Kopplin und stellt fest: Religiosität kommt in jeder Partei vor. Politische Entscheide sind von persönlichen Überzeugungen und Werten beeinflusst. Dass Religiosität auch eine Rolle spielen kann, liegt auf der Hand. Welche Konsequenzen hat dies und passiert es bewusst oder unbewusst? Die Politik- und Religionswissenschaftlerin Vanessa Kopplin untersuchte anhand qualitativer Interviews den Einfluss von Religiosität auf politische Entscheide. Sie führte Gespräche mit rund 50 Parlamentarierinnen und Parlamentariern aus der Schweiz, aus Deutschland und Österreich und stellt fest: Religiosität kommt bei Mitgliedern aller Parteien vor.
Sicher hätten sich die Verantwortlichen des Filmfestivals Venedig eine glanzvollere Jubiläumsausgabe gewünscht: Wegen des Schauspieler:innenstreiks in Hollywood fehlten viele Stars auf dem roten Teppich. Trotzdem ist das Festival auch dieses Jahr eine Art Oscar-Startrampe. Zu reden gaben im Vorfeld auch die Einladungen von Roman Polanski, Woody Allen und Luc Besson, alle waren in der Vergangenheit mit Missbrauchsvorwürfen konfrontiert. Einige Misstöne also gab's im Vorfeld dieses 80. Geburtstags des ältesten Filmfestivals der Welt. Im Zentrum der «80. Mostra Internationale d'Arte Cinematografica» aber steht wie immer der internationale Wettbewerb, in dem auch trotz des Streiks einige grosse Kisten sind. Was das Festivalprogramm an Überraschungen bietet und was sonst für Diskussionen sorgt, darüber diskutiert in Venedig Filmredaktorin Brigitte Häring mit den beiden deutschen Kolleg:innen, der Filmjournalistin Anke Leweke und dem Filmjournalisten Peter Claus.
Klimawandel, Krieg in der Ukraine, steigende Heizkosten und Versicherungsprämien – wie geht die Schweizer Bevölkerung damit um? Wie ist die allgemeine Stimmung in der Schweiz? Überwiegen die Sorgen oder dominiert die Zuversicht? Eine neue Studie gibt umfassend Antwort. Im Auftrag der SRG hat das Forschungsinstitut gfs.bern eine breit angelegte Befragung der Schweizer Bevölkerung zu ihrem Befinden durchgeführt. Über fünfzigtausend Interviews wurden geführt, um ein aktuelles Stimmungsbild der Schweizer Gesellschaft zu erhalten. Ist die Schweiz eher von glücklichen Menschen bewohnt oder dominieren Sorgen unser Leben? Der «Kultur-Talk» mit Studienleiter Urs Bieri gibt detaillierten Einblick in die Gefühlslagen der Schweizer Bevölkerung.
Auch das 76. Filmfestival von Locarno hat die Auswirkungen des Streiks der US-amerikanischen Schauspielerinnen und Schauspieler zu spüren bekommen. Aber die im Vergleich zur Konkurrenz in Venedig stets geringere Stardichte hat sich dadurch als Vorteil erwiesen. In Locarno zählen die Filme. Oder? Für den scheidenden Festivalpräsidenten Marco Solari ist diese 76. Ausgabe des Filmfestivals von Locarno die letzte. Für den römisch-schweizerischen künstlerischen Direktor Giona A. Nazzaro die dritte. Der Streik der US-amerikanischen Schauspielergewerkschaft hat sich als «Last minute»-Knacknuss erwiesen, einige der längst gesetzten Filme müssen sich ohne die medienmagnetische Präsenz ihrer Stars bewähren. Wie lässt sich der Programmmix in diesem Jahr an? Hat Giona Nazzaro dieses kleinste der grossen Festivals verändert? Und wie solide ist das Gebilde, das Festivalpräsident Marco Solari seiner Nachfolgerin Maja Hoffmann hinterlässt? Darüber redet Michael Sennhauser mit der Schweizer Filmjournalistin Ruth Baettig von filmexplorer.ch und mit dem freien Berliner Filmjournalist Peter Claus.
Chris Ware nimmt sich Zeit für seine Comics. Rund zehn Jahre dauert es, bis ein neuer erscheint. Dafür sprengen sie dann jeweils jeden Rahmen. Im Kultur-Talk erzählt der US-amerikanische Autor, wie seine Comics entstehen und warum Tolstoi sein Lieblingsschriftsteller ist. Im Jahr 2000 erschien Chris Wares Buch «Jimmy Corrigan», die Geschichte über den klügsten Jungen der Welt. Damit gelang ihm der Durchbruch. Seither gehört Chris Ware zu den einflussreichsten Comcizeichnern und sprengt mit jeder Publikation die Genregrenzen neu. Warum er als Kind Charlie Brown eine Valentinskarte schrieb, was er von seiner Grossmutter gelernt hat und warum die Erinnerung für ihn als Erzähler zentral ist, das alles erläutert Chris Ware im Gespräch. Hinweis: «Chris Ware. Paper Life» Ausstellung im Cartoon Museum Basel (bis 29.10.)
Am Neuchâtel International Fantastic Film Festival NIFFF stellt der Schweizer Filmemacher Simon Jaquemet («Chrieg», «Der Unschuldige») sein Konzept für ein neuartiges, dezentrales und partizipatives Filmstudio vor. Das Ziel wäre ein transparenterer Zugang zur Filmindustrie für alle. Simon Jaquemet hat mit seinem explosiven Erstling «Chrieg» 2015 frischen Wind in die Schweizer Filmszene gebracht. Nun stellt er am NIFFF ein Produktions-Konzept vor, das von den Erfahrungen der Covid-Jahre geprägt scheint. electric.film, ein dezentrales, partizipatives Filmstudio, das Web-3.0-Technologien nutzen soll, um innovative Ansätze für Entwicklung, Finanzierung, Vertrieb und Publikumsbindung zu schaffen, und damit einen neuartigen, transparenteren Zugang zur Filmindustrie. Wer soll da was produzieren? Und für wen?
Wie geht's der Klassischen Musik? Erreicht sie das Publikum? Welches Publikum? Und wie reagieren die Veranstalter auf ein verändertes Nutzerverhalten? Darüber sprechen in diesem Kultur-Talk Ilona Schmiel, Intendantin der Zürcher Tonhalle, und Hiromi Gut, Leiterin von Guerillaclassics. Was haben Veranstalter aus Corona gelernt? Zwar sind die Hörer:innen nach der Pandemie weitgehend wieder in die Konzerte zurückgekehrt, doch der vorübergehende Schwund hat auch deutlich gemacht, dass das Publikum nachhaltig umworben werden will und neue Schichten erschlossen werden müssen, um einem langsamen Ausbluten zu entgehen. Dabei scheinen massgeschneiderte individuelle Konzertangebote das Gebot der Stunde, gleichzeitig gibt es einen klaren Trend zu mehr Kurzfristigkeit, denn spontane Konzertbesuche werden attraktiver.
Historiker Georg Kreis hat zusammengetragen, wie vielfältig Schweizerinnen und Schweizer am Kolonialismus beteiligt waren. Im Kultur-Talk spricht er über die koloniale Vergangenheit und ihre Konsequenzen auf die Gegenwart. Kaufleute, Missionarinnen, Söldner oder Auswandererinnen. Schweizerinnen und Schweizer waren auf vielfältige Weise eingebunden ins koloniale System. Das zeigt der Historiker Georg Kreis in seinem neusten Buch. So gab es etwa den Plan, in Amerika Land zu kaufen für einen 23. Kanton, um die Armut in der Schweiz zu lindern. Waren Schweizerinnen und Schweizer also Trittbrettfahrer des Kolonialismus? Welche Rolle spielte der Staat? Und was heisst das für heutige Diskussionen um Rassismus und im Umgang mit der Vergangenheit? Darüber reden wir mit dem Historiker Georg Kreis. Literaturhinweis: Georg Kreis. Blicke auf die koloniale Schweiz. Ein Forschungsbericht. Chronos Verlag, 2023.
Stete Weiterbildung im Beruf und im Privaten sind heute selbstverständlich. Dennoch kriselt es seit einiger Zeit in der Erwachsenenbildungs-Branche. Wie gehen Anbieter damit um? Veranstaltungen, die früher echte Publikumsmagneten waren, werden kaum noch gebucht. Vor allem bei den Sprachkursen hat sich einiges verändert. Und bei Kursangeboten, die eine Teilnahme über mehrere Wochen oder Monate erfordern. Modernes Lernen ist kurzfristiger, flexibler. Was bedeutet dieses veränderte Publikumsverhalten? Und wie reagieren Veranstalter darauf? Darüber hat Alice Henkes mit Katrin Kraus gesprochen, sie hat den Lehrstuhl für Berufs- und Weiterbildung an der Universität Zürich inne, und mit Pius Knüsel, dem Präsidenten des Verbandes der Schweizer Volkshochschulen.
Die Autorin Julia Schoch hat zwei Geschichten in Einfacher Sprache verfasst. Sie ist begeistert von der Idee, «Literatur für alle» zu machen. Im Gespräch erklärt sie, auf welche Probleme sie beim Schreiben in Einfacher Sprache gestossen ist – und wie dieses Experiment in ihren neuen Roman mündete. Rund 800.000 Menschen in der Schweiz zwischen 16 und 65 Jahren sind von einer Leseschwäche betroffen, «Illetrismus» genannt. Damit auch diese Menschen in den Genuss von Literatur kommen können, gibt es zwei Sammelbände in Einfacher Sprache. Ihr Titel: «Lies!». Die deutsche Bestseller-Autorin Julia Schoch hat zwei Kurzgeschichten zu «Lies!» beigesteuert. Dieses Projekt samt den Begegnungen mit von Illetrismus betroffenen Menschen haben sie und ihr Schreiben geprägt. Aus dem Experiment, kurze Texte in Einfacher Sprache zu verfassen, ist schliesslich sogar ihr aktueller Roman entstanden, «Das Liebespaar des Jahrhunderts». Besprochene Bücher: * Hauke Hückstädt (Hrsg.): «Lies! Das Buch. Literatur in Einfacher Sprache». 288 Seiten, Piper 2020. * Hauke Hückstädt (Hrsg.): «Lies! Das zweite Buch. Literatur in Einfacher Sprache». 256 Seiten, Piper 2023. * Julia Schoch: «Das Liebespaar des Jahrhunderts». 191 Seiten, dtv 2023.
Das medial sichtbarste und grösste Filmfestival der westlichen Welt läuft mit seiner 76. Ausgabe zu fast schon klassischer Form auf. Und doch ist einiges anders: mehr Frauen im Wettbewerb. Und mehr kritische Stimmen im Vorfeld. Eine kleine Auslegeordnung aus Cannes. Das Filmfestival von Cannes präsentiert dieses Jahr mit Namen wie Wim Wenders (77) oder Ken Loach (86) wieder ein paar seiner ältesten Eigenmarken. Gleichzeitig sind sieben von 21 Filmen im Wettbewerb von Frauen – ein Rekord für dieses Festival, dem sein (zu) kleiner Frauenanteil seit Jahren um die Ohren gehauen wird. Ist das ein Zeichen für Veränderung in der Filmindustrie, wie Festivaldirektor Thierry Frémaux meint? Mit seinen deutschen Kolleginnen Anke Leweke und Katja Nicodemus schaut Filmredaktor Michael Sennhauser ein paar der Filme und die aktuellen Zeichen der Zeit in Cannes genauer an.
In ihrem ersten Roman erzählt die 25-jährige Schweizer Autorin Mina Hava in Bruchstücken von einer jungen Frau, ihrer Familie, den bosnischen Wurzeln und dem Wunsch nach einem Platz in der Welt. In einer Achterbahn der Eindrücke und Gefühle sucht sie dabei im Grossen und Kleinen nach Zusammenhängen. Mina Hava studierte am Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig und danach Globalgeschichte und Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich. Sie ist gleichermassen Künstlerin und Forscherin und legte ihren Roman als riesigen Zettelkasten an. Weltpolitik, Wirtschaftsgeschichte, längst vergessene oder überlagerte Konflikte mischen sich darin mit privaten Erzählungen und ergeben faszinierende Muster. Im Gespräch live von den Solothurner Literaturtagen erzählt Mina Hava von der Entstehung und den Hintergründen ihres ersten Romans. Buchhinweis: Mina Hava. Für Seka. 277 Seiten. Suhrkamp Verlag.
Der Schriftsteller Hansjörg Schneider ist bekannt als Autor der Hunkeler-Krimis und einiger erfolgreicher Theaterstücke wie «Sennetuntschi». In seinem neusten Buch «Spatzen am Brunnen» macht sich der 85-Jährige auf Wanderungen durch Basel und erinnert sich unterwegs an sein Leben und sein Schaffen. Die Kreise sind kleiner geworden, in denen sich der Schriftsteller mittlerweile bewegt. Nach zwei Spitalaufenthalten zwischen Herbst 2020 und Herbst 2021 beschränken sie sich noch auf eine lange Strasse durchs Basler St. Johann-Quartier und auf die beiden angrenzenden Plätzen. Umso erstaunlicher ist es, wie viele Geschichten, Erkenntnisse, Erfahrungen und Begegnungen Hansjörg Schneider aus diesem kleinen Revier für sein Buch generieren kann. Im Kultur-Talk mit Michael Luisier geht Hansjörg Schneider seinen Lebensstationen nach und erzählt von einem reichen Künstlerleben voller Aufs und Abs.
Alleinsein ist in der Gesellschaft meist negativ konnotiert. Wer allein sei, sei per se unglücklich. Doch stimmt das? Diese Vorstellung trüge, sagt die Kulturwissenschaftlerin und Autorin Sarah Diehl. Sie ermutigt zu einem aufgeschlosseneren Umgang mit dem Alleinsein. Ist jemand, der viel Zeit allein verbringt, unglücklicher als andere? Machen etliche soziale Verpflichtungen, Erfolg im Job, eine möglichst langjährige Partnerschaft und Familie glücklich? Die Kulturwissenschaftlerin und Autorin Sarah Diehl hat dazu in ihrem Sachbuch «Die Freiheit, allein zu sein. Eine Ermutigung» (Arche Verlag) eine dezidierte Meinung. Warum sie im Alleinsein einen Grundstein für ein verantwortungsvolles Miteinander und eine wichtige Triebfeder der Reflexion sieht, erklärt sie Noëmi Gradwohl im Kultur-Talk.
Am 6. Mai wird König Charles III in der Westminster Abbey gesalbt und gekrönt. Das Ritual ist rund 900 Jahre alt. Es spiegelt das Selbstverständnis des Königshauses, das sich explizit auf die biblischen Könige bezieht. Im Kultur-Talk: die Anglistin und christkatholische Theologin Susanne Cappus. Manches wirkt archaisch beim Krönungsgottesdienst der britischen Monarchen. Sie sind die einzigen, die noch gesalbt werden, mit Öl vom Jerusalemer Ölberg. Schwerter, Zepter, goldene Sporen und Reichsapfel kommen zum Einsatz. Den Ritus vollzieht der Erzbischof von Canterbury, das geistliche Oberhaupt der anglikanischen Kirche. Der König gelobt, diese Kirche zu beschützen. – Die Theologin und Anglistin Susanne Cappus ist keine Royalistin. Angesichts der miserablen Lebensverhältnisse der Britinnen und Briten sei Kritik am Pomp angebracht. Zudem funkelt in den Kronjuwelen Kolonialgeschichte durch.
Es ist überall und doch nirgends – das Geld. Kaum ein Tabuthema ist in unserer Gesellschaft so omnipräsent. Was machen wir mit Geld und was macht Geld mit uns? Die Autorin Mareice Kaiser erzählt ihre eigene Geldgeschichte und trifft Menschen, mit denen sie über Geld spricht. «Wie viel Geld ist genug?» – Das ist eine der Fragen, die die deutsche Journalistin Mareice Kaiser verschiedenen Menschen gestellt hat: vom 85 Jahre alten Pfandflaschensammler bis zum neureichen Selfmade Millionär. Die Portraits dieser Menschen geben einen tiefen Einblick, wie unterschiedlich unsere Gefühle in Zusammenhang mit Geld aussehen können: Scham, Neid, Angst. Aber auch Sicherheit, Glück und Freiheit. Das Buch «Wie viel – Was wir mit Geld machen und was Geld mit uns macht» regt dazu an, über die eigene Geldgeschichte nachzudenken und darüber, wie Geld gerechter verteilt werden könnte.