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Die Schriftstellerinnen Susanne Gregor und Katharina Hagena widmen sich beide in ihren neuen Büchern der Altenpflege. Sie setzen sich mit den Generationen auseinander, die in der Betreuung zu Hause oder im Seniorenheim aufeinanderprallen. Packend, klug, einfühlsam. Klara ist tot. Beim Wandern abgestürzt. Bei ihr war nur Paulina, eine Slowakin, die Klara nach dem Schlaganfall ihrer Mutter eingestellt hat. Was anfängt wie ein Krimi, ist in Wirklichkeit ein beeindruckender Bericht über die Situation der 24-Stunden-Betreuerin aus Osteuropa, die, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, ihre Familien zurücklassen, um die Familie von Klara am Laufen zu erhalten. «Halbe Leben» von Susanne Gregor ist ein kluger, einfühlsamer und packend geschriebener Roman einer Autorin, von der man hoffentlich noch viel hören wird, sagt Michael Luisier, der das Buch am Literaturstammtisch vorstellt. «Flusslinien» heisst der neue Roman der deutschen Autorin Katharina Hagena. Schauplatz ist Hamburg. Und im Mittelpunkt stehen drei Personen: die 102 Jahre alte Margrit. Ausserdem Margrits Enkelin Luzie, die soeben – und das kurz vor dem Abitur – die Schule geschmissen hat. Sowie Arthur, der im Seniorenheim arbeitet und Margrit jeden Tag zur Elbe begleitet. Ein nachdenklicher Generationenroman, dessen Figuren man schnell ins Herz schliesst, sagt Katja Schönherr, die das Buch empfiehlt. Buchhinweise: Susanne Gregor. Halbe Leben. 192 Seiten. Zsolnay, 2025. Katharina Hagena. Flusslinien. 390 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2025.
Wenn sich vermeintliche Gewissheiten als falsch erweisen, kann das Leben ins Wanken geraten. Davon erzählen die Bücher «Halbinsel» von Kristine Bilkau und «Die Rückseite des Lebens» von Yasmina Reza. In «Die andere Schweizer Literatur» erinnert Charles Linsmayer an vergessene Literaturschaffende. Eine Mutter und eine Tochter suchen Antworten auf die grossen Fragen des Lebens: «Halbinsel» der Deutschen Kristine Bilkau bekam eben den hochdotierten Preis der Leipziger Buchmesse. Das Buch spielt am nordfriesischen Wattenmeer. Dort nimmt die Mutter die Tochter nach deren Zusammenbruch auf. Immer intensiver kommen die beiden ins Gespräch über ihre Hoffnungen, Träume, Verletzungen und Ängste. Das Buch sei «behutsam erzählt» und gehe «unter die Haut», urteilt Franziska Hirsbrunner. Seit 15 Jahren besucht die französische Stardramatikerin Yasmina Reza Strafprozesse und schreibt darüber kurze Texte. Ein Teil dieser Texte ist nun im Erzählband «Die Rückseite des Lebens» erschienen. Ohne zu werten, aber mit scharfem Blick für die Lebensrealitäten von Opfern und Tätern, erzählt Yasmina Reza von Kippmomenten der Existenz – «schonungslos und auf den Punkt», sagt Michael Luisier. Der Schweizer Literaturwissenschafter Charles Linsmayer profiliert sich seit Jahrzehnten mit Neuausgaben vergessener literarischer Werke. In seinem aktuellen Sammelband «Die andere Schweizer Literatur» präsentiert Linsmayer Ausschnitte aus Werken von kaum noch bekannten Autorinnen und Autoren wie Jakob Bosshart, Felice Filippini oder Regina Ullmann. «Ein Buch wie eine Schatztruhe», findet Felix Münger. Buchhinweise: Kristine Bilkau. Halbinsel. 220 Seiten. Luchterhand, 2025. Charles Linsmayer. Die andere Schweizer Literatur. Ein Lesebuch. 648 Seiten. Th. Gut, 2025. Yasmina Reza. Die Rückseite des Lebens. 195 Seiten. Aus dem Französischen von Claudia Hamm. Hanser, 2025.
Mit dem Motto «Syg wie de wottsch» stellt das «Fasnachts-Comité» das Selbstbestimmungsrecht des Menschen in einen fasnächtlichen Kontext. Ob und wie die Schnitzelbänggler und Zeedeldichterinnen dieses Thema aufgreifen, wird sich an den «Drey scheenschte Dääg» und drumherum herausstellen. Wer diese Sendung am Radio hören will: Montag, 17.03.2025, 20.03 Uhr, Radio SRF 1 Die individuelle Freiheit ist seit jeher ein Markenzeichen der Basler Fasnacht. Und aller anderen Traditionsfasnachten auch. Aber durch die Betonung der Satire, des Widerspruchs und des Andersseins, wie sie in Basel nicht nur durch «Schnitzelbängg» und andere charakteristische Eigenheiten gepflegt werden, sondern auch von jedem einzelnen Fasnächtler und jeder einzelnen Fasnächtlerin, bekommt sie hier doch eine besondere Bedeutung. Wie die Baslerinnen und Basler in diesem Jahr ihre Freiheit nutzen, welche Pointen sie finden und welche Themen sie sonst noch behandeln, zeigt der traditionelle Querschnitt, den Michael Luisier für SRF präsentiert. ____________________ Mit: Michael Luisier und vielen Beteiligten der Basler Fasnacht 2025 ____________________ Redaktion: Michael Luisier ____________________ Produktion: SRF 2025 ____________________ Dauer: ca. 50'
Mit dem Motto «Syg wie de wottsch» stellt das «Fasnachts-Comité» das Selbstbestimmungsrecht des Menschen in einen fasnächtlichen Kontext. Ob und wie die Schnitzelbänggler und Zeedeldichterinnen dieses Thema aufgreifen, wird sich an den «Drey scheenschte Dääg» und drumherum herausstellen. Auf Mundart Wer diese Sendung am Radio hören will: Montag, 17.03.2025, 14.00 Uhr, Radio SRF 1 Die individuelle Freiheit ist seit jeher ein Markenzeichen der Basler Fasnacht. Und aller anderen Traditionsfasnachten auch. Aber durch die Betonung der Satire, des Widerspruchs und des Andersseins, wie sie in Basel nicht nur durch «Schnitzelbängg» und andere charakteristische Eigenheiten gepflegt werden, sondern auch von jedem einzelnen Fasnächtler und jeder einzelnen Fasnächtlerin, bekommt sie hier doch eine besondere Bedeutung. Wie die Baslerinnen und Basler in diesem Jahr ihre Freiheit nutzen, welche Pointen sie finden und welche Themen sie sonst noch behandeln, zeigt der traditionelle Querschnitt, den Michael Luisier für SRF präsentiert. ____________________ Mit: Michael Luisier und vielen Beteiligten der Basler Fasnacht 2025 ____________________ Redaktion: Michael Luisier - Produktion: SRF 2025 - Dauer: ca. 50'
Aktuelle Bücher aus Österreich sind Thema am Literaturstammtisch im BuchZeichen auf SRF1: «Erste Töchter», der dritte Roman über Ljuba Arnautovićs eigene Familie, und «In einem Zug», der neue Roman des Erfolgsautors Daniel Glattauer. Die Geschichte der eigenen Familie bietet der österreichischen Autorin Ljuba Arnautović auch im aktuellen Roman «Erste Töchter» einen äusserst packenden Stoff. In ihren beiden älteren Büchern hat die Autorin erzählt, wie ihre Vorfahren unter dem Stalinismus und Nationalsozialismus litten. Im aktuellen Buch macht sie ihre Generation zum Thema und wie sich die Traumata ihrer Eltern auf sie auswirkten. Felix Münger stellt den Roman am Stammtisch vor. In «In einem Zug», dem neuen Roman von Daniel Glattauer, den Valentin Schneider mit in die Sendung bringt, geht es um einen Autor von Liebesromanen, der sich gerade in einer Schaffenskrise befindet. Im Zug von Wien nach München, wo ihm ein unangenehmes Treffen mit Verlagsvertretern bevorsteht, lässt er sich von einer Frau in ein Gespräch verwickeln. Die Frau ist Physio- und Psychotherapeutin und beginnt dem alternden Autor private und unangenehme Fragen über die Liebe, seine Liebesromane und Sex zu stellen. Der Buchtipp der Woche hat ebenfalls Österreichbezug. Michael Luisier empfiehlt «Piksi-Buch» der in Wien lebenden serbischen Autorin Barbi Marković. Darin geht es um das gewaltbereite Umfeld ihrer Kindheit in Belgrad kurz vor dem Jugoslawienkrieg. Anhand des Fussballs erzählt die Autorin die Geschichte von sich als Mädchen, das mit dem Vater ins Stadion geht und dort die Gewaltbereitschaft wahrnimmt, aber auch die Geschichte eines der letzten Spiele der Jugoslawischen Nationalmannschaft erzählt, das – wäre es nicht verloren gegangen – vielleicht doch noch zum Kitt der auseinanderbrechenden Nation geworden wäre. Buchhinweise: · Ljuba Arnautovic. Erste Töchter. 157 Seiten. Zsolnay, 2024. · Daniel Glattauer. In einem Zug. 208 Seiten. DuMont, 2025. · Barbi Marković. Piksi-Buch. 107 Seiten. Verlag Voland & Quist, 2024.
Auch wenn sie sich selbst als Mensch aus einem anderen Jahrtausend bezeichnet, Sophie Rois ist eine der grossen Figuren des deutschen Gegenwartstheaters. Vor allem aber steht die mehrfach ausgezeichnete Schauspielerin für die Ära Castorf an der Berliner «Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz». Sophie Rois' Bedeutung für die Volksbühne zeigt sich schon daran, dass sie die Möglichkeit bekommen hat, die Aufnahme für «Musik für einen Gast» in der derzeit verwaisten Intendanz stattfinden zu lassen, einem akustisch einwandfreien Ort mit Holztäfer im realsozialistischen Stil der 50er Jahre. Seit 1993 gehört die Oberösterreicherin zum Ensemble dieses Hauses, unterbrochen nur von einem kurzen Abstecher ans Deutsche Theater zwischen 2018 und 2022. Sie steht damit wie nur wenig andere für den einzigartigen Theateraufbruch der Nachwendezeit an der Volksbühne unter dem Intendanten Frank Castorf. Aber auch die beiden mittlerweile verstorbenen Theatermacher Christoph Schlingensief und René Pollesch gehören zu den «schicksalhaften Begegnungen» ihres intensiven Künstlerinnenlebens. Von ihrer Herkunft in Oberösterreich und ihrer Ausbildung in Wien, von ihrer Leidenschaft fürs Theater und ihren Begegnungen in Berlin, vor allem aber auch von ihrer Musik, die - meist britischen Ursprungs - gerne auch zum «Universum The Kinks» gehört, erzählt die Schauspielerin im Gespräch mit Michael Luisier. Die Musiktitel: 1. The Kinks - Picture Book 2. The Everly Brothers - Problems Problems 3. The Kingsmen – Louie Louie 4. Jeff Lynne – At Last 5. Nick Lowe - Lately I‘v Let Things Slide
Die Stammtischrunde bespricht «Carlas Scherben» von Frédéric Zwicker und «Wackelkontakt» von Wolf Haas. Zwicker erzählt unter anderem von drei Frauengenerationen im 20. Jahrhundert, Haas von zwei Männern, deren Geschichten auf überraschende Art miteinander verknüpft sind. Im dritten Roman «Carlas Scherben» des Schweizer Autors Frédéric Zwicker steht eine junge Keramikkünstlerin im Zentrum, die nach Inspiration sucht für eine neue Ausstellung. Doch das Buch ist mehr als ein Künstlerinnenroman – es ist auch ein Beziehungsroman, wirft sozialpolitische Fragen auf und bringt dunkle historische Kapitel aufs Tapet. Die «einzelnen Geschichten» seien «packend und oft voller Schalk erzählt», findet Felix Münger. Allerdings fehle es dem Roman leider an der nötigen Fokussierung, sodass am «am Ende nicht recht klar» sei, «welche Geschichte Zwicker nun tatsächlich erzählen will». Der neue Roman des österreichischen Erfolgsautors Wolf Haas überzeugt einmal mehr durch seine Machart, geht es doch um einen Mann namens Franz Escher, der auf den Elektriker wartet und dabei ein Buch über einen Mafia-Kronzeugen liest. Dieser wiederum sitzt im Gefängnis und wartet auf seine Entlassung, wobei er ein Buch über einen gewissen Franz Escher liest, der auf den Elektriker wartet. Auf brillante Weise verbindet Wolf Haas zwei Geschichten, indem er immer die eine aus der anderen entstehen lässt. Ein typsicher Wolf Haas, findet Michael Luisier, der das Buch am Literaturstammtisch vorstellt. Im Bilderbuch «Earhart – Der abenteuerliche Flug einer Wühlmaus um die Welt» erzählt der deutsche Autor und Illustrator Torben Kuhlmann die Geschichte der US-amerikanischen Flugpionierin Amelia Earhart. Es ist das fünfte Buch einer Serie, in der Kuhlmann eine Maus eine Pionierleistung erbringen lässt. Besonders die grossartigen Illustrationen und filigranen Zeichnungen, inspiriert von Fotos aus den 1920-er Jahren, begeistern Britta Spichiger, die dieses Bilderbuch heute vorstellt. Buchhinweise · Frédéric Zwicker. Carlas Scherben. 192 Seiten. Zytglogge, 2024. · Wolf Haas. Wackelkontakt. 238 Seiten. Hanser Verlag, 2025. · Torben Kuhlmann. Earhart – Der abenteuerliche Flug einer Wühlmaus um die Welt. 128 Seiten. NordSüd Verlag, 2024.
Traditionen, Bräuche oder Aberglaube beschäftigen uns täglich. Sie prägen aber auch unsere Sprache und helfen, dass wir alte Begriffe behalten. Warum drücken wir jemandem die Daumen? Woher kommt der Altjahrswochen-Jass Ramsen? Was steckt hinter dem «Chrääaane»-Fest? Warum lüpft man einen Schniider in den Himmel? Und was ist das Kinderspiel «Plantschuepis»? Christian Schmutz ist bei Mike La Marr im Studio und erklärt Fragen der Hörerinnen und Hörer rund um diese volkskundlichen und sehr populären Themen. Hecht und Zeidler Im zweiten Teil gibt es Tipps aus der Mundartwelt: Musikredaktor Gerni Jörgler bespricht Lieder, die Vater und Mutter ehren, anhand vom neuen Hecht-Song «Min Name». Michael Luisier bespricht Edgar Zeidlers «S wànkendi Schiff» im Elsässer Dialekt. Nicht zu vergessen: Die Erklärung des Familiennamens Gnos.
In «Unmöglicher Abschied» erzählt die Südkoreanerin Han Kang von einer Frauenfreundschaft und rollt dabei ein verdrängtes Kapitel Geschichte auf. Auf andere Weise eindrucksvoll ist die Lebensgeschichte der im Tessin geborenen Alfonsina Storni, die in Argentinien zur berühmten Schriftstellerin wurde. Die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang hat am 10. Dezember den Nobelpreis für Literatur erhalten. Sie ist bei uns vor allem für ihren Roman «Die Vegetarierin» bekannt. Ihre bisherigen Werke sind oft surreal und poetisch und thematisieren häufig Gewalt und die dunkle Vergangenheit Koreas. Jetzt ist ihr neuestes Werk in deutscher Übersetzung erschienen. Der Roman mit dem Titel «Unmöglicher Abschied» sei «in vielem ein typischer Han Kang», sagt Jennifer Khakshouri. Das Buch beleuchtet erneut ein düsteres Kapitel der koreanischen Geschichte, verbunden mit der Geschichte einer Freundschaft. Alfonsina Storni (1892-1932) stammte aus dem Tessin. Mit vier Jahren kam sie nach Argentinien und zog mit 19 Jahren nach Buenos Aires. Dort schlug sie sich als Journalistin, Lehrerin, Theaterfrau und Lyrikerin durch. Die Schweizer Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Hildegard Keller hat Alfonsina Stornis Leben und Werk recherchiert und übersetzt und schliesst nun mit einer zweibändigen Biografie ihr mittlerweile sieben Bände umfassendes Alfonsina-Storni-Projekt ab. Die Biografie sei «ein bedeutendes Werk über eine Humanistin und Feministin», findet Michael Luisier, das insbesondere «zu unterscheiden weiss zwischen Mythos und tatsächlicher Alfonsina Storni». Buchhinweise: · Han Kang. Unmöglicher Abschied. Aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee. 315 Seiten. Aufbau, 2024. · Hildegard E. Keller. Wach. Vom Leben und Weiterleben der Alfonsina Storni, Band 1. 285 Seiten. Edition Maulhelden, 2024. · Hildegard E. Keller. Frei. Vom Leben und Weiterleben der Alfonsina Storni, Band 2. 333 Seiten. Edition Maulhelden, 2024.
Mit «Weiter nach Osten» von Maylis de Kerangal und «Haus des flüssigen Goldes» von Clemens Berger bespricht der Literaturstammtisch im BuchZeichen zwei aktuelle Bücher, die unterschiedlicher nicht sein können. Die aber beide mehr als aktuell sind. Die ganze Bandbreite eben. Ein junger russischer Rekrut will nicht in die mörderische Ausbildung zum Krieg eintreten und versucht zu desertieren. Dabei erhält er unverhofft Hilfe einer französischen Touristin, die dem jungen Mann beisteht, weil es Menschenpflicht ist. Mit «Weiter nach Osten» ist der Französin Maylis de Kerangal ein eindringliches Werk über die Ohnmacht des Ausgeliefert-Seins geglückt, das durch die hyperrealistischen Schilderungen eine ganz eigene Poesie entwickelt, findet Felix Münger, der das Buch, das nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt, mit an den Literaturstammtisch bringt. Alles hat seinen Preis. In einer Welt, in der Babymilchpulver knapp geworden ist, wird auch Muttermilch zur teuren Ware. Daraus schlägt die Unternehmerin Clarissa Kapital: In ihrem «Haus des flüssigen Goldes» pumpen Frauen ihre überschüssige Milch ab und werden am Verkauf beteiligt. Auch Maya gehört zu den «goldenen» Frauen. Als sie eines Tages aus Mitleid einen hungernden Säugling kostenlos stillt, wird sie auf Social-Media gefeiert und von Shitstorms überrollt. Clemens Bergers irrwitzige Romansatire rückt das Thema Mutterschaft und Care-Arbeit in ein Licht, in dem es Tim Felchlin bis jetzt noch nicht gesehen hat. Der Buchtipp kommt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt «Ich beginne wieder von vorn», den dritten und letzten Teil der Tagebuchtrilogie des Schauspielers und Sängers Manfred Krug. Buchhinweise: · Maylis de Kerangal. Weiter nach Osten. Aus dem Französischen von Andrea Spingler. 91 Seiten. Suhrkamp, 2024. · Clemens Berger. Haus des flüssigen Goldes. 216 Seiten. Residenz, 2024. · Manfred Krug. Ich beginne wieder von vorn. Tagebücher 2000-2001. Herausgegeben von Krista Maria Schädlich. 266 Seiten. Kanon Verlag, 2024.
Einmal nachdenklich, zweimal skurril, dreimal aktuell. So lassen sich die Bücher von Tine Melzer, Olga Grjasnowa und Raphael Zehnder, die diese Woche am Literaturstammtisch besprochen werden, wohl am besten auf den Punkt bringen. In Tine Melzers Roman «Do Re Mi Fa So» nimmt der Bariton-Sänger Sebastian Saum ein Vollbad und bleibt dann einfach liegen. Nackt verbringt er die Tage in der Badewanne mit Beobachtungen der Badezimmerfliessen und des eigenen Körpers und mit intensivem Nachdenken. Unterbrochen werden seine assoziativen Gedankengänge nur von Franz, seinem Mitbewohner und besten Freund, der ihm exquisite Mahlzeiten an die Badewanne serviert und der sich mehr und mehr Sorgen macht. Ein wunderbar skurriler und humorvoller Roman, der essenzielle Themen wie Freundschaft und Verantwortung verhandelt, meint Valentin Schneider. Welche Bedeutung hat das Judentum für Menschen mit jüdischer Herkunft, auch wenn sie nicht gläubig sind? Um diese Frage kreist der aktuelle Roman «Juli August September» der deutschen Autorin Olga Grjasnowa. Inspiriert von eigenen Erfahrungen als säkulare Jüdin in Deutschland schildert sie eine Frauenfigur, die permanent gefordert ist, sich zu ihrer jüdischen Herkunft zu «verhalten». Für Felix Münger leuchtet der Roman auf einen weniger bekannten Aspekt des Jüdisch-Seins – und ist gerade in Anbetracht des Grauens in Nahost beklemmend aktuell. In eine ganz andere Richtung geht der Buchtipp von Michael Luisier. Er empfiehlt Raphael Zehnders Kriminalroman «Müller und das letzte Gefecht» und blickt angesichts des Erscheinens des letzten Falls des Polizeikommissärs Müller mit Wehmut auf die ganze Serie zurück. Buchhinweise: Tine Melzer. Do Re Mi Fa So. 189 Seiten. Jung und Jung, 2024. Olga Grjasnowa. Juli August September. 214 Seiten. Hanser Berlin, 2024. Raphael Zehnder. Müller und das letzte Gefecht. 272 Seiten. Emons Verlag, 2024.
«Das Institut» von Christian Haller erzählt vom Innenleben einer Institution, die von Machtgerangel geprägt ist. Clemens J. Setz «Das All im eignen Fell» ist eine Hommage an die kurze Poesie im digitalen Raum. Und «Kleine Monster» von Jessica Lind hinterfragt idealisierte Bilder der Kindheit. In «Das Institut» schaut der letztjährige Gewinner des Schweizer Buchpreises Christian Haller auf seine Zeit beim Gottlieb Duttweiler Institut zurück, wo er in den 70er-Jahren als Bereichsleiter «Sozialen Studien» tätig war. Er beschreibt den schnellen Aufstieg eines jungen Mannes innerhalb eines Instituts, das sich dem Guten und Gemeinnützigen verschrieben hat, sich selbst aber immer mehr in Machtkämpfe verstrickt. Michael Luisier, der das Buch am Stammtisch vorstellt, überzeugt daran nicht nur die Aktualität von Hallers Roman, sondern auch «die Genauigkeit der Sprache und das Vermögen des Autors, die Dinge hinter den Dingen zu sehen». Der Österreicher Autor Clemens J. Setz geht in seinem neusten Werk «Das All im eignen Fell» einer ganz anderen Art Literatur nach: der sogenannten Twitterpoesie. Für ihn ist das nichts weniger als ein verkanntes Genre der Literatur – das nur im Internet stattgefunden hat, und nur zu der Zeit, als die Plattform X noch Twitter hiess. Die meisten der Inhalte seien bereits wieder gelöscht. Clemens J. Setz hat in seinem Buch viele eigene und fremde Beispiele zusammenzutragen und geht dem Genre der Twitterpoesie auch analytisch auf den Grund. Für Simon Leuthold ist das Buch «voll frischem Wind» und mache «einen ganz neuen Bereich der Literaturwelt erfahrbar». Wie gut kennen Eltern ihre Kinder? Und wie sehr projizieren Erwachsene vorgefasste Vorstellungen von Kindheit auf den Nachwuchs? Um diese Fragen kreist der aktuelle Roman «Kleine Monster» der jungen Österreicherin Jessica Lind. Das Buch sei «psychologisch raffiniert, sprachlich präzise und aufgrund der spannungsgeladenen Erzählweise ein Pageturner», sagt Felix Münger. Buchhinweise: * Christian Haller. Das Institut. 272 Seiten. Luchterhand, 2024. * Jessica Lind. Kleine Monster. 249 Seiten. Hanser Berlin, 2024. * Clemens J. Setz. Das All im eignen Fell. 192 Seiten. Suhrkamp, 2024.
Ein brutaler Mord bewegt das Campusleben in Berkeley. Ein junger Mann verliert seinen Freund und stürzt sich ins Schreiben. Berkeley Kalifornien, Ende 1990iger Jahre: Zwei junge Studenten, Ken und Hua, lernen sich an der Uni kennen und werden Freunde. Sie sind unterschiedlich, trotzdem verbringen sie viel Zeit miteinander, diskutieren leidenschaftlich über Musik, Filme und Bücher. Diese Freundschaft endet abrupt, als Ken mit Anfang 20 ermordet wird. Hua, zutiefst erschüttert, schreibt jede Erinnerung an Ken auf und denkt in seinem autobiografischen Buch «Stay True» über Trauer, Freundschaft, Wahrhaftigkeit und Herkunft nach. Dadurch wird «Stay True» eine Hommage auf Ken, das Buch ist aber auch eine Reflexion über Identität, Herkunft und die Fragilität des Lebens. Jennifer Khakshouri und Michael Luisier unterhalten sich in «Literaturclub: Zwei mit Buch» über «Stay True. Memoir über Freundschaft», der mit einem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Dieses Buch steht im Zentrum der Folge: * Hua Hsu. Stay True. 232 Seiten. AKI Verlag, 2024. Im Podcast zu hören sind: * Hua Hsu, Autor von «Stay True» Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: literatur@srf.ch . Mehr Literatur und den wöchentlichen Literaturnewsletter gibt es unter srf.ch/literatur .
Mit Ausnahme von Mariann Bühlers Debütroman «Verschiebung im Gestein», das schon im Juli erschienen ist, diskutiert die Runde am Literaturstammtisch die ersten Bücher der Herbstsaison: «Fast wie ein Bruder» von Alain Claude Sulzer und «Reise nach Laredo» von Arno Geiger. Als Literaturvermittlerin ist Mariann Bühler bereits wohlbekannt. Nun legt sie ihren ersten Roman vor. «Verschiebung im Gestein» erzählt von drei Figuren, die alle mit Veränderungen in ihren Leben konfrontiert sind: Todesfälle, Aufbrüche, Enttäuschungen. Was die drei verbindet, ist ein entlegenes Bergtal und die Tatsache, dass sie sich lieber mit Nebensächlichkeiten abgeben, als sich ihren Schwierigkeiten zu stellen. Gleichzeitig ist das Buch eine unkitschige Ode an die Langsamkeit auf dem Land. Ein höchst gelungenes Debüt, das leise Töne anschlägt, es aber in sich hat, findet Simon Leuthold. Dem österreichischen Bestsellerautor Arno Geiger sei mit seinem neuen Roman «Reise nach Laredo» ein Wurf geglückt, findet Felix Münger. Das Buch erzählt die Geschichte eines schwerkranken alternden Königs im 16. Jahrhundert, der sich in ein Kloster zurückgezogen hat, um dort auf den Tod zu warten. Doch dann bricht der lebensüberdrüssige Monarch unverhofft zu einer letzten Reise auf. Sie erweist sich als abenteuerlicher Roadtrip, der den alten König zu sich selbst zurückführt. Der Tipp der Woche kommt von Michael Luisier. Er empfiehlt «Fast wie ein Bruder», den neuen Roman von Alain Claude Sulzer. Buchhinweise: Mariann Bühler. Verschiebung im Gestein. 208 Seiten. Atlantis, 2024. Arno Geiger. Reise nach Laredo. 272 Seiten. Hanser, 2024. Alain Claude Sulzer. Fast wie ein Bruder. 189 Seiten. Galiani Berlin, 2024.
«Das kleine Haus am Sonnenhang» von Alex Capus und «Die hängende Säge» von Alice Schmid - dies die aktuellen Bücher am Literaturstammtisch im BuchZeichen. In seinem neuen Buch «Das kleine Haus am Sonnenhang» erzählt der Oltner Schriftsteller Alex Capus von persönlichen Erinnerungen aus seiner Zeit in Italien: Im Seitental eines Seitentals im Piemont kaufte sich Capus als junger Mann ein altes Haus und schrieb dort seinen ersten Roman. Nun nimmt er seine Leserschaft mit auf einen Nostalgietrip in die letzten Jahre des 20. Jahrhunderts. Er erzählt von alltäglichen Begebenheiten und besonderen Begegnungen. Das Buch, das Britta Spichiger am Literaturstammtisch vorstellt, ist eine Liebeserklärung an das kleine Haus am Sonnenhang, an das Schreiben - und das Leben. Alice Schmid erzählt in ihrem Roman «Die hängende Säge» die Geschichte einer jungen Frau, die nach einem traumatischen Erlebnis im Jugendsportlager kein Wort mehr sprechen kann. Erst mit einem Sprachaufenthalt in Belgien findet sie langsam zu ihrer Sprache zurück. Nach und nach wird absehbar, dass sie sich immer stärker von ihrem Familienumfeld im bäuerlichen Luzerner Hinterland abnabeln wird. Für Simon Leuthold ein einfühlsam geschriebener Coming-of-Age-Roman darüber, was es heisst, seinen eigenen Weg zu gehen. Der Buchtipp kommt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt das Bändchen «Mir fällt gerade ein... Ein Sammelsurium» mit Tagebucheinträgen des Schauspielers und Sängers Manfred Krug. Buchhinweise: * Alex Capus. Das kleine Haus am Sonnenhang. 160 Seiten. Carl Hanser Verlag, 2024. * Alice Schmid. Die hängende Säge. 176 Seiten. Atlantis Verlag, 2024. * Manfred Krug. »Mir fällt gerade ein« Ein Sammelsurium. 108 Seiten. Kanon, 2024. Wiederholung der BuchZeichen-Sendung vom 05.03.2024
Ein Klassiker, ein Familiengeheimnis und ein Geschichtsbuch, das auf einem Fussballspiel basiert. Am Literaturstammtisch geht es um Bücher von Julien Green, Nadine Olonetzky und Ronald Reng. Der französisch-amerikanische Schriftsteller Julien Green (1900-1998) ist ein Jahrhundertautor: Er greift in seinen vielen Werken die sich wandelnden Zeitströmungen auf und schildert sie meisterhaft an Figuren, in deren Psyche er hineinzuschlüpfen scheint. Im neu übersetzten Roman «Treibgut» erzählt Julien Green die Geschichte eines jüngeren und wohlhabenden Bürgers im Paris der 1930er-Jahre, der sich selbst überdrüssig ist und keinen Weg findet, der Sinnentleerung zu entkommen. Der Roman, den Felix Münger am Literaturstammtisch vorstellt, ist ein eindringliches Sinnbild für eine Welt vor dem Abgrund. Die Zürcher Autorin Nadine Olonetzky ist die Tochter eines Holocaust-Überlebenden. Lange Zeit war ihr das aber gar nicht bewusst. Nur ein einziges Mal erzählt ihr der Vater ansatzweise davon, was mit ihm und seiner jüdischen Familie während der Shoah geschehen ist. Als Nadine Olonetzky als längst erwachsene Frau einen Berg von Akten findet, entdeckt sie auch ein Familiengeheimnis, das ihr der Vater verschwiegen hat. Daraus entstanden ist ein Buch ohne Pathos, in dem Literaturredaktor Tim Felchlin auch auf weniger bekannte Kapitel der Kriegs- und Nachkriegszeit gestossen ist. Der Buchtipp der Woche stammt von Michael Luisier. Zum Auftakt der Euro 2024 empfiehlt er ein ganz besonderes Fussballbuch. Ronald Rengs Buch «1974 – Eine deutsche Begegnung», das sich um die legendäre Partie zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland während der WM 1974 in Hamburg dreht, geht es nämlich nicht nur um Fussball. Es geht um die gesamte deutsche Geschichte der frühen 70er-Jahre. Erstaunlich, was sich alles über Fussball erzählen lässt! Buchhinweise: * Julien Green. Treibgut. Aus dem Französischen von Wolfgang Mat. 400 Seiten. Hanser, 2024. * Nadine Olonetzky. Wo geht das Licht hin, wenn der Tag vergangen ist. 448 Seiten. S. Fischer, 2024. * Ronald Reng. 1974 – Eine deutsche Begegnung. 428 Seiten. Piper, 2024.
Vincent van Gogh verdankt seinen Ruhm seiner Schwägerin Jo van Gogh-Bonger. Sie ist eine von zwei Frauen, welche Simone Meier in ihren Roman «Die Entflammten» gepackt hat. Mit dem Roman «Die Entflammten» ist Simone Meier eine Mischung aus Roman und Doku-Fiktion gelungen. In «Literaturclub: Zwei mit Buch» unterhalten sich Jennifer Khakshouri und Michael Luisier mit Simone Meier und fragen sie unter anderem, was sie am historischen Stoff interessiert und wie sie diesen in ihren fiktionalen Text eingewoben hat. Dieses Buch steht im Zentrum der Folge: * Simone Meier. Die Entflammten. Kein & Aber, 2024. Im Podcast zu hören: * Simone Meier, Journalistin und Schriftstellerin Bei Fragen oder Anregungen schreibt uns: literatur@srf.ch Mehr Literatur und den wöchentlichen Literaturnewsletter gibt es unter srf.ch/literatur .
Die Geschichte von Huckleberry Finn aus der Sicht des Sklaven Jim erzählt. «James» von Percival Everett ist genauso Thema am Literaturstammtisch wie «Windstärke 17» von Caroline Wahl und das hochengagierte Werk «Altern» von Elke Heidenreich. Percival Everett erzählt in «James» die weltberühmte Geschichte von Huckleberry Finn neu - aus der Perspektive des Sklaven Jim. Wie bei Mark Twain fliehen Huck und Jim gemeinsam auf dem Mississippi. Für Jim als entlaufener Sklave ist die Flucht aber kein Lausbubenabenteuer, denn jede Begegnung mit Menschen kann ihn an den Galgen bringen. Beklemmend und fesselnd wie ein Thriller liest sich, wie Everett seinen Jim durch absurde Situationen treibt und dabei mit der Sprache irrwitzige Kapriolen schlägt. Lesepflichtstoff! Meint SRF-Literaturredaktor Markus Gasser. Mit ihrem Debütroman «22 Bahnen» ist der deutschen Autorin Caroline Wahl ein Überraschungserfolg gelungen. Nun legt Wahl ihr zweites Buch vor – wieder einen mit einer Zahl im Titel: «Windstärke 17» handelt von der jungen Frau Ida, deren alkoholkranke Mutter gerade gestorben ist. In ihrer Trauer flüchtet sich Ida auf die Ostseeinsel Rügen. Sie findet dort: die Liebe. SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr empfiehlt «Windstärke 17» schon jetzt als «perfekte Lektüre für die Sommerferien». Der Buchtipp kommt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt Elke Heidenreichs neues Buch «Altern». Ein persönliches, ehrliches, lebenskluges und lebensbejahendes Buch zu einem Thema, dass uns alle betrifft. Buchhinweise: * Percival Everett. James. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. 330 Seiten. Hanser, 2024. * Caroline Wahl. Windstärke 17. 256 Seiten. DuMont, 2024. * Elke Heidenreich. Altern. 112 Seiten. Hanser Berlin, 2024.
«Knife» von Salman Rushdie zeigt einen gezeichneten, aber auch kämpferischen Autor. «Zitronen» von Valerie Fritsch handelt von einem Jungen mit dem sogenannten «Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom». Und in «Paris-Trilogie» erzählt Colombe Schneck von einem Frauenleben in drei Kurzromanen. Gross war die Spannung vor der Veröffentlichung des ersten Buches des britisch-indischen Schriftstellers Salman Rushdie nach der Messerakttacke vom 12. August 2022. Und gross war auch der Medienrummel. Aber ganz abgesehen vom Hype rund um den Autor von «Die satanischen Verse» und 22 anderer Bücher ist mit «Knife – Gendanken nach einem Mordversuch» ein berührendes und lebensbejahendes Werk entstanden, das einen zwar verletzten und gezeichneten, aber auch kämpferischen Salman Rushdie zeigt. Und einen Mann, der erst jetzt die grosse Bedeutung der Liebe für sein Leben erkannt hat, wie Michael Luisier meint. «Zitronen», der zweite Roman der österreichischen Autorin Valerie Fritsch, handelt von einem Jungen mit dem sogenannten «Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom»: Seine Mutter redet ihm ein, er sei krank und schwach, damit sie einen Grund hat, ihn zu pflegen. Doch als er wieder gesund wird, hält sie ihn weiterhin an, rätselhafte Tabletten zu schlucken, die ihn schwach und Müde machen. Für Simon Leuthold ein überaus bildstarkes, eindringliches Buch über eine Familie, in der sich Zärtlichkeit und Gewalt gegenseitig bedingen. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König den Roman «Paris Trilogie » von der französischen Schriftstellerin Colombe Schneck vor. Es geht um ein Frauenleben erzählt in drei Romanen. Die Französin verwebt dabei Persönliches mit Erfundenem ganz in der Tradition von Annie Ernaux, die auch Mutter der Autofiktion genannt wird. Buchhinweise: * Salman Rushdie. Knife. Gedanken nach einem Mordversuch. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. 256 Seiten. Penguin, 2024. * Valerie Fritsch. Zitronen. 186 Seiten. Suhrkamp, 2024. * Colombe Schneck. Paris Trilogie. Ein Frauenleben in drei Romanen. Aus dem Französischen von Claudia Steinitz. 208 Seiten. Rowohlt, 2024.
Gerechnet hätte sie nicht damit. Im Gegenteil. Trotzdem erhält die Schriftstellerin Barbi Markovic für ihr aktuelles Buch «Minihorror» den Preis der Leipziger Buchmesse. Literaturredaktor Michael stellt dieses in zweifacher Hinsicht «ausgezeichnete Buch» vor. Das Neue an Barbi Markovics Buch: Die Schriftstellerin benutzt Elemente aus dem Comic und kleidet sie in ein literarisches Gewand. Mini und Miki sind die beiden Hauptfiguren des Buches und erleben 27 Abenteuer, die alle irgendwie mit Horror zu tun haben. Und auch der Horror ist in zweifacher Hinsicht interessant. Einerseits als der Horror, den die Figur Mini erlebt, andererseits als Horror im Sinne von «klein». Kleine schreckliche Begebenheiten, die für sich genommen haarstäubend und verstörend sind. Die aber alle grossen Spass machen beim Lesen. Das zeigt die aktuelle Folge von «Literaturclub: Zwei mit Buch» mit Michael Luisier und Jennifer Khakshouri. Dieses Buch steht im Zentrum der Folge: * Barbi Markovic. Minihorror. 192 Seiten. Residenz Verlag, 2023. Weiteres im Podcast erwähntes Buch: * Barbi Markovic. Die verschissene Zeit. 304 Seiten. Residenz Verlag, 2021. Im Podcast zu hören sind: * Barbi Markovic, Schriftstellerin * Daniela Strigl, Literaturwissenschaftlerin * Christian Gasser, Comic-Experte, Journalist Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: literatur@srf.ch . Mehr Literatur und den wöchentlichen Literaturnewsletter gibt es unter srf.ch/literatur .
«Das Gras auf unserer Seite» von Stefanie de Velasco, «Klarkommen» von Ilona Hartmann und das soeben mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnete «Minihorror» von Barbi Markovic sind die Bücher am Literaturstammtisch diese Woche im BuchZeichen. Stefanie de Velascos Roman «Das Gras auf unserer Seite» handelt von drei Freundinnen. Keine von ihnen hat je einen Kinderwunsch verspürt. Was sie hingegen alle spüren, ist die Erwartungshaltung der Gesellschaft. Immer wieder müssen sie Stellung dazu beziehen, ob sie nicht endlich einmal Kinder kriegen wollen. Dann wird eine von ihnen schwanger. Ungewollt. Wird sie das Kind behalten? «Das Gras auf unserer Seite» ist ein literarisches – und zugleich sehr unterhaltsames – Beispiel dafür, wie sich Frauen permanent zum Muttersein verhalten müssen. SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr bringt es mit an den Stammtisch. Ein junger Mensch zieht fürs Studium in die Grossstadt und verspricht sich ein aufregendes Leben: die Jugend auskosten, Party machen, Menschen kennenlernen, viel erleben. Kaum etwas davon tritt ein. Die Erzählstimme realisiert, dass das Leben an sich doch eher langweilig ist, auch weil sie sich selbst im Weg steht. Ilona Hartmann beschreibt das Erwachsenwerden der Millennial-Generation von der Schattenseite her. Für Simon Leuthold ein treffsicher geschriebenes Buch über das jugendlich-wehleidige Lebensgefühl, dass man gerade wahnsinnig viel Wichtiges verpasst, nicht darüber hinwegkommt – und ganz sicher nicht selbst schuld daran ist. Der Tipp der Woche stammt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt «Minihorror» von Barbi Markovic. Darin geht es um Mini und Miki, die allerlei Horrorgeschichten erleben. Wie in einem Comicheft werden kurze und zum Teil reichlich abstruse Anekdoten erzählt, die davon handeln, wie zwei nette Menschen (oder vielleicht auch Mäuse, wer weiss,) versuchen, mit den Zumutungen des Alltags klarzukommen. Buchhinweise: * Stefanie de Velasco. Das Gras auf unserer Seite. 250 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2024. * Ilona Hartmann. Klarkommen. 192 Seiten. park x ullstein, 2024. * Barbi Markovic. Minihorror. 186 Seiten. Residenz, 2023.
Was macht ein literarisches Werk aus? Braucht es zwingend Worte? Jennifer Khakshouri und Michael Luisier unterhalten sich über den Bildband «Tinte» von Anna Sommer, ein Buch ganz ohne Worte, dafür aber mit starken Bildern. Die Schweizer Illustratorin und Comiczeichnerin Anna Sommer hat ein poetisches, bildreiches Buch geschaffen. Es handelt von einer Frau, die sich auf die Suche nach Tinte begibt, um sich damit ihre Augen aufzumalen. Auf der Suche nach der Farbe trifft die Protagonistin auf Kreaturen, die sie entweder behindern oder helfen, dem Ziel, Tinte zu finden, näher zu kommen. Die Bilder, die Anna Sommer für ihr Buch mit einem Messer aus buntem, japanischem Papier geschnitten hat, sind reduziert. Die Künstlerin fängt literarische Stoffe ein und schafft emotionale Bilder, die trotz Ernsthaftigkeit auch humorvoll sind. Eine abenteuerliche Geschichte mit überraschender Pointe am Schluss. Ein poetisches Werk, das man nicht vergessen wird. Dieses Buch steht im Zentrum der Folge: * Anna Sommer. Tinte. 64 Seiten. Edition Moderne, 2023. Im Podcast zu hören sind: * Anna Sommer, Illustratorin und Comiczeichnerin, Autorin von «Tinte» * Mark Welzel, früherer Co-Verleger von Arache Coeur, heute für die Publikationen am Museum Rietberg verantwortlich. Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: literatur@srf.ch . Mehr Literatur und den wöchentlichen Literaturnewsletter gibt es unter srf.ch/literatur .
«Das kleine Haus am Sonnenhang» von Alex Capus und «Die hängende Säge» von Alice Schmid - dies die aktuellen Bücher am Literaturstammtisch im BuchZeichen. In seinem neuen Buch «Das kleine Haus am Sonnenhang» erzählt der Oltner Schriftsteller Alex Capus von persönlichen Erinnerungen aus seiner Zeit in Italien: Im Seitental eines Seitentals im Piemont kaufte sich Capus als junger Mann ein altes Haus und schrieb dort seinen ersten Roman. Nun nimmt er seine Leserschaft mit auf einen Nostalgietrip in die letzten Jahre des 20. Jahrhunderts. Er erzählt von alltäglichen Begebenheiten und besonderen Begegnungen. Das Buch, das Britta Spichiger am Literaturstammtisch vorstellt, ist eine Liebeserklärung an das kleine Haus am Sonnenhang, an das Schreiben - und das Leben. Alice Schmid erzählt in ihrem Roman «Die hängende Säge» die Geschichte einer jungen Frau, die nach einem traumatischen Erlebnis im Jugendsportlager kein Wort mehr sprechen kann. Erst mit einem Sprachaufenthalt in Belgien findet sie langsam zu ihrer Sprache zurück. Nach und nach wird absehbar, dass sie sich immer stärker von ihrem Familienumfeld im bäuerlichen Luzerner Hinterland abnabeln wird. Für Simon Leuthold ein einfühlsam geschriebener Coming-of-Age-Roman darüber, was es heisst, seinen eigenen Weg zu gehen. Der Buchtipp kommt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt das Bändchen «Mir fällt gerade ein... Ein Sammelsurium» mit Tagebucheinträgen des Schauspielers und Sängers Manfred Krug. Buchhinweise: * Alex Capus. Das kleine Haus am Sonnenhang. 160 Seiten. Carl Hanser Verlag, 2024. * Alice Schmid. Die hängende Säge. 176 Seiten. Atlantis Verlag, 2024. * Manfred Krug. »Mir fällt gerade ein« Ein Sammelsurium. 108 Seiten. Kanon, 2024.
Michael Luisier und Jennifer Khakshouri besprechen in ihrer ersten gemeinsamen Folge von «Literaturclub: Zwei mit Buch» die Qualitäten von Michael Köhlmeiers brillantem, neuem Roman «Das Philosophenschiff». Dabei befassen sie sich speziell mit seiner, von den Figuren bestimmten, Erzählweise. 1922 lässt die Sowjetregierung den letzten Rest der russischen Intelligenzia per Schiff ins Ausland deportieren. Doch plötzlich steht das Schiff still. Als es weiterfährt, ist ein weiterer Passagier an Bord. Es ist Lenin. Ein 14-jähriges Mädchen freundet sich mit dem schwerkranken einsamen Mann an. Es ist Anouk Perlemann-Jacob, die mit ihren Eltern, beide russische Intellektuelle, auf der Flucht ist. Im Alter von 100 Jahren hat sie eine Karriere als Architektin hinter sich und wird überall verehrt. Zum Schluss ihres Lebens möchte sie diese Geschichte loswerden, über die sie nie gesprochen hat. Die Geschichte ihrer Ausweisung als Mädchen aus der jungen Sowjetunion. Michael, ein Vorarlberger Schriftsteller wird von ihr auserwählt, um ihre Geschichte aufzuschreiben. Warum dieser Michael nicht zwingend Michael Köhlmeier sein muss und warum dieser oft schreibt, was seine Figuren wollen, auch das ist Thema in dieser Folge von «Literaturclub: Zwei mit Buch». Dieses Buch steht im Zentrum der Folge: * Michael Köhlmeier. Das Philosophenschiff. 220 Seiten. Hanser Verlag, 2024. Im Podcast zu hören sind: * Michael Köhlmeier, Buchautor * Konrad Paul Liessmann, emeritierter Professor für Philosophie, Essayist und Kulturpublizist Bei Fragen und Anregungen schreibt uns: literatur@srf.ch Mehr Literatur und den wöchentlichen Literaturnewsletter gibt es unter srf.ch/literatur .
Einmal das schlimme Schicksal Schweizer Söldner in «Die rote Mütze» von Daniel de Roulet, einmal die dystopischen Vorstellungen der amerikanisch-chinesischen Schriftstellerin C Pam Zhang in «Wo Milch und Honig fliessen». Das das Angebot am Literaturstammtisch im BuchZeichen. In seinem aktuellen Buch «Die rote Mütze» schildert der Westschweizer Autor Daniel de Roulet das grässliche Los von Schweizer Söldnern in Frankreich zur Zeit der französischen Revolution. Wegen Meuterei werden sie mit Haft, Folter oder gar Hinrichtung bestraft. Verantwortlich für die Menschenschinderei war ein Vorfahre Daniel de Roulets, der nun den Opfern eine Stimme gibt und so gegen die Bluttaten seines Verwandten anschreibt. Ein überaus packender und erhellender Roman, sagt Felix Münger. Dichter Smog, der die Erde umhüllt, und eine globale Hungersnot. Dieser dystopischen Welt entflieht eine junge Köchin in eine mysteriöse Bergkolonie der italienischen Alpen. Dort gedeiht das ausgestorben Geglaubte noch in Fülle: Frische Erdbeeren, Trüffel, bengalische Tiger. Der Roman, den Lea Dora Illmer an den Literaturstammtisch bringt, ist ein sinnliches Meisterwerk, das fragt: Haben wir ein Anrecht auf Genuss in einer Welt ohne Zukunft? Auch der Buchtipp dreht sich um grosse Themen. Er beinhaltet lyrische Gegenmittel gegen Leiden wie Eifesucht, Einsamkeit oder Lebensüberdrüssigkeit. Gemeint ist «Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke», die Michael Luisier anlässlich des bevorstehenden 125. Geburtstag des grossen deutschen Schriftstellers zur Wiederentdeckung empfiehlt. Buchangaben: * Daniel de Roulet. Die rote Mütze. Aus dem Französischen von Maria Hoffmann-Dartevelle. 168 Seiten. Limmat, 2024. * C Pam Zhang. Wo Milch und Honig fliessen. Aus dem Amerikanischen von Eva Regul. 272 Seiten. S. Fischer, 2024. * Erich Kästner. Doktor Erich Kästners lyrische Hausapotheke. 225 Seiten. Neuausgabe. Artium, 2021.
«Die Stadt und ihre ungewisse Mauern» von Haruki Murakami, «Weiss» von Sylvain Tesson und «Mir geht es gut, wenn nicht heute, dann morgen» von Dirk Stermann – dies die drei aktuellen Bücher am SRF1 Literaturstammtisch. Haruki Murakamis neuer Roman «Die Stadt und ihre ungewisse Mauern» spielt in zwei Welten: in einer geheimnisvoll-magischen sowie in einer realen Kleinstadt. In der magischen Welt ist vieles anders als in der realen. Die Menschen haben keine Schatten, die Uhren keine Zeiger, und immer wieder trifft man auf Einhörner, die sterben, wenn es schneit. Ein namenloser Erzähler folgt seiner Jugendliebe an diesen merkwürdigen Ort, um später wieder in die reale Welt zurückzukommen. Jennifer Khakshouri, die das Buch auch für den Literaturclub gelesen hat, lobt Murakamis Sprache, zieht sonst aber eine durchzogene Bilanz. Der französische Reiseschriftsteller Sylvain Tesson hat für sein Nature Writing schon bedeutende Preise erhalten, u.a. den Prix Renaudot für «Der Schneeleopard». In seinem neuen Reisebericht «Weiss» schildert Sylvain Tesson die Geschichte einer Alpenüberquerung von Menton nach Triest, über Italien, die Schweiz, Österreich und Slowenien. Eine 1.600 Kilometer lange Expedition zwischen Himmel und Erde. Und ein Buch wie eine Meditation, findet Annette König. Der Buchtipp der Woche schliesslich stammt von Michael Luisier. Er empfiehlt den Roman über die österreichisch-amerikanische Psychoanalytikerin Erika Freeman «Mir gehts gut, wenn nicht heute, dann morgen» des Schriftstellers und Fernsehkomikers (Willkommen Österreich) Dirk Stermann. Buchhinweise: * Haruki Murakami. Die Stadt und ihre ungewisse Mauer. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. 640 Seiten. Dumont, 2024. * Sylvain Tesson. Weiss. Aus dem Französischen von Nicola Denis. 256 Seiten. Rowohlt, 2023. * Dirk Stermann. Mir geht es gut, wenn nicht heute, dann morgen. 255 Seiten. Rowohlt, 2023.
Kurz vor Silvester liegen auf dem Literaturstammtisch zwei Bücher, die gute Begleiter sind für die Zeit zwischen den Jahren: eine inspirierende Geschichtensammlung von Autorinnen aus aller Welt und ein amüsanter Roman über «Aufschieberitis». Hundertundeine Geschichte von hundertundeiner Frau. Das bietet der Sammelband «Prosaische Passionen» des Manesse-Verlags, herausgegeben von Sandra Kegel. Darin wird zum ersten Mal die ganze weibliche Seite der klassischen Moderne präsentiert. Neben Stars wie Katherine Mansfield oder Virginia Woolf sind auch viele neu- und wiederzuentdeckende grossartige Autorinnen aus der ganzen Welt vertreten. Ein enorm wichtiges Werk auch für die Literatur selbst, die nun endlich in einer ihrer innovativsten Phasen eine weibliche Seite bekommt, findet Michael Luisier. Er richtet diese Anthologie gerade für den Vorlesetag am 2. Januar 2024 auf SRF2 Kultur ein. 31. Dezember. Lars, ein 49-jähriger Grübler, will bis zum Jahreswechsel noch allerhand schaffen: Steuererklärung, Wohnung putzen, das neue Bett für die Tochter zusammenschrauben, die Regenrinne leeren, den Vater anrufen und, ja, das eigene Lebenswerk schreiben Natürlich ist dieses Unterfangen aussichtslos. Aber Lars lesend dabei zuzuschauen, wie er versucht, in wenigen Stunden doch noch alles hinzukriegen – das ist hochamüsant. Literaturredaktorin Katja Schönherr ist begeistert von Nele Pollatscheks Buch «Kleine Probleme». Unterhaltung mit Tiefgang! Im heutigen Kurztipp stellt Britta Spichiger die Graphic Novel «Sofies Welt» vor. Mit dem gleichnamigen Titel landete der norwegische Autor Jostein Gaarder vor 30 Jahren einen Weltbestseller. Die beiden Illustratoren Vincent Zabus und Nicoby haben die Geschichte nun in die Gegenwart geführt: aus der braven Sofie von einst, die die grossen Philosoph:innen trifft, ist eine kritische geworden, die mit grossen Denker:innen Themen wie Rassismus, Feminismus oder Klimawandel diskutiert. Eine moderne, gelungene, humorvolle und engagierte Version des Originals – empfehlenswert zum Austausch zwischen den Generationen. Buchangaben Sandra Kegel (Hrsg.). Prosaische Passionen. Die weibliche Moderne in 101 Short Storys. 928 Seiten. Manesse 2022. Nele Pollatschek. Kleine Probleme. 208 Seiten. Galiani Berlin 2023. Nicoby und Vincent Zabus, nach einem Roman vo Jostein Gaarder. Sofies Welt. Übersetzt von Ina Kronenberger, Hanser 2023.
Aktuelles zur Vorweihnachtszeit: Der Roman «Taormina» von Yves Ravey, der Thriller «Prophet» von Helen Macdonald und Sin Blaché und die tragikomische Weihnachtsgeschichte «Weihnachten in Prag» von Jaroslaw Rudiš und Jaromír99 diese Woche am BuchZeichen-Literaturstammtisch. Der Franzose Yves Ravey legt mit seinem Roman «Taormina» eine Parabel auf die moderne Welt vor: Das Buch schildert ein Ehepaar in der Krise, das im sizilianischen Ferienort Taormina Ruhe und Erholung sucht. Daraus wird allerdings nichts: Das Paar überfährt in der Dunkelheit ein Migrantenkind und begeht Fahrerflucht. Die beiden werden nun ihrerseits zu Geflüchteten. Für Felix Münger ist das Verhalten des Paars ein Sinnbild für den Umgang Europas mit der globalen Migration und der ihr innenwohnenden menschlichen Tragik. Wie gefährlich ist Nostalgie? Diese Frage stellt der Science-Fiction Thriller «Prophet». Helen Macdonald und Sin Blaché haben ihn gemeinsam während des Corona-Lockdowns geschrieben. Als im ländlichen England kurz nacheinander ein amerikanisches Diner ohne Stromanschluss und eine Leiche auftauchen, werden zwei eigentümliche Geheimagenten herbeigezogen. Ein Page-Turner mit genauso geistreichen wie witzigen Dialogen, findet Lea Dora Illmer. Der Buchtipp der Woche stammt diesmal von Michael Luisier. Er empfiehlt die Weihnachtsgeschichte «Weihnachten in Prag» von Jaroslav Rudiš und Jaromír99, in der ein Kavka mit «V», ein König von Prag und eine Stella aus Milano mit einem Erzähler zusammen von Kneipe zu Kneipe ziehen. Natürlich vor dem Hintergrund eines wunderschönen, romantisch-verschneiten Prag. Buchhinweise: * Yves Revey. Taormina. Aus dem Französischen von Holger Fock und Sabine Müller. 112 Seiten. liebeskind, 2023. * Helen Macdonald und Sin Blaché. Prophet. Aus dem Englischen von Thomas Gunkel. 528 Seiten. Hanser, 2023. * Jaroslav Rudiš. Weihnachten in Prag. 96 Seiten mit Illustrationen von Jaromír99. Luchterhand, 2023.
Der Literaturstar Paul Auster als Autor des Romans «Baumgartner» und der Jahrhundertschriftsteller Joseph Roth als Protagonist in Lea Singers «Die Heilige des Trinkers. Joseph Roths vergessene Liebe» sind nur zwei der grossen Namen, die im aktuellen BuchZeichen eine Rolle spielen. Er war einer der ganz grossen deutschsprachigen Schriftsteller seiner Zeit, geboren in einer jüdischen Kleinstadt am Rand des Habsburgerreichs. Sie entstammte einer gutbürgerlichen Hamburger Familie, hatte afrokubanische Wurzeln und brachte sich und ihre Kinder als alleinerziehende Mutter mit Grafik- und Redaktionsarbeiten über die Runden. Joseph Roth und Andrea Manga Bell waren von 1929-1936 ein Paar. Nach der Machtergreifung der Nazis waren sie beide akut gefährdet. Die deutsche Schriftstellerin Lea Singer erzählt im Roman «Die Heilige des Trinkers. Joseph Roths vergessene Liebe» ihre Liebesgeschichte so, dass sich ganz viele Bezüge zur Gegenwart ergeben. «Baumgartner», so heisst der neue Roman des Literatur-Stars Paul Auster. Und so heisst zugleich die Hauptfigur des Buchs. Seymour Baumgartner ist alternder Philosophie-Professor. Vor einigen Jahren hat er seine Frau verloren. Seither trauert er um sie. Nach einem Morgen voller Pannen beginnt er, sein Leben Revue passieren zu lassen. Über dem Roman schwebt die Frage: Was bleibt von einem, wenn man gestorben ist? Literaturredaktorin Katja Schönherr ist froh, dass es Paul Auster trotz seiner Krebserkrankung gelungen ist, dieses Buch fertigzustellen. Auch im Buchtipp geht es um einen grossen Namen: Anlässlich des Erscheinens des «neuen» Beatles-Songs «Now and Then» empfiehlt Michael Luisier die bisher letzte bedeutende Beatles-Biografie: «One Two Three Four» von Craig Brown. Buchhinweise * Lea Singer. Die Heilige des Trinkers. Joseph Roths vergessene Liebe. 304 Seiten. Kampa Verlag, 2023. * Paul Auster. Baumgartner. Aus dem Englischen von Werner Schmitz. 208 Seiten. Rowohlt, 2023. * Craig Brown. One. Two. Three. Four. Die fabelhaften Jahre der Beatles. Aus dem Englischen von Conny Lösch. 670 Seiten mit 55 Abbildungen. C.H. Beck, 2022.
Mit Gianna Molinaris «Hinter der Hecke die Welt» und Theres Roth-Hunkelers «Damenprogramm» sind zwei aktuelle Romane aus der Schweiz Thema am BuchZeichen-Literaturstammtisch. Dabei geht es um zwei unterschiedliche, doch gleichermassen existenzielle Themen. Die Arktis, in der das Eis schmilzt, und ein abgelegenes Dorf, in dem nichts mehr wächst ausser der Hecke drumherum. Das sind die beiden Schauplätze im aktuellen Roman der Schweizer Autorin Gianna Molinari. «Hinter der Hecke die Welt» heisst er und handelt unter anderem vom menschlichen Eingreifen in die Natur. Für SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr ein Buch, das wehmütig stimmt. Theres Roth-Hunkelers jüngster Roman «Damenprogramm» erzählt unbeschönigt davon, als Frau alt zu werden. Natürlich geht es dabei um Verluste: Der Körper verändert sich, Ehepartner sterben, Beziehungen scheitern. Aber allem voran ist es ein ermutigendes Buch über die eine Liebe, die alles überdauert: zwischen zwei besten Freundinnen. Ein Buch wie ein Vorbild, findet Literaturredaktorin Lea Dora Illmer. Der aktuelle Buchtipp dieser Woche kommt von Michael Luisier. Anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie am Wochenende in Frankfurt erinnert er an dessen Roman "Victory City". Buchhinweise: * Gianna Molinari. Hinter der Hecke die Welt. 200 Seiten. Aufbau, 2023. * Theres Roth-Hunkeler. Damenprogramm. 256 Seiten. Edition Bücherlese, 2023. * Salman Rushdie. Vicotory City. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. 414 Seiten. Penguin, 2023.
«Vatermal» von Necati Öziri, eines der aufregendsten Bücher der Saison und zurecht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises und «Solange wir schwimmen» von Julie Otsuka sind Thema am Literaturstammtisch im BuchZeichen. Der Student Arda liegt mit Organversagen im Spital einer deutschen Kleinstadt. In einem Abschiedsbrief wendet er sich an seinen Vater, den er nicht kennt. Der Vater ist zurück in die Türkei gegangen, als Arda noch ganz klein war. In diesem Brief beschreibt Arda ihm nun sein Aufwachsen inmitten von Demütigung und Gewalt. «Vatermal» ist eines der besten Bücher dieses Herbsts, findet SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr. Ein intensives Leseerlebnis, wie man es nur selten habe. Hundesitter, Professorinnen, arbeitslose Schauspieler – eine zusammengewürfelte Gruppe von Menschen, die die Liebe zum Schwimmen eint. Was im Hallenbad unter der Erde beginnt, entwickelt sich im Laufe des Romans zu einer feinfühligen Annäherung einer Tochter an ihre demenzkranke Mutter. «Solange wir schwimmen» von Julie Otsuka ist ein verblüffendes Buch mit tröstlichem Humor, findet Lea Dora Illmer. Der Buchtipp kommt diese Woche von Michael Luisier. Er empfiehlt «Des Reimes willen Henk». Der Roman stammt von Ralf Schlatter und ist in Versform verfasst. Buchangaben: * Necati Öziri. Vatermal. 304 Seiten. Claassen, 2023. * Julie Otsuka. Solange wir schwimmen. Aus dem amerikanischen Englisch von Katja Scholtz. 160 Seiten. Mare, 2023. * Ralf Schlatter. Des Reimes willen Henk. 128 Seiten. Limbus Verlag, 2023.
Herta Müller gehört zu den renommiertesten Schriftstellerinnen überhaupt. Sie ist Literaturnobelpreisträgerin und Autorin erfolgreicher Romane wie «Herztier» und «Atemschaukel». Nun erscheint ein Band mit Reden, Artikeln und Essays, in denen sie sich einmal mehr mit ihrem Lebensthema befasst. Und dieses Thema ist die Diktatur. 1953 als Kind Banater Schwaben in Rumänien geboren, gerät sie bald in Konflikt mit dem kommunistischen Regime Nicolai Ceausescus. Gleichzeitig überwirft sie sich mit ihren Banater Landsleute, deren Schweigen über die NS-Vergangenheit sie nicht mittragen will. Schreibend beginnt sie, sich mit sich und ihrer Situation auseinanderzusetzen, bis sie schliesslich Rumänien verlässt. Doch auch im Westen ist der Schrecken nicht vorbei. Eine Verleumdungskampagne führt dazu, dass sie sich auch hier wieder mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, eine feindliche Agentin zu sein. Im Kultur-Talk mit Michael Luisier verrät Herta Müller, wie sie mit ihren Diktatur-Erfahrungen zurechtkommt. Und warum sie das Thema immer noch nicht ad acta legen kann. Buchangaben: Herta Müller. Eine Fliege kommt durch einen halben Wald. Hanser Verlag, 2023.
Herta Müller gehört zu den renommiertesten Schriftstellerinnen überhaupt. Sie ist Literaturnobelpreisträgerin und Autorin erfolgreicher Romane wie «Herztier» und «Atemschaukel». Nun erscheint ein Band mit Reden, Artikeln und Essays, in denen sie sich einmal mehr mit ihrem Lebensthema befasst. Und dieses Thema ist die Diktatur. 1953 als Kind Banater Schwaben in Rumänien geboren, gerät sie bald in Konflikt mit dem kommunistischen Regime Nicolai Ceausescus. Gleichzeitig überwirft sie sich mit ihren Banater Landsleute, deren Schweigen über die NS-Vergangenheit sie nicht mittragen will. Schreibend beginnt sie, sich mit sich und ihrer Situation auseinanderzusetzen, bis sie schliesslich Rumänien verlässt. Doch auch im Westen ist der Schrecken nicht vorbei. Eine Verleumdungskampagne führt dazu, dass sie sich auch hier wieder mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, eine feindliche Agentin zu sein. Im Kultur-Talk mit Michael Luisier verrät Herta Müller, wie sie mit ihren Diktatur-Erfahrungen zurechtkommt. Und warum sie das Thema immer noch nicht ad acta legen kann. Buchangaben: Herta Müller. Eine Fliege kommt durch einen halben Wald. Hanser Verlag, 2023.
Peter Probst erzählt wie sein Alter Ego 18 Jahre alt und noch immer von seinen Eltern verhindert wird. Wilfried Meichtry schildert wie es sich anfühlt im geistig engen Wallis der 1970er Jahre heranzuwachsen. Und Annie Ernaux beschreibt die prekären Verhältnisse in ihrem Elternhaus in der Normandie. Mit «Ich habe Schleyer nicht entführt» fügt Peter Probst seiner autobiografischen Romanserie über sein Alter Ego Peter Gillitzer einen dritten Band hinzu. Peter Gillitzer schliesst sich einer anarchistischen Gruppe an und unternimmt erste Schritte in Richtung Erfüllung seines Traums, Schriftsteller zu werden. Vor allem aber geht sein drei Bände dauernder Konflikt mit seinem dominanten Vater in die entscheidende Phase, denn Peter Gillitzer wird volljährig. Ein liebevoll und witzig erzählte Geschichte über eine Jugend unter mehr als speziellen Bedingungen, meint Michael Luisier. Wilfried Meichtry ist besonders für seine historischen Romane bekannt. Nun hat der Schweizer Schriftsteller einen Roman entlang seiner eigenen Biografie geschrieben. «Nach oben sinken» erzählt von der Identitätsfindung eines Teenagers. Im Wallis der 70er-Jahre herrscht eine unerträgliche katholische Enge. Ein verträumter Jugendlicher versucht auszubrechen – und wühlt dabei Familiengeheimnisse auf. Am Familiengrab stösst er auf eine Inschrift, die sich auf einen rätselhaften Grossonkel bezieht, über den in der Familie nicht gesprochen wird. Doch das Schweigen, das er auf seine Nachfragen erfährt, übertrifft alles, was er bisher erlebt hat. Im heutigen Kurztipp stellt Annette König «Die leeren Schränke» von Annie Ernaux vor. Es ist der erste Roman der französischen Literatur-Nobelpreisträgerin, den sie vor mehr als fünfzig Jahren geschrieben hat. Auch dieses Buch ist autofiktional und kreist um Ernauxs Lebensthemen wie Herkunft und weibliche Selbstbestimmung. Doch im Schreibverfahren unterscheidet es sich von Ernauxs späteren Büchern. Buchhinweise: * Peter Probst. Ich habe Schleyer nicht entführt. 350 Seiten. Kunstmann, 2023. * Wilfried Meichtry. Nach oben sinken. 256 Seiten. Nagel&Kimche, 2023. * Annie Ernaux. Die leeren Schränke. Aus dem Französischen von Sonja Finck. 218 Seiten. Suhrkamp, 2023.
Thomas Hettche schreibt einen Roman, in dem das Wallis vom Rest der Welt isoliert wird. Wolf Haas schreibt über seine sterbende Mutter und das Leben.Zwei scheinbar unterschiedliche Bücher, die aber beide persönliche Geschichten erzählen und die Bedeutung von Erinnerungen thematisieren. Der deutsche Schriftsteller Thomas Hettche hat als Schauplatz seines neuen Romans das Wallis gewählt: Ein Bergsturz hat das Rhonetal in einen riesigen See verwandelt. Seither ist der Kanton abgeschottet – und hat sich losgesagt vom Rest der Welt. Um die Macht streiten sich nun der Leuker Kastlan und eine Bischöfin. Anfangs mutet «Sinkende Sterne» noch an wie ein realistischer Roman, doch bald strotzt er vor Phantastik. Katja Schönherr bringt das Buch an den Literaturstammtisch. Kann man vom Schreiben leben? Diese Frage kennt Wolf Haas. Sie wird ihm vermutlich oft genug gestellt. Nun dreht er sie um und schreibt vom Leben. Von seiner Mutter, die gerade im Sterben liegt, und von sich selbst, der sie in den Tod begleitet und eigentlich eine Poetikvorlesung schreiben muss. Titel: Kann man von Leben schreiben. Ein wunderbares Buch über das Leben und die Sprache. «Eigentum» - das bisher persönlichste Buch von Wolf Haas, sagt Michael Luisier. «The Marmalade Diaries» ist ein Tagebuch, das während des Corona-Lockdowns entstand: Der 34-jährige Ben sucht eine Wohnung und kommt unter bei der 85-jährigen Winnie. The perfect match? Man kann es nur hoffen, weil der Lockdown die beiden dazu zwingt, näher zusammenzurücken. Ben Aitken schreibt unterhaltsam und humorvoll über den gemeinsamen Alltag, ohne kitschig oder sentimental zu werden. Ein Buch, in das man sich kuscheln kann, findet Britta Spichiger. Buchhinweise: * Thomas Hettche. Sinkende Sterne. 215 Seiten. Kiepenheuer & Witsch, 2023. * Wolf Haas. Eigentum. 169 Seiten. Carl Hanser, 2023. * Ben Aitken. The Marmalade Diaries. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence. 352 Seiten. DuMont, 2023.
Deborah Levy erzählt von einer Pianistin, die vor sich selbst flieht. Lion Christ von einem jungen homosexuellen Mann, der vor jedem mit Erwartungen an ihn davonrennt. Und Joachim B. Schmidt beschreibt, wie Kalmann, in den USA wegen einer Familienangelegenheit in der Tinte sitzt. Elsa M. Anderson ist eine berühmte Konzertpianistin. Bei ihrem Konzertauftritt in Wien vermasselt sie es. Sie verlässt die Bühne und stellt in Folge alles in Frage. Drei Wochen später beobachtet sie auf einem Flohmarkt in Athen eine Frau, die ihr auf seltsame Weise gleicht. In der Auseinandersetzung mit ihrer Doppelgängerin findet Elsa wieder zu sich selbst. Deborah Levy verbindet autobiografisches und fiktionales Erzählen. In ihrem sinnlichen Schreiben lässt sie das Schöne im Alltäglichen aufscheinen, findet Jennifer Khakshouri, die das Buch am Stammtisch empfiehlt. München, 1983. Flori, ein lebenshungriger junger Mann aus der Provinz, träumt von der grossen Liebe und dem prallen Leben. Er zieht in die Stadt und kommt in die vibrierende Münchner Schwulenszene, wo alles verkehrt, was Rang und Namen hat: von Rainer Werner Fassbinder bis Freddie Mercury. Doch mit der grossen Liebe tut er sich schwer. Und AIDS, was gerade aus Amerika nach Europa kommt, ändert alles auf katastrophale Weise. Lion Christ hat mit seinem Flori einen «schwulen Stenz» nach bestem bayerischem Vorbild geschaffen, was es bisher noch nicht gegeben hat. Und mit seinem Debütroman «Sauhund» ein Stück grossartige Literatur, sagt Michael Luisier, der das Buch am Stammtisch vorstellt. Im heutigen Kurz-Tipp «Kalmann und der schlafende Berg» stellt Annette König die Fortsetzung von Joachim B. Schmidts Krimireihe um seinen isländischen Sheriff von Raufarhöf fort. Dieses Mal sitzt Kalmann in der Tinte. Als er seinen amerikanischen Vater besucht und vom FBI aufgegriffen wird. Offenbar gibt es geheime Akten über seinen Grossvater. Die Spuren führen zurück in den Kalten Krieg. Buchhinweise: * Deborah Levy. Augustblau. Aus dem Englischen von Marion Hertle. 176 Seiten. Kampa, 2023. * Lion Christ. Sauhund. 370 Seiten. Hanser, 2023. * Joachim B. Schmidt. Kalmann und der schlafende Berg. 304 Seiten. Diogenes, 2023.
Bunt kommt es daher, das aktuelle BuchZeichen mit seinen Buchempfehlungen: Der wöchentliche Literaturstammtisch bespricht Alice Grünenfelders Familienroman «Jahrhundertsommer» und Liv Strömquists Comic «Astrologie». Gleichzeitig erinnert es an den Kinderbuchautor und Dichter Erich Kästner. Ein Provinzroman, der in den 1960er Jahren in Süddeutschland spielt: Magda wird von ihrem Mann verlassen. Fortan ächtet man sie in ihrem Dorf, als sei eine Scheidung ansteckend. Alice Grünfelders Roman "Jahrhundertsommer" ist eine gross angelegte Familiengeschichte. Und vor allem ist sie turbulent. Mit unvorhersehbaren Wendungen sorgt Grünfelder für Spannung, findet SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr. Astrologie boomt, vor allem in den sozialen Medien, denn sie schenkt (scheinbare) Sicherheit in unsicheren und unübersichtlichen Zeiten. Mit ihrem neuen Comic «Astrologie» knöpft sich die schwedische Comic-Zeichnerin Liv Strömquist, eine Ikone des Feminismus, unsere Sternzeichen vor, indem sie auf sehr humorvoll-bissige Weise ihre Zuschreibungen auf die Schippe nimmt, ohne sie ins allzu Lächerliche zu ziehen. Auch Literaturredaktorin Nicola Steiner, die den Comic ins Buchzeichen mitbringt, findet sich in diesem Comic wieder, wenn es dort zu ihrem Sternzeichen heisst, Schützen seien unglaublich open-minded Outside-The-Box-Denker*innen – ausser wenn es um Vorschläge anderer Leute geht. Der Tipp der Woche stammt von Michael Luisier. Er empfiehlt den Sammelband «Erich Kästner – Resignation ist kein Gesichtspunkt – Politische Reden und Feuilletons», der gerade vom deutschen Literaturwissenschaftler und Erich-Kästner-Biografen Sven Hanuschek herausgegeben wurde. Buchhinweise: * Alice Grünfelder. Jahrhundertsommer. 320 Seiten. dtv, 2023. * Liv Strömquist. Astrologie. Aus dem Schwedischen von Katharina Erben. 176 Seiten. Avant Verlag, 2023. * Erich Kästner. Resignation ist kein Gesichtspunkt. Politische Reden und Feuilletons. Herausgegeben von Sven Hanuschek. 238 Seiten. Atrium Verlag, 2023.
Der Schriftsteller Hansjörg Schneider ist bekannt als Autor der Hunkeler-Krimis und einiger erfolgreicher Theaterstücke wie «Sennetuntschi». In seinem neusten Buch «Spatzen am Brunnen» macht sich der 85-Jährige auf Wanderungen durch Basel und erinnert sich unterwegs an sein Leben und sein Schaffen. Die Kreise sind kleiner geworden, in denen sich der Schriftsteller mittlerweile bewegt. Nach zwei Spitalaufenthalten zwischen Herbst 2020 und Herbst 2021 beschränken sie sich noch auf eine lange Strasse durchs Basler St. Johann-Quartier und auf die beiden angrenzenden Plätzen. Umso erstaunlicher ist es, wie viele Geschichten, Erkenntnisse, Erfahrungen und Begegnungen Hansjörg Schneider aus diesem kleinen Revier für sein Buch generieren kann. Im Kultur-Talk mit Michael Luisier geht Hansjörg Schneider seinen Lebensstationen nach und erzählt von einem reichen Künstlerleben voller Aufs und Abs.
Der Schriftsteller Hansjörg Schneider ist bekannt als Autor der Hunkeler-Krimis und einiger erfolgreicher Theaterstücke wie «Sennetuntschi». In seinem neusten Buch «Spatzen am Brunnen» macht sich der 85-Jährige auf Wanderungen durch Basel und erinnert sich unterwegs an sein Leben und sein Schaffen. Die Kreise sind kleiner geworden, in denen sich der Schriftsteller mittlerweile bewegt. Nach zwei Spitalaufenthalten zwischen Herbst 2020 und Herbst 2021 beschränken sie sich noch auf eine lange Strasse durchs Basler St. Johann-Quartier und auf die beiden angrenzenden Plätzen. Umso erstaunlicher ist es, wie viele Geschichten, Erkenntnisse, Erfahrungen und Begegnungen Hansjörg Schneider aus diesem kleinen Revier für sein Buch generieren kann. Im Kultur-Talk mit Michael Luisier geht Hansjörg Schneider seinen Lebensstationen nach und erzählt von einem reichen Künstlerleben voller Aufs und Abs.
Der indisch-britische Schriftsteller Salman Rushdie erzählt von einer mythischen, südindischen Stadt im 14. Jahrhundert. Und der US-Amerikaner John Irving nimmt die Leserschaft mit auf einer Reise durchs Leben eines Jungen auf der Suche nach seinen Wurzeln. Michael Luisier bringt den neuen Roman von Salman Rushdie mit in die Sendung. In «Victory City», einer als Mythologie verpackten Geschichte über den Aufstieg und Fall der mittelalterlichen Stadt Bisnaga, kommt der britisch-indische Schriftsteller einmal mehr auf seine Hauptthemen zu sprechen: Religiöser Fanatismus und die Macht des Wortes. Und hier ganz besonders: die Stärke Frau. Exeter, New Hampshire in den 1950er Jahren. Der spätere Ringer und Drehbuchautor Adam Brewster wächst umgeben von einer homoerotischen Dreiecks-Beziehung auf. Die besteht aus seiner Mutter, ihrer lesbischen Freundin und dem Ehemann der Mutter – der lebt allerdings als Frau. Die drei betrügen einander nicht, lieben sich auf ihre eigene Weise. Doch die Gesellschaft stösst sich daran. Und Adam hat Angst, dass sich dieses prekäre Dreiecksverhältnis irgendwann auflösen könnte. John Irvings neuer Roman sei eine süffige Familiensaga in Überlänge und ein Plädoyer für queere Lebensentwürfe, sagt Annette König, die das Buch am Literaturstammtisch empfiehlt. Den heutigen Kurztipp widmet Britta Spichiger dem Buch «Besser allein als in schlechter Gesellschaft». Die kroatische Autorin Adriana Altaras erzählt darin von ihrer wunderbar eigensinnigen Tante, die sie ein Leben lang eng begleitet hat. Die ihr in allen Lebenskrisen zur Seite stand und sie noch mit 98 Jahren mit Ratschlägen, Pasta und Barbesuchen tröstete. Empfehlenswerte Lektüre, weil sie zeigt, wie man das Leben annehmen – und loslassen kann. Buchhinweise: * Salman Rushdie. Victory City. Aus dem Englischen von Bernhard Robben. 416 Seiten. Penguin, 2023. * John Irving. Der letzte Sessellift. Aus dem Amerikanischen von Anna-Nina Kroll und Peter Torberg. 1088 Seiten. Diogenes Verlag, 2023. * Adriana Altaras. Besser allein als in schlechter Gesellschaft. Meine eigensinnige Tante. 240 Seiten. Kiepenheuer und Witsch, 2023.
Was ist österreichische Literatur? Welches sind die Höhepunkte und was macht sie aus? Die Passage zum österreichischen Auftritt als Gastland an der Leipziger Buchmesse geht diesen Fragen nach und macht eine Entdeckungsreise durch hundert Jahre österreichische Literatur. Arthur Schnitzler, Joseph Roth, Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Elfride Jelinek. Wer kennt sie nicht, die grossen österreichischen Schriftstellerinnen und Schriftsteller der letzten hundert Jahre? Aber wer kennt noch den exzentrischen Wiener Kaffeehausdichter Peter Altenberg? Wer die schreibende Aristokratin Marie von Ebner-Eschenbach, die mit ihrem Roman «Das Gemeindekind» sogar die Sozialdemokraten begeistert hat? Und wer erinnert sich an Marlen Haushofer, die mit «Die Wand» einen der grossen österreichischen Nachkriegsromane geschaffen hat? Die «Passage» von Michael Luisier mit den beiden Gästen Daniela Strigl und Karl Markus Gauss begibt sich auf eine Entdeckungsreise durch hundert Jahre österreichische Literatur, fragt nach ihren Besonderheiten und Einzigartigkeiten, nach den Unterschieden zur deutschen Literatur und vor allem nach den Gründen ihrer stets hohen Qualität.
«Die Krume Brot», Lukas Bärfuss Roman zum Thema Armut und «Nichts davon ist wahr», Veronica Raimos Tragikomödie über eine reichlich verrückte Familie, das die beiden aktuellen Bücher am Literaturstammtisch. Die Armut ist ein Monster, das ganze Biografien zerstören kann. Dies zeigt der neue Roman «Die Krume Brot» des Schweizer Autors und Büchner-Preis-Trägers Lukas Bärfuss. Er schildert das Los einer jungen Frau mit italienischen Wurzeln. Sie wächst in den 1960er Jahren in prekären Verhältnissen in Zürich auf, kann ihre Armut nie überwinden und gerät dadurch mehr und mehr in den Abgrund. Ein aufwühlendes Werk auf literarisch hohem Niveau und voll von Bezügen zur globalen Gegenwart, findet Felix Münger. Die 44-jährige italienische Schriftstellerin Veronica Raimo hat schon einige Bücher veröffentlicht. Trotzdem ist sie bei uns bislang noch kaum bekannt. SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr hofft, dass sich das ändert. Ihren neuen Roman «Nichts davon ist wahr», in dem es um das Aufwachsen in einer grotesken Familie geht, in der jeder einen anderen Spleen hat, hält sie für eine Perle unter den Neuerscheinungen in diesem Frühjahr. Der Buchtipp dieser Woche stammt von Michael Luisier. Er empfiehlt «Schreibwelten. Wie Jane Austen, Stephen King, Haruki Murakami, Virginia Woolf u.v.a. ihre Bestseller schufen». Und tatsächlich geht es genau um das, was der Titel auch besagt: um die Orte, an denen Jane Austen, Stephen King, Haruki Murakami, Virginia Woolf und 45 weitere Autorinnen und Autorinnen ihre Bestseller geschaffen haben. Und das in Wort und Bild. Buchhinweise: * Lukas Bärfuss. Die Krume Brot. 224 Seiten. Rowohlt, 2023. * Veronica Raimo. Nichts davon ist wahr. Aus dem Italienischen von Verena von Koskull. 223 Seiten. Klett-Cotta, 2023. * Alex Johnson und James Oses. Schreibwelten. Wie Jane Austen, Stephen King, Haruki Murakami, Virginia Woolf u.v.a. ihre Bestseller schufen. Aus dem Englischen von Birgit Lamerz-Beckschäfer. 192 Seiten. wbg Theiss, 2023.
Lebenskluge Bücher – um sie geht es am Literaturstammtisch: Helga Schubert erzählt von ihrem Leben als Pflegerin ihres geliebten Mannes. Hansjörg Schneider erkundet spazierend und schreibend sein Leben als Senior. Und ein neuer Gedichtband, der eigentlich alt ist, ermöglicht lyrische Zaubermomente. Die deutsche Schriftstellerin Helga Schubert ist 83. Ihr Mann ist 96 Jahre alt – und pflegebedürftig. Schubert kümmert sich zu Hause um ihn. Rund um die Uhr ist sie für ihn da. In ihrem neuen Buch «Der heutige Tag» beschreibt sie ihren kräftezehrenden Pflege-Alltag und findet gleichzeitig sehr berührende Worte für die Liebe zu ihrem Mann. Das Buch sei ein poetisches Abschiednehmen, findet Katja Schönherr. Ein ausserordentliches Vergnügen sei die Lektüre des neuen Buches von Hansjörg Schneider «Spatzen am Brunnen», sagt Michael Luisier. Der Romancier, Dramatiker und Krimi-Autor erinnert sich darin auf langen Spaziergängen durch vertraute Strassen seiner Wahlheimat Basel an seine Vergangenheit. Indem sich Hansjörg Schneider gleichzeitig Gedanken zu literarischen und philosophischen Themen macht, zeigt er sich aber auch wach für die Gegenwart. «Der ewige Brunnen» ist eine der bekanntesten Sammlungen deutschsprachiger Gedichte. Die erste Auflage erschien vor knapp siebzig Jahren. Nun hat der Jenaer Literaturprofessor Dirk von Petersdorff die Sammlung neu herausgebracht. Noch immer sei die präsentierte Fülle mit 1'200 Gedichten enorm, sagt Felix Münger, aber sie sei zünftig entstaubt. So finden sich etwa Songtexte von Udo Lindenberg: Kurzum: Ein Buch, das sich perfekt eignet, um den Reichtum der Lyrik zu erkunden. Buchhinweise: * Helga Schubert. Der heutige Tag. Ein Stundenbuch der Liebe. 272 Seiten. dtv, 2023. * Hansjörg Schneider. Spatzen am Brunnen. Aus dem Tagebuch. 208 Seiten. Diogenes, 2023. * Dirk von Petersdorff (Hrg.). Der ewige Brunnen. Deutsche Gedichte aus zwölf Jahrhunderten. 1167 Seiten. C.H.Beck, 2023.
Wohin geht die Liebe, wenn sie geht? Diese Frage stellt die deutsche Autorin Julia Schoch in ihrem neuen Roman. Und der österreichische Autor Daniel Glattauer greift ein aktuelles gesellschaftliches Thema auf. In Julia Schochs neuem Roman «Das Liebespaar des Jahrhunderts» geht es um eine Frau, die ihren Mann verlassen will. Doch bevor sie das tut, lässt sie die gemeinsamen Jahrzehnte Revue passieren. SRF-Literaturredaktorin Katja Schönherr ist begeistert von diesem Buch. Man könne kaum schöner, kaum ehrlicher über die Ernüchterung schreiben, die auf die anfängliche Verliebtheit folgt, als Schoch es in diesem Roman getan hat. Wieviel ist ein Menschenleben wert? Dieser Frage geht der österreichische Autor Daniel Glattauer in seinem aktuellen Roman «Die spürst du nicht» nach. Anhand einer Tragödie in einer Flüchtlingsfamilie lässt er Menschen zu Wort kommen, die in unserer privilegierten Gesellschaft oft nicht gehört werden. Michael Luisier legt das Buch auf den Literaturstammtisch. Die irische Autorin Christina Dwyer Hickey nimmt ihre Leser:innen mit in die 1950-er Jahre, nach Neu England. In ihrem Roman «Schmales Land» erzählt sie vom Künstlerehepaar Edward und Josephine Hopper. Sie verknüpft die Geschichte mit dem Schicksal eines zehnjährigen Jungen. Ein Roman wie ein Hopper-Gemälde, findet Britta Spichiger. Buchhinweise: * Julia Schoch. Das Liebespaar des Jahrhunderts. 190 Seiten. dtv, 2023. * Daniel Glattauer. Die spürst du nicht. 304 Seiten. Zsolnay, 2023. * Christine Dwyer Hickey. Schmales Land. Aus dem Englischen von Uda Strätling. 416 Seiten. Unionsverlag, 2023.
Am Literaturstammtisch im BuchZeichen diskutieren Britta Spichiger und Annette König über neue Romane von Tine Melzer und Milena Michiko Flašar. Gastgeber ist Michael Luisier. In ihrem Debütroman «Alpha Bravo Charlie» erzählt die Künstlerin und Autorin Tine Melzer von einem pensionierten Linienpiloten: Johann Trost. Auch als Rentner hält er sich strikt an Regeln und die eigenen Prinzipien. Aber er muss sich nun vermehrt mit seinen Mitmenschen auseinandersetzen, und das fällt ihm nicht leicht. Er flüchtet in seine eigene Welt – und baut eine Modellbaulandschaft. Britta Spichiger gefällt die präzise, bildhafte Sprache des Romans und die Auseinandersetzung mit einer Frage, die wohl uns alle beschäftigt: wie finden wir unseren Platz auch in einem späteren Lebensabschnitt? Der neue Roman «Oben Erde, unten Himmel» der Österreicherin Milena Michiko Flašar erzählt von einer jungen Frau, die ihren Job verliert und gesellschaftlich durchzufallen droht. Doch dann erhält sie ein ungewöhnliches Jobangebot. Sie wird Reinigungskraft an Leichenfundorten. «Oben Erde, unten Himmel» ist ein tiefsinniger Roman über das aktuelle Leben in Japan, findet Annette König, die das Buch am Literaturstammtisch empfiehlt. Der Buchtipp der Woche ist ein Bilderbuch: Michael Luisier empfiehlt «Herr Unverwechselbar» der Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk und illustriert von Joanna Concejo. Eine beeindruckende Parabel über Selbstdarstellung, den Wunsch nach Anerkennung und die Gefahr, sein Gesicht und damit sich selbst zu verlieren. Buchhinweise: * Tine Melzer. Alpha Bravo Charlie. 126 Seiten. Jung und Jung, 2023. * Milena Michiko Flašar. Oben Erde, unten Himmel. 304 Seiten. Wagenbach. 2023. * Olga Tokarczuk, Joanna Concejo. Herr Unverwechselbar. Aus dem Polnischen von Lothar Quinkenstein. 48 Seiten. Kampa, 2023. Weitere Themen: - Shortlist Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis 2023
In ihren Romanen spricht die russisch-tatarische Schriftstellerin Gusel Jachina Themen aus der frühen Sowjetunion an, die bis heute tabuisiert sind. Den Bürgerkrieg, die Hungersnöte, den Terror der Stalin-Zeit. Ganz bewusst trifft sie so auch Aussagen zur heutigen Situation. Gusel Jachina lebt in Moskau. Sie hat sich dafür entschieden, in Moskau zu bleiben. Trotzdem hat sie ein grosses Interesse daran, dunkle Kapitel der jüngeren Geschichte aufzuarbeiten und dem Vergessen zu entreissen. Sie hat auch allen Grund dazu. Ihre eine Grossmutter ist als «Kulakin» ins GULAG verschleppt worden, worüber Gusel Jachina in ihrem ersten Roman «Suleika öffnet die Augen» geschrieben hat, ein anderer Grossvater erlebte das Schicksal der verwahrlosten Kinder während der Hungersnöte der 1920er Jahre, worüber sie nun in ihrem dritten Roman «Wo vielleicht das Leben wartet» schreibt. Im Gespräch mit Michael Luisier am Rande ihrer Lesereise durch Deutschland und Österreich spricht sie über die Vergangenheit. Und meint damit auch eine Gegenwart, über die sie derzeit nur so sprechen kann.
Seit Jahrzehnten gehört Thomas Hürlimann zu den führenden Schriftstellern der Schweiz. Seine Stücke, Romane und Erzählungen gehören zum Kanon der deutschsprachigen Literatur. Die Essays und Wortmeldungen im Feuilleton zeugen von einem unabhängigen und der Freiheit des Denkens verpflichteten Geist. Geboren wir Thomas Hürlimann 1950 in Zug. Sein Vater ist der Zuger Regierungsrat und spätere Bundesrat Hans Hürlimann, seine Mutter entstammt einer St. Galler CVP-Dynastie. Mit elfeinhalb Jahren tritt er in die Stiftschule des Klosters Einsiedeln ein und erlebt dort «saure Jahre» als «kahlrasiertes Mönchlein in knöchellanger Kutte». Beides, die Herkunft aus dem katholisch-konservativen Elternhaus wie die langen Jahre der Klosterschule prägen später seine Literatur, dazu der frühe Tod seines Bruders Matthias an Knochenkrebs, den er später in mehreren Werken verarbeitet. Nach der Matura studiert Thomas Hürlimann Philosophie an der Universität Zürich und ab 1974 dann an der FU in Westberlin, wobei ihm das dortige dogmatische Klima das Studium vergällt. So bricht er es ab, geht zum Theater, arbeitet als Regieassistent und Produktionsdramaturg am Schillertheater Berlin und beginnt seine Laufbahn als freischaffender Schriftsteller. Erste Erfolge hat er als Dramatiker mit «Grossvater und Halbbruder» und «Stichtag». Sein Erfolgsstück «De Franzos im Ybrig» erlebt bis zum Ausbruch von Corona über 50 Inszenierungen. 1981 macht er mit «Die Tessinerin», dem ersten Buch des neugegründeten Amman-Verlags, dessen erster Autor er wird, auch als Prosaautor zum ersten Mal auf sich aufmerksam. Spätestens aber seit dem Roman «Der grosse Kater» von 1998 gibt er als einer der führenden Schweizer Schriftsteller überhaupt. Von seiner katholischen Prägung und seinem Verhältnis zum Politikervater, von der Klosterschule und dem frühen Tod des Bruders, von seiner Haltung zur Schweiz und seinem Interesse an Mystik und natürlich auch von seinem Weg zum Schriftsteller und seinem Bezug zur Musik erzählt der Thomas Hürlimann im Gespräch mit Michael Luisier.
Zum Erscheinen ihres Romans «Dunkelblum» unterhält sich Gastgeber Michael Luisier mit der Eva Menasse über eine Kindheit zwischen Tennis und Klavier, über Journalismus und Schriftstellerei, über die Gefahren der Digitalisierung und natürlich über den neuen Roman. «Dunkelblum» behandelt eines von Eva Menasses Lebensthemen: Die Schuld und Mitverantwortung Österreichs an den nationalsozialistischen Verbrechen und das Schweigen und Leugnen zu Beginn der Zweiten Republik. Konkret geht es um ein Massaker an ungarisch-jüdischen Zwangsarbeitern während der letzten Kriegstage, dessen Hergang nie ganz genau aufgeklärt werden konnte. Aus der Sicht des Jahres 1989 schaut die Autorin zurück auf das Kriegsende und die Zeit danach zurück und deckt in ihrem gewohnt humoristischen Ton die Verlogenheit und Falschheit der damaligen Zeit auf. Im Gespräch mit Michael Luisier erzählt die Schriftstellerin von ihrer eigenen Kindheit als Tochter eines jüdischen Vaters, der im englischen Exil aufgewachsen ist und später einer der renommiertesten österreichischen Fussballer wurde. Sie erzählt von ihrer frühen Liebe zum Klavier und ihrer späten Liebe zum Gesang. Sie erzählt von ihrem Werdegang als Journalistin und Schriftstellerin. Und sie äussert sich einmal mehr dezidiert zu den Gefahren der Digitalisierung für Gesellschaft und Demokratie. Erstsendung: 29. August 2021
Geoffrey Abbott ist Pianist, Korrepetitor, Arrangeur und musikalischer Leiter. Also alles, was man am Theater als Musiker sein kann. Sein Herz aber gehört der Musik von Kurt Weill und der Liedtexte von Bertold Brecht. Kein Wunder hat ihn sein Lebensweg in Brechts Geburtsstadt Augsburg geführt. Geboren wird Geoffrey Abbott 1951 in London. Als Junge entdeckt er das Klavier im Elternhaus und beginnt zu spielen. Später lernt er es richtig und studiert Musik in Birmingham. Eine erste Begegnung mit der Musik Kurt Weills anlässlich einer Aufführung des Mahagonny-Songspiels an den «London Proms» 1969 wird zur Initialzündung. Geoffrey Abbot entdeckt «seine Musik». Später zieht er nach Deutschland, wo es Stellen als Theatermusiker gibt. So hat er mehrere Male die Gelegenheit, die grossen Brecht/Weill-Stücke wie «Die Dreigroschenoper», «Happy End» und andere musikalisch zu betreuen. Von seiner frühen Zeit in London und seinem Studium in Birmingham, von seinem Wechsel nach Deutschland und seiner fast weltweiten Recherchearbeit auf den Spuren Kurt Weills, von seiner Tätigkeit als Liedbegleiter und der als Arrangeur und natürlich auch von der überraschend anderen Musik, die er privat gerne hört, erzählt Geoffrey Abbott im Gespräch mit Michael Luisier.
80 Tage dauert der Krieg in der Ukraine schon. Ein Ende ist nicht in Sicht. Im «Kultur-Talk» spricht Frithjof Benjamin Schenk, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Basel, über Ursachen und Hintergründe des Krieges und über die schwindenden Chancen auf ein baldiges Ende. Frithjof Benjamin Schenk ist Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Basel und initiiert seit Jahren Forschungsprojekte und Lehrveranstaltungen rund um die Geschichte Russlands und der Ukraine. Im «Kultur-Talk» mit Michael Luisier beschreibt er die Hintergründe und historischen Ursache des Krieges, das Verhältnis zwischen den russischen und ukrainischen «Brudervölkern», die Gründe für den Angriff zu diesem Zeitpunkt, die Mitverantwortung des Westens, die russische Propaganda und ihre historischen Bezüge und über die schwindenden Chancen auf ein baldiges Ende des Krieges.