In Das Gespräch kommen prominente Zeitgenossen aus Kultur und Gesellschaft zu Wort als Ort des interessanten Dialogs über Kunst, Kultur, Gesellschaft und Politik. Im Radio auf NDR Kultur: sonnabends von 18:00 bis 18:30 Uhr
Beim Schreiben seines Buches über die Lübecker Senatorensöhne sei ihm bewusst geworden, dass man weder das Werk von Thomas noch das Werk von Heinrich Mann allein in den Blick nehmen könne. "Man muss es als Bruderwerk sehen", betont Hans Wißkirchen, früher Leiter des Buddenbrookhauses in Lübeck und heute Präsident der Thomas Mann-Gesellschaft. "Isolation ist da nicht der richtige Weg." Mit seinem aktuellen Buch "Zeit der Magier - Heinrich und Thomas Mann 1871-1955" habe er die beiden Brüder miteinander in einen Dialog bringen wollen. Im Gespräch mit Linda Ebener erzählt Hans Wißkirchen, wie es zu dem Buch gekommen ist, was ihn während des Schreibens überrascht hat und warum die beiden gebürtigen Lübecker nie wieder in ihre Heimatstadt zurückgekehrt sind.
Und genau das hat sich Leyla Ercan zur Aufgabe gemacht. Die überzeugte Hannoveranerin war "Diversitäts-Agentin" am Staatstheater der niedersächsischen Hauptstadt. Heute trägt sie ihre Erfahrungen und ihr Wissen über die Vielfalt von ethnischer und sozialer Herkunft, von religiöser und geschlechtlicher Orientierung, von Möglichkeiten und Handicaps als Referentin, Lehrbeauftragte und Kulturberaterin in Unternehmen, Hörsäle und die Öffentlichkeit. Kurz vor dem diesjährigen Deutschen Diversity Day am 27. Mai hat Alexandra Friedrich mit Leyla Ercan darüber gesprochen, warum Diversität essenziell ist, und warum sie nicht von selbst "passiert", sondern Engagement erfordert. Sie verrät, wie divers und offen die Theaterwelt tatsächlich ist, und ob das, was im Künstlerischen behauptet wird, auch hinter den Kulissen Realität ist.
Mit seinen Büchern erreicht Axel Bojanowski regelmäßig eine große Leserschaft. "Was sie schon immer übers Klima wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten" wurde zum Spiegel-Bestseller. Wohl auch, da der Welt-Journalist einen Hang zu steilen Thesen hat, die von vielen nicht unwidersprochen bleiben. So findet er die Berichterstattung über den Klimawandel einseitig, die Debatten darüber von einer grünen Lobby gesteuert und Atomkraftwerke grundsätzlich prima. In seinem neuesten Buch geht der Geowissenschaftler auf positive Entwicklungen ein, die nach seinem Geschmack zu wenig Beachtung finden. "33 erstaunliche Lichtblicke, warum die Welt besser ist als wir denken" ist gerade im Westend-Verlag erschienen. Im Gespräch beweisen Axel Bojanowski und Martina Kothe, dass man über kontroverse Themen freundlich und gepflegt diskutieren kann.
"Wir leben in einer Zeit, in der wir ohne Zweifel Angriffe auf die Demokratie erleben und eine Rückkehr in autokratische Systeme", sagt die Journalistin Shila Behjat. Die Folge sei unter anderem eine Untergrabung der Frauenrechte. Doch Behjat beobachtet, wie vielerorts mutige Frauen aufstehen gegen solche Diktatoren und menschenverachtende Regime - im Iran, im Sudan, in Belarus, in Polen. Diese weiblich angeführten Bewegungen finden fast zeitgleich statt und sind allesamt gewaltfrei. Doch woher nehmen die Frauen die Kraft und den Mut, sich den brutalen Machthabern entgegenzustellen? Für ihr Buch hat die Deutsch-Iranerin mit mehreren Revolutionärinnen gesprochen: mit der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, der iranischen Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi und der sudanesischen Aktivistin Alaa Salah. Im Gespräch mit Andrea Schwyzer beschreibt Behjat, was die aktuellen Proteste von den Bewegungen der vergangenen Jahrhunderte unterscheidet, welches Ziel sie verfolgen und inwiefern sie uns neue Perspektiven auf gelebte Gerechtigkeit und Demokratie liefern.
Dass das Deutsche Reich den Zweiten Weltkrieg verlieren würde, war den meisten ab den Niederlagen in Stalingrad und Kursk klar. Trotzdem vergingen noch zwei Jahre bis zur bedingungslosen Kapitulation am 8. Mai 1945. Der renommierte Historiker Jörn Leonhard nennt dafür zwei Gründe: den Terror des Regimes gegen seine eigenen Bürger und die Verteidigung der Heimat gegen die drohende Besetzung durch die "Feinde". Bei vielen Frontsoldaten hätte die Angst vorgeherrscht, "dass das, was man gerade in Osteuropa selbst als Täter erlebt hat, auf Deutschland, und das heißt eben auf die eigenen Familien, die eigenen Frauen, die eigenen Kinder zurückfallen könnte." Im Gespräch mit Ulrich Kühn erläutert der Freiburger Historiker außerdem, warum fast alle großen Kriege der Neuzeit in ihrer Endphase besonders blutig waren, wie unterschiedlich das Ende des Zweiten Weltkriegs in Ost- und Westdeutschland bis heute bewertet wird und wie trotz ausgeprägter Erinnerungs- und Gedenkkultur in Deutschland revisionistische Kräfte am rechten Rand massiv Zulauf gewinnen.
Er gab Till Eulenspiegel ein Film-Gesicht, ermittelte im ARD-Tatort und war in diesem Jahr zum zweiten Mal als „Kundschafter des Friedens“ im Kino zu sehen: Winfried Glatzeder. Seit mehr als 55 Jahren steht der Schauspieler auf Theaterbühnen und vor Filmkameras. Mit seiner Rolle als Paul in der DEFA-Produktion „Die Legende von Paul und Paula“ hat er sich 1972 unsterblich gemacht. Axel Seitz hat mit dem „Belmondo des Ostens“, wie er genannt wurde, auch darüber gesprochen, wie er 1982 die DDR verließ, am Düsseldorfer Schauspielhaus eine neue Theaterheimat fand und im Kino unter anderem in Margarete von Trottas „Rosa Luxemburg“ an der Seite von Barbara Sukowa zu sehen war.
Er predigt in Jeans und mit Basecap, fährt Skateboard und begrüßt die Gemeinde erstmal mit einem gepflegten "Moin". Christopher Schlicht ist Pastor an der Gospelkirche in Hannover und war davor mit Max Bode im ersten Pfarrer-Jobsharing der hannoverschen Landeskirche in Bremerhaven tätig. Sein Stil eckt an, gibt aber auch vielen Menschen das Gefühl, Kirche erst richtig zu verstehen. "Ich versuche den Gottesdienst zu machen, den ich als Jugendlicher gebraucht hätte", sagt Schlicht im Gespräch mit Andrea Schwyzer auf NDR Kultur. Aufgewachsen in unterschiedlichen Regionen in Niedersachen und als Sohn eines Pastors, beschreibt sich Christopher Schlicht als sehr sensibles Kind. Offen und ehrlich erzählt er heute davon, wie sein Weg zu Gott aussah, wie er mit ihm - oder gern auch mit ihr - ins Gespräch geht und wo er die große Chance von Social Media sieht; Christopher Schlicht ist nämlich auch Internetpfarrer.
Die Schriftstellerin Stefanie de Velasco bricht in ihren Essays und Romanen regelmäßig Tabus, sie zeichnet unkonventionelle Lebenswege nach und erzählt dabei immer auch etwas von sich. Von ihrem Aufwachsen und dem Ausstieg bei den Zeugen Jehovas, von Schwangerschaftsabbruch und freiwilliger Kinderlosigkeit, von alternativen Familienkonzepten und im neusten Buch: von der Menopause. In dem Essay "Heiß" räumt die 47-Jährige jetzt mit stereotypen Erzählungen und Mythen über die Wechseljahre auf. Die meisten denken hier nur an Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen, schlaflose Nächte und letztlich: das Ende des Frauseins. Gibt es alles! Aber für sie - und für viele andere Frauen - bringt diese Phase des Lebens neuen Lebensmut und positive Energien mit sich, ein Gefühl von Aufbruch und Unabhängigkeit. Alexandra Friedrich spricht mit der Wahlberlinerin über das Stigma und die Verheißungen der Wechseljahre. Wir erfahren aber auch, warum eine Abtreibung sie zur Feministin gemacht hat, ob das tradierte Modell der Kleinfamilie ausgedient hat und wie eine Zukunft des Zusammenlebens aussehen könnte.
Als die vielfach ausgezeichnete Leipzigerin gerade an ein ihrem neuen Roman arbeitete, merkte sie: „Meine Romanfigur ist ständig verzweifelt. Aber die ist es eigentlich nicht, es war meine Verzweiflung. Die sprach da immer rein. Die floss immer in diese Figur. Und dann dachte ich, ich muss das ablegen, muss es notieren, muss einen Umgang damit finden.“ So entstand ihr Essay „Verzweiflungen“. Wohlgemerkt im Plural. Im Gespräch mit Joachim Dicks beschreibt die gerade 48 gewordene Heike Geißler, dass es vom Klimawandel über die Coronapandemie bis zu den aktuellen Wahlergebnissen reichlich Gründe gab und gibt zu verzweifeln. Aber: „Es ist irgendwie ja auch gut, wenn es nicht die eine Verzweiflung ist, die man erst einmal als Gegnerin hat, sondern wenn es mehrere Verzweiflungen sind. Das scheint eine Vermehrung. Es heißt aber irgendwie für mich auch: Da ist ein Anfang und ein Ende. Da ist eine Verzweiflung. Und da noch eine. Und dazwischen sind Lücken. Und da kann man auch rein.“ Heike Geißler hat dazu intensiv in sich selbst hineingehört, aber auch die Verzweiflungen von Familie und Freunden beobachtet. Die hat sie notiert und nun abgelegt. Denn: „Ich bin ein Gefäß und stehe zur Verfügung für den Text der Zeit.“
Für den - wie sie fand - "ziemlich unwahrscheinlichen Fall", dass ihr der Preis der Leipziger Buchmesse zuerkannt werden würde, hatte Kristine Bilkau vorsichtshalber eine kleine Rede vorbereitet. Neben dem obligatorischen Dank an alle am Buch Beteiligten äußerte sie sich auch zum teils unsicheren Verhalten von Eltern gegenüber ihren Kindern. Denn darum geht es in ihrem Mutter-Tochter-Roman, der überwiegend auf einer Halbinsel im nordfriesischen Wattenmeer spielt. Für die Jury des Preises der Leipziger Buchmesse ist "Halbinsel" ein "sensibel gebauter Roman über emotionale Altlasten, über Großzügigkeit und über das Geschäft mit dem Klima-Gewissen". Am Tag nach der Preisverleihung erzählt Kristine Bilkau im Gespräch mit Alexander Solloch, was sie zu ihrem Roman "Halbinsel" bewogen hat und welche Rolle Nordfriesland und das Watt darin spielen.
Angesichts der unermesslichen Größe und des unvorstellbaren Alters unseres Universums scheint ein einzelnes Menschenleben darin nahezu bedeutungslos. Ist es aber nicht, widerspricht der Wissenschaftsinfluencer Tim Voller: "Wir sind nicht lediglich Bewohner dieses Universums. Wir sind ein Teil davon." Denn wir bestehen aus genau der Materie, die beim Urknall entstanden ist. Bis heute. Atom für Atom. Und wir werden es immer bleiben. Mit der Verbreitung solch faszinierender Gedanken ist der 24-jährige Physikstudent aus Göttingen zum Social Media-Star geworden. Jetzt ist Tim Vollert in Buchform "mit Physik auf der Suche nach dem Sinn des Lebens" (dtv) - nach nur vier Wochen ein SPIEGEL-Bestseller. Tim Vollert schreitet darin die gesamte Geschichte des Kosmos aus, vom Anfang bis in ein paar Billionen Jahren. Er beschreibt wie es vor 4,5 Milliarden Jahren durch Gravitationskräfte zur Entstehung der Erde kam und wie darauf vor 350.000 Jahren der Homo sapiens entstand. Dass dabei anderes als Naturgesetze bestimmend gewesen sein könnten, schließt Tim Vollert im Gespräch mit Jürgen Deppe aus: "Es gibt ja nichts Zweites neben der Physik, was gerade unsere Realität kontrolliert. Die Tatsache, dass wir sehen können, weil Photonen gerade unsere Augen erreichen, ist Physik. Jeder einzelne Gedanke und jede Wahrnehmung um uns herum, aber auch die ganze Realität. Wir sitzen hier gerade in einer Raumzeit, die halt gefüllt ist mit der Materie, die mal aus Elementarteilchen bestand, die im Urknall entstanden sind. Das ist ja alles Physik!" Ob in einem solchen Erklärungsmuster Platz für eine schöpferische oder spirituelle Kraft ist, bleibt den Leserinnen und Lesern oder den Hörerinnen und Hörern selbst überlassen. Zu trösten weiß Vollert allemal: "Sie sind die Summe Ihrer Teilchen. Das ist keine Abwertung Ihrer Person, sondern eine Aufwertung. Zwar sind Sie vergänglich und die Teilchen, aus denen Sie bestehen, lassen sich herunterbrechen oder umwandeln, jedoch werden die elementarsten Bauteile, welche der Ursuppe des Urknalls entstiegen sind, immer da sein. Für den Rest der Lebenszeit unseres Universums. Und in dieser Ursuppe waren Sie wahrhaftig vereint mit dem ganzen Kosmos."
Vor vier Jahren ist der weltgereiste Autor Matthias Politycki ("Weiberroman", "Samarkand Samarkand", "Das kann uns keiner nehmen") aus seiner, wie er sie selbst nennt, "linksgrünen Blase" in Hamburg nach Wien gezogen. Er fühlte sich im Schreiben und Debattieren zunehmend eingeschränkt durch political correctness, wokeness und cancel culture. Nun veröffentlicht er den zu jener Zeit entstandenen Essay "Mann gegen Mann" und schreibt darin "von alten und neuen Tugenden". Wohlgemerkt männlichen Tugenden: wehrhafte, verteidigungsbereite Männer brauche das Land. "Oder besser: Menschen mit alten, traditionell den Männern zugeschriebenen Tugenden braucht das Land, welchen Geschlechts auch immer." Während Alphamännchen à la Trump und Putin ihr Testosteron auf der Weltbühne verströmten, marodierten gleichzeitig maskulinistische Machos durch unsere Straßen. Beidem müsse man sich in den Weg stellen. Und zwar mannhaft. Im Gespräch mit Jürgen Deppe sagt Matthias Politycki, dass Jahrtausende alte Geschlechtertraditionen noch immer in unseren Genen steckten, dass sich traditionelle und neue Männerbilder ergänzen müssten und dass ein Mann einem andern besser eine Hand auf die Schulter lege als ihm mit der Faust zu drohen.
Die Comic-Künstlerin Ulli Lust ist eine der renommiertesten Vertreterinnen ihres Fachs. Seit vielen Jahren beschäftigt sie sich mit dem Bild der Frau in der Gesellschaft. Jetzt hat sie mit dem Buch "Die Frau als Mensch" die oft falschen Annahmen über die steinzeitliche Lebensweise unter die Lupe genommen. In ihren Recherchen fand sie bestätigt, was viele vielleicht bereits geahnt hatten: die Frau, und nicht der Mann, stand im Zentrum dieser längst vergangenen Kultur, nicht Egoismen und das Recht des Stärkeren haben uns so lange und erfolgreich als Spezies überleben lassen, sondern die Fähigkeit zur Kooperation. Im Gespräch mit Martina Kothe spricht Ulli Lust über ihre Arbeit, die Herausforderung einen Sach-Comic zu gestalten und die Bedeutsamkeit der Farbe Rot-Ocker.
„Wir leben in der bisher besten aller bekannten Welten“, stellt der renommierte Historiker von der Uni Konstanz in Bezug auf den industrialisierten Teil der Welt fest: ökonomisch, sozial, medizinisch. Doch der unabwendbare Klimawandel verändere alles und mache – so Landwehr – unseren Planeten selbst zum historischen Akteur: „Die Menschheit sieht sich zum ersten Mal in einer Situation, in der sie die Konsequenzen ihres eigenen Handelns nicht mehr selbst in der Hand hat.“ Der Mensch habe die Krise selbst herbeigeführt, sei nun aber nicht mehr in der Lage sie zu lösen, so Landwehr: „Diese Veränderungen und der Klimawandel, inklusive Konsequenzen, werden nicht weggehen. Und zwar für sehr lange Zeit nicht weggehen. Das heißt eben auch, dass die Unsicherheiten und Unwägbarkeiten nicht weniger werden.“ Im Gespräch mit Verena Gonsch stellt Achim Landwehr klar, dass es einfache Antworten auf die Herausforderungen nicht geben kann. Weder Panikmache noch Ignoranz würden helfen: „Ein dritter Weg müsste darin bestehen, Unsicherheit zu einem integralen Bestandteil zu machen.“
Er habe manchmal das Gefühl, dass er „ein bissl eine prophetische Eigenschaft habe“ und deshalb vor sich selbst „eigentlich Angst“. Ob bei seinem Krimi „Rechtswalzer“ oder dem Historienroman „Die Entdeckung Amerikas“, oft habe sich bei Erscheinen des Buches seine Phantasie plötzlich gespenstisch in der Wirklichkeit gespiegelt. So auch jetzt. In Franzobels „Hundert Wörter für Schnee“ geht es unter anderem um den amerikanischen Ingenieur und Forscher Robert Peary. Der plante Ende des 19. Jahrhunderts zunächst den Vorläufer des heutigen Panama-Kanals und verhielt sich später beim Streben zum Pol in Grönland wie ein Kolonialherr. America first? „Am Ende weiß ich gar nicht mehr genau, habe ich das erfunden oder habe ich das irgendwo gelesen. Ist das Fakt oder ist das einfach meine Phantasie?“ Auf über 500 Seiten entfaltet Franzobel in „Hundert Wörter für Schnee“ jetzt Robert Pearys jahrelanges, rücksichtsloses Streben zum Nordpol und das Schicksal des von ihm zusammen mit fünf weiteren Inuit in die USA verschleppten Minik. Ihn habe, sagt Franzobel im Gespräch mit Jürgen Deppe, dessen „Zerrissenheit interessiert, diese Problematik der Migration, des Heimatlosen.“ Mit Ironie und teils groteskem Sprachwitz erzählt Franzobel eine reale Antihelden-Saga, die heute ganz ähnlich stattfinden könnte.
Das ist das Ergebnis der Studie „Die distanzierte Mitte“ unter Leitung des Gewalt- und Konfliktforschers Andreas Zick: Jede zwölfte Person in Deutschland hat ein geschlossen rechtsextremes Weltbild, fast jede*r dritte teilt völkische Ansichten. „Es hat sich Vieles normalisiert. Wir betrachten es nicht mehr als so erschreckend wie in den 90er Jahren.“ Selbst Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele halten 44 Prozent der Befragten für moralisch gerechtfertigt. Anders als früher befürworten laut der aktuellen Erhebung insbesondere Jüngere immer stärker rechtspopulistische und rechtsextreme Positionen – unabhängig vom Bildungsstand. Im Gespräch mit Dietrich Brants erläutert Andreas Zick, wie sich rechtsextreme Auffassungen in der Mitte der Gesellschaft „normalisieren“, wie nationales und völkisches Denken im Kulturbetrieb Raum greift und wie gesichert Rechtsextreme allerorten Aufgaben und Posten übernehmen.
„Ich bin kein besonders guter Zuhörer“, bekennt Bernhard Pörksen. „Ich höre viel zu oft nur mich selbst. Gefangen im eigenen Ego, den eigenen Urteilen oder auch Vorurteilen.“ Deutschlands prominentester Medienwissenschaftler sagt das nicht etwa aus Eitelkeit, sondern meint, er sei da „wie viele andere Menschen.“ Der Tübinger Medienprofessor, der derzeit Fellow am New Institute in Hamburg ist, stellt im Gespräch mit Katja Weise die Zuhör-Defizite nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Bereich fest. Angesichts der zahlreichen Krisen weltweit funktioniere im allgemeinen Rauschen das Zuhören nicht mehr: „Die Bequemlichkeit, die Verdrängungssehnsucht werden größer. Die Menschen werden nachrichtenmüde, klinken sich aus, flüchten sich in den eigenen heiliggesprochenen Seelengarten.“ In seinem Buch „Zuhören. Die Kunst, sich der Welt zu öffnen“ (Hanser Verlag) beschreibt Bernhard Pörksen, dass der Nachrichten-Überdruss auch mit den Veränderungen in der Medienlandschaft zu tun habe: „War es früher schwer zu senden, ist es heute schwer Gehör zu finden.“ Dieser Mechanismus von Senden und Empfangen werde jetzt gesteuert von „Zuckerberg, Musk und Co.“, sei also, so Pörksen, maximal profitorientiert. Im Gegenzug fordert der Medienwissenschaftler: „Man muss das Zögern lernen. Man muss dem Flüstern, dem Murmeln hinterherhören.“
„Das Leid ist gewissermaßen tradiert worden.“ Ob als Trauma von Opfern wie Tätern bis in die 4. Generation oder als antisemitisches wie rassistisches Gedankengut – das Grauen in deutschen Konzentrationslagern hat bis heute tiefe Spuren hinterlassen. Diesen Schluss zieht Elke Gryglewski, Geschäftsführerin der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten, aus ihrer täglichen Arbeit. Sie ist unter anderem Leiterin der Gedenkstätte Bergen-Belsen und hält als solche für ihre Erinnerungsarbeit Kontakt mit den letzten Zeitzeugen: „Wir wissen, dass die seltene Möglichkeit mit Überlebenden zu sprechen von sehr, sehr hohem Wert ist.“ Da die Zeitzeugen altersbedingt aber immer weniger werden, übernähmen nach Ansicht Gryglewskis authentische Gedenkstätten die Aufgabe der Erinnerungsarbeit. „Wir merken es an unserem Publikum, dass es wichtig ist dort zu sein, wo es geschehen ist. Was immer dieses ‚wo-es-geschehen-ist‘ auch bedeutet.“ Im Gespräch mit Jürgen Deppe betont Elke Gryglewski, dass vor dem Gedenken aber das Schließen von Bildungslücken stehe – bei jüngeren wie bei älteren Menschen, zumal sich die Diversität von Antisemitismus in der Vergangenheit erweitert habe: Er komme von rechts wie von links, aber auch aus muslimischen Communities. „Diese Phänomene müssen wir sehr ernst nehmen.“
Für den Philosophen und Physiker Georg Christoph Lichtenberg war das Gesicht „die unterhaltsamste Fläche der Welt“. Ähnlich sieht es die Literaturkritikerin Andrea Köhler und hat deshalb jetzt im zu Klampen Verlag den kulturhistorischen Essay „Vom Antlitz zum Cyberface – Das Gesicht im Zeitalter seiner technischen Manipulierbarkeit“ veröffentlicht. „Wenn wir jemandem ins Gesicht schauen, findet automatisch ein Feuerwerk an neuronalen Prozessen statt,“ erklärt Andrea Köhler. Wir ordnen ein, analysieren, kategorisieren. Doch das Gesicht lässt sich verändern, schmücken, verschleiern und wird mit digitalen und chirurgischen Möglichkeiten immer wandel- und manipulierbarer. Andrea Köhler zeigt in ihrem Essay, wie das Gesicht in Kunst und Kultur über die Jahrhunderte dargestellt wurde, spricht mit Andrea Schwyzer über das Stigma des alternden Gesichts und die Gefahren für unsere Demokratie und Empathiefähigkeit, wenn Gesichter verzerrt oder anonymisiert werden.
Als Wolf Haas vor Jahren angefangen hat, an "Wackelkontakt" zu schreiben, ist er "von vornherein davon ausgegangen, es wird nicht funktionieren". Viel zu verschlungen schien ihm die Geschichte über den Puzzle-süchtigen Trauerredner Franz Escher, der ein Buch über den Mafia-Killer Elio Russo liest. Denn Elio Russo liest ein Buch über den Trauerredner Franz Escher, der ein Buch über Elio Russo liest … Und so weiter. Die Geschichten befeuern sich gegenseitig, heizen sich auf und werden schließlich zu einer. Einer hochkomischen! Beim Schreiben dieses Buches, gesteht Wolf Haas im Gespräch mit Jürgen Deppe, habe er sich schon manchmal "Sorgen um meine geistige Gesundheit" gemacht. "Aber es war so unterhaltsam, dass ich mir dachte, ich lass es drauf ankommen." Im Gespräch erzählt der Bestsellerautor von seinem Umgang mit dem Erfolg und seinen Zweifeln beim Schreiben, von seinen allmorgendlichen Versuchen, nicht Wolf Haas zu sein, und von seiner Skepsis gegenüber vermeintlicher Authentizität. Er sei, sagt Wolf Haas, Unterhaltungsschriftsteller: "Ich habe da einen sehr einfachen Anspruch. Ich möchte, dass es mich unterhält, wenn ich es schreibe. Ich möchte, dass es die Leute unterhalt, wenn sie es lesen. Unterhaltung kann ja auf verschiedenen Ebenen stattfinden."
Vom "disco"-Star zum Chansonnier - immer auf der Suche nach seiner religiösen Identität "zwischen Kreuz und Davidstern".
Die Bahn funktioniert nicht. Einer Entbürokratisierung stehen ständig neue Regelungen entgegen. Und statt die Herausforderrungen von Digitalisierung und Künstlicher Intelligenz entschlossen anzugehen, verharren wir in Altbekanntem. Der Soziologe Armin Nassehi zieht zum Jahresende Bilanz, benennt die ungelösten Probleme in Institutionen, Infrastruktur und Politik, analysiert die markantesten öffentlichen Gesten dieses Jahres und zieht Folgerungen aus Ereignissen wie dem Ampel-Aus. Seine Überschrift für das Jahr 2024: „Es kann nur besser werden.“
Es ist die wohl berühmteste und prägendste Geschichte der Menschheit: Die, von der Geburt Jesu. Jedes Jahr erzählen wir erneut von Maria und Josef, wie sie für eine Volkszählung nach Bethlehem reisten, dort keine Bleibe fanden und wie Jesus Christus in einem Stall zur Welt kam, in eine Krippe gelegt wurde, direkt neben Ochs und Esel; wie erst die Hirten zu Besuch kamen und dann drei Könige, angeleitet von einem Stern. So war es nicht, kommentiert Simone Paganini, Professor für Bibeltheologie an der RWTH Aachen. Jesus sei nicht in Bethlehem, sondern in Nazareth geboren worden, nicht in einem Stall, sondern in einem Gastraum, und er wurde nicht von drei Heiligen Königen besucht, sondern von Sternendeutern auf der Durchreise: „Man kann sehr viel aus dieser Erzählung wegtun, was man historisch nicht wirklich rechtfertigen kann oder wo man sogar sagen kann: Es war hundertprozentig nicht so.“ Der katholische Theologe beschäftigt sich seit über 15 Jahren mit der Weihnachtsgeschichte, hat die Ursprungsquellen gelesen, die Lebensweisen der Menschen zu jener Zeit studiert und erzählt die Geburt des Messias neu. „Man feiert, dass Gott Mensch geworden ist. Das ist die Botschaft, die übrig bleibt.“ Simone Paganini stellt im Gespräch mit Andrea Schwyzer die Weihnachtsgeschichte und die Erzählungen über den erwachsenen Messias auf den Prüfstand. Anhand von Fakten und aktuellen Forschungsergebnissen zeichnet er ein komplett neues Bild der „heiligen Nacht“.
Das Udo Lindenberg-Musical „Hinterm Horizont“ war der größte Bühnenerfolg in der Berliner Theatergeschichte. Im Auftrag des Hamburger Musicalunternehmens Stage Entertainment hatte der Schriftsteller Thomas Brussig („Helden wie wir“, „Das kürzere Ende der Sonnenallee“, „Das gibts in keinem Russenfilm“) das Libretto dazu geschrieben und dafür 100.000 Euro erhalten. Wegen des riesigen Erfolgs des Musicals fand Brussig das zu wenig und verklagte Stage Entertainment auf Basis des „Bestsellerparagrafen“ im Urheberrecht. Das Landgericht Hamburg gab ihm nach 10 Jahren Prozessdauer nun in erster Instanz Recht und sprach ihm fünf Millionen Euro zu – plus Zinsen. Das Urteil könnte als Präzedenzfall in Urheberrechtsfragen in die Geschichte eingehen. Das Musicalunternehmen Stage Entertainment hat Berufung dagegen eingelegt. Im Gespräch mit Jürgen Deppe berichtet Thomas Brussig nun ausführlich davon, wie ihn seinerzeit Udo Lindenberg persönlich anrief und um das Libretto für das Musical bat, es dann aber „zum Glück“ zu keiner weiteren Zusammenarbeit kam. Wie das Musicalunternehmen Stage Entertainment trickst, um sich künstlich arm zu rechnen und Urheber nicht angemessen bezahlen zu müssen. Und wie ihn jeder weitere Tag des Verfahrens um über 1.000 Euro reicher macht.
In ihrem Buch „Bleibefreiheit“ hat die Philosophin Eva von Redecker eine Freiheitstheorie entwickelt, die sich mit dem Klimawandel auseinandersetzt. Sie stellt darin unseren liberalen Freiheitsbegriff in Frage. Denn wenn die Freiheit des Einzelnen eine Gefahr für alle bedeutet, stößt diese Form von Gesellschaft ihrer Ansicht nach an ihre Grenzen. Freiheit muss für sie dann auch bedeuten, nachfolgende Generationen mitzudenken. Im Gespräch mit Verena Gonsch analysiert die aus Schleswig-Holstein stammende Wissenschaftlerin auch das zunehmende Erstarken autoritärer Systeme. Die Unzufriedenheit vieler Menschen über eine veränderte und unübersichtliche Welt führe zu dem Bedürfnis, Flüchtlingen die Schuld am eigenen Frust zu geben. Der Staat werde dabei mehr und mehr als nicht mehr handlungsfähig erlebt.
Die NDR-Aktion „Hand in Hand für Norddeutschland“ sammelt in diesem Jahr für Menschen, die einsam sind. Aber was ist Einsamkeit, wer ist betroffen und wie können wir uns gegen Einsamkeit schützen und einsame Menschen zurück ins Leben holen? Der Soziologe Janosch Schobin forscht seit Jahren zu Freundschaft und Einsamkeit, erst in Hamburg, jetzt in Kassel und lehrt in Göttingen. Mit dem Kompetenznetz Einsamkeit berät er die Bundesregierung. Er sagt: „Was uns lebenslang am besten vor Einsamkeit schützt, ist ein Aufwachsen in einer sicheren, sozialen Welt mit stabilen Beziehungen.“ Die Pandemie habe viele Fakten zur Einsamkeit auf den Kopf gestellt. So zeigen Erhebungen, dass mittlerweile vor allem junge Menschen mit Einsamkeitsbelastungen zu tun haben. In der Lebensphase, in der sie normalerweise neue soziale Netze knüpfen und ausbauen, sei das wegen Corona nicht möglich gewesen. „Da ist eine Lücke entstanden und die Frage ist, wie schnell und ob überhaupt sich dieses Loch reparieren lässt.“ Grundsätzlich begünstigen Armut, schlechtere Bildungschancen, Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und körperliche Behinderungen das Abrutschen in die Einsamkeit. Übrigens sei Einsamkeit per se nicht problematisch, im Gegenteil. Im Gespräch mit Andrea Schwyzer erläutert Janosch Schobin, warum das Gefühl der Einsamkeit für uns überlebenswichtig ist.
Anfang des Jahres hat sie mit ihrer Geschäftspartnerin Julia Kreuch das Unternehmen „faarwel“. gegründet – die zwei versprechen „passende Bestattungen“, einen herzlichen, ehrlichen und ungekünstelten Abschied. Im Gespräch mit Alexandra Friedrich erklärt die Musikwissenschaftlerin, warum sie ihren Job in der Klassik-Szene für das Bestattungswesen aufgegeben hat und was beide Branchen gemeinsam haben. Wie ihre Töchter mit dem neuen Job umgehen und warum wir von Kindern einen guten Abschied lernen können, auch das erzählt die zweifache Mutter. Außerdem geht es um kulturelle Unterschiede im Umgang mit Tod und Trauer, um die beglückenden Momente und die großen Herausforderungen der Arbeit als Bestatterin.
Im Zuge der Gezeiten wurden die Nordseeküste, aber auch die Ufer der tideabhängigen Ströme wie Elbe, Oste, Weser und Ems schon immer von Meerwasser überspült. Mal mehr, mal weniger, gelegentlich katastrophal. Zurück blieb fruchtbares Land, das sich der Mensch zunutze machte: das Marschland. Der Hamburger Sozial- und Kulturhistoriker Norbert Fischer hat dem amphibischen Raum, der einst vor Reichtum strotzte und heute als abgehängt und strukturschwach gilt, mit MARSCHLAND einen European Essay on Nature and Landscape gewidmet. Im Gespräch mit Jürgen Deppe erklärt Fischer die historische Bedeutung der Region mit ihrem ausgeklügelten Entwässerungssystem, erläutert die Faszination der einzigartigen Vogelpopulation und beschreibt, wie Naturschützer und Landwirte heute um den richtigen Umgang mit dem Marschland ringen: Wildnis oder Wirtschaft?
Verluste waren früher Erfahrungen im Privaten. Tod und Trauer, Trennung und Endlichkeit, das sind Phänomene, die die Menschen im familiären Kreis ausgemacht haben. Heute schränken Pandemien das Leben ein, der Klimawandel bedroht Existenzen, die Arbeitswelten verändern sich und viele machen dafür die Politik verantwortlich. Andreas Reckwitz will mit seinem Buch "Verlust" auf diese veränderte Wahrnehmung aufmerksam machen und die Gesellschaft resilienter machen für Krisen. Gelbwesten in Frankreich, Trump-Anhänger in den USA, der Aufstieg der AfD. Immer geht es um etwas Verlorenes, sagt Andreas Reckwitz im Gespräch mit Verena Gonsch. Und das steht nach Ansicht des renommierten Soziologen im Gegensatz zum Fortschritts-Versprechen des Kapitalismus.
„Sie machen die Hotelbetten, wischen die Büros, putzen die Toiletten auf Raststätten. Sie stechen den Spargel, ernten die Erdbeeren, pflücken die Äpfel. Sie bauen die Wohnungen, die Universitäten, die Shopping Malls, schlachten die Schweine, zerteilen die Hühner, zerlegen die Puten…“. Jeder von uns hat sofort ein Bild von den prekär beschäftigten Menschen vor Augen, die unseren Wohlstand sichern. Der Journalist Sascha Lübbe gibt einigen von ihnen in seinem für den NDR Sachbuchpreis nominierten Buch „Ganz unten im System“ nun ein Gesicht und eine Stimme. Ein Großteil von ihnen kommt aus Osteuropa, um hier das Geld für die heimischen Familien zu verdienen. Dabei werden sie meist schwarz bezahlt, ausgebeutet und miserabeluntergebracht. Im Gespräch mit Christoph Bungartz beschreibt Sascha Lübbe, wie systematisch mit der Ausbeutung der Arbeitsmigranten Geld gemacht und wie wenig dagegen unternommen wird.
Die großen christlichen Kirchen sind in der Krise – die Gründe: vielfältig. Klar ist jedoch, noch nie waren so wenige Menschen in Deutschland Mitglied in der evangelischen oder der katholischen Kirche wie heute. Kirche – für viele ist das ein aus der Zeit gefallenes Auslaufmodell. Da überrascht es, wenn ausgerechnet ein Soziologe sagt: „Demokratie braucht Religion“. Hartmut Rosa ist bekannt für seine messerscharfen Analysen der „beschleunigten Gesellschaft“, die daraus entwickelte „Resonanztheorie“. Menschen, so seine Grundthese, müssten wieder mehr mit anderen und mit der Welt in Beziehung treten. Und an dieser Stelle könnten und müssten die Kirchen eine wichtige Rolle übernehmen. Wie die aussehen könnte und inwiefern die Krise der christlichen Kirchen in Deutschland eng zusammenhängt mit der Krise der Demokratie erläutert der Soziologe Hartmut Rosa im Gespräch mit Katja Weise. Für ihn selbst ist das Musizieren in einer Kirche übrigens ein „perfekter Resonanzmoment“.
Bianca Iosivoni ist seit 2018 eine der erfolgreichsten deutschen Autorinnen von „new adult“- Büchern. In diesem Jahr erschien ihre „Golden Bay“-Trilogie, die auch auf der Spiegel-Bestsellerliste stand. Für Bianca Iosivoni ist „new adult“ kein Genre im eigentlichen Sinn, sondern eher eine Zielgruppe. Die Bücher richten sich an junge Menschen zwischen 18 und 25, weil es „da in der Literatur“ eine Lücke gab. „Wir können uns glücklich schätzen, dass so viele Bücher verkauft werden, aber auch dass so viel mehr gelesen wird. Und dass die Leute sich gerade online so viel übers Lesen austauschen – das ist doch das Schönste, was passieren kann“, sagt Bianca Iosivoni. „Sex – und Kampfszenen haben viel gemeinsam“ Warum es so viel Sex in ihren Büchern gibt und wie sie versucht, mit Thrillern sich eine erweiterte Leserschaft zu erschließen, darüber hat NDR Kultur Literaturredakteurin Maren Ahring mit Bianca Iosivoni am Rande der Frankfurter Buchmesse gesprochen.
Melanie Raabe kennt sich aus mit Thrillern. In ihrem neuen Roman „Der längste Schlaf“ verbindet sie ihre Fähigkeit, große Spannung aufzubauen mit Elementen des magischen Realismus. Ihre Protagonistin ist Schlafforscherin und kennt sich, besser als ihr lieb ist, mit Schlaflosigkeit aus. Dann erbt sie ein Haus in der hessischen Provinz von einem ihr unbekannten Mann. Was hat das zu tun mit den beiden Kindern, die in diesem Ort vermisst werden? Im Gespräch mit NDR Kultur-Moderator Joachim Dicks, das auf der ARD-Bühne auf der Frankfurter Buchmesse entstanden ist, gibt Melanie Raabe Antworten auf diese und noch viel mehr Fragen.
Für ihren Roman „Hey guten Morgen, wie geht es Dir?“ ist Martina Hefter mit dem Deutschen Buchpreis 2024 ausgezeichnet worden. Dass die Entscheidung der Jury offenbar ein Kompromiss war, sei für sie völlig okay, denn einstimmige Jury-Voten seien sehr selten. Im Gespräch mit Maren Ahring erklärt Martina Hefter, was es mit sogenannten „Love Scammern“ auf sich hat. Sie stellt sich der der Frage, ob Tanz, Lyrik und Romane bei ihr irgendwie zusammenhängen. Und das Tattoo einer Wildbiene, das sich die Buchpreisträgerin zusammen mit ihrer Lektorin hat stechen lassen, spielt auch eine Rolle.
Mit ihrem Roman „Nach den Fähren“ hat die Hannoversche Autorin Thea Mengeler das Publikum von sich überzeugt: Bei der Online-Abstimmung zur Wahl der besten Bücher der Unabhängigen Verlage landete sie auf der Shortlist. Am Freitag wird der Preis der sogenannten Hotlist auf der Frankfurter Buchmesse vergeben. Mengelers Buch handelt von einer Insel, zu der die Fähren mit den Touristen eines Tages nicht mehr kommen. Was macht das mit den Zurückgebliebenen? Wie verändert sich die Insel, wenn sie plötzlich wieder den Einheimischen gehört? Im Gespräch mit Jan Ehlert erzählt Thea Mengeler, warum das Fortbleiben der Fähren Freiheit und Verlust zugleich ist. Außerdem gibt sie Einblicke in das Entstehen ihres Romans: Welche Insel hat sie inspiriert? Und warum kann es hilfreich sein, beim Schreiben den Füller statt den Laptop zu benutzen?
"Ich bin generell der Meinung, dass eine Woche ohne Comics oder Manga eine vergeudete Woche ist", sagt Joachim Kaps selbstbewusst. Der promovierte Kulturwissenschaftler ist seit über 30 Jahren im Comic-Business unterwegs. Anfangs im Carlsen Verlag, seit 2017 leitet er als Geschäftsführer den Hamburger Manga-Verlag altraverse. Im Gespräch mit Mathias Heller spricht der selbsternannte „Manga Onkel“ über die Entstehung dieser Jugendkultur in Deutschland, über Frauenbilder, die Kraft der Community und was die Zukunft für dieses Medium bereithaltet könnte: "Wir können mit Comic zur Kultur in unseren Breiten etwas beitragen."
1989/1990 bejubelten Viele im Osten den Gewinn der Freiheit - und erkannten nicht den Preis, den sie dafür bezahlten.
Der Vater war Alkoholiker, die Mutter depressiv, die Kindheit ein Grauen. Vor vier Jahren beschrieb Christian Baron sein Heranwachsen in Armut in seinem autobiografischen Roman „Ein Mann seiner Klasse“ und wirbelte damit viel Staub auf. In sozial äußerst prekären Verhältnissen aufgewachsen, schaffte Baron es, als erster seiner Familie die Armut zu verlassen, aufs Gymnasium zu gehen und Journalist zu werden. Warum das nur mit Glück gelang und mit Menschen, die an ihn glaubten, erzählt er im Gespräch mit Mareike Gries. Seine eigene Lebensgeschichte nun in einer für seine Begriffe großartigen ARD-Verfilmung zu sehen, löst in ihm einen Strudel der Gefühle aus. Wobei Baron betont: Seine Geschichte steht nur beispielhaft für so viele Geschichten von Menschen, die in Armut leben müssen. Baron fordert deshalb engagiert ein klares Umdenken in der deutschen Sozialpolitik.
„Wir sind Wesen, die darauf angewiesen sind, ein bisschen Hoffnung zu haben, in eine Zukunft zu blicken, die wir für gestaltbar halten“. In früheren Zeiten hätte religiöser Glaube das Bedürfnis danach durch die Hoffnung auf ein besseres Leben nach dem Tod befriedigt, sagt Philipp Blom. im 20. Jahrhundert hätten vor allem politische Ideologien das „Prinzip Hoffnung“ geschürt. In jüngster Zeit würde die Hoffnung enorm auf ein besseres Jetzt fokussiert, individualisiert und von kapitalistischen Interessen dirigiert, sagt der heute in Wien lebende Historiker und Autor. Hoffnung basiere aber auf einem „Minimum an Gemeinsamkeit, um überhaupt noch eine Gesellschaft zu sein“, auf gemeinsamer Geschichte und Gegenwart, so Blom. Er ist davon überzeugt, dass die „rasende Entwicklung von Technologien, die unser Leben völlig umkrempeln“ zu einer Vereinzelung führt, die ein „gemeinsames Projekt“ einer Gesellschaft immer schwieriger macht. Das aber sei Grundlage für „ein kluges Verhältnis zur Welt“. Im Gespräch mit Ulrich Kühn erläutert Philipp Blom, welche Rolle bei der Ausbildung von Perspektiven die Geschichten spielen, die wir uns gegenseitig erzählen, und wie seine eigene Hoffnung aussieht: „Vielleicht ist es möglich, dass wir uns neu entdecken lernen als natürliche Wesen, als Wesen, die in einem riesigen System leben und auf dieses System angewiesen sind: Und die Chef von genau gar Nichts sind!“
Axel Hacke ist überrascht. Zwar verbringt er schon sein ganzes, nicht mehr ganz kurzes Leben in und mit seinem Körper, weiß aber eigentlich herzlich wenig über ihn: „Ich glaube nicht, dass jeder jetzt so genau sagen kann, wo die Leber sitzt oder was die Galle eigentlich tut.“ Weil er es auch nicht wusste, hat er sich selbst jetzt in 15 Kapiteln auf Herz und Hirn, Knochen und Zähne, Lunge, Darm und, ja, auch den Penis untersucht. Und natürlich hat der Vielschreiber darüber ein Buch geschrieben: „Es gibt so Leute, die schreiben ihre Memoiren. Dann schreiben sie über ihre Heldentaten, über ihre geistigen Leistungen und so. Und ich habe immer gedacht, warum schreibt man nicht mal die eigene Lebensgeschichte nur aus der physischen, aus der Körpersicht. Über die Heldentaten der Leber, über das, was das Herz so leistet jeden Tag, was die Nase für ein Wunderwerk ist, was man alles so gebrochen hat, was man für Narben am Körper hat.“ Herausgekommen ist dabei „Aua! Die Geschichte meines Körpers“. Mit Jürgen Deppe hat Hacke über allerlei Kurioses rund um dessen Körper gesprochen – etwa darüber, dass er sich mal beim Meditieren eine Rippe gebrochen und einem gezogenen Backenzahn in seinem Büro ein Mausoleum errichtet hat. Außerdem schildert Hacke seinen Tinnitus, der ihn seit Jahrzehnten quält und nur für ihn hörbar ist, und er berichtet von Milliarden Mikroorganismen, die jeden unserer Körper bevölkern. Der heitere Melancholiker sinniert schließlich auch über das Verhältnis von Körper und Geist und den Sitz der Seele. Bei aller Bewunderung für die zahllosen bewussten oder unbewussten Fähigkeiten des Körpers stellt Hacke spätestens beim Gehirn fest, „dass man vor Ehrfurcht vor sich selbst eigentlich nur erschauern kann.“
Als Regisseurin steht Julia von Heinz für erfolgreiche Fernsehserien wie „Eldorado KaDeWe“ und Kinofilme wie „Hanni & Nanni 2“. Als Wissenschaftlerin hat sie unter anderem eine Arbeit über „den Einfluss des öffentlich-rechtlichen Fernsehens auf Deutschen Kinofilm“ verfasst. Julia von Heinz wird eine „besondere politische Sensibilität“ zugeschrieben, was sie als große Ehre empfindet und was kein Wunder ist. Denn die in West-Berlin geborenen und in Bonn aufgewachsene Filmemacherin schloss sich nach einem Überfall von Neonazis bei ihrer 15. Geburtstagsfeier in den Rheinauen der Antifa an und verarbeitete diese Zeit in ihrem preisgekrönten Film „Und morgen die ganze Welt“. Der Bücherschrank ihrer Mutter ist schuld an ihrem neuen Film „Treasure – Familie ist ein fremdes Land“. Der Film, der am 12. September im Kino startet, handelt von einer Vater-Tochter Beziehung und einer Reise auf den Spuren ihrer jüdischen Vergangenheit in Polen. Im Gespräch mit Filmexpertin Bettina Peulecke freut sich die Professorin an der Hochschule für Film und Fernsehen in München darüber, dass ihre StudentInnen in keine anti-feministische Statement-Falle mehr tappen, betont sie die Wichtigkeit politischen Bewusstseins und verrät, wer ihre Vorbilder sind – und warum.
Schon lange vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ist eine Diskussion über den Zustand der Demokratie in Ostdeutschland entbrannt. Grit Lemke, 1965 in der Niederlausitz geboren und in Hoyerswerda aufgewachsen, arbeitet als Filmemacherin und Autorin in Berlin und Hoyerswerda. Sie sorgt sich um das Erstarken der Rechten, kritisiert jedoch gleichzeitig die aktuelle Debatte. Die Wahlerfolge rechtsradikaler Parteien gäben nicht nur Aufschluss über die Gesellschaft in Ostdeutschland, sagt Lemke im NDR Kultur-Gespräch, sondern auch über den Zustand der Demokratie selbst. Der Erfolg der Rechten im Osten habe viele Ursachen, darunter die Erfahrungen nach der Wende und der mangelnden Anerkennung, die eine tief verwurzelte Unzufriedenheit und einen Pessimismus hinsichtlich der Zukunft begünstigt hätten. Im Gespräch mit Sebastian Friedrich erklärt Grit Lemke, dass es wenig sinnvoll sei, sich vor allem auf die etwa 30 Prozent AfD-Wähler im Osten zu konzentrieren, denn dadurch gerieten diejenigen aus dem Blick, die dies nicht täten und sich stattdessen aktiv für eine lebendige Zivilgesellschaft einsetzten.