Moderator Tim Pritlove spricht mit Wissenschaftlern und anderen Aktiven des Wissenschaftssystems über aktuelle und zukünftige Trends und Praktiken für die Bildung, der Forschung und der Organisation und Kommunikation der Wissenschaft. Die ausführlichen Interviews wenden sich vor allem an junge und…
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Der Kosmos der kleinsten Lebewesen auf dieser Welt ist noch weitgehend unbekanntes Terrain. Die Wissenschaft kennt derzeit rund 19.000 unterschiedliche Arten von Mikroorganismen, aber es gibt tatsächlich bis zu einer Milliarde. Dementsprechend vielfältig zeigen sich die Bakterien, die mikroskopisch kleinen Pilze und Algen – denn sie hatten vier Milliarden Jahre für ihre Evolution, also viel, viel länger als die Tiere und Pflanzen auf dieser Erde. Als Professor für Mikrobiologie an der TU Braunschweig und Wissenschaftlicher Direktor der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) erforscht Jörg Overmann dieses mit dem bloßen Auge nicht sichtbare Reich. Die Einzeller verhalten sich anders als größere Organismen, eben weil sie so klein sind. Ihr Stoffwechsel läuft viel schneller ab – in ihnen, so könnte man sagen, pulsiert geradezu das Leben. Viele Menschen halten Mikroorganismen aber für „böse“. Tatsächlich können manche Bakterien Krankheiten auslösen, doch viele verrichten auch für den Menschen sehr nützliche Dinge. Sie erweisen sich zudem sehr flexibel, wenn es darum geht, ökologische Nischen zu besetzen, und alleine die enorme Größe einer Bakterienpopulation mit Millionen von Milliarden Zellen sorgt dafür, dass an für sich seltene genetische Änderungen eben doch sehr häufig auftreten und die Evolution vorantreiben. Jörg Overmann wurde mit dem Wissenschaftspreis „Forschung in Verantwortung“ 2022 ausgezeichnet, den der Stifterverband auf Vorschlag der Leibniz-Gemeinschaft vergibt.
Was ist eigentlich Wissen? Was auf den ersten Blick wie eine ganz triviale Frage wirkt, berührt den Kern menschlicher Erkenntnis. Die Philosophie, die diesen Begriff seit Jahrtausenden auslotet, bewegt sich keineswegs nur in akademischen Sphären, sondern ist ganz aktuell, wenn man das Problem anders formuliert und die Frage stellt: Was sind Fake News? „Philosophie kann lebensfern wirken, ist es aber nicht“, sagt Markus Schrenk, seit 2014 Professor für Theoretische Philosophie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Gemeinsam mit einem Team aus Lehrenden und Studierenden hat er das Projekt denXte ins Leben gerufen. Die Idee: Bürgerinnen und Bürger ohne Vorkenntnisse für philosophische Zusammenhänge zu begeistern. Das Mittel dazu ist ein ganzes Bündel an Aktivitäten, von klassischen Abendveranstaltungen über Videos bis hin zu sozialen Medien und Livechats. Philosophie, so kristallisiert sich heraus, ist eine Art Universallehre, die – ähnlich wie die Mathematik – verspricht, Klarheit über die Welt zu verschaffen. Bei der Beschäftigung mit Fragen von Wahrheit, Überzeugung und Handeln wird deutlich: Philosophie steckt im täglichen Leben. Ethik etwa ist für politische Entscheidungen und in der Rechtsprechung bedeutsam. Oder die Entwicklung von Computern wäre ohne das philosophische Konzept von Logik undenkbar gewesen. Der Stifterverband und die Deutsche Forschungsgemeinschaft haben das Projekt denXte im Jahr 2022 mit dem Communicator-Preis für herausragende Wissenschaftsvermittlung ausgezeichnet.
"Jedes Kind soll einmal programmiert haben, bevor es sich für einen Beruf entscheidet." So lautet das Ziel, das sich die Hacker School gesetzt hat. In Hamburg beheimatet, aber deutschlandweit aktiv, wendet sich die gemeinnützige GmbH vor allem an Jugendliche im Alter zwischen elf und 18 Jahren. Die Kursangebote – als Teil des Unterrichts oder außerschulisch in Kooperation mit Unternehmen – geben Impulse für die spätere Berufswahl. Insbesondere Mädchen helfen sie, Barrieren zu überwinden und das Thema IT für sich zu entdecken. Julia Freudenberg, Leiterin der Hacker School, ist Feuer und Flamme für ihre Mission, Jugendliche fürs Programmieren zu begeistern. Und das geht einfach durch Ausprobieren: Ohne Notendruck können die Schülerinnen und Schüler für eine praktische Aufgabe ihren eigenen Lösungsweg finden – eben einen Hack. Und mit dem Erfolgserlebnis stellt sich die Erkenntnis ein, dass Programmieren einfach eine coole Sache ist. Die Hacker School ist 2014 gestartet und wird alleine in diesem Jahr rund 12.500 Jugendliche erreichen. Sie setzt auf ein großes Netzwerk, in dem auch zahlreiche Unternehmen mittels Corporate Volunteering eingebunden: Oft sind es Auszubildende, die einen IT-Beruf erlernen und als sogenannte Inspirer die Kurse leiten. Sie sprechen auf Augenhöhe mit den Jugendlichen und zeigen: Programmieren ist mehr als Code schreiben. Man braucht Kreativität, Kommunikation, Kollaboration und kritisches Denken – oder kurz: Future Skills, um die digitale Welt mitgestalten zu können. Der Stifterverband hat die Hacker School 2021 im Rahmen der Initiative ""digital.engagiert"" gefördert und als Bildungsort des Monats ausgezeichnet.
Das Heulen eines Wolfrudels, ein frühmorgendliches Vogelkonzert, der Gesang der Wale oder das Trommeln einer Wolfsspinne: Mit der Art und Weise, wie die Tierwelt von sich hören lässt, befasst sich die Bioakustik – eine Spezialdisziplin der Zoologie. Am Berliner Museum für Naturkunde existiert eine der drei weltweit größten Sammlungen mit ca. 120.000 Aufnahmen von Tierstimmen. Karl-Heinz Frommolt ist wissenschaftlicher Leiter dieses Archivs. So vielfältig die Fauna kommuniziert, so unterschiedlich erzeugen die Tiere diese Laute. Viele Wirbeltiere modulieren mit dem Luftstrom in einem Kehlkopf ihre Stimme, wie eben auch der Mensch. Es gibt aber auch andere Mechanismen: Insekten etwa produzieren Schall, indem sie Körperteile aneinanderreiben: So entsteht beispielsweise das für Grillen typische Zirpen. Eine erstaunliche Variabilität legen Vögel an den Tag, die auch den Gesang fremder Arten in ihr eigenes Repertoire einbauen. Der in Australien beheimatete Leierschwanz besitzt ein so ausgeprägtes Stimmorgan, dass er auch Geräusche aus der menschlichen Zivilisation täuschend echt nachahmen kann, wie etwa das Surren einer Kamera oder eine Alarmanlage. Nützlich erweist sich das Tierstimmenarchiv beispielsweise für die Verhaltensforschung, wenn Biologen in Playback-Experimenten untersuchen, wie Tiere auf bestimmte Laute reagieren. Es wird für künstlerische Zwecke sowie natürlich für Bildung genutzt und zuletzt auch, um durch das automatische Erkennen von Arten zum Monitoring der Biodiversität beizutragen.
Medizinische Erkenntnis durch Auswertung von Patientendaten aus verschiedenen Quellen – oder Schutz sensibler, persönlicher Informationen vor Weitergabe an Dritte: Das sind zwei berechtigte Anliegen, die meist nur schwer unter einen Hut zu bekommen sind. Der Weg, alle relevanten Daten in einen Topf zu werfen und auszuwerten, ist oft aus rechtlichen Gründen verbaut. Doch es gibt eine Alternative, die den Konflikt zwischen Kollaboration und Datenschutz auflösen kann. Das Federated Secure Computing genannte Verfahren setzt darauf, dass die Daten quasi ihren Heimathafen gar nicht verlassen. Wenn etwa mehrere Forschungseinrichtungen ihre jeweiligen Datenbestände analysieren, tun sie das für sich parallel auf dieselbe Methode und führen dann ihre Ergebnisse zusammen. Das ist kryptografisch abgesichert, so dass sich keine Rückschlüsse auf einzelne Originaldaten ziehen lassen. Und die Resultate sind im Endeffekt genauso gut wie bei einer gemeinsamen Datenbasis. Hendrik Ballhausen von der Ludwig-Maximilians-Universität München ist einer der Köpfe dieses innovativen Projekts, das vom Stifterverband im Rahmen der Initiative „Wirkung hoch 100“ gefördert wird. Die zugrunde liegenden mathematischen Verfahren gibt es schon seit den 1970er-Jahren. Neu ist der Open-Source-Ansatz, dieses verteilte Rechnen in schlanke, effiziente Anwendungen zu verpacken, um zum Beispiel Korrelationen in Daten zu erkennen. Dies nutzt nicht nur der medizinischen Forschung, sondern könnte etwa auch in der Wirtschaft zur Erstellung von Branchen-Benchmarks dienen – wenn Unternehmen, die miteinander im Wettbewerb stehen, ihre Daten einfließen lassen, ohne sie aus der Hand zu geben.
Vor 11.000 Jahren kam es in der Eifel zu einer gewaltigen Eruption: Der Ausbruch des Vulkans, an dessen Stelle sich inzwischen der Laacher See befindet, verwüstete weite Landstriche. Eine Lawine aus glühender Lava wälzte sich zu Tal und türmte sich zu einem hundert Meter hohen Damm, der den Mittelrhein in einem Gebiet vom heutigen Koblenz bis nach Mainz zu einem See aufstaute. Auch wenn gerne das Gegenteil behauptet wird, weil die Eifel-Vulkane alle scheinbar friedlich ruhen: Ganz erloschen sind die vulkanischen Aktivitäten in Westdeutschland keineswegs, so Hans-Ulrich Schmincke. Er gilt als einer der weltweit führenden Vulkanologen. Zunächst in den USA und dann als Professor an den Universitäten in Bochum und Kiel hat er sich von 1969 bis zu seiner Emeritierung 2003 diesem Forschungsgebiet intensiv gewidmet. Der Vulkanismus, bei dem geschmolzenes Gestein aus den heißen Erdinneren an die Oberfläche aufsteigt, ist ein vielschichtiges Thema. Zum Beispiel gibt es Unterschiede in der chemischen Zusammensetzung des hochgedrückten Materials, und dies wiederum entscheidet über die Art des Ausbruchs. Schmincke (Jahrgang 1937) berichtet auch von seinen wissenschaftlichen Reisen, die ihn nicht nur zu den jetzt mit Wasser gefüllten Kratern in der Westeifel geführt haben, den „Maaren“. Auf Hawaii und den Kanarischen Inseln etwa hat er aktive Vulkane vor Ort untersucht. Und er erzählt von der ohrenbetäubenden Erfahrung, wenn man einen frischen Lavastrom aus der Nähe beobachtet – einem Lärm, als würde man neben einem Düsenjet stehen.
Diese Idee für die Energeiewende in der Stadt ist ebenso einfach wie bestechend: Auf den Dächern gibt es jede Menge ungenutzter Platz für Photovoltaik. Auf Mietshäusern werden nun Solaranlagen installiert, um den damit erzeugten Strom direkt im Haus zu verbrauchen. Hauseigentümer und Wohnungsgesellschaften übernehmen dabei die Initiative und wollen die saubere Energie an die Mieterin und den Mieter bringen. Doch das Berliner „Mieterstrom“-Projekt ist erstaunlicherweise kein Selbstläufer. Seit 25 Jahren lehrt Andrea Rumler Marketing, seit 2012 als Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin. Sie leitet das Forschungsprojekt „MieterstromPlus“, um das Potenzial der für die Hausgemeinschaft erzeugten Solarenergie zu untersuchen – nicht hinsichtlich technischer Machbarkeit, sondern wie sich ihre Vermarktung verbessern lässt. Erste Ergebnisse der Marktforschung zeigen: Personen, die keinen „Mieterstrom“ beziehen, stehen dem Konzept an sich mehrheitlich gar nicht skeptisch gegenüber. Was für Gründe also halten Mieterinnen und Mieter noch davon ab, sich zumindest teilweise mit Energie selbst zu versorgen? Ist es der Preis, der bürokratische Aufwand oder schlicht Zurückhaltung Neuem gegenüber? Das Problem: Um eine Photovoltaikanlage auf dem Gebäudedach wirtschaftlich zu betreiben, müssen möglichst viele Mietparteien im Haus mitmachen. Marketing kann hier einen Beitrag leisten, die Energieversorung in einem urbanen Raum ein Stück nachhaltiger zu gestalten.
Ist die deutsche Wirtschaft bei Innovationen ganz vorne mit dabei oder ist sie doch zu risikoscheu, um sich immer wieder neu zu erfinden? Man kann schon den Eindruck haben, dass die hiesige Industrie sehr gut darin ist, sich auf Effizienz zu trimmen und Bestehendes immer wieder ein bisschen besser zu machen. Aber wenn es darum geht, den großen Schritt zu wagen, neue Pfade zu betreten, dann bleiben Unternehmen oft lieber in ihrer Komfortzone – bis ihnen die Konkurrenz das Geschäft kaputt macht. Was lange gut funktioniert hat, muss morgen nicht mehr tragen. Wenn Konzerne in Experimentallaboren mal wirklich etwas Anderes ausprobieren, bleibt das oft nur ein Feigenbatt. Denn jede Disruption, die eventuell und erst in ferner Zukunft Erträge liefert, passt nicht zu kurzatmiger Gewinnorientierung. Alleine auf die Logik des Marktes zu setzen, wäre wohl zu kurz gegriffen angesichts immensen gesellschaftlichen Handlungsbedarfs. Ob aber der Staat der bessere Innovationstreiber ist? Die Politik kann einen Rahmen setzen, hat allerdings selbst noch Hausaufgaben in Sachen Agilität. Es lohnt sich jedenfalls, einmal genauer darüber nachzudenken, wie Innovation entsteht und Wirkung entfaltet. Dafür ist Katharina Hölzle, Professorin für IT-Entrepreneurship an der Universität Potsdam, die richtige Gesprächspartnerin. Vor ihrer akademischen Karriere hat sie das Thema Innovationsmanagement in Großunternehmen und Unternehmensberatung aus anderen Perspektiven erlebt. Und als Mitglied der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) berät sie die Bundesregierung.
Das Buch, das Auto, der Computer – alles Neuerungen, die die Welt von Grund auf verändert haben. Doch solche Innovationen fallen nicht einfach vom Himmel, sondern man kann sie in einer frühen Phase hochpäppeln, damit am Ende eine neue Industrie entsteht – womit das Geld, das man anfangs hineingesteckt hat, sich schließlich um ein Vielfaches rentiert hätte. Solche Sprunginnovationen will eine 2019 neugeschaffene Bundesagentur namens SPRIND fördern. Rafael Laguna de la Vera ist ihr Gründungsdirektor. Die Bundesrepublik hatte in den 1980ern noch eine eigene Computerindustrie mit Firmen wie Nixdorf oder Siemens. Doch sie wurde früh von den Amerikanern überrollt. Ein anderes Beispiel: Der hiesigen Solarwirtschaft ging durch chinesisches Preisdumping das Licht aus. Von den wegweisenden Erfindungen, die hierzulande gemacht werden, profitieren zu oft andere. Fehlender Zugang zu Kapital spielt dabei eine Rolle, ein wenig innovationsfreundliches Mindset, ein regulatorischer Rahmen, der Neues ausbremst. Die Agentur für Sprunginnovationen will solche Fesseln abstreifen und disruptiven Fortschritt anschieben. Gefördert wird keineswegs nur Digitales, auch Energie und Umwelt, Biotechnologie und Medizin sind wichtige Felder. Das Tempo zählt: Geld muss sehr schnell in Zukunftsträchtiges fließen, um vorne mit dabei zu sein. Als Software-Unternehmer und Investor hat Laguna de la Vera (Jahrgang 1964) den Aufstieg der IT-Branche direkt miterlebt. Nun bringt er den Gründergeist und die Lust, etwas verändern zu wollen, in die Leitung einer staatlichen Einrichtung ein, die in ihrer behördenuntypisch agilen Art selbst schon eine Innovation ist.
Naturerfahrung, Entspannung und doch zugleich auch der Nervenkitzel, ob etwas anbeißt: Rund 3,3 Millionen Deutsche werfen regelmäßig ihre Angel aus. Ihre Leidenschaft wird aber auch kontrovers gesehen – gefährdet der Fischfang nicht die Bestände und schadet der Umwelt? Robert Arlinghaus ist einer der wenigen Forscher, die sich mit der Angelfischerei wissenschaftlich befassen und dabei Aspekte der Nachhaltigkeit und des verantwortlichen Umgangs mit der Natur in den Blick nehmen. Er meint: Angelvereine sind oft auch Naturschutzvereine, die sich um den Artenschutz kümmern – natürlich auch um eigene Fangerträge zu sichern, aber gleichzeitig können auch sich die Lebensräume verbessern. Angeln liefert also sehr wohl positive Effekte für Gesellschaft und Umwelt. Ausgestattet mit einer Professur für Integratives Fischereimanagement an der Humboldt-Universität zu Berlin untersucht Arlinghaus seit Jahren die Zusammenhänge von Binnenfischerei und Gewässerökologie. Ihm ist wichtig, die Forschung „zu den Leuten zu bringen“, also mit den Anglerinnen und Anglern vor Ort zu forschen, und dies zu den für sie relevanten Fragen. Durch die Verknüpfung mit dem Erfahrungswissen der Amateure profitiert seine eigene Forschung, und dank der Einbindung der Praktiker gelingt dann am Ende auch der Transfer der wissenschaftlichen Ergebnisse an die Basis. Robert Arlinghaus wurde 2020 vom Stifterverband und der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit dem Communicator-Preis für herausragende Wissenschaftskommunikation ausgezeichnet.
Komplizierte Formeln und unverdaulicher Zahlensalat: Das ist das Bild, das viele Menschen von Mathematik haben – meist geprägt durch frustrierende Erfahrungen in der Schule. Doch unsere Zivilisation würde ohne eine formale Beschreibung von Phänomenen noch in der Steinzeit stecken. Mathematische Strukturen visuell erfahrbar zu machen, ist das große Thema von Jürgen Richter-Gebert, Inhaber des Lehrstuhls für Geometrie und Visualisierung an der Technischen Universität München. Es geht hier nicht um Daten, die als Tortengrafiken serviert werden, sondern um tiefere Zusammenhänge, die sich in Bilder, Animationen oder sogar in eine virtuelle Lernumgebung übersetzen lassen. Zum Beispiel: Wie bewegt sich ein Fischschwarm? Visualisierung hilft, die Regeln, die das Verhalten steuern, im wahrsten Sinne des Wortes zu durchblicken Solch ein Anschauungsmodell selbst zu entwerfen, hilft Studierenden dabei, ein fundamentales Verständnis komplexer Mechanismen zu gewinnen. Dieser Transfer von der abstrakten Formel in ein Modell oder in eine Simulation ist ein gewaltiger Lernschritt, den Richter-Gebert in seiner Lehrtätigkeit in den Mittelpunkt rückt. Visualisierungen sind außerdem ein fantastisches Werkzeug, um durch Ausstellungen oder mit Apps der breiten Öffentlichkeit die Augen für Mathematik zu öffnen. Jürgen Richter-Gebert wurde 2021 vom Stifterverband und der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit dem Communicator-Preis für herausragende Wissenschaftskommunikation ausgezeichnet.
Ohne Kautschuk keine Mobilität, denn kein Fahrzeug kommt ohne Reifen aus Gummi aus. Quelle für den Rohstoff ist meist der Kautschukbaum, der in den Tropen wächst. Doch die Nachfrage steigt und wirft die Frage nach Alternativen auf. Und es gibt tatsächlich eine umweltgerechte Lösung: Auch der Löwenzahn bildet in seinen Wurzeln eine gummihaltige Milch. Allerdings nicht die Pusteblume, die hierzulande im Garten gedeiht, sondern der Russische Löwenzahn – der, nebenbei bemerkt, eigentlich aus Kasachstan stammt. Ihn für die industrielle Produktion nutzbar zu machen, ist nun einem Forschungsteam von der Universität Münster, dem dortigen Fraunhofer Institut für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME und des Reifenherstellers Continental gelungen. Dirk Prüfer, Professor für Pflanzliche Biotechnologie, hat diese Entwicklung federführend vorangetrieben. Es ist nämlich nicht einfach damit getan, die Wildpflanze anzubauen, sondern sie musste erst einmal gezielt weitergezüchtet werden. Der Anteil des Gummi an der der Trockenwurzelmasse ließ sich so von zwei bis drei auf 15 bis 20 Prozent steigern und damit für die industrielle Verarbeitung rentabel machen. Mit dem Kautschuk aus Russischem Löwenzahn lassen sich auf ökologisch verträgliche Weise Produkte herstellen, die denen mit Gummi aus herkömmlicher Fertigung mindestens ebenbürtig sind. Das Forschungsprojekt mit seiner innovativen Verbindung aus Biologie, Technik und Landwirtschaft wurde für den Deutschen Zukunftspreis 2021 nominiert.
Fast 50 Jahre ist es her, dass die Computertomographie in die medizinische Diagnostik Einzug hielt. Mit ihr wurde es möglich, viel genauer als mit dem klassischen Röntgen in den menschlichen Körper zu schauen. Man konnte damit nicht nur Knochen untersuchen, sondern bekam nun auch viel aussagekräftigere Bilder auch von Organen und Gefäßen. Millionen Patientinnen und Patienten wurden seitdem „in die Röhre geschoben“. Das Verfahren wurde immer weiter verfeinert, doch irgendwann stieß man an technische Grenzen. Die von Siemens Healthineers in Forchheim entwickelte Quantenzählende Computertomographie bedeutet jetzt einen neuen Schub für die CT-Technologie und wurde daher für den Deutschen Zukunftspreis 2021 nominiert. Thomas Flohr hat sich praktisch sein ganzes Berufsleben als Physiker mit der Computertomographie befasst und leitet das Forschungsteam, das diese Innovation hervorgebracht hat. In dieser Forschergeist-Folge erklärt er Schritt für Schritt, worin das Revolutionäre dieser Entwicklung liegt. Das neuartige Detektorprinzip schafft nicht nur eine deutlich bessere räumliche Auflösung, sondern erreicht im Bildgebungsverfahren auch eine neue Qualität, die viel präzisere Diagnosen ermöglicht. Vergleicht man das bisherige CT-Verfahren mit einem Schwarzweißbild, erhielte man nun durch die Quantenzählende Computertomographie quasi Aufnahmen in Farbe. Als Tüpfelchen auf dem i wurde auch noch die Strahlendosis erheblich reduziert. Die neue Technik ist keineswegs nur im Labor erprobt, sondern in ersten Kliniken schon im Einsatz und soll ab 2022 generell verfügbar sein. Der Deutsche Zukunftspreis wird am 17. November 2021 durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Berlin offiziell verliehen. Das Team vom Siemens Healthineers ist eines von drei in diesem Jahr nominierten.
Er ist eines der populärsten Gesichter der Wissensvermittlung im deutschen Fernsehen: Ralph Caspers kennen Millionen aus der Sendung mit der Maus, „Wissen macht Ah!“ und „Quarks“ – also Bildungsfernsehen im besten Sinne. Doch diese Programme sind keineswegs nur für Nerds, die es cool finden, Neues zu lernen. Ihr Erfolgsrezept liegt darin, die Wissensinhalte unterhaltsam zu verpacken. Fernsehen heißt: Geschichten erzählen, und das durchaus mal mit Mut zur Lücke. Denn es hilft nicht, sich in Details zu verlieren, bevor das große Bild noch nicht vor dem geistigen Auge entstanden ist. Warum nicht mal mit Humor arbeiten oder mit Herzblut sein Publikum mitreißen? Von solchen Regeln, die für TV-Formate gelten, könnte sehr wohl auch der klassische Bildungsbereich profitieren. Für Caspers (Jahrgang 1972) hat weniger der Unterricht den Spaß entfacht, Neues zu entdecken, sondern das Yps-Heft. Er meint: Die Form von Wissensvermittlung, wie sie an Schulen und auch Hochschulen bis heute praktiziert wird, hat sich im Grunde überlebt. Viel zu viele junge Menschen wurden davon überzeugt, dass lernen vor allem eines sei: langweilig. Aber das muss nicht sein. Geschichten erzählen zu können, ist sehr viel Handwerk, also etwas, das man lernen kann. Während der Corona-Pandemie hat die Öffentlichkeit mehr denn je wahrgenommen, welch existenzielle Rolle Forschungsergebnisse in unserem Leben einnehmen. Das hat auch Skepsis auf den Plan gerufen, berechtigterweise. Denn Wissenschaft ist nicht der Weisheit letzter Schluss, sondern ein Schritt auf dem Weg dahin. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Was heißt das nun für die Arbeit der Medien? Caspers plädiert dafür, eigentlich immer den wissenschaftlichen Konsens abzubilden und dabei Unsicherheiten transparent zu machen. Und er hofft, dass die Anerkennung für die Funktion von Wissenschaftsredaktionen als Schnittstelle zwischen Forschenden und Publikum auch anhalten wird, wenn die Pandemie einmal vorbei ist.
Noch nie etwas von Strukturbiologie gehört? Dieses Spezialgebiet befasst sich damit,den Aufbau von Molekülen zu entschlüsseln, beispielsweise durch die Messung des von ihnen reflektierten Röntgenlichts. Doch weil die Forschungsobjekte so unfassbar klein sind, bedarf es ausgefeilter Messmethoden und Software, um am Computer dreidimensionale Modelle von Molekülen zu bauen – so auch von jenen 28 Proteinen, die man landläufig als das Coronavirus bezeichnet. Andrea Thorn, die am Institut für Nanostruktur- und Festkörperphysik an der Universität Hamburg arbeitet, hatte früh erkannt, was ihr Fachgebiet sozusagen hinter den Kulissen zur Bekämpfung der Pandemie beitragen kann. Denn wenn man weiß, wie die Proteine aufgebaut sind, die eine menschliche Zelle in eine Virusfabrik umfunktionieren, gibt es einen Ansatzpunkt für Abwehrmaßnahmen. Hat man etwa ein Bild von der „Kopiermaschine“, mit der das Virus sein eigenes Erbgut tausendfach vervielfältigt, gewinnt man einen Hebel, um diesen Mechanismus zu sabotieren. Die Coronavirus Structural Task Force, die Thorn leitet, hat seit März 2020 nicht nur Basisarbeit für die Entwicklung von Impfstoffen geleistet. Die Truppe selbst ist ein für den Wissenschaftsbetrieb total untypischer, lockerer Zusammenschluss von jetzt weltweit 27 Forscherinnen und Forschern meist aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs. Sie alle haben sich kurzentschlossen selbst organisiert, weil es ihnen einfach wichtig war, ihr Wissen zu teilen und die Beschaffenheit des SARS-CoV-2-Virus zu verstehen. Die Erkenntnisse der Task Force wurden für alle frei im Internet veröffentlicht – um anderen Wissenschaftlern zu helfen, die Pandemie zu stoppen. Als Methodenentwickler stehen sie kaum im Rampenlicht, doch viele Forschungserfolge, die später mit Medizin-Nobelpreisen belohnt wurden, wären ohne die Strukturbiologie undenkbar gewesen. Das Gespräch wurde Ende März 2021 aufgezeichnet.
Woher weiß man eigentlich, welche Therapie wirkt? Dafür gibt es klinische Studien, in denen zum Beispiel ein neues Medikament geprüft wird, ob es hilft und was für Nebenwirkungen auftreten. Doch ganz so simpel ist die Anlage einer solche Untersuchung eben nicht. Es gibt viele Fallstricke, die die Ergebnisse unbrauchbar machen – zum Beispiel wenn die Gruppe, die das Medikament bekommt, und die Kontrollgruppe, die nur ein Placebo erhält, unterschiedlich zusammengesetzt sind. Ohne sauberes wissenschaftliches Arbeiten gewinnt man zwar Daten, aber keine gesicherte Erkenntnis. Fehler und Verzerrungen in wissenschaftlichen Studienergebnissen systematisch auszuschalten, ist der Kern des evidenzbasierten Ansatzes in der medizinischen Forschung. Gerd Antes (71) gilt als ihr Wegbereiter in Deutschland. Der Mathematiker und langjährige Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums am Universitätsklinikum Freiburg hat sich während seines Berufslebens dafür stark gemacht, den empirischen Nachweis von Wirksamkeit in der Forschung ins Zentrum zu stellen und auch Ärzte in der Ausbildung das Know-how beizubringen, Studien kritisch zu lesen. Hier hat es tatsächlich gewaltige Fortschritte gegeben, aber: Qualität ist kein Selbstläufer, und gerade in Pandemie-Zeiten scheint in der Forschung Geschwindigkeit oft vor Gründlichkeit zu gehen. Und wenn man etwa die Wirkung einer Intervention zur Eindämmung des Infektionsgeschehens messen will, der Effekt sich aber in einem Knäuel von Maßnahmen nicht sauber herausfiltern lässt, wird die Untersuchung nicht viel taugen. Auch Big Data und maschinelles Lernen sind da leider nicht die Lösung, denn was ein plausibler Zusammenhang zwischen zwei Faktoren ist, weiß eine künstliche Intelligenz eben nicht von sich aus, mangels eigener Lebenserfahrung. Nicht jede statistische Korrelation begründet eine Kausalität. Neben der verlässlichen Erhebung von Daten geht es bei evidenzbasierter Forschung eben auch um den Sinn. Das Gespräch wurde am 28. Oktober 2020 aufgezeichnet.
Das Leben versuchen zu verstehen und diese Erkenntnisse anzuwenden, damit sie dem Menschen weiterhelfen - das ist im Kern, worum es bei Biotechnologie geht. Im medizinischen Bereich heißt das: die molekularen Grundlagen von Krankheiten erforschen und neue Ansätze für Therapien suchen. Während der Corona-Pandemie ist dieses Forschungsfeld schlagartig wieder ins öffentliche Interesse gerückt, denn es geht hier insbesondere um die Entwicklung eines Impfstoffs, der die Ausbreitung der Infektion aufhalten soll. Joachim Fensterle kennt die verschiedenen Welten, in denen sich die biotechnologische Forschung abspielt. Er hat am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin und an der Universität Würzburg gearbeitet, um dann einige Jahre in die pharmazeutische Industrie zu wechseln, in der Innovationen aufgrund der klinschen Studien einen ganz langen Atem erfordern. Klar, dass er mit besonderem Interesse die Entwicklung von Impfstoffen gegen den SARS-CoV-2-Virus beobachtet. Der zurzeit wohl aussichtsreichste Kandidat bedient sich eines innovativen mRNA-Verfahrens, bei dem ein Bauplan zur Produktion von Antikörpern in die Zellen eingeschleust wird. Entscheidend wird die Effizienz sein, also ob es gelingt, auf diese Weise die Herstellung von ausreichend Antikörpern anzuregen. Und wie viele man braucht, das weiß man noch nicht. Fensterle ist inzwischen Professor für Biotechnologie und Bioengineering an die Hochschule Rhein-Waal in Kleve. Dort eröffnete sich ihm ein ganz neues Forschungsfeld, die Hochschullehre selbst. In einem vom Stifterverband geförderten Projekt hat er die Nutzung von Smart Glasses für Laborpraktika erkundet. Während der Corona-Pandemie musste die Online-Lehre von heute auf morgen den Hörsaal ersetzen. Joachim Fensterle hat dabei die Erfahrung gemacht: Eine Vorlesung als Videostream lebt vom Live-Erlebnis.
Bei einem Mordfall kann jede Spur wichtig sein, mag sie auch auf den ersten Blick noch so abseitig erscheinen. Zum Beispiel was für Schmeißfliegen eine verweste Leiche besiedelt haben. Passen die Insekten eigentlich zum Fundort oder fand das Verbrechen ganz woanders statt? Solche Fragen sind nicht etwa der übersteigerten Phantasie von Drehbuchscheibern amerikanischer Krimiserien entsprungen, sondern ganz real. Und Mark Benecke hilft, sie zu beantworten. Als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger wird Benecke (geb. 1970) zu Rate gezogen, wenn es darum geht, die klassische Rechtsmedizin durch sein sehr spezielles Wissen zu ergänzen. Insekten und Mikroorganismen können nämlich einiges über die Umstände eines Tötungsdelikts verraten. So konnte Benecke etwa für ein aufsehenerregendes Gerichtsverfahren anhand von Fliegenmaden den Todeszeitpunkt zu bestimmen und dadurch das Alibi des Täters zu Fall zu bringen. Wissenschaft bildet für den Spurenkundler das Fundament für seine Erkenntnisse. Und Benecke ist selbst ein Forschender im Sinne der Wahrheitsfindung. Nur eben nicht an einem Institut oder einer Hochschule, sondern sozusagen mit seinem freien Detektivbüro. Deutschlands wohl bekanntester Kriminalbiologe ist nebenbei auch noch Musiker, Politiker und Vortragsreisender, um seine Fälle einem breiten Publikum anschaulich zu vermitteln - das dann beispielsweise erfährt, warum es unklug sein kann, eine Leiche in einen Teppich einzuwickeln.
Als die Corona-Pandemie ihren Lauf nahm, schlug die Stunde der Wissenschaftskommunikation. Virologen und Epidemiologen standen auf einmal im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Und ihr Wort hatte Gewicht in der Politik. Dabei war anfangs eine Ausnahmesituation: Im Grunde stimmten alle dieselbe Erzählung an, dass man die Infektionswelle brechen müsse, bevor sie unbeherrschbar in die Höhe schießt. In dieser Phase wuchs auch das Vertrauen der Bevölkerung in die Wissenschaft. Bis sich dann die kritischen Stimmen mehrten und der kurze Burgfrieden schon wieder vorbei war. Stefanie Molthagen-Schnöring, Professorin für Wirtschaftskommunikation an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, hat diese Entwicklung aus der Forscherinnenperspektive beobachtet. Im Gespräch berichtet sie über ihre Wahrnehmung der Krisenkommunikation und auch grundsätzlich darüber, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heutzutage in der Öffentlichkeit sichtbar werden. Dabei sind die klassischen Publikumsmedien mit ihrer eigenen Logik nicht immer die erste Wahl, neigen sie doch gerne dazu, Sachthemen als persönliche Geschichten zu erzählen. Auch die Corona-Krise hat „Stars“ wider Willen hervorgebracht und einen wissenschaftlichen Disput als Hahnenkampf unter Forschern skandalisiert. Aber nun gibt es inzwischen ja auch viele Möglichkeiten, Medien selbst zu gestalten. Spätestens mit der Pandemie ist das Wissen, was ein Podcast ist, nun wirklich in der Allgemeinheit angekommen. Stefanie Molthagen-Schnöring ermuntert andere Forscherinnen und Forscher darin, ihre Vermittlungsformate selbst zu wählen. Oder auch mal zu verzichten, wenn man zum Beispiel mit Social Media fremdelt oder den Kopf nicht ständig in die Kamera halten mag. Entscheidend sei es, authentisch zu bleiben und wahrhaftig, wie eben die Wissenschaft selbst auch.
Doch, doch, es gab ein Internet vor Facebook, Twitter und YouTube. In den 2000er Jahren blühte die Blogosphäre auf. Statt nur passiv zu konsumieren begannen Webnutzer mit eigenen Inhalten eine Öffentlichkeit zu finden – argwöhnisch beobachtet von den klassischen Massenmedien, die Blogs auch mal als „Klowände des Internets“ verächtlich machten. Doch die alten, klar verteilten Rollen zwischen Journalisten und Lesern lösen sich seither immer mehr auf. Die Deutungshoheit traditioneller Medien bröckelt. Soziale Netzwerke, die seit rund zehn Jahren auch große Player im Werbemarkt sind, stellen zudem die wirtschaftliche Grundlage der Verlage in Frage. Den Wandel der digitalen Öffentlichkeit intensiv verfolgt hat Jan-Hinrik Schmidt, Senior Researcher am Leibniz-Institut für Medienforschung / Hans-Bredow-Institut in Hamburg. Die Digitalisierung bedeutet weit mehr als nur eine technische Umstellung, denn die Grundlogik der neuen, datengetriebenen Plattformen geht einher mit einer eigenen Mechanik für Identitäts-, Beziehungs- und Informationsmanagement. Nachricht und Kommentar rücken in der Wahrnehmung enger zusammen. Algorithmen belohnen Kommunikation, die zugespitzt ist, und können an der Empörungsspirale drehen. Unterdessen hat es vernunftgeleitete Argumentation schon ein bisschen schwerer, sich Gehör zu verschaffen, weil sie naturgemäß nicht zur Erhöhung des Erregungslevels beitragen kann. Und dieser Trend kann Folgen für das Miteinander in einer Demokratie haben. Für den Soziologen Jan-Hinrik Schmidt steht fest: Die Regulierung der Plattformen wird eine medienpolitische Schlüsselfrage in den 2020er-Jahren sein – findet doch immer mehr Kommunikation in einer dezentralen Netzwerköffentlichkeit statt. Und so steht im Zentrum von Schmidts Forschung künftig die Frage: Können die sozialen Medien den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken oder bewirken sie das Gegenteil?
Seit vielen Jahren zieht es Stefan Kröpelin in die Wüste. Denn sie ist nicht nur eine faszinierende Landschaft, sondern auch ein einzigartiges Forschungslabor: Der Geoarchäologe und Klimawissenschaftler von der Universität zu Köln untersucht dort, welche Spuren die Natur und der Mensch in dem heute so lebensfeindlichen Raum hinterlassen haben. Vor allem die östliche Sahara im Schnittpunkt zwischen Libyen, Ägypten, dem Tschad und dem Sudan hat es Kröpelin angetan. Es ist das trockenste Gebiet der Erde mit statistisch weniger als zwei Millimetern Niederschlag pro Jahr -– und einer Hitze, die die 500-fache Menge verdunsten ließe. Auf seinen Forschungsexpeditionen spürt er beispielsweise Felsbilder auf – farbige Malereien oder einfache Gravuren, die in den Sandstein geritzt wurden. Teilweise sind diese Zeugnisse nomadischer Kultur Jahrtausende alt, konnten sich aber durch die besonderen klimatischen Bedingungen bis heute erhalten. Einst war die Wüste von Tausenden Oasen durchzogen. Jetzt sind nur noch wenige übrig. Und ihre Zeit ist gezählt, denn sie graben sich buchstäblich selbst das Wasser ab. Sie speisen sich aus sogenanntem fossilen Grundwassser, der vom Regen von vor 100.000 Jahren stammt. Ist diese Quelle erst einmal versiegt, kommt nichts nach. Die Wüste ist ein großartiger Platz, um Klimaveränderungen zu studieren. Aber auch viele andere Wissenschaften profitieren von den Forschungsergebnissen. Stefan Kröpelin berichtet auch von Marsmeteoriten, die im Sandmeer zu finden sind. Und darüber, dass es eine Fata Morgana, wie man sie aus Filmen kennt, tatsächlich gibt. Diese Episode knüpft an Folge 047 an, in der Stefan Kröpelin bereits zu Gast war.
Längst nicht erst seit dem Ausbruch der Corona-Krise gilt: Wir leben in einer Zeit, die von Unsicherheiten geprägt ist. Eine Zeit, in der gewaltige Herausforderungen auf eine Antwort warten – während sich unsere Gesellschaft grundlegend wandelt. Und Ungewissheit befeuert Ängste, die keineswegs nur verborgen im Privaten gedeihen. Wenn die Furcht zu mächtig wird, kann auf einmal ein System zu kippen drohen. Dr. Jan Kalbitzer (Jahrgang 1978), Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, hat sich während seiner Forschungslaufbahn in Kopenhagen, Oxford und an der Berliner Charité mit Fragen der psychischen Gesundheit auch in gesellschaftlichen Zusammenhängen auseinandergesetzt. Da ging es etwa um die Frage, ob es so etwas wie Internetsucht überhaupt gibt. Immer wieder nutzen Wissenschaftler ihre Reputation, um das, was sie für moralisch richtig halten, durchzusetzen. Ein anderes Beispiel ist die Diskussionskultur auf Online-Plattformen: Viele Menschen haben sich aus dem öffentlichen Diskurs ausgeklinkt, aus Sorge vor Überwachung oder Hassattacken. Der Rückzug aus einer unangenehmen oder bedrohlichen Situation hat durchaus eine Schutzfunktion, um wieder Energie zu tanken. Doch wenn man sich zu lange der Möglichkeit entzieht, auch positive Rückmeldungen zu erhalten, kann man leicht in eine Depression abrutschen. Wir brauchen also Nischen, in denen sich Menschen geschützt fühlen, damit sie sich engagieren und ihre Kompetenzen einbringen können. Wenn gerade in der eigenen Umgebung Spielräume offen stehen, um etwas zu verändern, lässt sich die Lähmung überwinden. Angst bietet immer auch die Chance, die Zukunft anzupacken. Das Gespräch wurde Ende Februar 2020 in Berlin aufgezeichnet.
Das Management von Organisationen ist ein ureigenes Thema der Betriebswirtschaftslehre, bezog sich aber viele Jahrzehnte lang nur auf Unternehmen – also feste, meist stark hierarchisch geprägte Strukturen. Durch die Digitalisierung und das Internet sind andere Organisationsformen ins Blickfeld geraten: lose Zusammenschlüsse von Freiwilligen, die gemeinsam Inhalte fürs Internet aufbereiten, Software entwickeln oder sich in anonymen Hacker-Netzwerken tummeln. Wie diese informellen Communities im virtuellen Raum funktionieren und wie bei ihnen Management aussieht, ist eines der Forschungsfelder, die der Organisationswissenschaftler Leonhard Dobusch beackert. Dobusch (Jahrgang 1980) ist Universitätsprofessor für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Organisation an der Universität Innsbruck. In Deutschland ist er Mitglied des ZDF-Fernsehrats, der als Aufsichtsgremium die Arbeit des Senders begleitet. Dobusch ist außerdem regelmäßiger Autor zu Medienthemen für das Online-Magazin netzpolitik.org. Das Organisieren ist ein Metathema, das die Innovationsfähigkeit maßgeblich beeinflusst. Dabei schleppen Traditionsfirmen oft den Ballast gewachsener Strukturen mit sich herum. Neue Konkurrenten können dagegen bei Null anfangen – man vergleiche etwa die alten Automobilkonzerne mit Tesla. Auch in der Organisation von Arbeit ist nicht jeder neu klingende Ansatz revolutionär – in Zeiten, in denen alle Welt agil werden will, ist die Idee dahinter im Grunde ein alter Hut. Die Organisation von Wissen sowohl in der Unternehmenswelt als auch in Medien und in der Forschung ist nicht in Stein gemeißelt. Zum Beispiel zeigt die Open-Source-Bewegung in jüngerer Vergangenheit, dass es Alternativen zum abgeschotteten Besitz gibt. Und Netzwerke, die sich bewusst einer klaren hierarchischen Struktur verweigern, können Vorteile haben. Bekanntestes Beispiel: die Wikipedia.
Mobilität ist weit mehr als nur die vordergründige Frage, ob man das Auto, das Rad oder die Bahn nimmt, um von A nach B zu gelangen. Mobilität definiert die Freiräume in unserem Leben – also ob man die Orte und auch die Menschen erreichen kann, die einem wichtig sind. Und diese Chance der Fortbewegung und Welterfahrung ist eine Errungenschaft, die noch gar nicht so alt ist. Die fossilen Energieträger, das Auto und das Flugzeug haben in den letzten hundert Jahren der individuellen Bewegungsfreiheit einen immensen Schub verliehen. Doch die Epoche der Verbrennungsmotoren scheint abzulaufen. Wie kann in Zukunft unsere Mobilität aussehen? Dazu forscht der Politik- und Sozialwissenschaftler Stephan Rammler. Neben seiner Professur für Transportation Design & Social Sciences an der an der TU Braunschweig ist er wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT) in Berlin. Dort richtet er sein Augenmerk speziell darauf, wie sich die Megatrends Bevölkerungswachstum, Urbanisierung, Individualisierung, Digitalisierung und Nachhaltigkeit auf die Mobilität auswirken. Auch wenn die Zeichen auf Veränderung stehen: In die westliche Gesellschaft ist ein Mindset eingefräst, bei dem die Automobilität Freiheit verheißt, und ihr ökonomischer Wohlstand fußt zu einem beachtlichen Teil auf den dazugehörigen Industrien. Einerseits wächst die Einsicht, dass unser Verkehrssystem tatsächlich viele Schattenseiten besitzt. Umweltprobleme und hoher Flächenverbrauch bedeuten Einschnitte in die Lebensqualität. Andererseits ist der Käfig, in dem wir gefangen sind, noch immer ein goldener. Denn ein dickes Auto und Fernreisen gelten nach wie vor als Statussymbole, auch wenn ihre Strahlkraft vielleicht nachlassen. Es bleibt ein ganz dickes Brett, das zu bohren wäre, um Mobilität grundlegend neu zu definieren – und es wird darauf ankommen, wie transformierbar und wie transformierwillig unsere Gesellschaft überhaupt ist.
Ein Literaturarchiv kann heute nicht mehr nur aus Regalkilometern Bücher bestehen. Auch hier hat die Digitalisierung Einzug gehalten. Sie erschöpft sich aber keineswegs im Einscannen gedruckter Texte, sondern wirft ganz neue Fragen auf: Wie bildet man die physische Ordnung einer Bibliothek im virtuellen Raum ab? Und wie gehen wir mit Texten um, die in der Flüchtigkeit des Netzes schnell wieder zu verschwinden drohen? Denn Literatur nur auf das zu reduzieren, was zwischen Buchdeckeln erscheint, ist antiquiert und auch noch historisch falsch. Solche Themen beschäftigen Sandra Richter. Sie leitet seit Anfang 2019 das Deutsche Literaturarchiv Marbach (DLA). Die 1973 geborene Germanistin, Literatur- und Politikwissenschaftlerin hütet damit eine Schatzkammer der deutschen Kultur, die zugleich auch Literaturwissenschaftlern zum Quellenstudium dient. Sie arbeitet also an der Schnittstelle zwischen Bewahrung und Forschung, und das in einer Zeit, in der die Autoren auf immer vielfältigeren Wegen ihre Leser suchen. Der Kultur- und Interaktionsraum Internet hat da einige neue Möglichkeiten eröffnet. Wer schreibt, orientiert sich freilich auch heute meist noch sehr am Buch, das Digitale kommt oft zusätzlich oben drauf. Anders sieht es bei multimedialen Erzählformen aus, die stark in der Netzwelt verwurzelt sind. Sie stellen ein Archivsystem vor echte Herausforderungen. Wie geht man zum Beispiel mit Computerspielen um, die auch oft starke erzählerische Qualität aufweisen? Was ist mit Comics, mit Graphic Novels? Das DLA hat sich solchen Gattungen geöffnet und sammelt ""in die Zukunft"". Denn wenn man solche Bereiche der Kultur ausspart, könnten blinde Flecken im literarischen Gedächtnis einer Gesellschaft entstehen.
Fettleibigkeit wird im wahrsten Sinne des Wortes zu einem immer gewichtigeren Thema. Alleine in den USA bringt mittlerweile jeder Zweite zuviel auf die Waage. Betroffenen haftet das Stigma an, dass es ihnen an Willensstärke fehlt, die Kalorienaufnahme zu zügeln. Doch die Ursachen von Übergewicht sind vielschichtiger – und sie haben vor allem etwas mit der evolutionären Optimierung des Organismus zu tun, die aus der Zeit stammt, als Nahrung ein knappes Gut war. Auf unsere heutige Wohlstandsgesellschaft, in der in aller Regel kein Nahrungsmangel herrscht, ist der Mensch eben nicht angepasst. Erst seit wenigen Jahrzehnten beginnt die Wissenschaft genauer zu verstehen, wie zum Beispiel das Insulinhormon im Körper seine Wirkung entfaltet. Wie der Mechanismus des Stoffwechsels im Einzelnen funktioniert, ist das Forschungsfeld des Mediziners Jens Claus Brüning. Er leitet das Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung und ist Direktor der Poliklinik für Endokrinologie, Diabetes und Präventivmedizin (PEDP) an der Universitätsklinik Köln. Als Endokrinologe, also als Hormonfoscher nimmt Brüning keineswegs nur die Organe in den Blick, die man landläufig mit dem Thema Stoffwechsel in Verbindung bringt, wie die Bauchspeicheldrüse oder die Leber. Das Gehirn spielt tatsächlich eine entscheidende Rolle bei der Regulierung des Energiehaushalts und somit auch für die Nahrungsaufnahme. In den letzten Jahren gab es eine geradezu revolutionäre Weiterentwicklung an Werkzeugen, um zu untersuchen, wie bestimmte Hirnzellen als Steuerungszentrale für den Stoffwechsel dienen. Ein weiterer Schritt, um nicht nur das komplexe Hormonsystem, sondern auch den Schalt- und Bauplan des Gehirns zu entschlüsseln.
Beim Thema Klimawandel denkt man meist an den Anstieg der Meeresspiegel oder die Aufheizung der Ozeane. Doch auch im kleineren Maßstab verändern sich die Ökosysteme in Gewässern, direkt vor unserer Haustür. Das gilt auch für die Binnenseen, die offenbar seit Jahrzehnten immer ein bisschen wärmer werden. Und das hat Konsequenzen. Rita Adrian beobachtet mit ihrem Forscherteam unter anderem den Müggelsee – den größten Berliner See – in einer Langzeituntersuchung. Die Biologin leitet die Abteilung Ökosystemforschung am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin-Friedrichshagen. Für sie steht fest: Der Klimawandel ist auch in unseren Seen angekommen. Bei dem Mechanismus, in den durch das Mehr an Wärme eingegriffen wird, spielen viele Faktoren eine Rolle. Grob gesagt: Im Sommer bilden sich im See zwei Wasserschichten – an der Oberfläche eine wärmere, unten zum Grund hin eine kühlere, und beide durchmischen sich nicht. Das ist zwar in der warmen Jahreszeit immer so, aber wenn diese Wärmephase immer länger anhält, führt das dazu, dass unten der Sauerstoff knapp wird. Oben kommt es unterdessen zu einem Düngungseffekt und dadurch beispielsweise zum übermäßigen Wachstum von Blaualgen, die wiederum für andere Mikroorganismen, aber auch für Fische Gift sind. Das fragile ökologische Gleichgewicht droht aus der Balance zu geraten. Klimaforschung ist vor allem Dingen das Hantieren mit Big Data. Rita Adrian erklärt, wie man die Daten erhebt, damit sich in den Messreihen tatsächlich aussagekräftige Muster erkennen lassen. Daten sind unerlässlich, um die komplexen Zusammenhängen nachvollziehen zu können – und sie helfen, besser zu verstehen, was es bedeutet, wenn der Mensch in die natürliche Dynamik eingreift.
Informatik – ein Fach nur für Nerds? Keinesfalls, denn der Code, den Programmierer schreiben, existiert ja nicht im luftleeren Raum. Software bezieht sich letzten Endes immer auf den Menschen, interagiert mit ihm, beeinflusst das soziale Leben. Und mittlerweile ist auch an technisch geprägten Fakultäten angekommen, dass Informatik eine hohe gesellschaftliche Relevanz besitzt. Peter Purgathofer lehrt an der TU Wien am Institut für Visual Computing. Der 56-Jährige tritt dafür ein, dass Software-Entwickler sich der Verantwortung bewusst sind, die ihre Arbeit hat. Denn Informatik wird zunehmend zur zentralen Disziplin schlechthin, ja sogar zum Betriebssystem unserer Gesellschaft. Tracking und Werbenetzwerke fördern eine Mediennutzung, bei der aufmerksamkeitsheischendes Clickbate mehr zählt als inhaltliche Tiefe und Seriosität. Automatisierte Entscheidungen können katastrophale Folgen haben, wie etwa bei tödlichen Unfällen autonom fahrender Autos oder den Abstürzen der Boeing 737 Max. Algorithmen sind eben keine Lösung für alles, denn wie zuverlässig sind eigentlich die Datengrundlagen, auf denen sie aufsetzen? Purgathofer hat deshalb an seiner Hochschule einen Einführungskurs für Studienanfänger entwickelt. Dabei geht es darum, der nächsten Informatikergeneration fundamentales Metawissen zu vermitteln und sie damit zu befähigen, mit einem tieferen Verständnis durch ihr Studium zu navigieren: Wie sieht die Wissenschaft auf die Welt, mit welchen Denkweisen wird Wissen geschaffen? Was sind die Konsequenzen und wo liegen die Grenzen? Es wird klar: Das Leben lässt sich nicht nur mit Einsen und Nullen erklären, es entzieht sich immer wieder der Berechenbarkeit. Informatik ist eng mit Sozialwissenschaften, Philosophie und Psychologie verwoben – und Problemlösung eben nicht nur eine technische Frage. Purgathofer kritisiert nebenbei auch die mangelnde Offenheit der vor allem unternehmensgetriebenen Forschung im Bereich Künstlicher Intelligenz. Diese Closed Science hat für die Wissenschaft als Ganzes schädliche Effekte, die verblüffend an die Zeit der Alchimisten erinnern.
"Die Wirtschaft soll möglichst allen dienen – aber löst sie diesen Anspruch wirklich ein? In gar nicht wenigen Märkten sind Angebot und Nachfrage aus dem Lot, wird die sich wechselseitig ausgleichenden Kräfte des Wettbewerbs gestört sind. Weil neue Anbieter keinen Marktzugang bekommen. Weil natürliche Begrenzungen keinen funktionierenden Markt entstehen lassen. Oder weil Behörden in ihrer Kontrollfunktion versagen. Verkehr, Energie, Rundfunk, Telekommunikation oder auch Drogen – alles Beispiele für Märkte, die durch politische Regulierung anders aussehen, als wenn man ihre Akteure einfach frei machen ließe. Zu wettbewerbspolitischen Grundsatzfragen meldet sich Justus Haucap (Jahrgang 1969) immer wieder in der Öffentlichkeit, und sein Wort hat Gewicht. Vielen wurde er als Leiter der Monopolkommission bekannt, als er etwa die Abwrackprämie für Autos als „Geldverschwendung auf Kosten des Steuerzahlers“ geißelte. Der Wirtschaftswissenschaftler lehrt heute an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und ist Gründungsdirektor des dort ansässigen Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE). Haucap ist ein streitbarer Verfechter von Wettbewerbsprinzipien in der Marktwirtschaft und bezieht klare Positionen – auch gegen eine in Deutschland anzutreffende innovationskulturelle Verklemmung, die alles Neue erst einmal blockiert. Er erklärt nicht nur, was das mit der Fußball-Weltmeisterschaft zu tun hat. Auch das öffentlich-rechtliche Mediensystem, das viel Geld für bildungsferne Inhalte ausgibt, bekommt sein Fett weg. Und Haucap schaut durch die Brille des Ökonomen auf die Schattenwirtschaft des Cannabismarkts, bei dem Verbote nicht zu dessen Austrocknen geführt haben, sondern dazu, dass Konsumenten schlechte Ware für höhere Preise erhalten."
Der Begriff Nachhaltigkeit ist in aller Munde. Doch was heißt das eigentlich konkret? Bedeutet Rücksicht auf die Umwelt und Nachwelt zu nehmen, grundsätzlich Verzicht? In jedem Fall sind dicke Bretter zu bohren, denn es geht um nichts weniger als einen Kulturwandel, der sich in vielen kleinen Schritten vollzieht. Einen umfassenden Ansatz probiert man nun im Maßstab eines Karlsruher Stadtteils ganz praktisch aus. Dazu weiß Oliver Parodi mehr. Am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), das zum Karlsruher Institut für Technologie KIT gehört, beschäftigt er sich vor allem mit Fragen nachhaltiger Stadtentwicklung. In einem „Reallabor“ wollen Wissenschaftler und Stadtentwickler gemeinsam mit Bürgern eine umfassende nachhaltige Entwicklung der Karlsruher Oststadt auf den Weg bringen, und zwar für die Themen Energie, Mobilität, sozialer Raum und Konsum. In dem von Parodi geleiteten Reallabor werden also Praktiker aus Kommunen, Unternehmen und der Zivilgesellschaft von Anfang an in den Forschungsprozess einbezogen und arbeiten miteinander auf Augenhöhe, um konkret die Lebensqualität in der Stadt zu verbessern. Das Projekt erhielt 2019 den Forschungspreis Transformative Wissenschaft, den das Wuppertal Institut gemeinsam mit der Zempelin-Stiftung im Stifterverband verleiht. Oliver Parodi vereint selbst verschiedene wissenschaftliche Welten in seiner Person. Ursprünglich hat er Bauingenieurwesen studiert und sollte eine der Familie gehörende Baufirma übernehmen. Doch dann schloss er lieber ein Studium der Angewandten Kulturwissenschaft an. Heute will er an der zum KIT gehörenden Karlsruher Schule der Nachhaltigkeit durch transdisziplinäre Ausbildung die Ansprüche von Mensch, Technik und Umwelt zusammenführen.
Waren mit explizit christlichem Bezug findet man in deutschen Kaufhäusern keine. Deswegen mag in den Augen des säkularisierten Westens die Kultur islamischer Länder so fremdartig wirken, denn dort ist die Produktgestaltung stark mit Religiosität und moralischen Vorstellungen durchflochten. Eines der auffälligsten Beispiele dafür: eine Barbie-Puppe mit Verschleierungs-Outfit. Doch wer genauer hinschaut, entdeckt im Orient eine schillernde Warenwelt, in der es nicht die ganze Zeit um Entsagung geht und an der die Globalisierung keineswegs spurlos vorübergegangen ist. Die Islamwissenschaftlerin Dr. Alina Kokoschka beschäftigt sich in ihrer Forschung mit der Rolle von Dingen des Alltags in islamisch geprägten Ländern. Auf ihren Reisen durch Syrien, den Libanon und in die Türkei hat sie viele Beispiele für Konsumgegenstände gesammelt. Es sind Waren, die als „made for Muslims“ auch im Design eine soziale Funktion besitzen. Mode kann zum Beispiel traditionalistisch sein – oder aber fast subversiv, wenn ein Hijab mit opulenten Mustern bedruckt ist und damit gerade ins Auge sticht. Kokoschka ist Postdoctoral Research Fellow an der Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies. Aus ihrer Dissertation ist das Web-Projekt „Hawass“ entstanden, das die Ästhetik des zeitgenössischen Islams in Bildern zeigt – von Plakaten über Spielzeug und Küchengeschirr bis hin zu Verpackungen, Schildern und urbanen Szenen. Die Online-Plattform soll auch qualitative Feldforschung transparent machen, indem sie für die Forschungsobjekte einen virtuellen Showroom schafft und im Sinne von Open Science zum Austausch mit anderen Wissenschaftlern einlädt. Alina Kokoschka wurde für „Hawass“ mit einem Fellowship im Programm „Freies Wissen“ von Stifterverband und Wikimedia Deutschland gefördert.
Kopf oder Bauch? Wir treffen jeden Tag Entscheidungen und glauben, sie beruhen auf der rationalen Abwägung sachlicher Argumente. Doch das ist ein Irrtum! Viel öfter hören wir auf unser Gefühl. Und damit fahren wir meistens auch ganz gut, denn viele Risiken können wir gar nicht exakt abschätzen. Der Umgang mit Ungewissheiten bei der Entscheidungsfindung hat den Psychologen Gerd Gigerenzer immer schon fasziniert. Er gilt als der Nestor der deutschen Risikoforschung. Der 71-Jährige ist Direktor emeritus des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin und hat dort das Harding-Zentrum für Risikokompetenz aufgebaut. Gerd Gigerenzer möchte den Menschen verständlich machen, was unsere Entscheidungen beeinflusst. Die Intuition, auf die wir uns im Alltag so oft verlassen, ist gerade in Führungspositionen geradezu verpönt – zumindest nach außen hin. Bauchentscheidungen lässt ein Vorstand deshalb häufig im Nachhinein durch Zahlenwerk absichern. Gigerenzer warnt vor einer solchen Rechtfertigungskultur, für die viel Zeit und Geld zum Fenster hinausgeworfen wird. Risikokompetenz ist aktueller denn je in Zeiten von Algorithmen und Scoring-Systemen, die unser Leben immer stärker prägen werden. Gigerenzer fordert mehr Risikokompetenz, um Statistiken und Zukunftsprognosen kritisch zu hinterfragen. Das fängt bei der Wettervorhersage an: Was bedeutet eigentlich 30 Prozent Regenwahrscheinlichkeit? Und Data Literacy betrifft auch weniger banale Fragen – wie die Schufa unsere Bonität einschätzt oder welche Therapie uns der Arzt verordnet.
Wenn es zu Unruhen kommt, knipsen Diktatoren gerne als erstes das Internet aus. Doch das ist nur die Spitze des Eisberges. Regierungen verfügen mittlerweile über ein gewaltiges Arsenal an Instrumenten, um den digitalen Informationsfluss in ihrem Einflussbereich zu überwachen und zu manipulieren. Andererseits: Digitalisierung und Vernetzung können auch subversiv wirken. In diesem Spannungsfeld forscht Anita Gohdes. Sie hat eine Stiftungsprofessur für International and Cyber Security an der Hertie School of Governance in Berlin inne. Als Politikwissenschaftlerin setzt sie auf die Möglichkeiten von Data Science: Ihr Interesse gilt insbesondere Ansätzen, wie man Gewalt quantitativ messen kann – denn das Internet eröffnet auch neue Chancen, Menschenrechtsverletzungen datenbasiert zu dokumentieren. Und dies ist die Voraussetzung, um letztlich die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Am Beispiel Syrien wird deutlich, wie ambivalent der Umgang des Regimes mit der Digitalisierung ist. Aus Sicht der Machthaber kann das Blockieren sozialer Medien durchaus kontraproduktiv sein, schließlich bieten die Online-Netzwerke auch willkommene Möglichkeiten, Andersdenkende auszuspionieren. Aber auch Demokratien nach westlichem Muster sind durchaus auch keine Unschuldslämmer, wenn es darum geht, sich für die digitale Kriegsführung zu rüsten. Und auf den sozialen Plattformen tobt längst eine Schlacht um die öffentliche Meinung.
Eigentlich möchte doch jeder etwas für die Umwelt tun. Doch nicht nur, wenn die Lösung der Probleme von den sozial Schwachen bezahlt werden soll, stößt jede noch so gut gemeinte Initiative auf erbitterten Widerstand. Darüber hinaus führen viele Ansätze, mit denen die Weltgemeinschaft die Erderwärmung aufhalten will, am Ziel vorbei. Auch das Klima-Abkommen von Paris ist im Grunde schon heute zum Scheitern verurteilt. Wie also kann ein realistischer Ausweg aussehen, um dem Aufheizen der Erdatmosphäre Einhalt zu gebieten? Franz Josef Radermacher, Leiter des Forschungsinstituts für Anwendungsorientierte Wissensforschung (FAW) in Ulm, beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit diesen Themen. In dieser Folge nennt er die tatsächlichen Verursacher des Klimawandels. Und entlarvt anhand von Zahlen, dass manche Annahmen zu den Dimensionen von Umweltbelastungen und zur Effektivität von Gegenmaßnahmen einfach nicht stimmen. Sollten sich die Chinesen am deutschen Klimaschutz ein Beispiel nehmen? Besser nicht. In der Umweltpolitik geht es im Kern um die Frage, wie Wohlstand verteilt ist, so Radermacher. Und das nicht nur in Deutschland, sondern weltweit. Aber gerade im globalen Maßstab zu denken, fällt enorm schwer. Eigentlich wäre es sinnvoll, dafür zu bezahlen, dass der Regenwald im Amazonas nicht abgeholzt wird. Es würde sich langfristig rentieren, jenseits von marginaler Entwicklungshilfe die Aufforstung und die Entwicklung der Landwirtschaft in Afrika zu finanzieren. Das passiert aber ebensowenig wie das Elektroauto als Patentrezept zum Vermindern von Treibhausgasen kritisch zu hinterfagen. Radermacher legt den Finger in die offenen Wunden der Klimapolitik. Diese Folge schließt an die Episode 023 an, in der Radermacher vor einem Zwei-Klassen-System beim Umweltschutz gewarnt hatte.
Feuer – das ist für die meisten Menschen ein Teufel, den es zu bekämpfen gilt. Brände legen nicht nur Städte in Schutt und Asche, sondern hinterlassen auch verwüstete Landschaften. Doch das ist nur die eine Seite von Feuer. Wenn ein Wald oder die Heide entflammt, ist das nicht per se eine Katastrophe. Brände haben ihren festen Platz in der Natur und formen den Lebensraum auch im positiven Sinne. Ohne Feuer drohen Ökosysteme zu überaltern, weil sich sonst abgestorbene Biomasse ansammelt. Solange er nicht außer Kontrolle gerät, kann ein Brand also nicht nur Vernichtung bedeuten, sondern auch den Beginn eines neuen Lebenszyklus. Das sagt Johann Georg Goldammer. Er ist einer der wenigen Wissenschaftler, die sich gewissermaßen ihre eigene Forschungsdisziplin geschaffen haben: In der Feuerökologie ist er heute ein weltweit gefragter Experte. Er leitet das in Freiburg beheimatete Global Fire Monitoring Center, das dem Max-Planck-Institut für Chemie angeschlossen ist. Er wird gerufen, wenn es darum geht, der Gefahr von Waldbränden zu begegnen, und zwar möglichst, bevor sie ausbrechen. Denn dass ein Feuer so extreme Folgen hat, geht oft auf Eingriffe des Menschen in die Natur zurück. Und der Klimawandel wird die Risiken noch steigern. In dieser Episode erzählt Goldammer, weshalb die jüngsten Waldbrände in Griechenland, Kalifornien und auch in Deutschland so verheerende Folgen hatten, warum Kiefern einen Waldbrand überstehen können und welche Probleme Kampfmittel im Wald mit sich bringen, wenn es einmal zu brennen beginnt.
Die Gen-Schere (CRISPR/Cas) verspricht als neue „Wunderwaffe“ der Lebenswissenschaften das Genom von Menschen, Tieren und Pflanzen gezielt zu verändern. Mediziner hoffen, mit der neuen Methode schwere Krankheiten zu heilen. Zwischen Hype und Hoffnung mischen sich kritische Stimmen, zumal bei Keimbahneingriffen an Embryonen auch zukünftige Generationen betroffen sind. Über ethische Fragen zum Genome Editing macht sich vor allem die Forschungsstelle „Ethik der Genomeditierung“ (EGE) an der Universität Tübingen Gedanken. Dort haben wir den Leiter der Forschungsstelle, Robert Ranisch, getroffen und mit ihm unter anderem über Genom-Editierung, Embryonenselektion oder Gene-Drives gesprochen. Als Wissenschaftler untersucht Ranisch normative Fragen an den Schnittstellen von Technologie, Gesellschaft und Politik. Daneben arbeitet er im Bereich Ethikberatung und unterstützt Organisationen beim Aufbau guter Strukturen und erfolgreicher Wertekommunikation. Die EGE ist eine Forschungsstelle am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, die sich schwerpunktmäßig ethischen Fragen der Genom-Editierung widmet. Sie dokumentiert als deutschlandweit einzigartige Einrichtung über einen längeren Zeitraum die technischen Entwicklungen in den Lebenswissenschaften sowie deren Verarbeitung und Vermittlung in der Öffentlichkeit. Das Ziel der EGE ist es ethische, rechtliche und soziale Herausforderungen der Genom-Editierung zu identifizieren, normative Fragen in institutionalisierter Form zu reflektieren und damit die wissenschaftliche Grundlage für einen transdisziplinären Dialog bereitzustellen.
Mit der Geothermie will der Geologe Ingo Sass eine unerschöpfliche und vor allem klimafreundliche Energiequelle für den Alltagsgebrauch erkunden und erschließen. An seinem Lehrstuhl für Angewandte Geowissenschaften an der TU Darmstadt verbindet er dafür Ingenieurtechnik und Naturwissenschaften. Das Energiepotenzial ist riesig: Unsere Erde ist im Kern 6.000 Grad Celsius heiß. Sie erzeugt damit einen Wärmestrom bis hin zur Erdoberfläche. Diese Geothermie ist eine mehr als nur alternative Energiequelle für die Beheizung von Wohngebäuden, Büros und Produktionshallen. Allerdings wird sie trotz vieler positiver Eigenschaften in Mitteleuropa noch viel zu wenig eingesetzt. Ingo Sass will durch seine Lehr- und Forschungstätigkeit dazu beitragen, die Akzeptanz der Geothermie bei Immobilienbesitzern, Baubehörden, Energieanbietern und Unternehmen zu steigern sowie für die notwendige Planung zu sensibilisieren. Dafür sieht er drei Ansatzpunkte: fundiertes Wissen über Geothermie vermitteln, technische Risiken bei deren Nutzung minimieren, Deutschland trotz aller Widerstände zum wissenschaftlichen Top-Player auf diesen Gebieten machen.
Leichte Sprache wendet sich an Menschen mit Behinderungen oder anderen Einschränkungen und öffnet das Tor auch für Fremdsprachler und bessere Erklärungen komplizierter Sachverhalte. Leichte Sprache vermittelt die Inhalte vereinfacht, aber getragen durch eine andere Strukturierung der Inhalte und nicht nur durch das Verwenden einfacher und wenigerer Worte. Wir sprechen mit Isabel Rink, Geschäftsführerin der Forschungsstelle Leichte Sprache im Institut für Übersetzungswissenschaft und Fachkommunikation an der Universität in Hildesheim über die kurze, aber lebhafte Geschichte der Leichten Sprache, ihrer gesetzlichen Verankerung, den Zielen und Methoden der Leichten Sprache und für welche Zielgruppen Leichte Sprache hilfreich sein kann.
Jule Specht ist Psychologin und Professorin an der Berliner Humboldt-Universität. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Persönlichkeitsentwicklung, Wohlbefinden, Persönlichkeit und soziale Beziehungen. Sie ist zudem Mitglied der „Jungen Akademie“, einem Thinktank für wissenschaftliche und wissenschaftspolitische Fragen, die besonders den wissenschaftlichen Nachwuchs betreffen. In dieser Episode sprechen wir mit Jule Specht darüber, was Persönlichkeit in einem wissenschaftlichen Sinne ist, was unsere Persönlichkeit formt, wie sich eine Persönlichkeit im Laufe des Lebens entwickelt oder wie sich Männer und Frauen in Ihrer Persönlichkeit unterscheiden. Wir werfen einen Blick auf das Berufsleben, das Teile unserer Persönlichkeit besonders fordert oder formt, beispielsweise bezüglich unserer Gewissenhaftigkeit. Und auf welche Persönlichkeitsmerkmale achten eigentlich Unternehmen bei der Mitarbeiterauswahl? Zum Ende hin streifen wir noch die Frage, wie man mit Big Data Rückschlüsse auf die Persönlichkeit ziehen und uns damit vielleicht auch manipulieren kann, und erkennen wenig überrascht: Wir sind nicht mehr weit entfernt davon, dass uns unser Smartphone sagen kann, wie glücklich wir gerade sind.
Stefan Rahmstorf ist Ozeanograph und Klimaforscher am renommierten Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung. Einen Teil seiner Kindheit verbrachte er an der niederländischen Nordsee. Die Leidenschaft für das Meer war also früh geweckt. Nach dem Studium der physikalischen Ozeanographie schälte sich das Klima als Forschungsgegenstand schnell heraus: „Klima ist letztlich Physik“, sagt Rahmstorf, „und der Ozean ist einer der wichtigsten Teile des Klimasystems.“ Und so sprechen wir in dieser Episode über die Folgen des Meeresspiegelanstieges, der nicht mehr gestoppt werden kann, selbst wenn es gelingen würde, den weiteren Anstieg der globalen Erwärmung zu stoppen. Die großen Eismassen auf Grönland und der westantarktische Eisschild werden vermutlich noch über Jahrhunderte weiter abschmelzen - mit unabsehbaren Folgen: Zum einen Hitzeextreme sowie zum anderen extreme Niederschläge, die mit dem zunehmendem Wasserdampf in der Luft deutlich öfter auftreten (werden). „Es ist sehr deprimierend, wie lethargisch die Menschheit auf diese existenzielle Bedrohung reagiert“, sagt Rahmstorf, der auch die Bundesregierung in Sachen Klimawandel beraten hat. Denn der Klimawandel kann ganze Staaten und das friedliche Zusammenleben der Menschheit destabilisieren. Höchste Zeit zu Handeln!"
Philippe Wampfler ist Lehrer, Kulturwissenschaftler und Experte für Lernen und Lehren in der digitalen Welt. Der Schweizer Fachdidaktiker hat einige Bücher über dieses Thema geschrieben und betreibt neben anderem ein Blog zu ”Schule und Social Media“. Auf medium.com schreibt er regelmäßig essayistische Beiträge zum Zeitgeschehen. In dieser Folge sprechen wir mit ihm über die Anforderungen an den (Deutsch-) Unterricht in Zeiten der Digitalisierung. Wie können Notebooks oder Smartphones sinnvoll in den Unterricht integriert werden? Welche Auswirkungen haben sie auf die Konzentration von Schülern? Sind sie unerlässliche Informationsquellen oder doch eher digitale “Spickzettel“? Philippe berichtet darüber, wie er versucht, seine didaktischen Ideen und Überzeugungen stärker grundsätzlich im Bildungssystem zu verankern und welche Voraussetzungen es eigentlich bräuchte, um Schulunterricht in das 21. Jahrhundert zu transformieren.
Christopher Zimmermann ist Fischereibiologe und Meereswissenschaftler und leitet das Thünen-Institut für Ostseefischerei in Rostock. Zudem lehrt er an der dortigen Universität. Regelmäßig berät er Bund und Länder, warnt vor Überdüngung und Versauerung und empfiehlt Fangquoten für die Ostseefische – nach wissenschaftlichen Kriterien. Und er vertritt Deutschland im Internationalen Rat für Meeresforschung. Das Arbeitsgebiet des Thünen-Instituts ist die Ostsee: das größte Brackwassergebiet der Erde. Durch den geringen Salzgehalt ist ihre marine Fauna artenarm. Auch die Fischerei ist zwar vielfältig, aber einfach strukturiert. Die kleine Küstenfischerei prägt die meist strukturschwachen Küstenregionen der Anrainerstaaten. Dank dieser Charakteristika wird die Ostsee zum idealen Testgebiet für neue Ansätze zur Datenerhebung und zum Fischereimanagement. Wir sprechen mit Christopher Zimmermann über nachhaltige Fischerei und ausgeklügelte Fangtechniken, die besonderen Umweltbedingungen in der Ostsee und über die Fallstricke der wissenschaftlichen Politikberatung.
Der Biologe Manfred Niekisch ist ein international bestens vernetzter Vorkämpfer für Artenschutz und Biodiversität. Er setzt sich mit seinem großen Erfahrungsschatz dafür ein, den Schutz der Natur zum Ausgangspunkt politischer und wirtschaftlicher Entscheidungen zu machen. Niekisch war bis 2017 Direktor des Frankfurter Zoos, außerdem hatte er Professuren für Internationalen Naturschutz an den Universitäten Greifswald bzw. in Frankfurt a.M. inne. In dieser Folge sprechen wir über Niekischs Ideen für den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der natürlichen lebenden Ressourcen. Dazu gehören Schutzmaßnahmen für tropische Wälder, Managementkonzepte für Naturschutzgebiete und Ausarbeitungen eines sozial- und umweltverträglichen touristischen Zugangs zu diesen Arealen. Mit seinem Engagement will Niekisch zu der Veränderung menschlicher Verhaltens- und Wirtschaftsweisen für einen vorausschauenden Umgang mit der Natur beitragen. Er hat in zahlreichen Ländern der Erde, mit Schwerpunkten in Vietnam und in den Ländern Lateinamerikas, geforscht. Nicht zuletzt sprechen wir in dieser Folge über die Aufgaben und Bedeutung von Zoos und inwieweit Wissenschaft für die Strategie, die Konzeption und die Organisation eines Zoos von Bedeutung ist.
Das Projekt „Medizin im digitalen Zeitalter“ beschäftigt sich mit der Frage, wie sich der Beruf des Arztes verändert und wie sich die Ausbildung daran anpassen muss. Leiter dieses Projektes ist Sebastian Kuhn, Oberarzt und Lehrbeauftragter am Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie der Universitätsmedizin Mainz. Auch in der Medizin ist der beschleunigte technologische Fortschritt bemerkbar, denn in der medizinischen Praxis und Forschung kommen bereits diverse digitale Techniken zum Einsatz. Dazu zählen sowohl Daten- und Biobanken von Patienten, die mithilfe einer leistungsstarken Informationstechnologie ausgewertet werden können, als auch Bereiche wie eHealth oder mHealth (Mobile Health), also Smart-Systeme für elektronische Lösungen der Gesundheitsfürsorge auf mobilen Geräten. Durch Personalisierung, Robotik und Digitalisierung erschließen sich neue Wege in Diagnostik und Therapie. Die Telemedizin wird ein zunehmend wichtiger Lösungsweg, um auch zukünftig den hohen Versorgungsstandard aufrechterhalten und die Versorgung strukturschwacher Regionen gewährleisten zu können. Das neue Mainzer Curriculum zeigt Wege auf, wie digitale Kompetenzen in die Medizinerausbildung integriert werden können. Inhaltlich bilden Themen wie mHealth, Telemedizin und Möglichkeiten der digitalen Kommunikation die Schwerpunkte. Mittels innovativer Studien- und Lernformen wie beispielsweise problembasiertem kollaborativen Lernen oder Simulationstraining, entwickeln die Studierenden Fähigkeiten zur Kommunikation im digitalen Gesundheitswesen und für die digitale Arzt-Patienten-Beziehung, lernen den sicheren Einsatz von Social Media, den Transfer und die Befundung von telemedizinischen Bilddaten und mögliche Anwendungen von mHealth. Zudem werden ihnen die Prinzipien der Telekonsultation und deren Limitationen vermittelt und sie lernen das Potenzial und die Gefahren von Big Data sowie die Chancen und Risiken der Gesundheitskarte und kommerzieller Gesundheits-Apps kennen. Nicht zuletzt erhalten sie Einblicke in rechtliche, ethische und gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen der digitalen Medizin.
Der Astrophysiker Harald Lesch ist ein echtes Multitalent: Er ist nicht nur Physikprofessor in München, sondern tritt auch als Naturphilosoph, Wissenschaftsjournalist oder als Moderator im TV in Erscheinung. Bei all diesen vielen verschiedenen Tätigkeiten stechen die kommunikativen Fähigkeiten von Harald Lesch besonders heraus: Er ist einfach ein ganz wunderbarer Erklärbär. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Stifterverband haben ihm deshalb schon 2005 den „Communicator-Preis“ für seine mitreißende und fundierte Art, Wissenschaft zu vermitteln, verliehen. In dieser Folge sprechen wir mit ihm über Wissenschaftsskeptiker und wie man mit ihnen umgeht, über das sich weiter verschlechternde Verhältnis von Wissenschaft und Politik, über den Klimawandel, die Schule und über das Geschichtenerzählen. Denn wir müssen, so Lesch, endlich damit beginnen, unseren Kindern die eine große Geschichte über unseren gefährdeten Planeten zu erzählen. Nur so können wir Bewusstsein schaffen und Verantwortung stärken. Und nur so können wir den haltlosen Erzählungen der Leugner und Skeptiker etwas Überzeugendes entgegenhalten.