ist der Podcast zur US-Politik von Max Böhnel, nd.Korrespondent, und Moritz Wichmann, unserem USA-Spezialisten im Online-Ressort. Zusammen mit dem USA-Liebhaber (und nd.Sportredakteur) Oliver Kern sorgen sie für Er- und Aufklärung. Alle Folgen zum Nachhören auf dasnd.de/maxundmoritz
Joe Biden, das scheint allen außer Donald Trump mittlerweile klar zu sein, wird neuer US-Präsident. Kein Kandidat vor ihm hat je so viele Stimmen bekommen wie er. Trotzdem sprechen manche von einer Enttäuschung. Ist der Wahlsieg Bidens nun ein historisch starkes Ergebnis, oder sind seine Demokraten unter ihren Möglichkeiten geblieben? Beides. Es ist ein deutlicher Sieg geworden. Biden hat nicht nur die Rust Belt-Staaten Wisconsin, Michigan und Pennsylvania im Norden zurückgewonnen. Er schaffte gleichzeitig, wovon seine Partei seit Jahren träumt: Staaten im Süden wie Arizona und Georgia zu gewinnen. Biden könnte auch prozentual nah an die historischen Wahlsiege von Barack Obama 2008 und 2012 herankommen. Gerade liegt er bei 50,7 Prozent der Stimmen, 2012 hatte Obama 51 Prozent bekommen, und noch sind Millionen Briefwahlstimmen in New York, Illinois und Kalifornien auszuzählen. Barack Obama musste seinerseits nie gegen einen Amtsinhaber antreten. Das aber war immer schon schwieriger. Dennoch sind die Demokraten unter ihren Möglichkeiten geblieben, weil Umfragen sie vorher noch weiter vorn gesehen hatten. Staaten wie Florida, North Carolina und Iowa haben sie dann aber doch verloren. Da die Niederlage in Florida schnell in der Wahlnacht feststand, hat sich das mediale Narrativ der Enttäuschung gehalten. Im Repräsentantenhaus hielten die Demokraten ihre Mehrheit zwar, verloren aber einige Sitze. Im Senat ist nur noch ein Gleichstand möglich. Wie erklärst du den Unterschied zur Präsidentenwahl? Im Senat bleibt den Demokraten tatsächlich noch ein ganz schmaler Pfad zur Mehrheit. Dazu müssten sie im Januar beide Stichwahlen in Georgia gewinnen. Den Staat entschied Biden ganz knapp für sich, bei den Senatswahlen lagen aber die Republikaner vorn. Biden ist ein Kandidat, der die wenigen überzeugbaren Wähler in der Mitte für sich gewinnen und gleichzeitig die linke Basis motivieren kann. Es ist sehr unklar, ob Jon Ossoff und Raphael Warnock das im Januar auch schaffen. Vermutlich werden die Republikaner eine knappe Mehrheit halten. Und das würde Bidens Möglichkeiten sehr stark einschränken. Haben denn eher die ganz linken oder die moderaten Demokraten an Zustimmung verloren? Auf jeden Fall die Moderaten. Sie schaffen es nicht, sich offensiv gegen republikanische Falschinformationen und Sozialismus-Angst zur Wehr zu setzen. Sie versuchen nur, möglichst harmlos zu sein. Progressive sagen aber schon lange: Egal, was sie machen, die Attacke »Ihr seid Sozialisten!« kommt so oder so von den Republikanern. Darauf muss man bessere Antworten finden als sich wegzuducken. Biden hat da aggressiver agiert. Er hat diesen Vorwurf aktiv dementiert und auf seine populären Positionen beim Mindestlohn und der Krankenversicherung verwiesen. Warum lagen die Umfragen denn wieder so weit daneben? Die Meinungsforscher meinten doch, sie hätten aus ihren Fehlern 2016 gelernt. Sie waren wahrscheinlich sogar schlechter als 2016. In einem halben Dutzend Staaten lagen die Umfragefehler außerhalb der normalen Fehlerspannen. Vor allem aber lag der Fehler systematisch daneben, so dass fast überall Trump unterschätzt wurde. Vermutlich wurde falsch eingeschätzt, wie gut Trump seine Wähler mobilisieren kann, und dass Corona den Demokraten bei dieser Mobilisierung mehr geschadet hat. Außerdem scheint das Problem größer zu werden, dass weißen Arbeiter gar nicht mehr an Umfragen teilnehmen. Sie sind von normalen Medien und deren Meinungsforschern komplett abgekoppelt. Nichtsdestotrotz: Umfragen sind immer nur grobe Schätzungen. Und in vielen anderen Staaten lagen sie genau richtig. Für eine tiefe Analyse fehlen aber noch Daten. Das dauert ein paar Wochen. Es sind ja noch nicht mal alle Stimmen ausgezählt. Es heißt Trump habe viele Latinos auf seine Seite gezogen. Das zeige sich in Florida. Wenn dem so wäre, hätte er aber Arizona nicht verlieren dürfen. Wie passt das zusammen? Wird hier der Begriff »Latino« zu sehr verallgemeinert? Latinos sind eine sehr diverse Community. Gerade ältere und Kubano-Amerikaner in Miami sind sehr antikommunistisch, sehr republikanerfreundlich. Junge mexikanisch-stämmige Latinos in Arizona dagegen denken komplett anders. Gleichzeitig verändert sich etwas ethnienübergreifend. Schon 2016 war erkennbar, dass die Demokraten immer mehr zur Partei der Gebildeten werden. Bislang war das nur auf Weiße begrenzt. Die weiße Arbeiterklasse bewegte sich auf Trump zu. Jetzt aber ist das auch bei immer mehr Latinos und Schwarzen ohne Universitätsbildung zu erkennen. Es ist also nicht mehr so, dass Latinos und Schwarze zwangsläufig für die Demokraten stimmen, zumal das Thema Einwanderung gar kein Thema im Wahlkampf war. Es gibt dennoch immer mehr Latinos in der zweiten und dritten Generation, die sich als Amerikaner fühlen und neue Migranten nicht ins Land kommen lassen wollen. Bei denen hatte Trump einen gewissen Erfolg. Den sollte man aber auch nicht überbewerten. In der Tat muss wählte die Mehrheit der Minderheiten weiter die Demokraten. Trump versucht gerade, den Sieg Bidens gerichtlich anzufechten. Hat er eine Chance? In mehreren Staaten fordert er Nachzählungen. Die Erfahrung zeigt, dass sich dabei vielleicht ein paar Hundert Stimmen ändern. Er liegt aber überall fünfstellig zurück. Also das wird keine Wahlergebnisse ändern. Außerdem geht Trump gegen die Anerkennung von Briefwahlstimmen vor. Und hier wird bislang eine Klage nach der anderen abgewiesen, auch von relativ konservativen Richtern. Es rechnet keiner wirklich damit, dass die Republikaner damit die Wahl noch gewinnen. Das ist alles eher Wahlkampfgetöse vor den zwei Stichwahlen in Georgia. Und Trump sammelt nebenbei noch Spenden ein. Damit bedient er die Schulden aus seinem Wahlkampf. Das Ganze ist also a) eine große Verarsche der Basis, und b) der Versuch, sie bis Januar bei der Stange zu halten. Geht es nicht auch ein bisschen um Trumps Ego? Er will doch nie als Verlierer dastehen. An dieses Label wird er sich nun aber gewöhnen müssen. Von manchen Republikanern und ihm wohl gesonnenen Fernsehmoderatoren wird er schon darauf vorbereitet, dass er bald abtreten muss. Er bleibe ja mächtig in der republikanischen Politik und habe ein großes Vermächtnis. Da will man schon sein Ego streicheln. Steckt bei Abgeordneten der Partei nicht auch Angst vor Trump dahinter? Mit einem Tweet kann er ganze Karrieren zerstören. Ich glaube schon, dass Trump Kingmaker bleiben wird. Wäre er erdrutschartig besiegt worden, wäre es anders. Aber so ist klar, dass weiterhin fast die Hälfte des Landes hinter ihm steht. Das stärkt seiner Position. Der Trumpismus wird also weiterhin die Politik der Republikaner prägen. Selbst wenn die Demokraten noch eine ganz knappe Mehrheit im Senat gewinnen sollten, wie viel ändert das am Ende wirklich? Moderate Parteimitglieder wie Joe Manchin aus West Virginia haben schon angekündigt, viele Träume der Linken selbst zu blockieren: das Ende des Blockadeinstruments Filibuster oder die Erweiterung des Obersten Gerichtshofs etwa. Georgia ist wichtig. Ich sehe auch das, was Manchin gerade macht, als Wahlkampfgetöse an. Er will die Demokraten als möglichst zentristisch und parteiübergreifend darstellen. Selbst Bidens Rhetorik spricht davon, die Hand zu Trump-Wählern auszustrecken. Aber keiner macht sich Illusionen, dass da viel parteiübergreifende Zusammenarbeit möglich ist. Selbst moderate Senatoren der Demokraten wissen, dass sie von den Republikanern am Ende der Obama-Amtszeit nur blockiert wurden. Die Vorstellung dass sich das nun ändert, ist Blödsinn, mit Verlaub. Sollten die Demokraten in Georgia tatsächlich gewinnen, will Joe Manchin bestimmt auch nicht immer der einzige Nein-Sager in der eigenen Partei sein.
Die Präsidentenwahl in den USA zwischen Donald Trump und Joe Biden rückt immer näher. Max Böhnel und Moritz Wichmann sind vor Ort und mischen mit. Gemeinsam mit Stefanie Ehmsen, USA-Expertin der Rosa-Luxemburg-Stiftung, und Diego Rivas, Berlin-Vorsitzender der Democrats Abroad geben sie ein letztes Update der Wahlprognosen am Vorabend der Wahl, erörtern, worauf speziell die Linken in der Wahlnacht und in den Tagen danach achten sollten, und erläutern, was der jeweilige Wahlausgang für die Kandidaten und die Vereinigten Staaten bedeuten wird. Moderation: Oliver Kern Alle Folgen von »Max und Moritz«, dem ndPodcast zum US-Wahlkampf zum Nachhören.
Hey Moritz, Zeit über deine letzten Eindrücke vor der Wahl zu reden – und nicht zu vergessen: vor Halloween! Gibt es gerade mehr Wahlkampfschilder für Trump und Biden in den Vorgärten oder mehr geschmückte Gruselhäuser mit geschnitzten Kürbisköpfen? Ungefähr beides zu gleichen Teilen. Viele Häuser sind festlich auf Halloween vorbereitet, vor vielen anderen sieht man aber auch die berühmten Yard-Signs, die kleinen Plastikschilder mit den Namen der Kandidaten. Ich bin die letzte Woche von New Jersey ins ländliche New York gefahren und ziehe gerade weiter nach Pennsylvania und Ohio. Bislang halten sich die Schilder für Trump und Biden die Waage. Das Weiße Haus hat gerade eine Liste mit den Errungenschaften in der Amtszeit Trumps herausgegeben. Ganz oben: Das Ende der Corona-Pandemie. Dabei steigen auch in den USA gerade die Zahlen auf neue Rekordwerte. Wie sehen die Leute das? Mittlerweile ist auch den Republikanern ganz klar, dass Corona real ist. Sie wissen, dass viel von dem, was Trump sagt, übertrieben oder komplett falsch ist. Sie wollen aber diese Rhetorik, die es »den Demokraten mal so richtig zeigt«. Sie wollen Medienkritik. Er gestern sprach ich mit Derek, einem Republikaner im kleinen Städtchen Dunkirk, der gerade zum Fischen auf den Lake Erie raus wollte. Auch er hat Freunde, die an Corona erkrankt waren, sagte er mir. Sie seien aber alle wieder gesund, und Derek hält das alles nun für politisiert. Er steht also weiterhin zu Trump. Dennoch ist Corona wieder das alles bestimmende Wahlkampfthema geworden, und das wirkt sich zu Ungunsten Trumps aus, weil deutlich wird, dass nichts unter Kontrolle ist. Die Totenzahlen steigen wieder an, vielerorts sind Krankenhäuser überlastet. Und jetzt trifft es auch immer mehr das ländliche, weiße Trump-Amerika, weil dort die Warnung vor dem Virus nicht so ernst genommen wurde und viele auf das Tragen von Masken verzichteten. 2016 bin ich wie du jetzt durchs Land gefahren und war erschrocken, wie heruntergekommen manche Regionen der USA waren: Autoreifen lagen en masse auf der Autobahn, viele Häuser fielen auseinander oder standen leer. Die Menschen in diesen Gegenden waren frustriert, dass sich niemand um sie kümmert. Trump hatte ihnen genau das versprochen. Wie ist es jetzt, vier Jahre später? Hier am Rand des sogenannten Rustbelts kann man das immer noch sehen. In Buffalo, vor allem aber drum herum, fährt man an vielen Industrieruinen vorbei. Und es gibt eine Menge Schlaglöcher. In die Infrastruktur dieses Landesteils wurde jahrzehntelang nichts investiert. Deutsche Autobahnen sind ein Himmel dagegen. Die Frustration ist also immer noch da. Aber sie wird politisch von beiden Seiten genutzt. Derek, zum Beispiel ist ein kleiner Geschäftsmann, der sagt, Trump sei gut für sein Business. Er denkt, die Demokraten würden auf vermeintlich ungebildete Trump-Wähler nur hinabschauen. In Interviews sagen unentschlossene Wähler, dass sie erschöpft sind vom Wahlkampf. Auf der anderen Seite werden Rekordzahlen für Früh- und Briefwähler vermeldet. Wie passt das zusammen? Anders als 2016 gibt es kaum noch Unentschlossene. Für Medieninterviews werden mal ein paar rausgepickt, aber das sind nur noch fünf Prozent oder weniger. Vor vier Jahren waren es doppelt so viele. Dennoch passt das sehr gut zusammen, weil die Leute einerseits einfach wollen, dass es endlich vorbei ist. Gleichzeitig zeigt die hohe Wahlbeteiligung, dass sich die Menschen früh entschieden haben. Bekannte von mir aus New York City haben sieben Stunden in der Schlange am Wahllokal angestanden. Die Leute sind zwar müde von Trump, aber gleichzeitig sehr entschlossen, ihn jetzt abzuwählen. Fällt es dir schwer, mit den Leuten in Kontakt zu kommen? Haben sie Lust, mit Journalisten über Politik zu reden? Mir fällt es recht leicht, mit Menschen zu sprechen. Ich gehe in Läden auf sie zu, oder wenn ich irgendwo einen Stopp einlege und übernachte. Ich stelle meist die unverfängliche Frage, was sie von den Wahlen halten? Wenn ich konkreter nachhake, kommen oft auch interessante Antworten. Das eigentliche Problem ist eher, dass es kaum größere Wahlkampfkundgebungen gibt, bei denen man mal ein paar mehr Menschen gleichzeitig treffen kann. Sind die Leute informiert über die Politik und die Kandidaten? Die wichtigsten Sachen kennen sie, aber ich treffe auch immer wieder Menschen, die nicht wissen, wer zum Beispiel die Kandidaten fürs Repräsentantenhaus in ihrem Wahlbezirk sind. Klar wollen wir den normalen Menschen in unseren Geschichten Raum geben. Aber um die Hintergründe der Politik zu verstehen, hat es dann auch mal eine gewisse Berechtigung, Experten und langjährige Beobachter zu Wort kommen zu lassen. Das wollen wir am Montag auch tun: Im Live-Podcast am 2. November um 18 Uhr. Dann mit Max und Moritz und weiteren Gästen. Wir schauen dann auf die letzten Umfragen und erläutern speziell aus der linken Perspektive, worauf man in der Wahlnacht und in den Tagen danach achten sollte. Also schalten Sie ein!
Max: Lass uns über die Medien und den US-Wahlkampf reden, Moritz. du bist ja nicht nur zu uns gekommen, um die schönen Herbstblätter zu genießen, sondern du hast ja auch einiges vor. Moritz: Ich habe mir einen Camper gemietet und werde die nächsten drei Wochen ein bisschen durch die Lande tingeln. Genauer gesagt, wahrscheinlich durch Pennsylvania und vielleicht ein, zwei andere Staaten. Ich will auf jeden Fall ein bisschen flexibel sein, um hinfahren zu können, wenn irgendwo etwas Wichtiges passiert. Wie siehst du die deutsche Berichterstattung über die USA? Ein Problem ist, dass zu oft Journalismus aus der Distanz gemacht wird, aus Washington D. C. - ganz nah dran an der offiziellen Regierungspolitik. Das Ergebnis ist ein Journalismus, der stark fokussiert ist auf Donald Trump. Beim »nd« haben wir schon aufgehört - auch wenn es im Agenturticker immer wieder kommt -, die tägliche Trump-Meldung zu machen. Ein großer Teil der deutschen US-Berichterstattung ist sehr oberflächlich. Das ist menschlich. Denn ein, zwei Korrespondenten in Washington haben selten Zeit, für einen Text drei Tage in dieses Riesenland rauszufahren, um einzufangen: Was denken denn Menschen etwa in Ohio? Ich will ein bisschen tiefer gehen. In deiner Berichterstattung machst du öfter auch Datenjournalismus. Wie gehst du vor, warum ist das wichtig? Ich habe vorher eine Analyse gemacht - das kann man gut vom Berliner Schreibtisch aus machen: Wo gibt es progressive Demokraten-Kandidaten und welche Wahlchancen haben sie? Wie haben diese Wahlkreise in der Vergangenheit gewählt? Dabei habe ich mir einen Bezirk rausgepickt in Upstate New York, der von einem Republikaner vertreten wird, obwohl 2016 Clinton diesen Wahlkreis gewonnen hat. Das ist unentschiedenes Territorium, und da tritt die Parteilinke Dana Balter an. Sie hat Siegchancen und könnte dann den linken Flügel im Parlament verstärken. Datenjournalismus kann eine gute Korrektur sein zu schlechtem und oberflächlichem »Medienexpertentum«, wenn zu schnell zu Schlussfolgerungen gesprungen wird. Prominente Datenjournalisten haben 2016 noch ein paar Tage vor der Wahl gesagt: »Leute, Donald Trump ist nur einen durchschnittlichen Umfragefehler von der Präsidentschaft entfernt.« Aber so genau hat dann keiner mehr hingeguckt, die Medien sind dem Unvermeidlichkeits-Spin der Clinton-Kampagne auf den Leim gegangen. Jetzt ist man vorsichtiger. Max, was meinst du: Haben die US-Medien gelernt aus 2016? Was leider immer noch passiert: Trump sondert Müll ab - die Medien mit Bullshit fluten, das war laut Steve Bannon schon 2016 explizite Strategie -, und der Müll wird im US-Fernsehen dann hin und her gewendet und analysiert, statt ihn einfach außen vor zu lassen. Der alte journalistische Grundsatz »Du musst beide Seiten zu Wort kommen lassen« gilt nach wie vor. Aber es gab auch Fälle, wo TV-Sender bei offensichtlichen Propaganda-Coronavirus-Briefings einfach weggeschaltet haben; Trump-Veranstaltungen werden weniger gezeigt.
Hallo Moritz, unser letztes Gespräch bevor es für dich abgeht auf Reportagereise in die USA. Und bevor du sie in persona triffst, lass uns doch noch mal über die politische Rechte in den USA reden. Viele Menschen können ja oft gar nicht verstehen, warum 40 Prozent der Amerikaner immer noch fest zu Trump stehen. Denn Sie wissen nicht, dass in den Debatten der Konservativen all seine Skandale und selbst das Coronavirus kaum eine Rolle spielen. Worüber reden sie stattdessen? Es gibt grob vier Themen, die in verschiedenen Variationen seit Monaten rauf- und runtergespielt werden. Da wäre zunächst die Kriminalität, also »Law and Order«, quasi als Antwort auf Black Lives Matter. Rechte Medien malen ein Bild, in dem Amerika bedroht ist von einer Spirale des Verbrechens in gesetzlosen Städten, die außer Kontrolle geraten. Die zweite Sache ist Corona. Erst hat man die Pandemie wie Trump verharmlost, und nach seiner Ansteckung mit dem Virus wird nun seine heldenhafte Genesung in faschistoider Ästhetik inszeniert. Das dritte Thema ist die Wirtschaft. Donald Trump selbst erwähnt immer wieder den Aktienmarkt, der dank der Hilfspakete schon wieder fast alle Verluste aus der Corona-Rezession aufgeholt hat. Was ausgeblendet wird, sind die Millionen Arbeitslosen und die große soziale Not im Land. Und viertens wird natürlich auf die Demokraten eingeschlagen. Es wird davon geredet, dass sich sozialistische und radikale Kräfte mit den Medien gegen das aufrechte, konservative Amerika verschworen hätten. Ein gutes Beispiel ist der Geheimdienstdirektor John Radcliffe – von Trump berufen natürlich. Anstatt sich um den realen rechten Inlandsterrorismus zu kümmern, veröffentlicht er lieber russische Propaganda über Hillary Clintons Emails und angeblichen Coups gegen Trump. Obwohl das nichts mit der Lebenswirklichkeit der Leute zu tun hat, findet das großen Anklang. Warum? Hier geht es um »Obama-Gate«. Das ist eine Geschichte, die Donald Trump letztes Jahr als Gegennarrativ zu den Impeachment-Untersuchungen im Repräsentantenhaus aufgebaut hat. Demnach habe die Obama/Biden-Regierung mit Clinton gemeinsam versucht, die Machtübergabe an Trump zu sabotieren mit der angeblich falschen Behauptung, dass es eine russische Einflussnahme auf Trump gegeben habe. Geheimbünde im Beamtenapparat würden hier gegen Trump arbeiten. Doch in der Tat fußt das alles nur aufgezeichneten Gesprächen russischer Geheimdienstler noch vor der Wahl 2016. Hier gibt es keinen Skandal, doch es wird dazu aufgeblasen mit angeblichen Exklusiv-Storys und Enthüllungen. Das dominierte in jenen Tagen die Berichterstattung auf Fox News, als alle anderen über Trumps Covid-Erkrankung redeten. Der TV-Sender Fox News ist nur die Spitze des Eisbergs. Der hat ein paar Millionen Zuschauer, aber es gibt noch viel mehr im rechten Universum. Richtig. Da wurde über Jahrzehnte eine Parallelrealität konstruiert, vor allem online. Von den zehn meist gelesenen Facebook-Posts in den USA sind fast immer sieben, oder acht von rechten Youtubern, Influencern, von Fox News oder Donald Trump selbst. Das ist eine riesengroße rechte Blase, in die es sehr schwierig ist einzudringen. Neben Trump gibt es noch andere fragwürdige Politiker. Auf die Angst der Demokraten, Trump könnte das Ende der US-Demokratie bedeuten, antwortete Senator Mike Lee aus Utah kürzlich, Die USA seien gar keine Demokratie. Was sollte das bedeuten? Lee ist ein Hardcore-Rechter und twitterte dies tatsächlich nach der ersten TV-Debatte. Für ihn sind die USA eine konstitutionelle Republik. Und Ziel sei eben nicht die Demokratie, sondern Freiheit, Frieden und Wohlstand. Das verbreiten die Republikaner schon seit Jahrzehnten: Wohlstand ist wichtiger als die Volksherrschaft. Das basiert auf einer Vorstellung, die noch aus dem 19. Jahrhundert stammt. Demnach wählen nur Leute, denen das auch zusteht: damals die wohlhabenden Männer, aber keine Frauen, Armen oder Minderheiten. Und jetzt wird eben ehemaligen Kriminellen mancherorts das Wahlrecht verwehrt. Politikwissenschaftler nennen das institutionelle Minderheitenherrschaft. In diesem Fall die Herrschaft weißer Rassisten, die Angst haben vor einem braunen und schwarzen Amerika. Das Wahlsystem ist immer noch auf Grund regionaler Gegebenheiten so angelegt, dass Joe Biden national mit knapp drei Prozentpunkten Vorsprung gewinnen muss. Im Senat ist es noch schlimmer. Da müssen die Demokraten mit sechs bis sieben Prozent vorn liegen, um mehr Sitze zu bekommen, weil ihre Klientel in den Städten weniger stark vertreten ist als die Weißen auf dem Land. Auch am Obersten Gerichtshof haben die Konservativen bald wohl eine 6:3-Mehrheit. Trumps Kandidatin Amy Coney Barrett stellte sich diese Woche im Senat vor. Auch das ist ein großes Thema bei den Republikanern. Das liegt daran, dass die Präsidentschaft Donald Trumps mit Ausnahme von Steuersenkungen kaum erfolgreich war. Bei der Neubesetzung von Richterstellen an Bundesgerichten aber war sie es. Coney Barrett wäre schon Trumps dritte Besetzung am Supreme Court. Da die Richter auf Lebenszeit ernannt werden, könnte das Ungleichgewicht vielleicht sogar dreißig Jahre anhalten. Die evangelikalen Christen hoffen darauf, dass der Supreme Court zum Bollwerk gegen die gesellschaftliche Modernisierung wird und zum Beispiel Abtreibungen wieder verbietet. Auch an Gerichten auf unteren Ebenen hat Trump 194 Richterstellen neu besetzt. Wenn die Wahl knapp ausgeht, hofft er sicher, dass genau diese Richter ihm am Ende auch zum Sieg verhelfen werden. Nun gibt es am äußersten rechten Rand noch gruseligere Figuren als Trump. Stichwort Q-Anon. Übernehmen die jetzt die republikanische Partei? Das weiß ich nicht, aber sie haben immer mehr Einfluss. QAnon ist eine abstruse Verschwörungstheorie, nach denen eine Elite aus Politikern, Wirtschaftsbossen und Wohlhabenden Kinder in geheime Bunker entführt und aus ihnen ein Serum zur ewigen Jugend gewinnt. Und Donald Trump geht angeblich dagegen vor. Er selbst glaubt wohl nicht daran, aber er verbreitet das Zeug mit Hunderten Retweets. Außerdem haben sich 24 QAnon-Anhänger bei den Vorwahlen durchgesetzt und könnten nun ins Repräsentantenhaus einziehen. Viele treten in erzkonservativen Bezirken an und haben tatsächlich sehr gute Chancen. Gibt es am anderen Ende des konservativen Spektrums auch eine Absetzbewegung in Richtung der politischen Mitte und weg von Trump? Tatsächlich tritt das so langsam ein, allerdings nur bei einigen Kandidaten für den US-Senat. Sie stecken in sehr engen Rennen und distanzieren sich etwas vom Coronakurs des Präsidenten. Sie appellieren an Wähler, die Trump nicht ausstehen können, trotzdem für sie zu stimmen, um als Kontrolle zu dienen, sollte Joe Biden Präsident werden. 1996 hat das bei der Wiederwahl von Bill Clinton bei einigen Senatoren geklappt. Vermutlich wird es diesmal aber nicht funktionieren, weil Trump nicht der Herausforderer, sondern Amtsinhaber ist. Aber das ist so eine Frage, die bis zum Wahlabend offen bleiben wird. Und das selbst für Experten wie Max und Moritz. Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, noch Fragen haben, schreiben Sie sie am besten schnell an podcast@nd-online.de. Max und Moritz werden diese mit etwas Glück schon in der nächsten Folge beantworten.
Lieber Max, Donald Trump hat sich das Coronavirus eingefangen. Welch Überraschung! Er sagt, ihm geht es wieder gut. Sein Arzt sagt das auch. Aber was glauben die Amerikaner? Trumps eingeschworene Fans nehmen ihm sowieso alles ab, also auch, dass er über das Gröbste hinaus sei. Aber die sind nicht die Mehrheit. Die Mehrheit der Amerikaner ist skeptisch. Trump hat immerhin schon ungefähr 25.000 mal gelogen in fast vier Jahren Amtszeit. Die Leute fragen sich: Wie kann einer, der vor einer Woche mit Sauerstoff versorgt und mit hohem Fieber ins Krankenhaus eingeliefert wurde, kurz darauf so weitermachen wie bisher? Vollgepumpt mit Steroiden und Versuchsmixturen! Und was diesen Mediziner angeht: Der Mann ist Militärarzt und Trump sein oberster Befehlshaber. Der Arzt lässt nichts verlautbaren, was Trump ihm nicht vorher diktiert hat. Was aber am meisten skeptisch macht, sind die Twitter-Tiraden von Trump: 40 Tweets in wenigen Stunden schickte er raus, als er wieder im Weißen Haus war, darunter die Aufforderung an den Justizminister, endlich Hillary Clinton zu verhaften. Erkrankte oder verletzte Präsident im Amt profitierten oft von einem Mitleidsbonus. Trump aber nicht. Warum? Weil er so offensichtlich ein Narzisst ist, vom Größenwahnsinn besessen, dass er jedes Mitleid als Schwäche von sich weisen würde. Er gibt sich als Superman. Und man kann sich auch nicht daran erinnern, dass er selbst mal Mitleid mit jemandem gezeigt hätte. Im Gegenteil, er hat wahrscheinlich selbst Hunderte mit Covid-19 angesteckt und läuft noch immer ohne Maske durchs Weiße Haus. Nee, der hat kein Mitleid verdient. Dabei sagt er doch, er habe viel gelernt in diesen Tagen über Corona. Trotzdem beschwört er die Menschen, sie sollten keine Angst davor haben. Und er kommt sogar wieder mit den alten Grippevergleichen. Glauben ihm die Amerikaner? Man kann nicht von »den Amerikanern« sprechen. Die Meinungen sind gespalten. Die Amerikaner sind kein einheitlicher Block. Ich befürchte allerdings auch, dass mancher ihm am Ende glaubt, wenn er nachweislich geheilt sein sollte und sich als Bezwinger von Corona darstellt. Kurz nach seiner Rückkehr aus dem Krankenhaus jagte Trump den Dow Jones per Tweet in den Keller, als er die Verhandlungen mit den Demokraten über ein Rettungspaket auf die Zeit nach der Wahl verschob. Millionen können ihre Miete nicht zahlen, verlieren ihre Jobs und ihre Krankenversicherung. Die brauchen staatliche Hilfen. Und er sagt einfach: Stopp. Das kann doch nicht klug sein. Ich denke, das sind Nebenwirkungen dieser Drogenmixturen. Und das ist kein Witz mehr. Zuerst beendet er die Verhandlungen abrupt. Dann bricht der Aktienmarkt ein, und ein paar Stunden später twittert er dann das Gegenteil. In der Nacht zu Donnerstag trafen sich die Vizepräsidentschaftskandidaten Kamala Harris und Mike Pence. Diese TV-Debatte ist normalerweise nur so semi-wichtig. Jetzt aber spekulieren viele, was passiert, wenn der alte weiße Mann an der Spitze stirbt? Wer konnte nun am besten zeigen, dass sie oder er den Job sofort übernehmen könnten? Beide. Sie sind ja Berufspolitiker. Pence war Gouverneur in Indiana und Harris Justizministerin von Kalifornien und nun Senatorin. Im Gegensatz zu Trump können sie auch Gedanken in normale Sätze fassen. Inhaltlich hat die Debatte den Wahlkampf aber nicht in eine neue Richtung lenken können. Pence wirkte salbungsvoll, aber auch heuchlerisch. Er hatte große Mühe, Trump zu verteidigen. Harris dagegen kam als kompetent rüber, als sehr kluge Denkerin, und die Demokraten führen daher weiterhin in den Umfragen. War das die letzte Debatte? Eigentlich sollen ja Trump und Biden noch zweimal aufeinandertreffen. Aber daran bestehen große Zweifel. Geplant ist ein weiteres Duell am 15. Oktober, und dann noch eins die Woche drauf. Biden hat aber gesagt, dass er gegen eine Debatte mit Trump ist, solange der noch mit dem Virus infiziert ist. Wie lange das der Fall ist, werden wir erst in den kommenden Tagen erfahren. Nun ja, zumindest wenn man Trump und seinem Arzt glauben will.
Hallo Max! Wir müssen – wohl oder übel – über die Präsidentschaftsdebatte aus der Nacht zum Mittwoch sprechen. Auch wenn sie mit einer zivilisierten Diskussion nicht viel zu tun hatte, bestimmt sie ja trotzdem die Schlagzeilen in den USA. Nach solchen Debatten gibt es immer Blitzumfragen. Wer hat das Duell gewonnen? Das kann man nicht sagen. Kurz nach so einem einschneidenden Ereignis sollte man nicht mit einem fundierten Umfrageergebnis rechnen. Auf Twitter wurden mehrere »Umfragen« gemeldet, in denen Trump vorne lag. In Blitzumfragen großer Fernsehsender hielt eine Mehrheit Biden für den Sieger. Aber was heißt schon Sieger? Ich glaube, es dürfte kaum einen Trump-Fan geben, der sagen würde: Trump hat verloren. Und ich glaube auch, es gibt keinen Demkokraten, der das von Biden sagen würde. Man müsste also Menschen fragen, die noch unschlüssig sind, wen sie wählen wollen. Aber die muss man mit der Lupe suchen. Allen war vorher klar, Trump liegt seit Monaten in der Wählergunst hinten und muss aufholen. Kann er das mit dieser Vorstellung geschafft haben? Nein, auf keinen Fall. Denn das würde ja bedeuten, dass er Zweifler oder gar Biden-Anhänger auf seine Seite gezogen hätte. Das kann man ausschließen. Eine andere Frage wäre, ob Trump Nichtwähler überzeugen konnte, jetzt wählen zu gehen. Auch das glaube ich nicht. Welcher Nichtwähler würde sich ausgerechnet so eine Debatte anschauen? Und das auch noch über 90 Minuten lang! Biden liegt seit Langem vorn und musste nur Fehler vermeiden. Ist ihm das gelungen? Er wurde ja von Trump seit Wochen als senil und unzurechnungsfähig gezeichnet. Deshalb habe er sich angeblich auch in seinem Keller versteckt, anstatt Wahlkampfreden vor Anhängern zu halten. Das war der Eindruck, den Trumps Leute vermitteln wollten. Nun ist Joe Biden tatsächlich alt, das sieht man ihm auch an. Und er verhaspelt sich oft. Aber als einer, der manchmal Zahlen durcheinanderbringt und über den eigenen Satz stolpert, ist Joe Biden seit Jahrzehnten in den USA bekannt. Das hat er auch wieder bei dieser TV-Debatte gemacht. Aber es war eben nichts Neues. Trump bezeichnet Biden außerdem seit langem als »Sleepy Joe«, was ich nie für besonders treffend hielt. Die Messlatte hatte Trump vor der Debatte also sehr sehr niedrig gelegt. Und natürlich ist Biden nicht vor laufender Kamera eingeschlafen. Auf der anderen Seite ist er trotz der vielen Angriffe und Beleidigungen von Trump nie ausgerastet. In keine dieser Fallen tappte Biden. Er hat die Contenance behalten. Bei besonders verrückten Ausfällen von Trump hat er sogar einfach nur gelächelt. Auch wenn es nach solch einer Debatte schwerfällt, auf inhaltliche Themen einzugehen: Trump hat versucht, seinen Gegner von den Demokraten in eine linke Ecke zu drängen. Biden hat aber explizit die Forderungen des progressiven Flügels abgelehnt: der Polizei Geld zu entziehen, die Abschaffung von privaten Krankenversicherungen, der Green New Deal. War das die richtige Strategie? Den Progressiven bei den US-Demokraten ist längst bewusst, dass Biden für den zentristischen Mainstream-Flügel der Partei steht. Diese Absagen, etwa an den Green New Deal, waren für sie also nichts Neues. Bei einem Großteil der Linken herrscht mittlerweile die Auffassung, dass Biden gegenüber Trump das kleinere Übel ist, und dass man ihn eben wählen muss. Linke verprellen kann Biden nicht mehr, glaube ich. Neu war das alles eher für Konservative. Trump behauptet immer wieder, dass Biden eine Marionette von Sozialisten sei. Vielleicht hat Bidens Distanzierung bei einigen Rechten sogar Zweifel ausgeräumt, und sie wählen ihn jetzt. Dann wäre das ja gut. Kurz vor der Debatte veröffentlichte die »New York Times« Einkommenssteuererklärungen von Donald Trump. Demnach hat er in 15 der letzten 20 Jahre nichts gezahlt, und 2016 sowie 2017 nur 750 Dollar, also viel weniger als Krankenschwestern, Feuerwehrleute oder Busfahrer. Viele haben erwartet, dass Biden das ausnutzen kann. Hat er meiner Ansicht nach aber nicht gemacht. Ich denke auch, Biden hätte Trump hier mehr angreifen können. Aber solche Attacken wären bei Trumps Anhängern ohnehin auf taube Ohren gestoßen. Die pflegen die Denkweise: Wer will denn nicht sein Geld behalten und die Steuer bescheißen? Trump ist für sie ein Fuchs, und sie hätten auch gern seinen Steuerberater. Außerdem kümmern sie Trumps Steuern nicht, sondern nur ihre eigenen. Dennoch hatte man schon den Eindruck, dass Biden anfangs kaum eigene Akzente setzte und überrumpelt wirkte von dem ständigen Chaos, das Trump verbreitete. Ja, das fand ich auch. Da war Biden sehr defensiv und ließ sich vom Rüpel überfahren. Ich dachte mir, bei manchen Zuschauern ist der Inhalt nicht so wichtig. Die wollen nur sehen, wer mehr Energie ausstrahlt, und das war eindeutig Trump. Könnte schon sein, dass er hier gepunktet hat. Das ganze Format TV-Duell und die Sprache, die damit kommuniziert wird – Zweikampf, Gewinner, Sieger, Durchhaltevermögen – das ist wie Leistungssport. So ein Format begünstigt von vornherein den Jüngeren, den Mächtigeren und den Aggressiveren. Und das ist Trump. Er ist ein Meister des Reality-TV und beherrscht dessen Regeln. Er war 14 Jahre die Hauptfigur in der Show »The Apprentice«. Ich glaube also, er kam möglicherweise als Sieger in seiner eigenen Reality-TV-Show rüber. Die Mehrheitsmeinung war aber, dass dies die hässlichste und am wenigsten informative Debatte der Geschichte war. Manche fordern nun, dass Biden an den zwei weiteren Debatten nicht mehr teilnehmen sollte. Wäre das politisch klug? Schon vor der ersten rieten ihm einige Demokraten davon ab, sich auf eine Bühne mit Trump zu stellen. Aber eine Nichtteilnahme wäre von Trump ausgeschlachtet worden als feiges Kneifen, als »Verstecken der Senilität« von Biden. Jetzt hat er nachgewiesen, dass er nichts verstecken muss. Würde er nun also sagen, so ein Theater mache ich nicht noch mal mit, wäre das eher verständlich. Ob es politisch klug wäre, ist schwer zu sagen, denn Trump würde ihn trotzdem kritisieren, und Biden wäre gezwungen zu reagieren. Als faschistoider Rechtspopulist weiß Trump genau, wie man ein Medienspektakel inszeniert. Er gedeiht und blüht im Chaos auf. So was lässt sich politisch nicht kalkulieren. Wenn Biden also doch weitermacht, wie kann er verhindern, dass Trump wieder so die Initiative an sich zieht? Die Kommission, die diese TV-Debatten organisiert, hat unmittelbar nach diesem Skandal angekündigt, die Regeln zu verstärken und umzuschreiben. Was das genau bedeuten soll, wurde noch nicht ausgeführt. Sinnvoll wäre: Wenn ein Kandidat redet, wird dem anderen das Mikro abgedreht. Manche Beobachter meinten vor dem ersten TV-Duell, es sei Trumps letzte Chance aufzuholen. Bis zum zweiten Mitte Oktober werden vermutlich schon 30 Millionen Wähler ihre Stimme abgegeben haben. Womit könnte er das Ding jetzt noch rumreißen? Wären das normal verlaufende Wahlen, würde also jede Stimme zählen, würde Trump auf jeden Fall abgewählt werden. In den Umfragen führt Biden seit Monaten konstant. Aber das sind ja keine normal verlaufenden Wahlen. Trump hat schon offen angekündigt, dass er die Wahlen anzweifeln wird, sollte er nicht gewinnen. Ich kann mir vorstellen, dass er vor Gericht geht und sich selbst zum Sieger erklärt. Erschreckenderweise hat er in der Debatte an neofaschistische Schlägertypen unter seinen Anhängern appelliert, sich bereitzuhalten: »Stand back and stand by!«, hat er gesagt. Eigentlich ein Militärbefehl: »Haltet euch zurück und haltet euch bereit!« Wenn er das Schiff noch mal wenden kann, dann mit undemokratischen Methoden. Und indem er Chaos sät und mit Gewalt droht.
Hallo Moritz, keine 50 Tage mehr bis zur Präsidentenwahl, also lass uns mal über den aktuellen Stand reden. Überall liest man ja: Donald Trump holt auf. Stimmt das? Wenn dann nur minimal im Vergleich zum Frühsommer. Seit Joe Biden vor gut 500 Tagen seine Präsidentschaftskandidatur erklärt hat, lag er im Direktvergleich mit Trump immer vorne, im Durchschnitt mit etwa fünf Prozentpunkten. Als dann das Coronavirus kam und im Anschluss die Black-Lives-Matter-Proteste, stieg der Vorsprung im Juni und Juli auf neun Prozent. Von dort ist er jetzt wieder etwas zurückgegangen. Grundlegend hat sich also nicht viel verändert, was sehr beeindruckend ist. Im Vergleich zu allen US-Wahlen vorher ist die Stimmung in den USA geradezu zementiert. Kommt mir auch so vor. Sonst lag ja mal der eine vorn, dann wieder die andere. Diesmal nicht. Richtig, auch die Parteitage haben kaum Bewegung ins Rennen gebracht, was sonst zumindest kurzfristig immer passiert. Trump hat weiterhin schlechte Zustimmungswerte, doch im Vergleich zu 2016 schafft er es diesmal nicht, seinen Gegner ebenfalls mit runter zuziehen und dafür zu sorgen, dass die Wähler Biden genauso schlimm finden wie ihn selbst. Auch bei seinem Law-and-Order-Wahlkampf schafft es Trump nicht, die Schuld an Ausschreitungen Biden zuzuschieben. Ist ja auch logisch, es passiert ja alles unter Trumps Präsidentschaft und Biden trägt gerade keine politische Verantwortung. Trotzdem zog Trump 2016 erst ganz am Ende an Hillary Clinton vorbei. Warum wird ihm das diesmal schwerer fallen? Damals war er schon in den Monaten vorher immer mal knapp dran an Clinton, das hat er 2020 noch nicht geschafft. Es gibt auch viel weniger noch unentschiedene Wähler (13 statt 19 Prozent). Und unter den Stimmberechtigten, die keinen der Kandidaten mögen, würde sich diesmal laut Umfragen eine Mehrheit für Biden entscheiden. 2016 gewann Trump sehr viele davon. Ein weiterer Unterschied ist, dass Joe Biden in vielen umkämpften Bundesstaaten – anders als Clinton damals – nah an der 50-Prozentmarke ist, manchmal sogar drüber. Kaum einer will also für kleine Drittpartei-Kandidaten stimmen. Das ist besonders wichtig: Wenn Biden erst mal über 50 Prozent liegt, kann ihn Trump auch mit allen noch unentschlossenen Wählern nicht mehr einholen. Viele gute Nachrichten von den Demoskopen für die Demokraten. Dazu kommen auch gute Zahlen bei den Wahlkampfspenden. Trump hingegen hat hier Probleme. Ja, es gibt Berichte, dass der Präsident seit Anfang 2019 zwar mehr als eine Milliarde Dollar eingesammelt hat, einen Großteil davon aber dafür nutzte, wieder Fundraising zu betreiben, also neue Spenden zu akquirieren. Insgesamt wurde wahnsinnig viel Geld verbrannt: 800 Millionen Dollar hat Trump schon ausgegeben! Und jetzt fehlt ihm Geld in mehreren Swing-States, um dort die teure TV-Wahlwerbung zu bezahlen. Wer sechs Wochen vor der Wahl in einem halben Dutzend Staaten plötzlich komplett vom Bildschirm verschwindet, hat ein Problem. Sein Team behauptet, dafür im Internet verstärkt auf digitale Werbung zu setzen. Kann das reichen? Ich glaube nicht. Digital hat Trump sicher aktuell einen Vorteil, aber auch da holen die Demokraten auf. Trump versucht ansonsten, auf freie Medienzeit zu setzen. Er ist der Präsident – wenn er etwas sagt, berichten die Medien darüber. Also ist Geld nicht alles, Clinton hatte 2016 auch viel mehr Geld ausgeben und dennoch verloren. Wie kann Trump denn noch gewinnen? Grundsätzlich haben die Republikaner einen kleinen Vorteil im Electoral College, dem komplizierten Wahlmännersystem der USA. Wenn Bidens Vorsprung also auf zwei bis drei Prozent sinkt, dann muss er nervös werden. Auch Clinton hatte ja knapp drei Millionen Wähler mehr, aber ungünstig auf die einzelnen Bundesstaaten verteilt. Richtig. Um den Rückstand zu verringern setzt Trump derzeit auf Latinos, eine wachsende Wählergruppe. Laut Umfragen würden sie noch vermehrt für Biden stimmen, aber nicht in dem Ausmaß wie 2016 für Clinton. Speziell in Florida versucht Trump viele Exilkubaner für sich zu gewinnen, und dort ist es immer knapp. Nur mit Florida auf seiner Seite hat Trump eine Chance im November. Seine Law&Order-Strategie könnte natürlich auch noch erfolgreich sein, wenn er genügend Weißen aus unteren Bildungsschichten Angst machen und ihren Rassismus ansprechen kann. Unter denen gibt es viele Nichtwähler, also auch noch viel Potenzial. Das Problem für Trump ist, dass sowohl Latinos, also auch diese Weißen nur sehr schwer zu mobilisieren sind. Der Journalist Bob Woodward hat Interview-Mitschnitte veröffentlicht, in denen Trump zugibt, die Gefahr der Pandemie heruntergespielt zu haben. Könnte das zum »Sargnagel« für den Präsidenten werden? Diese Präsidentschaft ist eine einzige Kette von Skandalen, und nie hat einer davon wirklich großen Einfluss gehabt, weil das Land schon zuvor so stark polarisiert war. Aber vielleicht sind wir auch etwas zu zynisch, denn manche Dinge haben schon Einfluss. Es gibt Umfragen, denen zufolge 15 Prozent der Trump-Anhänger nach den Aussagen nun Biden unterstützen wollen. Aber dieser Effekt kann schnell wieder verfliegen, wenn Trump mit dem nächsten Skandal die Leute am Ende für alles taub macht. Er versucht es gerade mit Friedensverträgen im Nahen Osten. Hilft ihm das vielleicht? Nein. Die US-Amerikaner interessieren sich nicht für Außenpolitik, außer ihre Söhne und Töchter sollen in einen großen Krieg ziehen. Aktuell sind die Wirtschaft, die Coronakrise, die Proteste gegen Polizeigewalt und vielleicht noch die Klimakrise mit den Bränden an der Westküste die wahlentscheidenden Themen. Die Demokraten warnen gerade vor einer »red mirage«. Das betrifft irgendwie den Ablauf des Wahlabends. Was verbirgt sich hinter dieser Roten Fatamorgana? Es ist die Theorie, dass am Wahlabend zuerst nur die Stimmen ausgezählt werden, die im Wahllokal abgegeben wurden, und in den Tagen danach alle Briefwahlstimmen. Weil Trump seine Anhänger ständig die Briefwahl ausredet, viele Demokraten die aber nutzen wollen, könnte Trump am Wahlabend in vielen Staaten vorn liegen. Die politische Landkarte würde sich rot färben, das ist die Farbe der US-Republikaner. Und der Präsident würde sich dann früh am Wahlabend einfach zum Sieger erklären. Seine Basis von 40 Prozent der US-Bürger könnte das glauben und ihn für den legitimen Präsidenten halten, selbst wenn Joe Biden ihn in den Tagen danach langsam überholt. Für den Fall befürchten viele Beobachter Demonstrationen und Gewalt auf den Straßen. Kann das wirklich so kommen? Ich glaube, dass allein die alarmistischen Warnungen davor schon einiges davon verhindern. Die lokalen Wahlleiter stellen sich derzeit auf eine Rekordzahl an Briefwahlstimmen ein. Nur 15 Staaten erlauben keine Auszählung der Briefwahlzettel vor dem Wahltag. Das heißt, dass es in vielen anderen Staaten gemacht werden kann. Und in den Staaten, wo es nicht geht, werden die Medien hoffentlich vorsichtig sein, jemanden zum Sieger zu erklären, wenn noch nicht genügend Stimmen ausgezählt sind. Es dürfte dann einfach länger dauern, vielleicht mehrere Tage, bis der Sieger feststeht. Analysten sagen aber auch: Wenn Biden am Wahlabend Florida gewinnt, und Florida ist gut in der Auszählung von Briefwahlstimmen, dann ist die Sache so gut wie entschieden. Denn in dem Fall gewinnt er mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in vielen anderen Swing-States. Für Trump ist Florida ein Must-Win-State, für Biden ist es »nice to have«. Er hat viele Wege um auf die nötigen 270 Wahlmännerstimmen zu kommen. Bisherige Folgen von Max & Moritz: Das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung nutzen Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen hat Leere Rhetorik oder Zugehen auf Parteilinke? Krankenversicherung in den USA - Arztbesuch nur mit Kreditkarte »Das radikalisiert«: Die Rekordarbeitslosigkeit in den USA wird Folgen haben Was macht eigentlich Joe Biden? Wahlkampf aus dem Keller! Erste Erfolge sind sichtbar - die Black-Lives-Matter-Proteste in den USA Gottgesandt und ausgelacht - Trumps missglückter Wahlkampfauftritt in Tulsa Der Senatswahlkampf ist wichtig - und die Demokraten sind in guter Position Ringen ums Gericht - die Gesundheit von Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg ist ein Politikum Werben um die Mitte - Joe Biden lässt moderate Republikaner für sich werben Athleten werden zu Politikern - US-Sportler engagieren sich gegen Rassismus und Polizeigewalt, nicht nur symbolisch
Max (Böhnel) und Moritz (Wichmann) analysieren hier regelmäßig den US-Wahlkampf. Diesmal dreht Max den Spieß um und befragt nd-Sportredakteur Oliver Kern zur jüngsten Protestwelle im US-Sport und deren Auswirkungen auf die Wahlen im November. Hallo Oliver, im US-Sport passiert Spannendes. Profis nahmen wichtige politische Positionen ein und streikten. Was genau ist da passiert? Alles begann vor Monaten mit dem Tod von George Floyd. Viele Profis, vor allem aus der NBA, die von schwarzen Basketballern dominiert wird, gingen zu Demonstrationen, knieten bei der Nationalhymne und forderten Gleichberechtigung auf den Trikots. Als jetzt ein weißer Polizist Jacob Blake in Kenosha in den Rücken schoss, waren die Athleten frustriert, weil die Aktionen nichts zu bringen scheinen. Also gingen die Milwaukee Bucks mitten in den Playoffs in den Streik. Andere Teams in verschiedenen Sportarten schlossen sich an. Reporter hörten mitten in den Sendungen auf zu kommentieren. Und von den Arbeitgebern gab es fast überall Unterstützung. So etwas ist erst mal ein symbolischer Akt. Bleibt es dabei? Die Frage treibt auch die Sportler um. Bringt ein Streik mehr als Parolen auf T-Shirts? Niemand glaubt, dass dadurch der Rassismus verschwindet. Aber in der Gesellschaft wird mehr darüber diskutiert. In kleinen Schritten geht es auch darüber hinaus. Die Basketballer fordern von ihren Klubeignern, mehr Einfluss auszuüben. Die sind oft Großspender von Republikanern. Nun werden sie von den Spielern gezwungen, sich solidarisch mit der »Black Lives Matter«-Bewegung zu zeigen. Selbst die NFL erlaubt Schwarzen jetzt Proteste. Bei Colin Kaepernick, der als erster während der Nationalhymne kniete, war das noch ganz anders. Schon der Boxer Muhammad Ali und die Leichtathleten Tommie Smith und John Carlos sorgten für starke Bilder. Bildsprache geht über Bilder hinaus, das ist nicht nur Symbolismus. Vor allem nicht jetzt. Ali, Smith, Carlos und Kaepernick blieben in ihrem Protest allein. Diesmal stehen ganze Ligen hinter den Athleten - und Schwarz und Weiß zusammen. Daran kommen auch die Fans nicht mehr vorbei, die immer sagten, Sport solle nichts mit Politik zu tun haben. Die NBA-Profis erreichten zudem, dass ihre Hallen am 3. November als Wahllokale fungieren werden. Die Bucks zwangen Wisconsins Gouverneur sogar, eine Parlamentssondersitzung einzuberufen, um über eine Polizeireform abzustimmen. Leider haben die Republikaner dort die Mehrheit und schlossen die Sitzungen nach nicht mal einer Minute ohne Abstimmung wieder. Wie reagieren die politischen Lager auf politische Aussagen im Sport? Die Demokraten stehen geschlossen dahinter, auch viele in der politischen Mitte kritisieren die Polizeigewalt, zum Beispiel in den umkämpften Vorstädten, wo viele Weiße aus der gebildeten Mittelschicht leben. Die ganz Rechten wollen dagegen nichts davon hören. Schon vor Jahren hieß es bei Fox News nur: »Shut up and dribble!« - »Halt die Klappe und dribbel den Ball!« Donald Trump will, dass wieder Sport im Fernsehen läuft, um Normalität vorzugaukeln. Corona soll vergessen werden. Besonders beim College-Football drängt er darauf. Der ist in den weißen Vororten sehr beliebt. Da gehen schon mal mehr als 100 000 Leute ins Stadion. Trump sucht diese Ablenkung und kann Proteste nicht gebrauchen. Warum sieht man nie Proteste von deutschen Spitzensportlern? Naja, selbst in den USA gab es solche Streiks noch nie. Aber in Deutschland fehlt sicher das Problembewusstsein: Polizeibrutalität oder Waffengewalt sind hier keine so großen Themen. Außerdem wird von deutschen Sportlern oft verlangt, in internationalen Konflikten Stellung zu beziehen: 2008 bei Olympia in Peking sollten sie was zur Menschenrechtslage in China sagen, 2014 in Sotschi dann zum Anti-Homosexuellengesetz in Russland. Da wollen sich Sportler nicht einmischen, wenn sich selbst Politiker nicht trauen, diese Themen bei Staatsbesuchen anzusprechen. Den Athleten drohte ja immer der Ausschluss von Olympia, worauf sie vier Jahre lang hintrainiert hatten. Auf der anderen Seite: Im Fußball und Basketball gab es in den Bundesligen Solidarität mit der US-Protestbewegung. Nach dem Tod von George Floyd knieten hier viele Mannschaften. Ganz unpolitisch ist der Sport sicher auch hier nicht mehr.
Die US-Demokraten haben ihren Parteitag hinter sich. Ganz am Schluss hielt Joe Biden seine Kandidatenrede. Hat sie Dich beeindrucken können? Na ja, es war eine ziemlich normale Rede, was man eben so erwartet von einem solchen Kandidaten. Ein CNN-Journalist sagte treffend, viele Demokraten dürften erleichtert aufgeatmet haben, dass Biden keine Fehler unterlaufen sind. Er stellt sich als »good guy« dar, sprach auch viel über seine Familie und über den Rassismus im Land. Den größeren Teil der Rede, und das war wahltaktisch vermutlich klug, hat er der Wirtschaft gewidmet. Darauf, wie man das Coronavirus und die Arbeitslosigkeit bekämpfen müsse. Bernie Sanders als Präsidentschaftskandidat hätte sicher eine andere Rede gehalten, eine des progressiven Linkspopulismus. Bei Biden klang das harmloser, etwa zum Beispiel, dass die Reichen jetzt endlich ihren fairen Anteil zahlen sollten. Umfragen zeigen, dass das Thema Coronavirus zumindest einige Trump-Wähler umstimmen könnte. Mal gucken, ob es funktioniert. Bei den Zwischenwahlen 2018 punkteten die Demokraten noch erfolgreich mit dem Thema Gesundheitsversicherung. In dieser Woche aber wurde kaum darüber gesprochen. Hat Dich das überrascht? Tatsächlich hat Biden die Gesundheitsvorsorge nur kurz angerissen. Er wolle sie bezahlbar für alle machen, auf Obamacare aufbauen. Mehr Details gab es nicht. Er warnte eher davor, dass Donald Trump die Krankenversicherung für Senioren, Medicare, kürzen wolle. Aber ansonsten spielte das auf dem Parteitag kaum eine Rolle. Warum? Wollte Biden den weiter offenen Streit zwischen den Parteiflügeln unter den Teppich kehren? Nun ja, vor dem Parteitag wurde eine Kompromissposition ausgehandelt: Da steht nun im Programm, dass man Obamacare ausbauen und die Altersgrenze für Medicare auf 60 Jahre absenken will. Alle, die auf »Medicare for all«, also eine gesetzliche Krankenversicherung für alle, hoffen, seien willkommen in der Partei heißt es nur. Der Konflikt ist damit erst mal vertagt. Beide Lager haben schon vor dem Parteitag Kompromisse geschlossen. Wo haben sich die Progressiven durchgesetzt und wo nicht? Viel Erfolg hatten sie in der Klimapolitik. Manche Analysten bezeichnen Joe Bidens neuen Klimaplan schon als eine Form des »Green New Deal«, bloß nennt er ihn nicht so. Er will jetzt Millionen neue Jobs schaffen, indem die Infrastruktur des Landes auf Klimaneutralität umgebaut wird und die Energieversorgung bis 2035 CO2-neutral sein soll. Da hat sich Biden bewegt. Bei »Medicare for All« aber zeigten sich 700 Sanders-Delegierte und sogar einige von Biden enttäuscht und stimmten gegen die Kompromissformulierung. 700 von 4000 Delegierten bleiben aber eine Minderheitenposition. Mit Biden hat sich erneut ein Moderater durchgesetzt, der aber auch die Stimmen der ganz Linken braucht. Bernie Sanders, Elizabeth Warren und Alexandria Oasio-Cortez durften daher alle auf dem Parteitag sprechen. Dafür aber auch viele Republikaner, die diesmal Biden wählen wollen. Stimmte die Mischung von links und rechts? Man muss sagen, dass man im Gegensatz zu 2016 wirklich versucht hat, mehr Einigkeit zu schaffen und den Parteitag damit auch wirklich zur »Show of Unity« zu machen. Vorher haben sich die Lager in den Einheitskommissionen hart beharkt, und Biden kam den Linken inhaltlich etwas entgegen. Auf dem Parteitag ging er jetzt aber mehr auf enttäuschte Republikaner zu. Leute wie Colin Powell, aber auch kaum bekannte Republikaner-Politiker durften länger sprechen als progressive Politiker mit Millionen Followern wie Ocasio-Cortez, die auf eine Minute begrenzt wurde. Das ist Wahlkampftaktik. Joe Biden soll auch für moderate Republikaner wählbar sein, die von Trump enttäuscht sind. Wo ist denn für Biden gerade mehr zu holen? Ganz links oder bei den Republikanern? Das ist ein bisschen unklar. Es gibt die Theorie, die meint, dass man Wahlen nur dann gewinnt, wenn die eigene Basis stärker mobilisiert wird. Dann müsste Biden ein sehr linkes Programm vertreten, um politisch interessierte junge Menschen zu begeistern. Die werden dieses Jahr aber vermutlich sowieso Biden wählen, weil sie keine Alternative haben. Die andere Theorie ist, dass es immer noch genügend Wechselwähler in der Mitte gibt, die Joe Biden tatsächlich überzeugen kann. Aber eben nur, wenn er nicht zu weit nach links rückt. Donald Trump versucht ihn ja als »Puppe der radikalen Linken« zu brandmarken. Das ist natürlich Blödsinn. Und da helfen Biden vielleicht auch die Unterstützungsserklärungen mancher Republikaner. Die längsten Reden durften – mit Ausnahme von Kamala Harris – die alten Großen halten: die Obamas, die Clintons, und eben nicht die jungen neuen Stars. Ist das eine verpasste Chance? Oder war das klug? Barack Obama und Michelle Obama gehören in den USA tatsächlich zu den beliebtesten Personen überhaupt. Und natürlich bedient diese Rednerauswahl diese Obama-Nostalgie. Aber sie zeigt auch, dass die Demokraten immer noch von über 70-Jährigen beherrscht werden. Vielleicht war es das letzte Schaulaufen der Politiker der Babyboomer-Generation. In vier Jahren könnte das dann schon anders aussehen. Was jetzt schon anders war: Dieser Parteitag war komplett digital. Es gab es viele Videoschnipsel, aber auch Live-Schalten. Da kann auch viel schiefgehen oder lächerlich wirken. Wie haben die Demokraten die Aufgabe gemeistert? Die Einschaltquoten im Fernsehen lagen leicht unter denen von 2016. Es gab aber auch viel Lob online. Es gab keine größeren technischen Probleme, was schon mal etwas wert ist. Und die paar Kleinigkeiten, nahmen die Demokraten gern in kauf oder veröffentlichten sie gar, konnten sie sich dadurch doch als menschlich präsentieren. Etwa wie Frau von Bernie Sanders vor dessen Auftritt an diesem so lange herumtüddelte, bis er sie entnervt wegschickte. Bisherige Folgen von Max & Moritz: Das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung nutzen Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen hat Leere Rhetorik oder Zugehen auf Parteilinke? Krankenversicherung in den USA - Arztbesuch nur mit Kreditkarte »Das radikalisiert«: Die Rekordarbeitslosigkeit in den USA wird Folgen haben Was macht eigentlich Joe Biden? Wahlkampf aus dem Keller! Erste Erfolge sind sichtbar - die Black-Lives-Matter-Proteste in den USA Gottgesandt und ausgelacht - Trumps missglückter Wahlkampfauftritt in Tulsa Der Senatswahlkampf ist wichtig - und die Demokraten sind in guter Position Ringen ums Gericht - die Gesundheit von Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg ist ein Politikum
Die US-Demokraten sorgen sich derzeit sehr um die Gesundheit von Supreme-Court-Richterin Ruth Bader Ginsburg. Die Republikaner überlegen, ob man in Sachen Oberstes Gericht vor der Wahl noch schnell was machen kann. Worum geht es, Max? Was die Mehrheitsverhältnisse angeht, steht es 5:4 - fünf Konservative, vier Liberale. Es ist möglich, dass Richterin Ruth Bader Ginsburg innerhalb der nächsten Wochen oder Monate aus gesundheitlichen Gründen ausscheidet, weil sie an Krebs erkrankt ist. Die Richter des Supreme Court werden auf Lebenszeit ernannt. Wenn ein Richter wegen Tod oder Krankheit ausscheidet, dann wird folgendermaßen vorgegangen: Der Präsident schlägt einen Nachfolger vor, dann entscheidet der US-Senat darüber. Wenn Ginsburg also ausscheidet und Donald Trump einen neuen rechten Richter vorschlägt und dieser neue rechte Richter vom Senat durchgewunken wird, dann stünden die Mehrheitsverhältnisse 6:3 »für rechts, beziehungsweise ganz rechts«. In den Monaten vor der Wahl 2016 war die Situation sehr ähnlich. Im US-Senat gab es damals eine Auseinandersetzung um den Richter Merrick Garland. Die Republikaner hatten ihn damals mit einem ganz bestimmten Argument blockiert ... Der Ausgangspunkt am Ende der Obama-Regierung war, dass ein Starrichter der Rechten, nämlich Anthony Scalia, überraschend verstarb. Obama nahm sein Vorschlagsrecht wahr und schlug den Richter Merrick Garland vor, der irgendwo zwischen konservativ und liberal, auf jeden Fall nicht eindeutig rechts, eingestellt ist. Mitch McConnell, der Mehrheitsführer der Republikanischen Partei im Senat, der Obama schon in den Jahren davor mit allen Mittel bekämpft und auch sabotiert hatte, setzte das im Fall Garland fort. Er ließ es mit Verfahrenstricks nicht zu, dass sich Merrick Garland dem Senat vorstellen konnte. Das Argument von McConnell lautete, in einem Wahljahr - es war, wie gesagt, Frühjahr 2016 - dürfe ein Präsident keinen Vorschlag durchbringen. Jetzt ist wieder Wahljahr. Und McConnell sagt jetzt im Fall der krebskranken Richterin Ginsburg das Gegenteil. Für viele konservative Wähler war damals der Supreme Court ein wichtiger Grund, für Donald Trump zu stimmen. Was erwarten sich die Rechten vom Obersten Gericht? Ganz einfach: Die Erschaffung eines »Christian America«. Die konservativen Christen verstehen sich als Kulturkrieger. In ihren Augen führt nur eine in ihrem Sinne moralische Erneuerung der gottlosen Kultur weiter zu einem christlichen US-Amerika. Sie gehen dabei systematisch vor. Sie wissen ganz genau: Der Supreme Court stellt gesellschaftspolitisch die Weichen. 1973 zum Beispiel, als die Richter die Abtreibung weitgehend legalisiert haben, oder vor ein paar Jahren, 2015, als die Ehe für Alle für rechtens erklärt wurde. Kippen kann das nur wieder ein rechter oder ganz rechter Supreme Court. 2015 versprach Trump den konservativen Christen, er würde sich um Richter bemühen, die in ihrem Sinne entscheiden würden. Warum ist die Zusammensetzung des Obersten Gerichts auch für die Wahl im November wichtig? Trump wird die Wahlen wahrscheinlich anfechten, wenn die Abstimmungsergebnisse nicht massiv zugunsten von Biden ausfallen, wenn es in einem Bundesstaat zum Beispiel knapp ausgeht. Beschwerden würden von Instanz zu Instanz gehen und schlimmstenfalls Monate später beim Supreme Court landen. Dafür gibt es schon einen Präzedenzfall, den Wahlausgang im Jahr 2000. Mehrere Landkreise mussten erneut auszählen. Es ging bis hin zu der Frage, wie Lochkarten mit nur halb eingestanzten Löchern bewertet werden sollten. Das Gericht entschied die Wahlen dann letztlich - zugunsten von George W. Bush. Und was erhoffen sich Linke und Progressive vom Supreme Court? Dass Ginsburg noch etwas durchhält, dass liberale Entscheidungen nicht rückgängig gemacht werden und vielleicht auch, dass fatale Entscheidungen, wie die zur Entgrenzung von Wahlkampfspenden von Unternehmen und Reichen aus den Jahren 2010 und 2014, aufgehoben werden. Von George W. Bush ernannte Richter haben diese Entscheidungen möglich gemacht. Bisherige Folgen von Max & Moritz: Das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung nutzen Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen hat Leere Rhetorik oder Zugehen auf Parteilinke? Krankenversicherung in den USA - Arztbesuch nur mit Kreditkarte »Das radikalisiert«: Die Rekordarbeitslosigkeit in den USA wird Folgen haben Was macht eigentlich Joe Biden? Wahlkampf aus dem Keller! Erste Erfolge sind sichtbar - die Black-Lives-Matter-Proteste in den USA Gottgesandt und ausgelacht - Trumps missglückter Wahlkampfauftritt in Tulsa Der Senatswahlkampf ist wichtig - und die Demokraten sind in guter Position
Freund, Wir haben gerade festgestellt, dass Dein Name in unserer Spenderliste fehlt. Da Du in der Vergangenheit ein so treuer Unterstützer warst, wurdest Du als einer der wenigen Patrioten ausgewählt, für die der Präsident die Frist verlängern will. PERSÖNLICHE VERLÄNGERUNG 500%-AUFSTOCKUNG NEUE FRIST: 1 STUNDE Präsident Trump braucht Dich wirklich. Dieses Angebot ist nur 1 STUNDE verfügbar. Du musst schnell handeln. Spende in der NÄCHSTEN STUNDE und der Betrag wird automatisch um 500 Prozent erhöht. (Es folgen große rote Buttons zum Klicken): $ 20 = $ 120 $ 15 = $ 90 $ 10 = $ 60 $ 5 = $ 30 Wir werden die Liste der Spender HEUTE ABEND mit Präsident Trump überprüfen und er wird Deinen Namen suchen. SPENDE JETZT. Danke, das Trump-Finanz-Team Ich erhielt diese Mail am 1. Juli. Es war der Beginn eines nicht enden wollenden Spam-Wahnsinns. Um zu verstehen, wie ich in diesen Schlamassel geraten bin, muss man eines wissen: Kurz vor der Präsidentschaftswahl 2016 bereiste ich für »neues deutschland« die USA. Auch eine Rede von Donald Trump wollte ich mir anhören. Also besorgte ich mir eine Presseakkreditierung. Seitdem haben Trump und sein Gefolge meine Mail-Adresse, und ich erhielt regelmäßig ein paar Nachrichten. Immerhin blieb ich so auf dem Laufenden, was Trump so mit seinen Anhängern bespricht. Doch am 1. Juli änderte sich alles. Seitdem bekomme ich bis zu zehn Mails täglch. Wirklich jeden Tag! Nicht nur vom Wahlkampfteam. Hier ist eine von Vizepräsident Mike Pence am selben Abend: Freund, Um Dir zu zeigen, wie viel Patrioten wie DU mir bedeuten, mache ich etwas, das ich noch nie zuvor getan habe. Ich veranstalte eine sehr wichtige Veranstaltung und möchte, dass DU mein besonderer Gast bist. Du musst nur bis HEUTE, 23:59 Uhr spenden und wirst automatisch eingetragen, um eine Reise zu gewinnen und mit mir zu essen. SPENDE bis 23:59 Uhr HEUTE. Es folgen erneut rote Spendenbuttons sowie die Versicherung, dass der Vizepräsident mich »wirklich treffen will«. Im Fall eines Gewinns übernehme man Kosten für Flug, Hotel und Essen, und ich darf sogar einen Gast meiner Wahl mitbringen. Ein gemeinsames Foto mit Pence wird auch geschossen. Man muss weit runterscrollen, um das Kleingedruckte zu finden. Darin steht aber Erstaunliches: »Für die Teilnahme oder den Gewinn ist keine Zahlung erforderlich.« Es ist offenbar nicht ganz legal, Treffen mit dem Vizepräsidenten zu verkaufen. Dabei las sich das etwas weiter oben noch ganz anders. Die Alternative, sich fürs Gewinnspiel einfach nur mit einer SMS anzumelden, ist jedoch fast noch gemeiner. Denn dazu ist - ebenfalls sehr klein gedruckt - zu lesen, dass ich damit meine »Zustimmung zum Empfang von Anrufen und SMS, einschließlich automatisierter Anrufe von Trumps Wahlkampf-Komitee und der gesamten Republikanischen Partei« erteile. Ich verzichte doch lieber. Wahlkampf in den USA, das bedeutet vor allem das Verbrennen riesiger Geldberge. 2016 gaben Hillary Clinton, Donald Trump, sowie die Kandidaten für den Kongress und deren Unterstützer nach offiziellen Angaben 8,8 Milliarden US-Dollar (7,7 Milliarden Euro) für Wahlwerbung aus. So viel Geld holt selbst Trump nicht aus der eigenen Tasche. Es muss also erst einmal eingesammelt werden. Waren es früher eher Großspender, die mit ihren »Hilfen« versuchten, die Politik zu beeinflussen, sind es seit Barack Obama zunehmend viele kleine Einzelspender, die für volle Kassen bei den Kandidaten sorgen. »Viel Geld hilft viel«, war jahrzehntelang die vorherrschende Meinung, da TV-Wahlwerbung teuer war und als alternativlos galt. Trump selbst hat das vor vier Jahren widerlegt: »Trump besiegte Clinton, obwohl er nur halb so viel Geld eingesammelt hatte«, titelte das Magazin »Politico« nach der Wahl. Ausgerechnet der Präsident scheint die Lektion daraus aber nicht gelernt zu haben, denn als er im zweiten Quartal nicht nur in Umfragen, sondern erstmals auch beim Spendensammeln hinter Kontrahent Joe Biden zurückfiel, hat er die Schnur an der Spambombe angezündet, die nun die Mailfächer aller Anhänger - und meins - explodieren lässt. Alles fußt auf dreisten Techniken einer Drückerkolonne: Immer habe ich nur wenig Zeit. Ich werde erst gelobt, weil ich ein toller Unterstützer war. Danach folgt das Schuldgefühl, weil ich noch nicht genug getan hätte. Noch ein Beispiel: Drei Stunden nach der letzten Mail - es ist immer noch der 1. Juli - nimmt der Präsident Kontakt auf, während über der Mail ein bedrohlicher einstündiger Countdown startet: Freund, Wow. Unsere Bewegung hat in den letzten Tagen 18 MILLIONEN Dollar eingesammelt. Patrioten aus dem ganzen Land haben sich gemeldet, als es darauf ankam, aber ich wurde darüber informiert, dass DU keiner von ihnen warst. Warum? Ich dachte, ich könnte mich darauf verlassen, dass Du uns im November zum Sieg führst. Der Wahltag ist nur noch 4 Monate entfernt. Daher habe ich mich entschlossen, Dir noch EINE CHANCE zu geben, indem ich Dein PERSÖNLICHES 500%-AUFSTOCKUNGS-ANGEBOT VERLÄNGERE. Es folgen dieselben roten Buttons und wieder das Versprechen (oder ist es eine Drohung?), dass der US-Präsident am Abend meinen Namen auf der Spenderliste suchen wird. Er hat ja sonst nichts zu tun. »Lass mich nicht im Stich!«, fleht er noch. Es dauert keine 24 Stunden, da habe ich Post von Trumps Sohn Eric im Mailfach. Offenbar bin ich auch sein »Freund«. »Wir brauchen dich jetzt«, schreibt er. Joe Biden wolle Amerika zu einer sozialistischen Nation machen. Und ich soll das offenbar verhindern, indem ich endlich spende. Eric habe seinen Vater überzeugt, mir mein schon zweimal abgelaufenes Angebot noch einmal zu unterbreiten. »Wir werden es nicht noch einmal verlängern«, lügt er. Innerhalb der nächsten Tage werden auch Newt Gingrich, ehemaliger republikanischer Vorsitzender im Repräsentantenhaus, noch zweimal Eric Trump sowie dessen Bruder Don Jr. den Präsidenten überzeugen, mir immer wieder mehr Zeit zu geben. Aber stets habe ich »NUR 1 STUNDE«. Und der Countdown fehlt auch nie. Aufgrund der Zeitverschiebung pingt mein Handy mehrfach in der Nacht. Ich wache jedes Mal auf, lese die Mails dann aber erst am Morgen. Egal, wann ein Spendenaufruf eintrifft, der Countdown startet erst, wenn ich ihn öffne. Und so wie diese Aktion wird auch jede andere zig mal ausgeschlachtet. Am 3. Juli wird etwas Neues ausprobiert. Nachts um 1:35 erhalte ich eine Einladung samt frischem Schuldgefühl: Freund, Du hast noch nicht zu unserer Bewegung beigetragen. Überzeug Dich selbst: OFFIZIELLE AKTE Unterstützer: O. Kern Spenden für die Kampagnen 2020: 0 USD Gesamtspenden: $ 0 Deshalb mache ich Dir ein einmaliges Angebot. Wenn Du deine ERSTE Spende überweist, wirst du Mitglied im Trump VIP-Club. Dein persönliches Trump-VIP-Club-Angebot ist nur bis 23:59 Uhr verfügbar. Möglicherweise bekommst Du nie wieder die Chance. Donald Trump, Präsident der USA VIP-Club! Wow! Der bietet viel: Man würde als erster Umfragen zur Kampagnenstrategie erhalten sowie Zugriff auf neue Trump-Devotionalien und E-Mails von wichtigen Leuten wie Eric Trump, Donald Jr. und dem Vizepräsidenten bekommen. Da man das alles längst schon genießt, wenn man in diesem Mailverteiler steckt, muss man sich spätestens jetzt verarscht fühlen. Jedoch ist zu befürchten, dass es viele Trump-Fans gibt, die auf so etwas hereinfallen, fünf Dollar spenden und wirklich denken, jetzt ein Trump-VIP zu sein. Allein im Juni, noch bevor dieser Spam-Wahnsinn so richtig losging, hatten der Präsident und seine Partei bereits mehr als 130 Millionen Dollar eingesammelt. In den vergangenen 24 Tagen erhielt ich mehr als 180 Mails von Trumps Wahlkampfteam. Bei den Demokraten - die haben meine Adresse auch, weil ich mir Bernie Sanders mal live anschauen wollte) waren es etwas mehr als 100. Sie haben immerhin den Anstand, mir zu erklären, für welche politischen Inhalte ich spenden soll. Bei Trump dagegen ist Politisches äußerste Mangelware. Wie will das Land die Gesundheitskrise überwinden? Oder die Talfahrt der Wirtschaft stoppen? Was plant Trump für seine zweite Amtszeit? Nichts davon wird beantwortet. Dafür glänzen die Digitalstrategen mit immer neuen Ideen, wie die Kuh noch mehr gemolken werden kann: Zuletzt konnte ich auch um ein Essen mit dem Präsidenten wettspielen. Ich erhalte ständig »spezielle« Angebote für verbilligte Hüte, Münzen und Fußabtreter. Meine Spenden würden nun sogar versechsfacht (von wem steht nie dabei). Es gibt Gold- und Platinkarten für die besten Spender (dafür reichen schon 25 Dollar). Ständig bin ich »auserwählt« oder ein »Gewinner«. Manches ist »total geheim« oder »nur für Dich!«, obwohl es sich eindeutig um Massenmails handelt. Ich bin natürlich immer einer der besten Unterstützer, obwohl ich noch nie einen Cent gespendet habe. Ich darf jetzt auch in den Top-100-Club oder kann Exekutiv-Mitglied werden. Wovon, weiß ich nicht, aber anscheinend würde ich »perfekt passen« für den Job. Zu blöd, dass ich für den nicht bezahlt werde, sondern selbst 35 Dollar berappen muss. Aber hey, das Angebot ist um zehn Dollar runtergesetzt! Mit der Zeit wird die Sprache aggressiver: »Du lässt den Präsidenten im Stich«, heißt es, oder: »Du hast versagt!« Plötzlich gehöre ich nur noch zum letzten Prozent der Trump-Helfer. Aber kein Problem, denn zum Glück reichen schon 37 Dollar, um wieder an die Spitze zu kommen. Und dann, vor wenigen Tagen, kommt diese Mail von Donald Trump jr.: Freund, Ich hasse es, Dir sagen zu müssen, dass das Angebot für den VIP-Club zurückgezogen wurde. Du hast zahlreiche Einladungen vom Team Trump, inklusive meines Vaters, bekommen, sich dem BRANDNEUEN, prestigeträchtigen Club anzuschließen. Du hast sie alle ignoriert. Über mein Gesicht zuckt ein kurzes Lächeln. Endlich: Ein Ende ist in Sicht. Präsident Trump weiß aber, dass Du immer ein starker Unterstützer warst. Daher ist er einverstanden damit, dass ich das Angebot noch einmal REAKTIVIERE. Aber nur für EINEN TAG! Mist. Höchste Zeit, den Newsletter endlich abzubestellen.
Hallo Moritz, lass uns mal über den Senat sprechen. Am 3. November stimmen die US-Amerikaner nicht nur über den Präsidenten ab. Für viele Beobachter sind die 35 zur Wahl stehenden Senatssitze noch wichtiger, da ein Präsident ohne Senatsmehrheit kaum regieren kann. Derzeit sind die Republikaner mit 53 zu 47 Sitzen an der Macht. Schaffen die Demokraten es, das Verhältnis zu drehen? Die Umfragen sehen sehr gut für sie aus. Einige ihrer Senatskandidaten könnten auf einer Anti-Trump-Welle ins Amt reiten. Das kann sich in den nächsten Monaten natürlich noch ändern. Grundsätzlich gilt aber, dass die Republikaner 23 ihrer Sitze verteidigen müssen, die Demokraten nur zwölf - ein strategischer Vorteil für die Demokraten. Wo haben sie denn die größten Chancen, die vier nötigen Sitze zu gewinnen? Gute Chancen haben die Demokraten in Arizona. Der dortige Herausforderer Mark Kelly ist so etwas wie der Traumkandidat: ehemaliger Astronaut, telegen, sammelt unglaublich viel Geld und liegt in Umfragen sieben bis 13 Prozent vor der republikanischen Amtsinhaberin Martha McSally. Die zweite Möglichkeit wäre North Carolina, das 2016 auch nur knapp an Trump ging. Cal Cunningham liegt hier ebenfalls vorn, wenn auch knapper. Auch er bekommt mehr Wahlkampfspenden als der Amtsinhaber. Gleiches sieht man in Colorado und Maine. Die Republikaner in diesen »swing states« haben es nicht geschafft, sich in den vergangenen Jahren genug von Trump zu lösen. Sei es beim Amtsenthebungsverfahren oder der Nominierung ungeliebter Richter. Das hat die Basis der Demokraten sehr verärgert und motiviert sie nun zu spenden und vermutlich auch zu wählen. Einige demokratische Senatskandidaten wollten vor ein paar Monaten noch selbst Präsident werden, zum Beispiel John Hickenlooper aus Colorado oder Steve Bullock (Montana). Sie konnten sich in den Vorwahlen nicht durchsetzen, könnten den Demokraten jetzt aber doch noch helfen. Richtig. Das war im letzten Jahr fast schon lächerlich: Jeder Demokrat, der was auf sich hielt, wollte Präsident werden. Bullock ist ein perfektes Beispiel. Er ist politisch relativ links, passt kulturell aber mit seinem Cowboystil eher zum Mittleren Westen, als zum ganzen Land. Er macht nicht auf Ostküstenintellektueller, was in Montana gut ankommt. Außerdem führt er als Gouverneur den Bundesstaat recht erfolgreich durch die Coronakrise, das macht ihn auch bei vielen Republikanern beliebt. Auf der anderen Seite galt Beto O'Rourke vor zwei Jahren noch als Star, als er im konservativen Texas nur knapp eine Senatswahl verlor. Danach wollte er gleich Präsident werden und ging unter. In den Senat will er jetzt aber auch nicht. Alle Traumkandidaten konnten die Demokraten also auch nicht rekrutieren. Unter den 53 republikanischen Senatoren sind nur neun Frauen. Sechs davon stehen zur Wiederwahl und vier sind gefährdet. Warum? Aus unterschiedlichen Gründen. McSally ist Opfer von demografischen Trends in Arizona. Susan Collins wird in Maine die Wahl von Brett Kavanaugh zum Obersten Verfassungsrichter vorgeworfen. Kelly Loeffler aus Georgia ist in einen Skandal um Insider-Handel verwickelt, weil sie ganz zu Beginn der Coronakrise nach geheimen Senats-Briefings Aktien abstieß. Das hat ihr finanziell sicher geholfen. Ja, aber politisch nicht, denn es bestätigte alle Vorurteile vom korrupten Sumpf in Washington. Du hast die vielen Wahlkampfspenden angesprochen, die immer ein Indiz dafür sind, wie motiviert die eigene Basis ist. Selbst in Staaten, wo die Demokraten als chancenlos gelten, wie Kentucky oder South Carolina, werden sie mit Geld zugeschüttet. Warum? In Kentucky ist das ganz klar mit Mitch McConnell verbunden. Der ist Republikanerführer im Senat und blockiert dort seit Jahren alle Gesetzesinitiativen der Demokraten wie die Anhebung des Mindestlohns. Er nennt sich selbst »Grim Reaper«, den Sensenmann demokratischer Gesetzgebung. Dementsprechend wütend sind Demokratenwähler im ganzen Land und unterstützen jetzt seine Kontrahentin Amy McGrath. Sie hat schon 41 Millionen Dollar an Spenden bekommen. Davon kann man eine Menge Werbespots bezahlen. Kann sie auch gewinnen? Geld und Enthusiasmus können die fundamentalen politischen Gegebenheiten vermutlich nicht überwinden. Aber es zwingt McConnell dazu, sein Geld für sich auszugeben, um seinen Sitz abzusichern. Früher hat er Millionen an andere Republikaner weitergereicht, die sie nötiger hatten. Denen fehlt das Geld nun, also bewirken die Millionenspenden schon etwas. Trotzdem hätte McGrath beinahe ihre Vorwahl verloren. Ja. Sie hatte in Charles Booker einen schwarzen, progressiven Gegenkandidaten, der zwar nur etwas mehr als 800.000 Dollar an Spenden bekam, aber durch die »Black Lives Matter«-Bewegung das Momentum auf seiner Seite hatte. Am Ende verlor er mit nur zwei Prozent Rückstand. Auch im Fall des Parteilinken Andrew Romanoff in Colorado gilt: Hätten ihn die nationalen Stars der Progressiven wie Bernie Sanders oder Elizabeth Warren mehr unterstützt, hätte er vielleicht gewonnen. Bei Senatswahlen liegt bei den Linken noch einiges im Argen. Man bekommt den Eindruck, als ob das eine Liga zu hoch sei. Müssen die Demokraten denn ihrerseits fürchten, Sitze zu verlieren? Ja, Doug Jones gewann 2018 im konservativen Südstaat Alabama nur, weil sein Gegenkandidat einen Skandal um sexuellen Missbrauch Minderjähriger am Hacken hatte. Jetzt liegt er in allen Umfragen hinten, kämpft aber tapfer, hat viel Geld gesammelt. Die Demokraten könnten eventuell auch in Michigan verlieren, ein Bundesstaat, den Donald Trump 2016 gewann. Gary Peters liegt laut Umfragen zwar sechs bis zwölf Prozent vorn, aber die Republikaner haben einen starken Gegenkandidaten aufgestellt. Grundsätzlich kann man aber festhalten, dass die Demokraten die Republikaner in die Defensive gedrängt haben. Auf jeden Fall. Sie haben mehrere Möglichkeiten, die vier nötigen Sitze zu gewinnen
Hallo Max, die Umfragewerte von Donald Trump sind ziemlich miserabel. Ständig will er das Ruder herumreißen, doch ständig scheitert er. Jüngstes Beispiel war die Wahlkampfveranstaltung in Tulsa, Oklahoma letztes Wochenende. Sie sollte die triumphale Rückkehr des Show-Präsidenten werden. Dann aber war die Halle nur halb voll, und die Welt lachte über den Präsidenten, der eine Million Fans angekündigt hatte. Was ist passiert? Die Karten für die Veranstaltung konnte man nur reservieren. Das sprach sich vor allem unter Jugendlichen in sozialen Medien rum. Zum Beispiel bei TikTok und Snapchat. Tausende haben Tickets reserviert, um dann bewusst nicht hinzugehen. Vor allem Anhänger von koreanischer Pop-Musik, von K-Pop, sollen ganz besonders aktiv gewesen sein. Trump hatte ob des erwarteten Andrangs sogar vor der Veranstaltungshalle noch Großbildschirme aufbauen lassen, um die Zehntausenden Fans unterzubringen, die nicht in die Halle passen, welche 19.000 Leute fasst. Dann aber kamen nur 6200 und draußen blieb alles leer. Dieser Flop wurde groß ausgebreitet in den Medien. Ausgelacht zu werden, ist für Trump ja nun besonders schlimm. Wie hat er reagiert? Angeblich war er so wütend wie kaum jemals zuvor. Die Veranstaltung war von seinem Team extra zur Besänftigung seines Gemüts orchestriert worden. Trump machte danach aber alle möglichen anderen Schuldigen aus: angebliche Gewalttäter, die Demokraten, die Antifa und natürlich die Medien. Am Ende tröstete er sich damit, dass der rechte Fernsehsender Fox News einen neuen Zuschauerrekord erzielt hatte. Es spricht allerdings viel dafür, dass eine Menge Fernsehzuschauer einfach nur sehen wollten, wie sich Trump blamiert. Nun können doch aber nicht nur TikTok-Teenager für die leeren Ränge verantwortlich sein. Haben die Leute nicht auch Angst vor einer Corona-Infektion. Oder locken Trumps Reden einfach niemanden mehr hinterm Ofen hervor? Oklahoma war als Standort ausgewählt worden, weil es ein sehr konservativer Staat ist und hier der Enthusiasmus der Fans am ehesten garantiert werden konnte. Aber ältere Menschen, auch wenn sie Trump-Anhänger sind, machen sich schon Sorgen um ihre eigene Gesundheit. Ich denke, dass etliche von ihnen wegen Corona zuhause blieben. Das Interesse an seinen Reden hat nicht nachgelassen, glaube ich. Vor allem weil diese die erste seit Monaten war. Speziell im Süden der USA, also auch in Oklahoma, steigen die Corona-Fallzahlen wieder. Im Gegensatz zur ersten Welle, als es eher den Nordosten traf, sind nun eher Staaten betroffen, die von republikanischen Gouverneuren regiert werden. Rächt sich jetzt der zu frühe Ausstieg aus dem Lockdown, den Trump vorangetrieben hat und den diese Gouverneure Trump zuliebe durchsetzten? In der Tat steigen die Zahlen in der Hälfte aller Bundesstaaten, vor allem im ländlichen Raum. Der frühe Ausstieg ist wahrscheinlich der wesentliche Grund dafür. Wir machen uns gerade persönlich große Sorgen, weil unser Sohn Ende August wieder anfangen soll, in Texas an der Universität in Houston zu studieren. Das ist die viertgrößte Stadt der USA, und die Zahlen steigen dort seit zwei Wochen massiv an. Texas hat einen republikanischen Gouverneur, Houston aber einen demokratischen Bürgermeister. Man kann den Anstieg also nicht nur den Republikanern zuschieben. Langsam werden die Beatmungsgeräte knapp. Houston steht vor einer Gesundheitskatastrophe. Wir sind wirklich fassungslos momentan. Ich hoffe sehr, dass dein Sohn gesund bleibt. Danke. Lass uns dennoch zu den Anhängern von Trump zurückkehren. Zuletzt hat der Oberste Gerichtshof der USA die Diskriminierung von LGBTQ-Menschen für verfassungswidrig erklärt. Auch der von Trump nominierte Richter Neil Gorsuch war dieser Meinung. Bröckelt dadurch die Basis von Trump, weil sie enttäuscht ist vom eigenen Kandidaten? Ja, sie ist enttäuscht. Aber deswegen wird sie nicht bröckeln. Viele dieser super konservativen Evangelikalen sind fassungslos, das ausgerechnet Gorsuch dieses Diskriminierungsverbot unterstützt hat. Er war eigentlich das Geschenk von Trump an die Evangelikalen und sollte die bibelfesten Entscheidungen treffen. Dennoch wird die Fassungslosigkeit der Evangelikalen nur von kurzer Dauer sein. Sie sind ja weiterhin politisiert und werden sich nicht ins Privatleben zurückziehen. Aus ihrer Sicht ist Trump nach wie vor das geeignetste Vehikel um die USA nach ihren Vorstellungen umzumodeln. Manche meinen sogar, er wäre von Gott gesandt. Wenn die Basis nicht bröckelt, warum steht Trump in den Umfragen dann so schlecht da? Die Evangelikalen machen ungefähr ein Drittel von Trumps Wählerschaft aus. Da bleiben also noch zwei Drittel, die 2016 für Trump stimmten. In diesem Lager ist ein Bröckeln zu beobachten. Das sind nicht alles Trumpisten, sondern viele moderate Republikaner, die 2016 einfach Hillary Clinton nicht mochten, jetzt aber weniger Probleme mit Joe Biden haben. Außerdem zeigt Trump in der Wirtschafts- und Gesundheitskrise keine Führungsqualitäten. Das schadet ihm. Wenn es die Wahlkampfauftritte des Spitzenkandidaten nicht schaffen, wie wollen die Republikaner dann den Rückstand aufholen? Um die Macht zu erhalten, arbeiten sie schon seit Jahren mit Tricks. Momentan versuchen sie, potentielle Wähler von Biden und den Demokraten vom Gang an die Urne abzuhalten. Sie schließen in deren Hochburgen viele Wahllokale und sorgen für unglaublich lange Warteschlangen. Oder sie säubern vorher die Wählerlisten. Das Neuste ist, dass Trump vor Wahlbetrug bei der Briefwahl warnt, die wegen Corona derzeit sehr beliebt ist. Trump weckt bei seinen Anhängern Misstrauen gegenüber den Wahlergebnissen. Das ist brandgefährlich, wenn diese dann nicht eindeutig zugunsten von Biden und den Demokraten ausfallen. Bisherige Folgen von Max & Moritz: Das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung nutzen Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen hat Leere Rhetorik oder Zugehen auf Parteilinke? Krankenversicherung in den USA - Arztbesuch nur mit Kreditkarte »Das radikalisiert«: Die Rekordarbeitslosigkeit in den USA wird Folgen haben Was macht eigentlich Joe Biden? Wahlkampf aus dem Keller! Erste Erfolge sind sichtbar - die Black-Lives-Matter-Proteste in den USA
Die Proteste in den USA ebben kaum ab. Dennoch stellt sich die Frage, wie weiter? Wie nachhaltig können die Proteste gegen Rassismus und Polizeibrutalität wirken? Ein Fokus liegt auf dem 3. November, wenn nicht nur der US-Präsident und der Kongress gewählt werden, sondern auch unzählige Regionalparlamente sowie lokale Sheriffs, Staatsanwälte und Richter. Moritz, warum sind diese Posten gerade jetzt so wichtig? Wenn Cops nach Fällen von Polizeigewalt nicht angeklagt wurden, kann man durch Wahlen diese Politik ändern. Ich bin grundsätzlich Optimist, wenn auch ein verhaltener, doch es gibt tatsächlich Grund für Optimismus. Der landesweite Protest zeigt schon erste Zwischenerfolge. Polizisten, die brutal gegen Demonstranten vorgegangen sind, wurden schnell entlassen. Es deutet sich ein Kulturwandel an. In rund 35 großen Städten werden die Chefposten bei Polizei und Staatsanwaltschaft bislang von alten «Law and Order»-Demokraten« besetzt, die brutale Polizisten kaum verfolgten. Jetzt stehen ihnen progressive Herausforderer gegenüber, die das ändern wollen. Was können die denn ändern? In San Francisco zum Beispiel ist Chesa Boudin neuer Bezirksstaatsanwalt. Als er im Januar sein Amt antrat, hat er mehrere Staatsanwälte entlassen, die ihm nicht progressiv genug waren. Er beendete die Praxis, dass Leute auch bei Bagatellvorwürfen nur auf Kaution aus der Untersuchungshaft kommen. Arme Menschen konnten sich das oft nicht leisten und saßen unnötig im Gefängnis. Im Zuge der Proteste weigert sich Boudin auch, Strafverfahren gegen verhaftete friedliche Demonstranten einzuleiten. Cops mit Missbrauchsgeschichte will er nicht mehr einstellen. Und vieles mehr. Der Demokrat Bill Clinton trieb als Präsident die Militarisierung und Aufstockung der Polizei voran. Gibt es jetzt eine Gegenbewegung? Die gibt es schon seit einer Weile - auch unter Republikanern. Donald Trump selbst hat ein Gesetz zur Justizreform unterschrieben, das drakonische Mindeststrafen eindämmt. Ein gutes Beispiel für Fortschritt ist New York. Der Bundesstaat wird komplett von den Demokraten beherrscht, aber erst seit 2018 mit größerem Einfluss von Progressiven. Letzte Woche wurden mehrere Gesetze verabschiedet, die zuvor von Konservativen blockiert worden waren: Polizisten werden nun Würgegriffe und das Racial Profiling verboten. Sie müssen Körperkameras tragen und ihre Disziplinarakten werden transparent an andere Behörden im Land weitergeleitet. Bisher konnten gewalttätige Beamte nach Entlassungen im nächsten Bundesstaat neu anfangen. Richtig. Die Demokraten im Repräsentantenhaus wollen jetzt auch eine nationale Datenbank einführen, die das verhindert. Die US-Linken haben bei Lokalwahlen oft eine sehr schlechte Wahlbeteiligung vorzuweisen. Ändert sich das nun? Aktivistenorganisation fingen vor ein paar Jahren an, eigene Kandidaten auf lokaler Ebene aufzustellen. In Pennsylvania und New Mexico haben Anfang Juni progressive Demokraten langjährige Konservative bezwungen. Die Linke professionalisiert sich. Sie organisiert nicht mehr nur Demonstrationen, sondern auch Wahlkampagnen. Joe Biden reißt niemanden vom Hocker. Wenn der Enthusiasmus nicht über den Kandidaten kommt, dann vielleicht über die Proteste? Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass nach den Riots in Los Angeles in den 90er Jahren der Stimmenanteil der Demokraten wuchs. 2017 nach den Womens' Marches wurde eine Rekordanzahl von Frauen ins Repräsentantenhaus gewählt. Protest kann Leute also motivieren, wählen zu gehen.
Hallo Max, der Präsidentschaftskandidat der Demokraten, Joe Biden, sitzt seit Monaten in seinem Keller, während Donald Trump als Präsident durchs Land reisen darf. Trotzdem stieg Bidens Umfragemehrheit zuletzt auf gut 8 Prozentpunkte. Läuft das perfekt für Biden, weil er sich daheim nicht mehr so oft verhaspelt wie sonst bei bei seinen Wahlkampfauftritten? Perfekt wäre es für ihn erst, wenn er gar nichts mehr sagen müsste, denn selbst ohne große Reden vor vielen Anhängern legt er grobe Schnitzer hin. Der letzte kam vor einer Woche, als er in einem Radiointerview sagte: »Wenn Sie ein Problem damit haben, sich darüber klar zu werden, ob sie für mich oder für Trump sind, dann sind sie nicht schwarz.« Den Satz haben viele zurecht als herablassend und rassistisch empfunden. Trump griff ihn dafür prompt in einem TV-Clip an. Kurz darauf entschuldigte sich Biden. In den Umfragen liegt er aber tatsächlich weiter vorn. Es stört also eher Donald Trump, dass er nicht mehr vor seinen Wahlvolk auftreten kann? Nun ja, es wird ja immer noch jeder Satz, jede Geste, jeder Tweet von ihm vermeldet. Er spielt weiter sein Spiel mit den Medien, indem er bewusst provoziert, droht und beleidigt. Irgendwann wurden seine Corona-Pressekonferenzen aber zum PR-Desaster. Der Höhepunkt war der berühmte Satz, man solle sich doch mal Desinfektionsmittel spritzen. Solche Sätze machen auch auf seine Fans keinen guten Eindruck. Die suchen auch nach Antworten und Auswegen. Und wenn Trump jetzt sagt, dass einer zweiten Infektionswelle kein Shutdown folgen würde, hört sich das selbst in den Augen von etlichen Anhängern so an, als würde er sie lieber krank werden lassen statt Arbeitslosengeld zu zahlen. Zudem stieg die Zahl der Toten in den USA nun auf mehr als 100.000. Und was macht Trump? Er geht Golf spielen. Da muss Biden gar nichts tun, als im Keller zu sitzen und abzuwarten. Trotzdem will der ja auch in den Nachrichten vorkommen. Wie gelingt ihm das? Da ist Joe Biden bis auf ein Interviews fast abwesend. Zum Memorial Day kam er diese Woche zum ersten Mal nach fast 5 Wochen öffentlich wieder aus dem Haus, um an einem Kriegsdenkmal einen Kranz niederzulegen. Das war sofort ein Medienereignis. Über einen anderen Weg schaffte er es dennoch, sich in den Medien zu halten: mit der Suche nach einer Vizepräsidentschaftskandidatin. Es wird fleißig spekuliert, wer es wird. Biden hat sich früh festgelegt: Es wird eine Frau. Ein politisch kluger Schachzug? Immerhin war bei Hillary Clintons Niederlage 2016 auch viel Sexismus mit im Spiel. Das sicherlich, aber in welchem Ausmaß das eine Rolle spielte, ist nicht klar. Sie gewann die Wahl ja eigentlich auch mit 3 Millionen Stimmen mehr. Dass dann aber Trump ins Weiße Haus einzog, lag am antiken Electorial College, diesem Wahlmännergremium und nicht am Sexismus. 2008 fragte man auch, ob es klug wäre, bei all dem Rassismus Barack Obama aufzustellen. Zuletzt wurden die Namen von Stacey Abrahams aus Georgia, Kamala Harris (Kalifornien) und Elisabeth Warren (Massachusetts) hoch gehandelt. Ein Testballon folgt dem nächsten. Mit wem ist denn noch zu rechnen? Da wäre die eher unbekannte Senatorin aus Nevada, Catherine Cortez Masto. Sie hat Lateinamerikanische Wurzeln und könnte Biden bei diesen Wählern helfen. Die wenigen Stimmen der Latinos waren im Vorwahlkampf eine seiner Schwachstellen. Eine Schwäche Clintons war der industrielle Nordosten, da fallen einem Michigans Gouverneurin Gretchen Whitmer oder die Senatorin von Minnesota, Amy Klobuchar, ein. Welche Eigenschaften spielen eine Rolle bei der Auswahl? Die Kriterien sind zahlreich. Da wäre die politische Vergangenheit; wunde Punkte, die Trump ausschlachten könnte. Etwa, dass Elizabeth Warren mal fälschlicherweise angegeben hat, indianischer Abstammung zu sein. Deshalb beleidigt Trump sie stets als »Pocahontas«. Aber auch der Parteiflügel, den die Kandidatin vertritt, kann wichtig werden. In letzter Zeit ist Warren wieder nach oben gerückt, weil sie eine Progressive ist und Biden damit vielleicht ein Zeichen setzten will. Es muss auch bedacht werden, dass die Demokraten vielleicht wichtige Posten verlieren, wenn zum Beispiel eine Stimme im Senat fehlt, weil Klobuchar, Warren oder Harris plötzlich Vizepräsidentin sind. Hautfarbe und Herkunft sind weitere Faktoren. Die Aussicht auf eine schwarze Vizepräsidentin wie Harris oder Abrams würde mehr Afroamerikaner mobilisieren. Klobuchar und Whitmer könnten dagegen Minnesota und Michigan wieder in die Hand der Demokraten bringen. Natürlich muss die Person auch Regierungserfahrung haben. Biden ist schließlich schon 77 Jahre alt. Sollte er im Amt sterben, hätten wir ganz automatisch die erste US-Präsidentin. Das wird alles heiß diskutiert. Keine Kandidatin vereint alle Kriterien auf sich. Wie lange geht dieses Favoritenspielchen denn noch weiter. Muss sich Biden nicht bald mal entscheiden? Schriftlich fixiert ist ein Zeitpunkt nicht. Normalerweise erfolgt die Auswahl ein paar Wochen vor dem Parteitag, auf dem das Duo dann gekürt und gefeiert wird. Aber in der Coronakrise ist nichts mehr normal. Wir wissen nicht einmal, ob es im August Parteitage geben wird. Bisherige Folgen von Max & Moritz: Das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung nutzen Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen hat Leere Rhetorik oder Zugehen auf Parteilinke? Krankenversicherung in den USA - Arztbesuch nur mit Kreditkarte »Das radikalisiert«: Die Rekordarbeitslosigkeit in den USA wird Folgen haben
Hallo Moritz, die Arbeitslosigkeit in den USA steigt rapide an und wird wohl auch bei den Wahlen im November ein wichtiges Thema sein. Also lass uns drüber reden. Wie viele Menschen sind durch Corona mittlerweile arbeitslos geworden? Im Februar lag die offizielle Arbeitslosenquote noch bei 3,6 Prozent. So niedrig war sie seit 1968 nicht mehr. Doch das hat sich jetzt radikal gewandelt. Jede Woche melden Millionen Leute, dass sie ihre Arbeit verloren haben. Aktuell ist die offizielle Quote auf 14,7 Prozent gestiegen. Dabei hat das US-Arbeitsministerium schon zugegeben, all jene nicht mitzuzählen, die angeben, nur vorübergehend keine Arbeit zu haben. Eigentlich sind es also rund 20 Prozent. Seit März haben 33 Millionen Amerikaner ihre Arbeit verloren. Vorher waren es insgesamt »nur« fünf Millionen. Kann man sich wenigstens auf diese Zahlen jetzt verlassen? Nein, es gibt wie immer eine Dunkelziffer. Die Daten erfassen nur all jene, die Arbeitslosenhilfe beantragen. Für manche kommt das aber nicht in Frage, weil sie vorher zu kurz gearbeitet haben oder sie illegalisierte Arbeiter ohne Papiere sind. Wirtschaftswissenschaftler schätzen, dass die reale Arbeitslosigkeit schon auf bis zu 25 Prozent gestiegen ist. Das Arbeitslosengeld wurde zuletzt aufgestockt. Funktioniert die Auszahlung? Sie hat zumindest gestottert, genau wie die 1200 Dollar Einmalzahlung, die an alle Bürger gehen sollte. Eine Freundin von mir in North Carolina hat ihren Job in einem Restaurant wegen der Coronakrise verloren. Als sie versuchte, Arbeitslosengeld zu beantragen, war die Website tagelang überlastet. Das System ist nicht für diese Masse an Anträgen ausgelegt. Vielerorts ist das ja auch gewollt. Der republikanische Ex-Gouverneur von Florida, Rick Scott, änderte einst das System so, dass Arbeitslose mit vielen Fragen und immer wieder neu auszufüllenden Anträgen abgeschreckt werden. So spart der Staat Arbeitslosengeld, und der Gouverneur kann prahlen, dass es in Florida weniger Arbeitslose gab. Moritz, vergleich doch mal die Zahlen mit früheren Krisen! Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise 2008/2009 lag die Arbeitslosigkeit bei ungefähr zehn Prozent. Da liegen die USA jetzt schon weit drüber. Es dauerte damals sechs bis acht Jahre, um den Jobverlust wieder aufzuholen. Zu Zeiten der großen Rezession der 30er Jahre war die Quote sogar auf 25 Prozent geklettert. Zumindest die Dunkelziffer hat auch das Niveau schon erreicht, und wir wissen nicht, wie lang die Entwicklung noch anhält. Gibt es schon Prognosen dazu? Es gibt Schätzungen der Zentralbank, dass es bis zu 30 Prozent Arbeitslosigkeit geben könnte. Schließlich gehen die Leute nicht einfach sofort wieder in Restaurants, Kinos oder Konzerte, selbst wenn die schon bald wieder offen sind, wenn sie Angst haben sich anzustecken. Es wird länger dauern, bis die Wirtschaft wieder in Schwung kommt, und in der Zeit werden viele Firmen insolvent gehen. Wessen Wähler trifft es zur Zeit am schlimmsten? Eher die Basis der Demokraten. Das war 2008/2009 anders, als vermehrt weiße, männliche Arbeiter in Fabriken und auf dem Bau Jobverluste beklagen mussten. Jetzt sind es überproportional viele in Dienstleistungsberufen, dem Tourismus und weiteren Branchen, wo es mehr Frauen und Angehörige von Minderheiten trifft. Im Reisesektor ging knapp die Hälfte aller Jobs verloren, auf dem Bau und in Fabriken nur ungefähr 12 Prozent. Das erklärt auch, warum die Republikaner noch nicht so stark unter Druck stehen, weitreichende Hilfen für Betroffene zu beschließen. Motiviert das die Wähler der Demokraten noch zusätzlich, im November zu wählen? Es gibt eine Grundannahme unter Politikwissenschaftlern: Wenn die Wirtschaftslage schlecht ist, werden Präsidenten dafür abgestraft. Das könnte jetzt wieder passieren. Die Krise trifft ja auch wieder viele junge Menschen. 2008/2009 hat sie das radikalisiert, Bewegungen wie Occupy entstanden. Das könnte nun wieder so kommen. Damals wurde Barack Obama zum Präsidenten gewählt. Mal sehen, ob seinem einstigen Vize Joe Biden im November die Wiederholung gelingt.* Bisherige Folgen von Max & Moritz: Das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung nutzen Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen hat Leere Rhetorik oder Zugehen auf Parteilinke? Krankenversicherung in den USA - Arztbesuch nur mit Kreditkarte
Hallo Max. Lass uns übers Gesundheitssystem in den USA sprechen. Die jährlichen Ausgaben pro Kopf liegen bei 10 500 Dollar. In Deutschland sind es umgerechnet nur 6000. Was macht das US-System so viel teurer? Die Tatsache, dass es kein staatlich kontrolliertes Versicherungssystem gibt. Es gibt drei Arten: private, staatliche und Betriebskrankenversicherungen. Das ist ein Multimilliarden-Dollar-Geschäft. Wie teuer ist eine Privatversicherung? Monatliche Prämien beginnen ab etwa 1000 Dollar. Dazu kommen noch Copays und Deductibles. Was ist das denn? Copay ist eine Zuzahlung bei jedem Arztbesuch. Irgendwas zwischen 10 und 50 Dollar. Kommt man zum Arzt, lautet die erste Frage: »Wo ist Ihre Kreditkarte?« Ein Deductible ist eine Selbstbeteiligung, die mindestens 5000 Dollar pro Jahr beträgt. Eine Summe, für die man selbst aufkommt, bevor die Versicherung überhaupt zahlt. Da geht doch keiner mehr zum Arzt! Manche nicht. Vor jedem Arztbesuch rechnen sie genau durch: Kann ich mir das leisten? Man kann oft auch nur zu bestimmten Ärzten gehen, um Kosten erstattet zu bekommen. Nur bei Notfällen muss behandelt werden, ansonsten kann dich die Klinik zurückschicken. US-Bürger sind oft an den Arbeitgeber gebunden, richtig? Ja, ungefähr die Hälfte hat eine betriebliche Krankenversicherung. Bei Arbeitslosigkeit fällt sie aber weg. Das betrifft mit Corona jetzt viele Millionen. Prognosen sagen eine Arbeitslosenquote von bis zu 30 Prozent voraus. Wie viele US-Amerikaner sind unversichert? Obamacare hat die Zahlen seit 2010 von 45 Millionen um zwei Drittel gesenkt. Jetzt kommen aber vermutlich wieder mehr als 20 Millionen dazu. Zusätzlich sind 80 Millionen unterversichert. Auch bei ihnen sind die Zusatzkosten zu hoch, und manche gehen daran bankrott - oder sie bringen sich sogar um, weil sie die Raten nicht mehr zahlen können. Es gibt aber auch staatliche Versicherungen. Ja, Medicaid ist eine tolle Gratisversicherung für Menschen, die ganz ganz arm sind. Sie bekommen Therapien und Arztbesuche bezahlt. Das betrifft aber nicht sehr viele, da das Verdienstlimit sehr niedrig ist. Und Medicare bekommt man erst ab 65. Ändert Corona gerade die politische Debatte? Die Menschen wollen schon seit Jahren ein billigeres Versicherungssystem. Eines, bei dem man keine Angst haben und dauernd rechnen muss. Aber die Republikaner denken, der freie Markt müsse das regeln, alles andere sei Sozialismus und Teufelswerk. Bei den Demokraten ändert sich langsam etwas. Selbst die moderaten unter ihnen wie Joe Biden und Hillary Clinton forderten diese Woche eine universelle Krankenversicherung. Dann hätte Corona doch ein Gutes, auch wenn es ein hoher Preis für diese Erkenntnis wäre. Das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung nutzen Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen hat Leere Rhetorik oder Zugehen auf Parteilinke?
Oliver: Lasst uns über Joe Biden reden! Rücken die US-Demokraten auch unter ihm nach links? Äußerungen von Biden selbst, aber auch von Ex-Präsident Barack Obama, lassen das vermuten. Moritz: Manche Beobachter sagen, das ist nur wolkige Rhetorik. Andere erkennen Selbstkritik in den Aussagen, wenn etwa Obama sagt: »Würde ich heute noch mal antreten, dann mit einem anderen Programm.« Man erkennt den Willen, die Partei zu versöhnen. Sie rückt langsam nach links. Die Wählerschaft tut das schon seit Jahren. Max: Biden war in den letzten Jahrzehnten ein Opportunist. Vielleicht ergibt sich daraus eine Chance für die Linke, nämlich Biden zur Einsicht zu bewegen, dass er sich wirklich nach links bewegen muss, um Chancen gegen Trump zu haben. Oliver: Ist Biden der Parteilinken denn schon entgegengekommen? Moritz: Noch hat er nicht viel Konkretes geboten. Er will das Eintrittsalter in die Krankenversicherung für Ältere, also Medicare, auf 60 Jahre absenken, aktuell liegt es bei 65. Selbst Hillary Clinton hat 2016 als Konzession gegenüber Bernie Sanders eine Absenkung auf 55 Jahre angeboten. Aber Biden ist ein smarter Politiker und hat sich schon leicht nach links bewegt. Beim Klimaschutz könnte man in seinem Programm wenige Wörter umschreiben und dann leicht »Green New Deal« als Überschrift drübersetzen. Er will nun auch Studiengebührenschulden für Abgänger staatliches Unis erlassen. Man kann ihn also bewegen. Er macht erste Schritte, aber die sind noch sehr zaghaft. Oliver: Besondere Begeisterung löst Biden bisher aber bei niemandem aus. Max: Die Parteiführung der Demokraten ist sich sehr bewusst darüber, dass Biden ein sehr schwacher Kandidat ist. Er verhaspelt sich dauernd, und es tauchen nun Vorwürfe von früheren rassistischen Aussagen und sexuellen Übergriffen auf. Er hat Schwachpunkte, an denen Trump anknüpfen wird. Oliver: Aber da hat doch Trump selbst viel Schlimmeres getan. Ich kann mir kaum vorstellen, dass er solche Themen anspricht, weil dann alle über Trumps eigene Verfehlungen reden würden. Moritz: Doch, Trump macht sogar schon Wahlkampf gegen Biden zum Thema Demenz. Und garantiert wird auch Bidens ehemalige Mitarbeiterin Tara Reade eine prominente Rolle spielen, damit beim Wähler der Eindruck haften bleibt, dass beide Dreck am Stecken haben. Das ist alles, was Trump braucht. Oliver: Die demokratischen Wähler folgten einem Kandidaten, der ständig nur betonte, wie toll er mit Barack Obama zusammengearbeitet hat. Für mich ist das Make America Great Again 2.0. Max: Die Angst ist schon vorhanden, dass Trump weitere vier Jahre im Weißen Haus sitzt. Also wählten viele denjenigen, dem sie am ehesten zutrauen, Trump zu besiegen. Das ist auch eine Art Nostalgie. Man schaut lieber zurück auf die angebliche goldene, tolle Obama-Zeit anstatt nach vorn mit Reformideen wie Medicare for All oder einem Gratisstudium an Universitäten. Wenn Biden verspricht, dass es wieder so wird wie früher, ist das nachvollziehbar, und hinter so einen können sich die Leute stellen. Oliver: Auch wenn man dafür über Vorwürfe von sexuellen Übergriffen hinwegsehen muss? Moritz: Wir lachen gerne über Trump-Wähler, die kultartig die Realität ignorieren. Die Kehrseite der parteipolitischen Polarisierung in den USA ist, dass das bei vielen Demokraten genau so ist. Sie interessieren Vorwürfe von sexuellen Übergriffen gegen Biden überhaupt nicht. Das wird einfach ausgeblendet. 2016 wollten die Wähler der Republikaner ihr Establishment zum Teufel schicken und wählten deswegen Trump. Das ist bei den Demokraten offensichtlich nicht so. Viele von ihnen vertrauen ihrer Parteiführung. Max: Gut 60 Prozent der Demokraten steht tatsächlich loyal zur Parteiführung und den Organisationen, die eng mit ihr verknüpft sind, ganz egal was sie vertreten. Korrektur: Im Podcast findet sich ein Versprecher. Joe Biden will nicht Studiengebühren an staatlichen Universitäten erlassen, sondern Studiengebührenschulden. In den bisherigen Folgen von Max & Moritz ging es um: Das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung nutzen Warum Bernie Sanders wieder nicht gewonnen hat
Bernie Sanders hat seine Kandidatur zurückgezogen. Somit steht fest: Ex-Vizepräsident Joe Biden wird der Kandidat sein, mit dem die Demokraten Donald Trump aus dem Amt jagen wollen. Max, war es der richtige Zeitpunkt für diesen Schritt? Max Böhnel: Besser zu spät als gar nicht. Dass Sanders nicht gut da steht, deutete sich schon Ende Februar an, als Joe Biden ab der Vorwahl in South Carolina so unglaublich davonzog. Das war eine riesige Überraschung und für einige wohl auch ein Schock. Dann kam der Super Tuesday, an dem Sanders in nur vier Bundesstaaten vorne war und Biden in zehn. Dass etwas schieflief, war also damals schon klar. Und Sanders hätte sich überlegen müssen, ob sich das Weitermachen noch lohnt. Dass er ausgerechnet jetzt zurückzog, liegt am Coronavirus. Sein Wahlkampf war vor allem geprägt von Massenkundgebungen, und die sind jetzt nicht möglich. Moritz Wichmann: Ich glaube auch, dass die Coronakrise das mitdiktiert hat. Aber der Druck wurde auch immer größer, weil Sanders dem führenden Kandidaten Biden potenziell immer mehr Schaden zugefügt hätte durch eine Nichteinigkeit der Partei. Er hat das Beste aus der Situation gemacht. Hat Sanders denn trotzdem noch Einfluss aufs Wahlprogramm, das die Demokraten bald verabschieden werden? Moritz: Das könnte man als optimistischer Linker hoffen. In Sachen Delegiertenzahl ist er im Vergleich zu 2016 zwar in einer schwächeren Position. Er wird aber wohl genug zusammenbekommen, um Minderheitenanträge auf dem Parteitag stellen zu können. Vielleicht ist er aber sogar in einer stärkeren Position, wenn der moderate Parteiflügel, und dafür gibt es Anzeichen, endlich akzeptiert, dass das Lager rund um Sanders ein wichtiger Teil der Partei ist. Sanders und Biden haben auch schon verkündet, dass sie gemeinsame Arbeitsgruppen gründen, in denen Kompromisspositionen gefunden werden sollen. Lesen die Leute in den USA überhaupt Parteiprogramme? Max: Mir ist noch nie eins aufgefallen. Ich wüsste gar nicht, wo ich das suchen würde, wahrscheinlich auf der Webseite der Demokratischen Partei. Aber ich frage mich schon: Sollten die Wähler das überhaupt lesen? Mir ist nicht bekannt, dass sich jemand in den letzten Jahrzehnten in der politischen Debatte je auf ein Parteiprogramm berufen hätte. Moritz: Das mag sein, aber das Programm ist doch auch Beschlusslage. Siehe Mindestlohnerhöhung auf 15 Dollar: Die stand seit 2016 drin, und drei Jahre später wurde sie von den Demokraten im Repräsentantenhaus beschlossen. Noch scheitert sie an Präsident Trump und dem Senat, aber das Programm hat Einfluss auf die Politik. Warum hat es für Sanders wieder nicht gereicht? Immerhin konnte er dieses Mal mit einer viel größeren Fanbasis und viel mehr Geld starten. Er war zwischendurch sogar Favorit auf den Vorwahlsieg, hatte nach den ersten drei Bundesstaaten die meisten Delegierten. Hat Sanders taktische Fehler gemacht, oder lag es an externen Faktoren? Max: Selbst als Bernie Favorit war - also nach den Vorwahlen in Nevada Mitte Februar bis zum Super Tuesday Anfang März - war er das vornehmlich, weil das Bewerberfeld der Zentristen völlig zersplittert war. Das kam ihm zugute. Moritz: Sanders hat erst mal ziemlich viel richtig gemacht. Seine Umfragewerte gingen über Monate stetig nach oben. Mit ein bisschen Glück hätte es auch anders laufen können. Sanders hatte dann in der Tat keine strategisch gute Antwort auf die massive Konsolidierung der Parteiführung rund um Joe Biden direkt vor dem Super Tuesday. Aber bis dahin hatten sich laut Umfragen 50 Prozent der Wähler vorstellen können, Sanders zu wählen. Es war also wirklich knapp. So einen starken Umschwung wie es ihn dann zu Biden gab, hat es in so kurzer Zeit nie zuvor gegeben. Es war wirklich etwas Einmaliges. Max: Sanders hatte, das muss man auch sagen, von Anfang an sowohl die Parteiführung gegen sich als auch einen großen Teil der Massenmedien. Es waren wochenlang kritische Artikel mit dem Tenor zu lesen, es wäre ein Fehler, wenn die Partei stark nach links rückt und Sanders der Kandidat wird. Trump würde ihn und die Demokraten als Sozialisten und Linksradikale zerlegen. Moritz: Ich glaube auch, dass sich sehr linke Kandidaten in Zukunft Gedanken darüber machen müssen, wie sie besser mit den Massenmedien umgehen. Es war ein Fehler der Sanders-Kampagne, hier keinerlei Zugeständnisse zu machen, und immer die Anti-Establishment-Rhetorik zu fahren. Nach dem Super Tuesday hat er versucht, ein bisschen auf die Normalo-Demokraten zuzugehen, aber das war too little, too late. Max: Sein Wahlkampfteam hat zudem die Bedeutung der schwarzen Wähler von Anfang an unterschätzt. Es hatte in der Mehrzahl der Südstaaten, wo die demokratische Basis mehrheitlich aus Afroamerikanern besteht, überhaupt keine Teams unterwegs. Moritz: Ich denke schon, dass sich das Team deutlich mehr engagiert hat, etwa mit schwarzen Organizern vor Ort. Aber die schwarze Community hat mit den Clintons und Biden eine jahrzehntelange Verbindung. Das lässt sich nicht so schnell aufholen. Max: Die schwerwiegendste Fehleinschätzung betraf aber die weiße Arbeiterklasse. Die hatte 2016 sehr stark Sanders unterstützt, diesmal aber Joe Biden. Eine Erklärung dafür ist wohl, dass sie vor vier Jahren Bernie gar nicht für seine Ideen wählte, sondern nur, weil sie Hillary Clinton nicht mochte. Da kommt das Thema Sexismus ins Spiel. Moritz: Sanders traf diesmal aber auch auf ein super verängstigtes Wahlvolk. Viele Demokraten haben richtig Schiss und wollen auf Teufel komm raus Trump abwählen. Das erklärt diesen Widerspruch, dass die Leute bei inhaltlichen Fragen, etwa der Einführung einer staatlichen, Krankenversicherung, Sanders' Ideen unterstützen, ihn aber nicht gewählt haben. Das ist ihnen gerade nicht das Wichtigste. War ihnen der Kandidat Sanders vielleicht auch suspekt? Max: Sanders ist sehr stur. Ich hab ihn 2015 mal interviewt, und das ist mir sofort aufgefallen. Er hielt sich auch jetzt oft nicht an seine Berater. Die hatten ihm empfohlen, Biden in TV-Debatten hart anzugehen. Das hat er nicht gemacht. Moritz: Das hat damit zu tun, dass er ihn persönlich mag. Aber auch, weil die zweite Wahl vieler Biden-Wähler lange Zeit Sanders selbst war. Die wollte er dann mit zu harten Attacken nicht abschrecken, für den Fall, dass er sie später brauchen würde. In den bisherigen Folgen von Max & Moritz ging es um: Das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday Wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat Was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält Wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt Wie die Republikaner Coronavirus zur Wählerunterdrückung nutzen
Wir müssen über Wisconsin reden. In dem US-Bundesstaat fanden am Dienstag Kommunalwahlen statt. Gouverneur Tony Evers, ein Demokrat, wollte sie wegen Corona verschieben, aber das Parlament und Wisconsins Oberster Gerichtshof – beide von Konservativen kontrolliert – haben das verhindert. So standen Tausende Wähler in kilometerlangen Schlangen an sehr wenigen Wahllokalen an. Eine schwarze Stunde für die Demokratie in den USA, oder nicht? Lange Schlangen vor Wahllokalen kennen wir aus den USA, vor allem in Städten, wo viele Minderheiten leben, wie in Milwaukee. Dort standen diese Menschen nun auch noch mit Masken vermummt bis zu vier Stunden an. In der Stadt gibt es sonst gut 180 Wahllokale, diesmal waren es fünf, weil kaum Wahlhelfer gefunden wurden. Auch denen war es zu gefährlich, sich in einen Raum zu setzen, durch den Tausende Menschen laufen. Wie viele Leute haben denn nun in Milwaukee abgestimmt? In den Wahllokalen waren es 18.000. Das entspricht einer »in-person«-Wahlbeteiligung von drei Prozent. Absurd niedrig, selbst wenn man bedenkt, dass Lokalwahlen generell eine niedrige Beteiligung haben. 2018 lag sie noch zwischen 20 und 25 Prozent. Aber es kommen ja noch die Briefwahlstimmen dazu. Auch damit kommen wir aber nur auf 75.00 abgegebene Stimmen. Das ist nur weniger als die Hälfte der Wahlbeteiligung der »Frühjahrswahl« von 2016 - in einer Stadt mit mehr als einer halben Million Einwohner. In ganz Wisconsin gab es bis zum Wahltag »nur« 2500 positive Corona-Fälle. Haben die Demokraten die Gesundheitsgefahr übertrieben? Ich glaube nicht. Schau auf Michigan und Ohio! In Michigan gab es Mitte März eine Vorwahl, da war noch nicht ganz so klar, wie schlimm es wird. Ohio war Ende März dran, doch der republikanische Gouverneur ließ die Wahl verschieben. Seitdem haben sich die Fallzahlen in Michigan vervierfacht, während die Kurve in Ohio deutlich weniger steil steigt. Dafür gibt es sicher noch andere Gründe, aber die Abstimmungen hatten durchaus einen Effekt. Viele wollten in Wisconsin wenigsten noch auf Briefwahl umschwenken. Doch es gab Probleme. Richtig. Die sozialen Medien sind voller Berichte von Leuten, die ihre Unterlagen angefordert, aber nie erhalten haben. Von mehr als einer Million Stimmzettel seien ungefähr 200.000 zurückgekommen, teilte die Wahlkommission mit. Angeblich wegen falscher Adressen oder weil die Leute weggezogen seien. Wen trifft das stärker? Das wird beide Seiten treffen. Ich glaube aber, die Demokraten etwas mehr. Sie sind in den Städten konzentriert, und dort war es deutlich schwieriger abzustimmen, wie das Beispiel, das relativ afroamerikanisch geprägte Milwaukee, zeigt. Junge Leute ziehen auch viel häufiger um, haben keine feste Adresse, also können sie weniger einfach Briefwahl-Unterlagen anfordern. Auch sie wählen eher die Demokraten. Per Brief zu wählen ist in Wisconsin ohnehin schwer. Man braucht die Unterschrift eines Zeugen. Warum? Weil die Republikaner in Wisconsin ganz vorne dabei sind, wenn es um Wählerunterdrückung geht. Aber auch in anderen Staaten gibt es die Pflicht sich auszuweisen, was bestimmte Bevölkerungsgruppen vom Wählen abhält, weil sie seltener Personalausweise haben. Andernorts werden Menschen von den Wählerlisten gestrichen, wenn sie ein paar Mal nicht gewählt haben. Das trifft fast immer mehr Minderheiten oder junge Menschen, die hauptsächlich demokratisch wählen. Beliebt ist auch das Zuschneiden von Wahlbezirken, um möglichst viele Abgeordnete zu gewinnen. 2018 holten die Demokraten in Wisconsin 53 Prozent der Stimmen, aber nur 36 Prozent der Sitze in den Staatsparlamenten. Umgekehrt gewannen die Republikaner mit nur 45 Prozent aller Stimmen 64 Prozent der Sitze. Donald Trump bezeichnet die Briefwahl als »gefährlich« und »schrecklich«. Es gäbe massenhaft Betrug. Gibt es dafür Beweise? Das behaupten Republikaner seit Langem. Tatsächlich gibt es dafür fast keine Hinweise. Nicht einmal eine von Trump selbst eingesetzte Kommission konnte welche finden und löste sich nach monatelanger Suche auf. 2018 gab es mal einen größeren Fall. Dort hatte aber ein Republikaner Briefwahlstimmen manipuliert. Fun Fact: Donald Trump hat vor Kurzem bei der Vorwahl in Florida per Brief abgestimmt. Wählerunterdrückung ist aber keine rein konservative Taktik. Auch die Demokraten nutzen sie. Ja, in Maryland, New Jersey und New York etwa. In New York musste man sich lange besonders früh, also viele Monate vor den Vorwahlen auf Wählerlisten eintragen lassen. Das schadete etwas Bernie Sanders 2016 und den jungen Wählern, die spontan für ihn stimmen wollten. Landesweit und insgesamt sind die Republikaner aber eindeutig schlimmer. In den ersten vier Folgen von Max & Moritz ging es um das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday, wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat, was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält und wie die Coronakrise das tödliche Wirken des freien Marktes zeigt. Lesen Sie nächste Woche den Chat mit Max Böhnel über das Ende von Bernie Sanders' Präsidentschaftskampagne.
Hallo Max. Wie geht es dir und deiner Familie? Den Umständen entsprechend. Wir leben in einer New Yorker Vorstadt, 45 Minuten von Manhattan entfernt. Das ist noch mitten im Epizentrum der Pandemie. Alles ist zu, bis auf Supermärkte, Tankstellen und Krankenhäuser. Wir gehen mit selbst gemachten Gesichtsmasken raus. Alles, was ins Haus kommt, wird desinfiziert. Die Stimmung ist geprägt von Unsicherheit, Nervosität und Zukunftsangst. New York zählt mehr als 40 000 Infizierte und über 1000 Tote. Bilder zeigen überfüllte Krankenhäuser, Kühltrucks, die als Leichenhallen dienen, und Ärzte, denen Masken fehlen. Was ist schiefgelaufen? Das ist Ausdruck des »freien Marktes«. Seit mehr als einem Jahrzehnt werden Krankenhäuser geschlossen oder »verschlankt«, um Kosten zu sparen. Gouverneur Andrew Cuomo, der jetzt Washington um Geld und Beatmungsgeräte anbettelt, hat noch zu Jahresbeginn angekündigt, das staatliche Versicherungssystem für Alte, Arme und Kranke weiter zu kürzen. Sechs Millionen New Yorker sind darüber versichert. Diese Bilder kommen aus staatlichen Krankenhäusern, denen die Mittel gestrichen wurden. In privaten Kliniken sieht es besser aus. Dort sind aber auch diejenigen untergebracht, die die Behandlung selbst bezahlen können. Welchen Eindruck macht Präsident Trump? Mittlerweile einen sehr staatsmännischen. Er scheint die Krise jetzt endlich ernst zu nehmen und warnte davor, dass uns zwei sehr schwere Wochen bevorstehen und dass mit einer Viertelmillion Toter zu rechnen sei, selbst wenn sich alle an die Vorgaben halten. Ist von Joe Biden und Bernie Sanders noch etwas zu hören? Der Vorwahlkampf wird ausgeblendet. Biden gibt TV-Interviews aus seinem Keller, in denen er Trump recht sanft kritisiert. Sanders macht Ähnliches, das ist aber nur auf Facebook zu sehen. US-Bürger bekommen eine Art Überbrückungsgeld von 1200 Dollar. Wie lange reicht das, wenn man den Job verliert? In New York ist das eine halbe Monatsmiete für eine Ein-Zimmer-Wohnung. In Mississippi sind die Lebenshaltungskosten niedriger, da halten 1200 Dollar länger. Aber sie sind auch dort bald weg. Von Überbrückungsgeld kann man also nicht sprechen. Und wenn doch, dann herrscht am anderen Ende der Brücke tiefe Dunkelheit. Diese Finanzspritze ist also ein Armutszeugnis fürs marode Sozialsystem? Eher eins für den neoliberalen Kapitalismus. Die Politiker erkennen jetzt, dass das System zusammenbricht, wenn die Regierung nicht massiv Geld in die Kreisläufe pumpt. Wenn keiner mehr was kauft, wird sich das auch auf die Profite der Mächtigen auswirken. Ich habe von Streiks gehört. Stehen die im Zusammenhang mit Corona? Ja, ganz direkt. Es sind oft kleine wilde Streiks. Bei uns im Ort gibt es einen Luxus-Lebensmittelmarkt. Dort wurde Angestellten verboten, Masken zu tragen. Die bekamen Angst vor Ansteckung und sind stinksauer raus aus dem Laden. Zwei Stunden später durften alle Masken tragen. Ein kleines Beispiel dafür, wie die Krise langfristig zu mehr Selbstbewusstsein bei den Lohnabhängigen führen kann. Sie hat also auch etwas Gutes. In den ersten drei Folgen von Max & Moritz ging es um das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday und wie das Coronavirus den Wahlkampf verändert hat und was das vom US-Kongress beschlossene Hilfspaket gegen die Coronakrise enthält.
Wer fordert am 3. November Donald Trump heraus? Und wird Trump die US-Präsidentschaftswahl verlieren, oder zerstreiten sich die Demokraten? Oliver Kern chattet einmal in der Woche mit Max Böhnel und Moritz Wichmann über Streiche, Strategien und Strapazen im US-Wahlkampf. Hallo Moritz. Lass uns heute mal über das Rettungspaket sprechen, das der Kongress diese Woche mitten in der Corona-Pandemie beschlossen hat. Was steht drin, und wie teuer wird‘s? Das Paket hat einen Umfang von 2 Billionen US-Dollar, also 2000 Milliarden! Nicht schlecht. Davon sollen 500 Milliarden in Kreditform an Großunternehmen gehen, über 360 Milliarden an Kleinunternehmen und 150 Milliarden an Krankenhäuser. Das Arbeitslosengeld wird für vier Monate um 600 Dollar pro Woche aufgestockt. Der Durchschnittsverdiener bekommt dann genauso viel, wenn er arbeitslos wird, wie er vorher im Job verdient hat. Für Niedriglohnarbeiter gibt‘s sogar ein bisschen mehr. Das haben die progressiven Demokraten durchgesetzt. Genauso, dass Donald Trump, seine Familie und alle Regierungsangehörige keine Mittel aus dem Hilfspaket erhalten dürfen. Es gab ja die Angst, dass das ein Schmiergeldfonds wird. Reicht das, um die Epidemie in den USA einzudämmen? Es steckt viel Geld für Firmen drin, aber recht wenig für die Bundesstaaten, die den Virus gerade bekämpfen, nämlich nur274 Milliarden. Selbst in dem Geld für Krankenhäuser wird wohl eher das unzureichende bestehende System unterstützt. Also kein Geld für neue Masken, Anzüge und Ventilatoren? Kaum. Die einzelnen Staaten konkurrieren um diese Dinge. New York ist derzeit am schlimmsten betroffen, und Gouverneur Andrew Cuomo forderte die Bundesregierung auf: »Gebt uns alles, was ihr habt! Und wenn die Welle bei uns durch ist, fahre ich die Beatmungsgeräte persönlich in den nächsten Staat, der sie braucht.« Zwei Billionen sind viel Geld, vor allem beschlossen von Republikanern, die stets den kleinen Staat propagierten. In der Krise sind wir alle Sozialisten. Das Tempo, mit dem sich die Republikaner nach links bewegt haben, ist atemberaubend. »Small Government« ist politisch, ideologisch tot. Die Demokraten haben zwischendurch trotzdem zweimal im Senat auf die Bremse treten müssen, um Änderungen durchzudrücken. Stehen sie damit dann nicht als Blockierer da? Traditionell bekommt in einer Krise die Regierungspartei die Schuld, wenn nicht schnell gehandelt wird. Die Republikaner standen also mehr unter Druck. Es wurde auch beschlossen, 1200 Dollar an jeden Amerikaner zu verteilen. Klingt nett. Auf jeden Fall. Es gab eine Dynamik, in der Trump und einzelne Republikaner zumindest rhetorisch die Demokraten fast links überholt hätten, als deren Anführer, Nancy Pelosi und Chuck Schumer, zunächst Direktgeldzahlungen nur nach Bedürftigkeitsprüfungen wollten. Da entstand der Eindruck, die Demokraten seien Technokraten. Dann haben sie aber draufgelegt und forderten 1500 Dollar, die Parteilinke um Bernie Sanders sogar 2000 Dollar – pro Monat! Die Republikaner sprechen stets von den zu stützenden Märkten. Zeigt das nicht, dass es ihnen gar nicht um die Menschen geht? Ja. Wir wissen, das ist alles nur Show. Aber was im November bei den Wahlen zählt, ist der Eindruck, der beim Wähler entsteht. Trumps Basis will nur, dass der Präsident sichtbar für sie kämpft. Die Leute sind nicht doof: Sie wissen auch, dass er nicht einfach mit dem Finger schnippst, und Dinge ändern sich sofort. Wahlkämpfe werden im Internet-Zeitalter wieder billiger. Die Republikaner sind daher nicht mehr so sehr auf ihre Großspender angewiesen. Das macht es leichter, nach links zu rücken. Nur eine steile These? Ich würde sagen, das ist es. Trump reagiert nur oberflächlich auf die populistische Grundstimmung im Land. Aber er will, dass die Republikaner die Partei des weißen Arbeiters wird. Und wenn sie eine rechte Sozialpolitik macht, wie wir sie aus Polen und Ungarn kennen, wird es schwierig für die Demokraten, Wahlen zu gewinnen. In den ersten beiden Folgen von Max & Moritz ging es um das Comeback von Joe Biden am Super Tuesday und wie die Coronakrise den Wahlkampf sowie die Frage, welche Chancen Bernie Sanders noch hat.