Wir reden über die Zukunft der Demokratie. "Wer jetzt?" ist der Podcast fürs Praktische. Mit und über Menschen, die an der Weiterentwicklung und Förderung unserer Demokratie arbeiten, und unser politisches System von innen oder außen verändern. Philipp Weritz als Gastgeber interviewt Menschen aus…
Wie begegnet man der steigenden Frustration und Abwendung der Bevölkerung zur Politik? Indem man sie zum entscheidenden Element macht – mit einem Bürgerinnenrat. Ronya Alev ist Teil des Zukunftsrat. Mit dem ersten bundesweiten Instrument dieser Art wollen sie den „Zukunftsrat Demokratie“ etablieren. Ebenfalls ist sie Präsidentin von Ponto In diesem Gespräch mit den Themen: Wie begeistert man den „Durchschnittsbürger“ für eine partizpative Demokratie? Finanzielle, organisatorische und politische Hürden bei BürgerInnenräten IG Demokratie und mehr-demokratie! mit Vorarbeit und Projektträger Was ergibt sich daraus, wenn alle Ziele erfült werden? Crowdfunding in Österreich Ponto in der Pandemie und darüber hinaus [Anmerkung, das Gespräch wurde im Juli 2021 aufgezeichnet]. Wer jetzt? Biografie und Links Ronya Alev hat Politikwissenschaften und Peace and Conflict Studies in Zürich und Manchester studiert, ist Präsidentin von Ponto und war Mitarbeiterin von respekt.net. MA7 Dieser Podcast wird gefördert von Stadt Wien Kultur.
Was macht eine Pandemie mit der Einstellung zur Demokratie? Daniela Ingruber ist Wissenschaftlerin und forscht an der Donauuniversität Krems zu Demokratie, Krieg und Frieden. Wir lassen Revue passieren, wie die leeren Straßen nicht nur im übertragenen Sinne für einen fehlenden öffentlichen Raum gesorgt haben und warum Hoffnung so wichtig ist, um nicht in eine Dystopie abzudriften. Ebenfalls: Kriegsfotografie als Propaganda und mehr. Lesen Sie hier zwei Stichpunkte aus dem Gespräch. Hoffnung gegen Dystopie „Ich habe schon immer ein Faible für Science-Fiction Filme gehabt“, sagt Ingruber. Als sie im ersten Lockdown aus dem Fenster blickte, kam ihr manchmal vor, als wären wir gerade in einem. „Der öffentliche Raum als Begegnungszone ist dadurch total verloren gegangen“. Sie sieht dadurch auch eine Verminderung der Demokratiequalität, denn die Begegnung in Person könne nicht ersetzt werden durch digitale Treffen. Der öffentliche Raum sei schon seit 20 Jahren dabei, zurückgedrängt zu werden. „Menschen brauchen physische Begegnungen, Menschen brauchen Berührung, und das physische gehört auch zur Kommunikation. Das macht etwas mit uns, wenn das fehlt“. Auch worüber wir reden, war in dieser Zeit nicht von Vielfalt und Ideenreichtum geprägt, es ging immer nur um die Pandemie. 8 Millionen Virologen Wie überwindet man solche Phasen als Gesellschaft? „Mit Hoffnung und Solidarität. Gerade wenn wir Hoffnung haben – oder nicht haben – ist alles verloren, weil man sich dann auch alles gefallen lässt“. Ingruber macht den Konnex zu ihren Erfahrungen in Kriegsgebieten. „Was mich dort fasziniert hat, ich bin immer auf Menschen gestoßen, die noch Hoffnung hatten, zu Zeitpunkten wo ich mir dachte, jetzt ist wirklich alles verloren. Was soll man denn auch anders tun?“. Mit der Hoffnung geht auch ein Vertrauen in Systeme Hand in Hand. Gerade im ersten Jahr seit Beginn der Pandemie habe die österreichische Regierung viel Vertrauen verspielt. „Sie hat Dinge versprochen, die sie nicht halten konnte und irgendwann wollten die Leute nichts mehr hören“. Viel stärker war aber das Versagen, den Menschen ein Warum zu geben. Warum müssen wir durchhalten und noch weiter Einschränkungen hinnehmen? Wie in den meisten Konflikten bringt ein Scheitern in der Kommunikation ein Scheitern auf ganzer Linie mit sich. „Man hat zum Teil mit uns geredet als wären wir kleine Kinder, und das ist gemein, denn kleine Kinder verstehen viel mehr als man meint. Man hat nicht zugehört, sondern Befehle ausgegeben. Man hat viel zu wenig auf Eigenverantwortung gepocht, und irgendwann haben viele Menschen beschlossen sie nehmen sich jetzt ihre Eigenverantwortung und zimmern sich ihre Wahrheit, denn wir sind ein Land von 8 Millionen Virologen“. Allerdings sagt Ingruber auch, dass es nicht zu spät ist, dieses Vertrauen zurückzugewinnen. „Die österreichische Seele ist sehr geduldig, man immer wieder sieht, wir neigen nicht unbedingt zu Revolutionen und Rebellion. Aber die Kommunikation muss sich massiv verändern, und ich glaube nicht, dass das jeder in der Regierung überleben wird“. [Anmerkung, das Gespräch wurde im April 2021 aufgezeichnet].
Sylvia Kritzinger forscht am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien und ist Projektleiterin der AUTNES-Wahlforschungsstudie. Warum Wahlverhalten komplexer ist als angenommen, was heiraten damit zu tun hat und warum Familie in Österreich wieder an Wichtigkeit gewinnt. Lesen Sie hier zwei Auszüge aus dem Gespräch. Das Wahlverhalten der Österreicherinnen und Österreicher „Die interessantere Frage ist eigentlich, warum Menschen nicht zur Wahl gehen. Wenn wir uns exemplarisch die 1950er oder 1960er Jahre herausholen, stellen wir rasch fest, dass zur Wahl gehen fast eine Pflicht gewesen ist“. Fast 100 Prozent sind damals zur Wahl gegangen, was sich über nachfolgenden Jahrzehnte deutlich nach unten entwickelt hat. Abgesehen von natürlichen Gründen wie zu hohes Alter, dass man krank oder nicht im Land ist, haben sich viele neue dazugesellt. Man darf diese jedoch nicht alle über einen Kamm scheren. „Es gibt Personen, die nicht politisch interessiert sind, die keine Partei haben für die sie wählen wollen würden, die sich nicht repräsentiert fühlen. Es ist ein buntes Gemengenlage von Gründen, warum Personen nicht zur Wahl gehen, das heißt, es wäre zu einfach zu sagen: Wenn eine Person nicht zur Wahl geht, ist das aus einem bestimmten Grund, wie zum Beispiel Desinteresse“. Zusätzlich zur abnehmenden Wahlbeteiligung, ist jede Wahl auch dynamischer geworden. „Von einer Wahl zur anderen kommen mehr rationale Gedanken zum Vorschein: Ich habe bestimmte Präferenzen, welche Partei deckt diese am besten ab? Das kann sich durchaus innerhalb von fünf Jahren ändern“. Neues Wahlverhalten nach Hochzeit Wie treffen Menschen, die wählen gehen, eine Entscheidung für oder gegen eine Partei? Neben den erwähnten rationalen Gründen spielt auch der emotionalere Zugang mit Nähe und Identifikation zu einer Partei oder Kandidat*in eine Rolle - unabhängig von politischen Positionen. „Ich habe immer für eine bestimmte Partei gewählt, der Kandidat ist mir sympathisch also wähle ich die wiederum“. Hier spielt vor allem die politische Sozialisation eine Rolle: „Aus welchem Elternhaus komme ich? Wie haben meine Verwandten, meine Freunde und Bekanntenkreis mich sozialisiert? Das ist ein sehr langfristiger Einfluss.“ Dieser kann sich aber mit einem Wechsel der Lebensumstände schnell ändern. „Wenn man seine Arbeit wechselt, oder wenn man von der Schule ins Studium kommt, oder auch heiratet. Da merkt man, dass die politische Sozialisation durchbrochen werden kann“. Kurzfristig können vor allem Themen sehr einflussreich sein. „2017 war die Wahl sehr stark beeinflusst von Migrationspolitik, 2019 war das die Umwelt“. Themen verstärken Entscheidungen jedoch eher, als sie zu verändern, merkt Kritzinger noch an. Kampagnen können die Agenda bestimmen, aber: „Wo ich vorher die Grünen wählen wollte und dann die FPÖ gewählt habe, solche Veränderungen sind äußerst unwahrscheinlich“. Kritzinger ergänzt aber, dass vielen Menschen nicht bewusst sei, wie tief die eigene Ideologie eine Wahlentscheidung beeinflusse.
Die ehemalige österreichische Außenministerin im Gespräch: Warum sie heute nicht mehr in die Politik gehen würde, wie sich die Diplomatie in den letzten Jahrzehnten verändert hat und wie man in unsicheren Zeiten Dialog pflegen soll erzählt sie in ihrem neuen Buch „Diplomatie Macht Geschichte“. Lesen Sie hier zwei Auszüge aus dem Podcast. Wert der Diplomatie Kneissls Karriere im Außenministerium begann 1990. Wie hat sich die Diplomatie in diesen fast 30 Jahren verändert? „Ich war ziemlich ernüchtert, als ich im Jahr 2017 die ersten Unterlagen für bilaterale Gespräche erhielt“. Nachdem Karin Kneissl fast die gesamten 90er Jahre im diplomatischen Dienst verbracht hatte, war sie vom Qualitätsverlust über die Jahre überrascht. „Wir sind abgeglitten in schlecht geschriebene Drehbücher und lesen uns gegenseitig vorformulierte Sätze vor“. Früher hätte man sich eingelesen, Briefings bekommen und dann in einem offenen Gespräch frei gesprochen. „Die Sprache ist unser Werkzeug und alles was dazugehört ist Teil des diplomatischen Gespräches. Diese neue ist eine PR-Sprache geworden, eine vorgefertigte, verarmte Sprache“. Das Handwerk der Diplomatie habe auch aufgrund der stärkeren Kommerzialisierung der Ausbildung gelitten. Gefragt, welches Gesetz sie sich aussuchen würde, antwortet Kneissl mit einem, dass die Bildung soweit wie möglich unabhängig machen würde von politischen und ökonomischen Einflüssen. In ihrem neuesten Buch „Diplomatie Macht Geschichte: Die Kunst des Dialogs in unsicheren Zeiten“ geht noch mehr in die Tiefe zum Thema Diplomatie, Ausbildung und dem Handwerk. „Ich würde nicht mehr in die Politik gehen“ Dass Politik auf der höchsten Ebene mit Fachkompetenz alleine nicht gelingt, ist kein Geheimnis. Wie unmöglich es allerdings ist, sich diesen Mechanismen zu entziehen, war eine Überraschung für Kneissl. „Ich habe zum Beispiel das Budget für Inserate um 80 Prozent gesenkt, das waren zuvor 3 Millionen Euro - nur in meinem Ressort. Ich wollte lieber außenpolitische Projekte fördern damit“. Vergleicht man die Inseratenhöhe beispielsweise mit dem österreichischen Beitrag zum internationalen Strafgerichthof, stellt sich die Frage der Relationen. 2017 lag dieser bei 10.000 Euro, eine Printwerbung in großen Tageszeitung kostet schnell 20.000 und aufwärts. „Da haben die Chefredakteure persönlich bei mir angerufen“. Einerseits dürfe man keine Theaterkarte mehr annehmen – das ist rechtlich als „Anfüttern“ verboten – andererseits ist das indirekte Anfüttern durch Inserate in Millionenhöhe gern gesehen. Auch der fehlende parteipolitische Rückhalt einer Ministerin macht das nicht einfacher. Zwar war Kneissl am FPÖ-Ticket in der Regierung, denn die FPÖ verlangte im Gegensatz zur ÖVP keine Parteimitgliedschaft dafür. „Ein Politiker muss einen Wahlkreis betreuen, den hatte ich nicht. Ich war politisch tätig aber keine Politikerin und ohne Rückhalt von hinten ist das sehr, sehr schwierig“. Die Folgen ihres politischen Wirkens spürt sie auch heute noch. „Die medialen Angriffe dauern an und die Auftragslage als Autorin und Analystin ist in Österreich nicht mehr vorhanden“. Wer jetzt? Biografie und Links Karin Kneissl ist eine österreichische Diplomatin, ehemalige Außenministerin, Nahostexpertin und Autorin. Sie finden sie auf ihrer Website und Twitter, ihr neuestes Buch ist im Olms Verlag erschienen.
Magda Stumvoll ist Co-Präsidentin des Thinktanks Ponto. Als Teil des europäischen Netzwerks „Open Think Tank Network“ widmen sie sich mit Grassroots Strukturen europapolitischen Themen. Das Ziel? Internationale Policygestaltung zu demokratisieren. „Thinktanks sind in Österreich eher im Hintergrund. Mir selbst waren die internationalen mehr ein Begriff als die österreichischen, bevor ich selbst in die Szene eingetaucht bin“. Während die jungen, neuen Thinktanks untereinander gut vernetzt seien, fehlt der Anschluss zu den großen. „Wir versuchen gehört zu werden, unsere Ideen an die Politik weiterzugeben, aber natürlich kann man sich dabei noch nach oben verbessern“. Außenpolitik ist das Thema, was ist das Ziel? „Eine Plattform für junge Leute zu etablieren, wo man sich unabhängig von vollständigem Expertenwissen einbringen kann“. Auch das Werkzeug will Ponto zur Verfügung stellen, mit einem Netzwerk an Kontakten und partizipativen Methoden. Besonders der Brexit war ein einschneidendes Erlebnis für Stumvoll, der auch Motivation für Ponto war: „Viele junge Leute haben sich zu spät zu dem Thema eine Meinung gebildet, und andere über ihre Zukunft bestimmen lassen. Das wollen wir auf alle Fälle verhindern“. Frisch geschlüpft Die erste Idee für das heutige Ponto entstand Anfang 2017. „Wir haben eine Lücke festgestellt, dass es in Wien keine Möglichkeit gab, sich außenpolitisch zu engagieren, ohne Parteifarbe zu bekennen“. Zeitgleich traf sich eine gemischte Truppe an Interessenten, während der Schweizer Thinktank Foraus mit seinem Grassroots-Ansatz für Aufsehen in der Szene sorgte. Ableger in Paris, Berlin oder London waren ein Beweis für das Funktionieren der Idee und dass auch der Bedarf vorhanden ist. „In dieser Runde waren wir der fünfte, heute ist das als Open Think Tank Netzwerk bekannt“. Während der Gründungszeit wechseln die Köpfe dahinter, im Mai 2018 findet der offizielle Launch statt. Seitdem ist das Team ehrenamtlich am Schaffen. „Beim letzten Vorstandstreffen hat eine auf den Tisch gehaut: ‚Wir müssen endlich aufhören die Finanzierung stiefmütterlich zu behandeln‘“. Auch wenn die inhaltliche Arbeit die Hauptmotivation ist, leide diese ohne entsprechende Finanzierung, vor allem Administration würde Stumvoll als erstes abgeben wollen. Einiges geht über Projektfinanzierungen und entsprechende Anträge, eine stetige Basisfinanzierung stellt eine große Hürde dar. Europäische Erfahrung Aus dem gemeinsamen Netzwerk konnte Ponto bereits einiges lernen, vieles scheitert aber an nationalen Gegebenheiten und Unterschieden. So sind die Schweizer mit Foraus bereits seit mehr als 10 Jahren aktiv und auch einige Kooperationen mit Stiftungen. „Gerade die Stiftungslandschaft ist in der Schweiz ganz anders als bei uns“. Kleiner und vor allem nicht sehr NGO-freundlich, muss auf jede Stiftungsauszahlung noch Kapitalertragssteuer bezahlt werden.
Shabka ist arabisch für Netzwerk und der Thinktank aus Wien macht diesem Namen Ehre. Außenpolitik, Entwicklungspolitik, Sicherheitspolitik, Krisenmanagement und zivilgesellschaftliches Engagement wollen hier zusammenfließen. Generalsekretär Zinkanell und Redakteurin Trixa plaudern aus dem Nähkästchen des bald 20-köpfigen Shabka. Lesen Sie hier Stichpunkte aus dem Gespräch. Aus vielen eines Woher kommen die vielen Themengebiete? Zinkanell beantwortet die Einstiegsfrage mit einem kurzen Ausflug in die Vergangenheit, zur Gründung von Shabka. „Wir haben uns 2013 in Tunis gegründet, in dieser Anfangsphase waren der nordafrikanische Raum und der mittlere Osten der Schwerpunkt von unseren Analysen“. Ursprünglich als Publikationsnetzwerk gedacht für Wissenschaftler*innen und Journalist*innen gedacht, entstand mit der Zeit ein stärkerer Austausch mit europäischen Perspektiven und Themen. „Trotzdem haben wir den Schwerpunkt des arabischen Raums aber nicht verloren“, sagt er und nennt den Libanon, Irak, Syrien als Länder als Ankerplätze. Die Folgen des arabischen Frühlings (2010-2012) waren ein Jahr danach weder klar absehbar, noch ließen sie sich in trennscharfe Kategorien einteilen. Wie Zinkanell sagt, ist das auch der Grund, wie sich all diese Themen ergeben haben: „Dadurch ist es entstanden, dass wir Sicherheitspolitik umfangreicher und allumfassender sehen“. Trixa ergänzt: „So vielseitig und groß die Themenbereiche auch sind, sie interagieren miteinander und sind verflochten“. Shabka selbst musste sich in immer wieder neu erfinden und anpassen. Das Netzwerk, zu Beginn für freie Journalist*innen, entwickelte sich mit den Bedürfnissen und Aufgaben. „Das Engagement was viele damals angetrieben hat, hat auch bei Shabka immer wieder für Veränderungen und neue Zugänge gesorgt“, sagt Trixa. Dachverband der Denker Shabka gehört unter den Thinktanks in Österreich beinahe zum alten Eisen. Mit siebenjährigem Bestehen gibt es einige Erkenntnisse und Hürden am Weg zu berichten. Wo fehlt es in Österreich an Unterstützung für das Ökosystem der Denkfabriken? Warum werden sie in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen? „Ich war selbst überrascht von der Dichte in Österreich“, sagt Trixa „es liegt daran, dass alles sehr parteipolitisch aufgeteilt ist. Keine Kommunikation und Austausch dazwischen und die Politik ist relativ festgefahren, von wem sie welche Informationen einholen“. Unabhängig von der Qualität der Quelle bleiben so oft wichtige Türen im Vorhinein verschlossen. Noch schlimmer ist es laut Zinkanell, dass man ohne eindeutige Parteinähe misstrauisch beäugt wird. Abgesehen von Parteien, die die politische Landschaft auf allen Ebenen prägen, sieht er auch noch einen fehlenden Dachverband als Grund. „Die Thinktanks sind untereinander in den verschiedenen Themengebieten gut vernetzt. Manchmal sind sie aber zu sehr mit der Arbeit selbst beschäftigt sind und dadurch fehlen andere Bereiche – Outreach, Einbindung der Öffentlichkeit“. Es mangele nicht an Expertise, sondern daran, diese an den richtigen Orten anzubringen. Auch die Förderlandschaft sei nicht ausgerichtet auf kleine, ehrenamtliche und gemeinnützige Thinktanks. Abseits von Geld sehen Zinkanell und Trixa beide eine Notwendigkeit für eine Art Dachverband der Thinktanks, wie es das für außenpolitische Institute bereits gibt.
Manfred Matzka war Jahrzehnte lang Sektionsleiter, er hat unter mehreren Bundeskanzlern den höchsten Beamten der Republik gestellt. Nach mehr als vier Jahrzehnten Staatsdienst blickt er zurück auf seine Karriere. Ein Gespräch über große und kleine Veränderungen, wie Entscheidungen hinter den Kulissen entstehen und was er in seinem neuen Buch „Hofräte Einflüsterer Spindoktoren“ an Beobachtungen und Entwicklung versammelt hat. Wirtschaft, Politik oder Verwaltung? Ranghohe Beamte müssen hohe Anforderungen erfüllen. Netzwerker mit umfassender Bildung, Führungskräfte, eine normale Sektion umfasst 100 Mitarbeiter, Rhetorik, Schreibtalent, Charisma und ein starkes Verständnis für das fachliche Fundament. Was bewegt eine Person mit diesen Qualifikationen sich in den Dienst des Staates zu begeben? Warum nicht beispielsweise in die Privatwirtschaft? „Ein Vorteil den ich immer gesehen habe, ist, dass man auf lange Sicht etwas machen kann. Es ist die Gefahr nicht da, dass man morgen rausgeschmissen wird und etwas Neues machen muss“. Das große Streben im Beamtentum sieht er jedoch woanders: „Der ganz große Vorteil ist, man kann etwas fürs Gemeinwesen gestalten. Wenn jemand mitgestalten will am Öffentlichen, in der Demokratie, im Staat, hat er zwei Optionen: Politiker werden oder in die Verwaltung gehen. Da ist die Verwaltung allemal die g’scheitere Option. Man ist zwar nicht so berühmt, aber man muss sich sehr viel weniger anpassen, anschmiegen, bücken“ In der Verwaltung habe ihn persönlich immer das Mitwirken und Beeinflussen fasziniert. „Auf der einen Seite mühselig, auf der anderen Seite aber auch schön, weil man Erfolgserlebnisse hat“. Diese Erfolge erscheinen von außen vielleicht nicht so spektakulär, er nennt das Beispiel der Beitrittsverhandlungen zum Schengen-Raum: „Das waren unendlich mühevolle Verhandlungen zum Grenzkontrollabbau, in Wien, in Brüssel, monatelang. Am Ende aber hat man dann das Erlebnis, dass die Grenzbalken weggetragen werden und man lehnt sich zurück und weiß: Ohne mich hätte das anders ausgesehen. Das ist eine Motivation, die einen lange dabeibleiben lässt“. Rollen im Wandel Auch die berühmten Politiker haben sich in ihrem Wesen verändert, erzählt Matzka. „Eine der entscheidendsten Veränderungen der letzten Dekaden war der Wechsel vom Gestalten wollen […] zu einer Haltung von ich möchte meine Position behalten“. Bei Amtsantritt sei der Minister gekommen und wollte etwas zum Guten im Sinne seiner politischen Vorstellungen verändern, sagt Matzka. Danach wurde das gut verkauft, damit er oder sie wiedergewählt wird. Heute zähle nur mehr das Behalten der Position: „Das Gestalten, das Verändern steht im Hintergrund, der Verkauf im Vordergrund. Politik, Ideologie, Werte, Vorstellungen werden nachgeordnet, haben nicht mehr diese Bedeutung und das spürt man“. Für all jene, die mit der österreichischen Struktur der österreichischen Ministerbüros nicht vertraut sind, Sektionschefs sind die ranghöchsten Beamten in einem Ministerium. Direkt dem Minister*in unterstellt, auf fünf Jahre bestellt, bleibt er bei Bestätigung im Amt bis zur Pension. Sie treffen zwar keine politische Entscheidung, haben bei der Umsetzung aber Macht, Spielraum und Expertise. Diese Position hat sich verändert in den letzten Jahren, sagt Matzka: „Das ist fast schon die Vergangenheit. Man hat zwischen den Minister und Sektionschef den Generalsekretär eingezogen, als politische Beamte“. Das habe die Sektionschefs geschwächt, weil sie den direkten Zugang zu den Ministern mitunter nicht mehr haben.
Neutralität sei kein Grund um keine aktive Sicherheitspolitik zu betreiben, sagt der Präsident des Thinktanks Sipol und Oberstleutnant Christoph Bilban. Er forscht an der Landesverteidigungsakademie, im Gespräch über die Bedeutung kollektiver Sicherheit als europäischer, neutraler Staat im 21. Jahrhundert und was sein Verein Sipol dazu beiträgt. Europa und Freiheit Wenn Christoph Bilban von Sicherheit spricht, beginnt er damit auf der höchsten Ebene: „Für mich besteht kollektive Sicherheit vor allem darin, als globale Weltgemeinschaft ein Umfeld zu schaffen, das möglichst frei von Gewaltstrukturen und Bedrohungen ist. Wo man Konflikte auf möglichst zivilisierte und friedvolle Art lösen kann“. Unter heutigen Bedingungen heißt das für Österreich eine Sicherheitspolitik, die im europäischen Rahmen entstehen und bestehen muss. Die Idee, nationale Kräfte mit fokussierten Aufgaben zu bündeln, sei prinzipiell nicht schlecht, sagt er. „Die Voraussetzung dafür ist aber eine europäische Union, die viel weitergeht als heute. Das geht nicht ohne eine politische Union. Der Grundsatz eines jeden militärischen Einsatzes ist, dass die politische Verantwortlichkeit ganz klar ist“. Ein Problem in einer Vergemeinschaftung der Streitkräfte sieht Bilban in der Geschwindigkeit von Entscheidungen. Wenn nach wie vor nach dem Einheitsprinzip entschieden wird, würden man auf manche Bedrohungen und Risiken nicht mehr schnell genug reagieren können. Konkret scheitert es trotz Bemühungen wie dem PESCO-Programm noch an einem genauen Plan, wie eine solche Armee aussehen sollte. „Wenn es aber eine europäische Armee geben wird, sollte Österreich dabei mitwirken“. Als Verein Sipol hat man sich auch den europäischen Freiheitsbegriff auf die Fahnen geheftet: „Wir vertreten die Grundwerte von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, der Fokus auf die Menschenrechte, die zentral sein sollten für politisches Handeln. Diese bürgerlichen, demokratischen Grundfreiheiten verstehen wir darunter“. Sicherheit verstehen Sipol definiert er als überparteiliche Initiative, die sich Diskursförderung beim Thema Sicherheitspolitik zum Hauptziel gesetzt hat. Menschen zu sensibilisieren und ein breites Verständnis zu schaffen, wo Österreich auf Europaebene steht, wenn es um Frieden, Sicherheit und Stabilität geht. „Es ist wirklich purer Idealismus ohne Parteipolitik“, sagt Bilban. 2014 offiziell gegründet, gab es 2015 den ersten Meilenstein: „Eine Studie zum Thema Verträglichkeit von Miliztätigkeit und Studium von Bernhard Völkl und mir hat Aufmerksamkeit im Verteidigungsministerium erregt. Wir haben gemerkt, dass mit Fakten und Sachthemen wird man gehört“. 2016 und 2017 kommen Stammtische zu den Vereinstätigkeiten und es wird weiter publiziert: „Unsere Artikel basieren meistens auf unserer jeweiligen Expertise bzw. auf der der Gastautoren“. Die reicht von Politikwissenschaft über Wirtschaft bis zu Biotechnologie. Als neues Standbein kam die Übersetzung der österreichischen Verteidigungspolitik in englischer Sprache dazu, um das auch Europäer*innen verständlich zu machen. Wo soll Sipol in fünf Jahren sein? „Sipol war darauf ausgelegt, dass wir mit 35 Jahren aussteigen und wieder den Jungen überlassen, dass es ein sich selbst erneuerndes System bleibt. In den nächsten fünf Jahren wollen wir es so weit bringen, dass wir das Zepter abgeben und sagen: ‚Wir haben ein Produkt, dass es schafft, dass Menschen eine Ahnung von Sicherheitspolitik haben, die sich das nicht vorstellen konnten“.
Warum sie eine moralische Krise der Parteikultur sieht, wieso Gleichheit nicht automatisch Verteilungsgerechtigkeit bedeutet und wie man Philosophie übersetzt. Die Philosophin und Forscherin Herlinde Pauer-Studer im Gespräch über die politische Kultur Österreichs und ihr Forscherleben als ERC-Preisträgerin. Lesen Sie hier zwei Stichpunkte aus dem Gespräch. Bedenkliche Trendwende Ein problematischer Trend, der sich langsam aber sicher aus den USA überträgt, ist die Fokussierung auf private Wahlkampfspenden. „In Ansätzen sieht man das schon in Österreich, dass sich Parteien über private Spendengeber zu finanzieren. Ich halte das für absolut gefährlich und es wäre ein Verlust dessen, was die Demokratie in Österreich ausgezeichnet hat“. Es sei „vollkommen naiv“ anzunehmen, dass Spendengeber hinter den Kulissen keinen Einfluss ausüben würden. Sie sagt deutlich: „Hier sollte man private Spenden verbieten, die Parteien sollen mit den Budgets die sie haben, auskommen“. Auch eine starke Transparenz genügt für sie nicht. „Wenn ich von jemandem 500.000€ bekomme, dann ist das problematisch“. Selbst Kleinstspenden in der Höhe von 20 Dollar, wie sie der US-amerikanische Präsidentschaftskandidat Bernie Sanders per Crowdfunding gesammelt hat, seien bereits zu viel. „Wenn man keine Spenden nimmt, muss man es rigoros handhaben und für alle gleich“. Hand in Hand damit geht der stark personenzentrierte Wahlkampf, der ebenfalls aus den USA kommt. Kandidat*innen die sich stark akzentuiert geben, zu einer leeren Persönlichkeitsmarke werden, die sich in den Medien nach vorne drängeln. „Für Wahlbewegungen und Demokratie müssen Inhalte im Vordergrund stehen. Das ist keine gute Entwicklung. Wen wir wählen ist ja nicht die Person, wir wählen bestimmte Ämter und Funktionen“. Trotzdem lässt Pauer-Studer Österreich nicht schlecht dastehen. „Die politische Kultur hat gelitten, insgesamt aber steht das Land sehr gut da. Unglaublicher Wohlstand, kein Krieg seit mehreren Dekaden, global gesehen durchläuft das Land eine sehr, sehr positive Periode“. Warum Philosophie? „Warum Demokratie und kein anderes System? Wie legitimiert sich Macht? Was ist ein normativer Rahmen, der sich für ein gesamtes System vertreten lässt?“ Diese philosophischen Fragen tauchen vor allem in der Politik tagtäglich auf. Besonders die akademische Philosophie habe eine Verpflichtung sich mit abstrakten Fragen zu beschäftigen. Im Nachhinein müsse dieser Diskurs aber der Öffentlichkeit übersetzt und verständlich gemacht werden. Als Beispiel nennt Pauer-Studer ihre Forschungen zum Recht und Rechtsveränderungen im Nationalsozialismus. Das Buch „Weil ich nun mal ein Gerechtigkeitsfanatiker bin“ erzählt den Werdegang eines SS-Richters und die Struktur hinter dem systematischen Verbiegen von Recht und Moral. Welche Argumentation verwendet ein Richter, der in seiner Funktion offensichtliches Unrecht judiziert und trotzdem einem persönlichen Ethos folgt? Die Fallstudie über Konrad Morgen, der schlussendlich gegen SS-Weggefährten ermittelte, vereint theoretischen Hintergrund am praktischen historischen Beispiel, wie wir scheinbar moralisch gerechtfertigt handeln. Wer jetzt? Bio und Links Herlinde Pauer-Studer ist Philosophin, habilitierte Universitätsprofessorin an der Uni Wien und internationale Forscherin. Sie ist Autorin mehrerer Bücher. • Diese Episode wurde von Stadt Wien Kultur gefördert. • Das Gespräch wurde im Oktober 2019 aufgezeichnet.
Die Macht der Medien sei überschätzt und (digitale) Filterblasen nichts Neues. Jakob-Moritz Eberl forscht an der Universität Wien über Zusammenhänge zwischen Medien, Politik und Demokratie. Wieso wir alle eine verzerrte Wirklichkeit wahrnehmen und wie das unser politisches Handeln prägt, hören Sie in dieser Folge von Wer jetzt. Lesen Sie hier zwei Stichpunkte. Nicht alle Aufmerksamkeit ist nützlich Wie beeinflusst Berichterstattung unsere Wahrnehmung von Politikern und Politikerinnen? Diese Frage stellte sich Eberl 2016 im Rahmen seiner Dissertation. Als Grundlage dient die Idee von „Media Bias“, neudeutsch für mediale Verzerrungen. Wo entstehen einseitige Tendenzen und wie wirkt das auf Konsument*innen von Nachrichten? Er fokussiert die Untersuchung auf drei Aspekte: „Ich habe mir die Sichtbarkeit von Kandidaten angesehen, die Bewertung, also positiver oder negativer, und als dritter Punkt den ‚Agenda Bias‘: Kommen Politiker bei den Themen zu Wort, bei denen sie eine Meinungsführerschaft haben, wo man weiß, dass man kompetent ist?“. Mit den Daten der Österreichischen Nationalen Wahlstudie AUTNES kann er diese Verzerrung tatsächlich nachweisen. Wenn ein Politiker in den Medien zu den eigenen Themen zu Wort kommen kann, wirkt sich das positiv auf die eigene Wählerschaft aus. Verstärkt wird dieser Agenda Bias noch in Kombination mit guter Sichtbarkeit und positiver Bewertung. „Wer sichtbar ist, wird als wichtiger und kompetenter wahrgenommen. Auch die Bewertung wird oft übernommen, wenn über einen Kandidaten positiv oder negativ geschrieben wird, übernimmt man dieses Framing oft“. Jemand der viel Platz in der Berichterstattung bekommt und noch dazu mit positivem Grundton, profitiert um ein Vielfaches mehr, als jemand der viel, aber negative Berichte bekommt. Eberl sieht darin die These von „There is no such thing as bad publicity“ widerlegt, denn viel schlechte Nachrichten würden Parteien sehr wohl schaden. Die Bewertung der Bewertung Woran macht man gute oder schlechte Berichterstattung aber fest? „Medieninhalte nach ihrer Bewertung zu beurteilen ist fast chronisch eines der schwierigsten Merkmale, das man festhalten kann“, sagt Eberl. Sowohl im Text selbst, als auch bei den wissenschaftlichen Mitarbeitern, die die Bewertung durchführen, können Fehlerquellen auftreten. „Es gibt genug Studien die zeigen, dass wenn man eher links orientiert ist, wird man eher einen negativen Bias gegenüber rechten Parteien haben und umgekehrt natürlich genauso“. Um das zu vermeiden, werden die sogenannten Codierer*innen am Anfang, zwischendurch und am Ende intensiv geschult, um dasselbe Verständnis von positiver oder negativer Tendenz zu haben und aufrecht zu erhalten. Einfache Beispiele sind Beschimpfungen in Leserbriefen oder klares Lob vom Koalitionspartner. Schwieriger wird es in (scheinbar) objektiveren Formaten wie einem Report oder einem Bericht. Abgesehen von deutlichen Formulierungen ist vor allem eines entscheidend: „Worüber berichtet ein Journalist, eine Journalistin überhaupt? Das sogenannte Gatekeeping, also die Entscheidung über zB. einen Sieg oder eine Niederlage überhaupt zu schreiben, ist etwas das Medien voneinander unterscheidet“. In der Themenauswahl können Bewertungen bereits mitschwingen, sagt Eberl. Wer jetzt Bio und Links Jakob-Moritz Eberl ist Kommunikationswissenschaftler an der Uni Wien und forscht zu Politik, Medien und Demokratie.
Das Demokratiezentrum Wien feiert heuer sein 20-jähriges Bestehen. Die Leiterin Gertraud Diendorfer im Gespräch über die Vermittlung des Themas und warum sie es überhaupt nicht für abstrakt oder trocken hält. Starke politische Bildung als Institution, und der lange Weg zur Freude an der Demokratie in Österreich. Lesen Sie hier zwei Stichpunkte aus dem Gespräch. „Ich glaube es wird ein wenig überbewertet, dass Demokratie trocken und spröde und schwierig ist. Je mehr man sich mit dem Thema beschäftigt, umso spannender wird sie. Demokratie bestimmt ja unglaublich das eigene Leben, die Rahmenbedingungen, welche Regeln und Möglichkeiten wir haben“. Diendorfer sagt, dass auch eine zielgruppenorientiere Vermittlung wichtig sei. Kinder und Jugendliche werden anders an das Thema herangebracht als es in einem Workshop für Erwachsene der Fall wäre. Ende der 1990er Jahre entstanden die ersten Pläne für das Demokratiezentrum Wien. Zeitgleich mit der Massentauglichkeit des Internets sieht Diendorfer das Potential: „Das Internet hat ja versprochen, dass Wissen demokratisiert wird, dass man direkt und anders kommuniziert, dass eine neue Öffentlichkeit entstehen kann“. Das war ein Teil der Gründungsgedanken. Gemeinsam mit einem interdisziplinären Team aus vielen wissenschaftlichen Bereichen ist aber auch die Forschung und Vermittlung zentral. „Wir wollten das Demokratiezentrum an der Schnittstelle von Wissenschaft, Bildung und interessierter Öffentlichkeit gründen“. Bei der Vermittlung ist Diendorfer sehr direkt, sie hält es nicht für abstrakt: „Das wird schon so vor sich hergetragen und man scheut gleich zurück. Unsere Gesellschaft ist generell komplex. Jede Anleitung für ein technisches Gerät muss ich mir zweimal durchlesen, bei dem Thema Demokratie will man sich dieser Mühe aber nicht aussetzen. Man soll das aber tun, denn es ist ein lohnendes Unterfangen“. Woher kommt die Demokratieverdrossenheit in Österreich? Diendorfer sieht hier vor allem historische Gründe. Österreich sei eine Gesellschaft ohne Revolution, zwei mitverursachten Weltkriegen und einer fehlenden differenzierten Aufarbeitung dieser Verantwortung. „Von daher hat man politische Bildung sehr verengt als Parteipolitik gesehen und das als Indoktrination gesehen. Auch unsere Demokratiegeschichte ist sehr jung“. Demokratie ist nicht gleich Demokratie Die unterschiedlichen Formen von Demokratie sorgen ebenfalls dafür, dass eine Realisierung und Begeisterung sich nicht von alleine einstellt. „Man kann natürlich zur Wahl gehen und dann den gewählten Vertretern und Vertreterinnen sagen, ihr macht jetzt den Job. Ich vertrete aber eine partizipative Form, wo ich mich engagiere und mitbestimmen möchte. Nur dann, wenn ich selbst Verantwortung übernehme, kann ich mitreden und mitgestalten. Das war in Österreich ein längerer Prozess über Jahrzehnte, dass wir Demokratie immer weiterentwickelt haben“. Um dieses Gefühl voranzutreiben, arbeitet sie gerne mit Ausstellungen, das sie als Lernformat nutzt. Vor allem bei Schülerinnen und Schülern kommt die Interaktion des Formats, ergänzt mit technischen Möglichkeiten gut an. Thematisch bleibt hier auch sehr viel möglich, von Integration, Migration, Demokratie an sich oder das Beispiel von Grundrechten: „Schon als junger Mensch habe ich ja gewisse Rechte und kann mich einbringen. Aber weil so wenig politische Bildung vermittelt wird, weil es auch von der Bildung der Lehrer abhängt, ob es ein Fach gibt oder nicht, wissen Schüler oft nicht Bescheid“. Die zweite Schiene, die Diendorfer für wichtig hält, ist daher eine stärkere Institutionalisierung der politischen Bildung, um weniger von einzelnen Schulen, Lehrer*innen und Lehrplänen abhängig zu werden.
Judith Kohlenberger widerlegt im Gespräch mit Philipp Weritz gängige Mythen zu Migration und Integration. Was bewegt Menschen dazu, ihr Land zu verlassen? Die Kultur- und Sozialwissenschaftlerin liefert Fakten und erklärt Zusammenhänge, die nicht ersichtlich scheinen auf den ersten Blick. Lesen Sie hier zwei Stichpunkte aus dem Gespräch und hören Sie die Episode in ganzer Länger überall, wo es Podcasts gibt. „Möchten Sie in den nächsten 5 Jahren das Land verlassen?“ Migration ist keine Dynamik, die sich mit Aktion-Reaktion adäquat beschreiben lässt. Schlagwörter wie „Seenotrettung erlauben/verbieten“ oder „Hilfe vor Ort“ prägen zwar die Berichterstattung, greifen aber zu kurz, wenn es nach Judith Kohlenberger geht. Es gebe keine empirischen Beweise, dass beispielsweise die Erlaubnis von Seenotrettung eine Steigerung der Migrationszahlen hervorrufen würde. Die Wirklichkeit ist weitaus komplexer, und kein einfaches „Push-Pull“ Modell. Der aktuelle Stand der Forschung spricht vom Aspiration-Capability-Gap. Das sind einerseits klare Wünsche und Intentionen ein Land zu verlassen, oft in den ärmsten Ländern am stärksten ausgeprägt, zum Beispiel in der Subsahara Region. Eine „Aspiration“ (engl. Streben), ein Wunsch, den tatsächlich der Großteil der Bevölkerung hegt. Dem gegenüber steht jedoch die Realität der „Capabilities“, also der Fähigkeiten. Aus dieser Differenz ergibt sich der Name des Modells. „Habe ich überhaupt die Möglichkeit, das Land zu verlassen? Da spielen finanzielle Ressourcen genauso eine Rolle wie Bildung, persönlicher Horizont, Infrastruktur – gibt es überhaupt die Reisemöglichkeiten?“. Diese Einschränkungen gelten besonders in Ländern der Südhalbkugel. „Weil ihnen einfach die Ressourcen fehlen, vor allem für internationale und transkontinentale Migration über weite Strecken“. Vor allem die Corona-Pandemie habe bewiesen, dass der Kontinent mit der höchsten Mobilität der globale Norden ist: „In Europa und Nordamerika findet die meiste Mobilität statt, weil die Menschen die Ressourcen haben“. Das Einkommen hat den größten Einfluss auf die Capabilities. „Man hat den Wunsch zu emigrieren, kann es sich aber salopp gesagt nicht leisten“. Wenn schon nichts Gutes, dann etwas Neutrales Viele Methoden würden in der Politik eingesetzt, um das Streben nach Migration möglichst zu senken. „Dieses Schreckensszenario der Migration: Kann es überhaupt die Lösung oder Hoffnung sein, Migration komplett gegen null zu bringen? Das würde ich mal an sich hinterfragen. Wenn nicht positiv, dann sollte sie zumindest neutral gesehen werden. Migration ist eine Grundkonstante der menschlichen Entwicklung“. Die metaphorische Karotte vor der Nase und überschätztes Allheilmittel sei die Hilfe vor Ort: „Wir wollen die Menschen nicht herholen, aber wir schicken Hilfe vor Ort. Mittlerweile weiß man aber aus der Forschung, dass etwa Entwicklungszusammenarbeit im ersten Schritt den Migrationsdruck nicht senkt, sondern steigert“. Wie erklärt Kohlenberger dieses Phänomen? „Die Länder mit den höchsten Migrationsvolumen weltweit sind die Türkei, Marokko oder die Philippinen, also solche mit einer mittleren Einkommensschwelle. Länder mit niedrigem durchschnittlichem Einkommen haben ein relativ geringes Migrationsaufkommen, da sie keine finanziellen Ressourcen haben. Mit steigender Entwicklungszusammenarbeit steigen diese, aber nicht gleichzeitig die Lebensqualität im Land selbst“. Dadurch komme es im ersten Moment sogar zu einem Anstieg der Menschen, die es sich nun leisten können, das Land zu verlassen. Sie fügt aber auch hinzu: „Das soll kein Argument gegen Entwicklungshilfe sein, aber die Effekte auf sollen transparent kommuniziert werden“.
Peter Grabner bildet Menschen für den politischen Betrieb aus, abseits von Parteiakademien. An der FH Campus Wien leitet er die Studiengänge für „Führung, Politik und Management“ sowie „Digitalisierung, Politik und Kommunikation“. Im Gespräch über das Handwerk Politik, die Brücke zu Technologie und wie man Komplexität reduziert. Wie vermittelt man Politik als Handwerk? Vor 8 Jahren stellte sich Peter Grabner diese Fragen, als er mit einem Team an einem neuen Studiengang arbeitet. Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass einerseits politische Akademien und andererseits wirtschaftliche Ausbildungen das lehrten, was der jeweils anderen Seite fehlte. „Die Frage ist auch, ob man das überhaupt lernen kann? Diese Frage ist am Anfang der Curricular-Entwicklung gestanden. Ich habe sie auch nicht allein beantwortet, sondern mit Menschen aus der Verwaltung, dem politischen System, die sich für demokratische Prozesse interessieren“. Ganz praktisch brauche es die drei Säulen Führung, Management sowie das politische Handwerk. „Wenn du heute Spitzenpolitiker oder Spitzenentscheider werden willst, musst du in der Lage sein modern zu führen. Das heißt, Komplexität zu bewältigen und das schafft man nicht, in dem man permanent versucht alles persönlich zu kontrollieren“. Das bedeutet einen Fokus auf persönliche Entwicklung, denn „Persönlichkeit ist kein Schicksal“. Sie hängt daran, dass sich Menschen begegnen, an Beispielen lernen können und Platz zum Reflektieren haben. „Vor der Erziehung kommt die Beziehung, an das glaube ich zutiefst. Es ist auch eine Grundsatzfrage, ob Menschen sich ändern können. Ich glaub an das, sonst wäre ich im falschen Beruf“. Daneben braucht es ein Verständnis für Organisationskultur. Genauso wenig wie Persönlichkeit einfach geschieht, müsse auch Kultur aktiv geformt werden, um von ihr zu profitieren. Zu guter Letzt sieht Grabner auch die Übersetzungsleistung als essentiell: „Wie wird aus politischer Willensbildung Verwaltungshandeln? Da brauchst du gute Leute, und in diesem Werkzeugkoffer ist es geschickt, wenn Budgetanalyse, Managementsysteme und prozessuales Denken vorhanden sind“. Die (un)komplizierte Welt Grabner hat vor seiner Tätigkeit als Studiengangsleiter zu Komplexität, Risiko und Managementsystemen geforscht. Ist unsere Welt tatsächlich komplizierter geworden, oder ist das Gefühl der kollektiven Überforderung und Informationsflut ein Phänomen der Gegenwart? „Nein, unsere Welt ist nicht komplizierter geworden“, sagt er. Auch früher mussten Entscheidungen getroffen werden, die nicht alle Informationen zur Verfügung hatten. Natürlich müssen neuen Technologien Rechnung getragen werden, dafür habe er auch den zweiten Studiengang Digitalisierung, Politik und Management gegründet. Allerdings sieht er das nicht im direkten Berufsfeld eines Politikers, einer Politikerin. „Unsere Welt wird zunehmend technologisiert, und jemand technische Projekte leiten kann und die Implikationen für Gesamtsysteme übersetzen kann, wird immer mehr gebraucht“.
Zwischen Wissenschaft und Politik besteht seit jeher ein Spannungsverhältnis. Wir fordern von der Politik faktenbasierte Entscheidungen - was bei komplexen Themen wie Migration, Klimawandel oder neuen Technologien nicht so einfach ist. Wie stark soll sich die Forschung in die Politik einbringen, und wie weit lässt die Politik das zu? Ist wissenschaftliche Expertise immer wertfrei? Wie viele Fakten darf die Politik ignorieren?
Die Mitgründerin und strategische Direktorin von „Politics for Tomorrow“, Caroline Paulick-Thiel schafft Innovation im öffentlichen Sektor in Deutschland. Wie Design und Verwaltung miteinander funktionieren und warum wir unser Verständnis von Politik schärfen müssen. Eine Frage der Definition Bevor man die Politik von morgen definiert, muss es ein klares Verständnis geben, über welche Art von Politik wir sprechen, sagt Paulick-Thiel. „Wie definieren wir das für uns? Geht es um Parteipolitik, Lebenspolitik, Politik in Organisationen oder öffentlichen Institutionen?“ Die Politik als solches gibt es nicht, daher greift sie auf die politikwissenschaftliche Einteilung in Politics, Polity und Policy zurück: „Politics sind die Prozesse mit denen wir zu Policies kommen. Wie treffen wir Entscheidungen, um zu neuen Rahmenbedingungen und zu neuen Institutionen, also Polity, zu kommen?“ Als Organisation fokussieren sie sich nicht auf Policies, also Inhalte, sondern bleiben bei den Politics als Prozessen. „Wie kann man das besser betrachten, besser organisieren und Perspektiven einbringen, wo wir blinde Flecken haben, die wir bisher vergessen haben?“ Das beinhaltet nicht nur Personengruppen, sondern auch „commons“, also Gemeingüter. „Wie können wir in Wien die Wiener Luft an den Tisch bekommen? Entitäten, die maßgeblich für unsere Lebensgrundlage entscheidend sind mit an den Tisch holen?“. Wie repräsentiert man etwas, das nicht repräsentierbar ist? „Dazu gibt es unterschiedliche Ansätze, wie man so etwas legislativ macht. Michel Serres hat in seinem Buch „Der Naturvertrag“ Vorschläge gemacht, wie man Natur legislativ repräsentiert. Es gibt über Ombudsansätze, wo eine Person Natur repräsentiert. Wir arbeiten seit diesem Jahr auch mit systemischen Aufstellungen, wo wir zum Beispiel den Umgang von Verzicht oder Gemeinwohl mit in den Denkraum und den körperlichen Raum holen. Über Dinge sprechen, die unsichtbar sind, aber die uns alle betreffen“, erzählt Paulick-Thiel. Wie kommt dieser Ansatz in der Praxis an? „Wir arbeiten aktuell in Deutschland mit einem diversen Netzwerk an Einzelpersonen, die sehr offen sind und in ihren Institutionen Veränderung anstoßen. Der Übergang von individueller Leistung zu organisationaler Kapazität stellt dabei eine große Hürde dar“. Die Knackpunkte, die oft verhindern, dass neue Prozesse in der Verwaltung ankommen, liegen auf rechtlicher, organisationaler und bürokratischer Seite. Man müsse neue Routinen auf einer hohen Ebene erreichen, um einer kritischen Masse an Beamten Zugang zu geben, argumentiert sie. Infrastruktur für die nächste Generation Auch in Deutschland sei in den letzten Jahren die folgende Botschaft angekommen: „Der öffentliche Sektor ist mit Herausforderungen konfrontiert, die sich nicht ohne Kreativität, Kooperation und neue Arbeitsansätze lösen lassen“. Die Frage sei bei Führungskräften angekommen, auch in der Hinsicht, das Potential der vielen Mitarbeiter des öffentlichen Sektors zu nutzen. „Darin sehe auch unsere Aufgabe: Räume aufzumachen, Infrastrukturen für eine nächste Generation aufzubauen, um sich zu entfalten. Dinge anzugehen, die junge Menschen maximal bewegen, aber auf die unsere öffentlichen Systeme nur minimale Antworten darauf haben“.
Martina Handler ist Politikwissenschaftlerin Mediatorin und Leiterin für Partizipation am ÖGUT-Institut. Im Gespräch mit Philipp Weritz über gesellschaftliches Lernen, wie eine Kluft zwischen Politik und der Bevölkerung entstand und was Beteiligungsmethoden dabei helfen können. „In der Art des Umgangs entsteht die Qualität des Miteinanders“. Martina Handler ist eine große Fürsprecherin von Beteiligungsprozessen. Mit der Plattform partizipation.at hat sie ein umfassendes Informationsangebot erstellt und schildert dort ihre Erfahrungen aus der Praxis. Was macht erfolgreiche Beteiligung aus? „Ein klares Ziel, Klarheit über die angestrebten Ergebnisse, Transparenz im Informationsfluss und Handlungsspielraum. Ganz klar auch: Was wird mit den Ergebnissen im Anschluss passieren?“ Oft wird Beteiligung von politischen Gremien bestellt und sie müsse den Verantwortlichen oft ein Commitment abringen. Vor allem, da Beteiligung immer noch ein ehrenamtliches Engagement ist, fordert sie das mit einem Blick auf die Zeit: „Ich als Begleiterin dieser Prozesse achte immer darauf, dass wir die Zeit so viel wie nötig aber so wenig wie möglich beanspruchen. Für Politik und Verwaltung ist das bezahlte Arbeit, für die Bevölkerung ist das Freizeit“. Erste Prozesse sehen den Wert dieses Engagements als Dienst am Gemeinwohl und entlohnen daher. Das hat auch den zusätzlichen Nutzen, einen diverseren sozioökonomischen Schnitt an den Verhandlungstisch zu bringen. „Was darf Demokratie kosten?“, fragt Handler. Selbst die Politik sei immer wieder überrascht von der Qualität der Ergebnisse: „Damit hätten wir nicht gerechnet, dass ‚einfache Bürgerinnen‘ so etwas erarbeiten können“. Diese Überraschung kommt nicht von irgendwo. „In den letzten Jahren und Jahrzehnten habe ich beobachtet, wie es immer mehr Misstrauen gibt zwischen Politik und Bevölkerung. In beide Richtungen“. Bürgerinnen die Politiker pauschal verurteilen, und politisch Verantwortliche, die in Beteiligungsprozessen nur Stereotypen sehen. Diese Kluft des Vertrauens hat der deutsche Verwaltungswissenschaftler Helmut Klages erforscht, mit dem Resultat, dass institutionalisierte Partizipation sie wieder schließen könnte. Falscher Ort und falsche Absicht Gibt es auch Gelegenheiten, wo keine Form der Beteiligung sich eignet? Inhaltlich sei Beteiligung für fast alles zu verwenden, meint Handler. Komplett fehl am Platz ist sie nur, wenn sie am falschen Ort oder mit der falschen Absicht eingesetzt wird. Das kann zweierlei Form annehmen: 1. Kein ernsthaftes Angebot. „Oft wird Beteiligung nur angeboten, weil sie en vogue ist“. Das fällt für sie unter das Stichwort Pseudopartizipation und habe nur den Zweck, die Bürgerinnen und Bürgern ein Gefühl der Wirksamkeit zu geben, jedoch nicht mehr. Genau diese Augenauswischerei führe oft dazu, dass Partizipation als zahnloses Instrument wahrgenommen wird und sich die Bevölkerung trotz Beteiligung außen vorgelassen fühlt. 2. „Beteiligung ist kein Selbstzweck. Es geht nicht darum, möglichst viele Menschen möglichst lange beschäftigt zu halten“. Kombiniert man das mit einem kleinen Handlungsspielraum, ist der Misserfolg vorprogrammiert. Bürger und Öffentlichkeit Partizipation und Beteiligung verwendet sie synonym. Handler unterscheidet jedoch zwischen Bürgerbeteiligung und Öffentlichkeitsbeteiligung. Bei letzterem sind die Bürgerinnen und Bürger ein Stakeholder von vielen, mit organisierten Interessen, von Wirtschaft über Umwelt bis zu Sozialem. „Ich mache das nicht von der Anzahl der Menschen abhängig, Öffentlichkeitsbeteiligung hat nicht diesen Aspekt von Größenordnung“. In dem Moment wo die Betroffenen über die reine Bevölkerung hinausgehen, ist es für sie eine Form von involvierter Öffentlichkeit.
Das ist die Frage des ersten Demokratie21 Expert*innen Rundrufs - Hör- und lesbare Perspektiven über Gegenwart und Zukunft unserer Demokratie - aus Politik, Journalismus, Wissenschaft, der organisierten Zivilgesellschaft und der Verwaltung. Einen Monat vor der US-Präsidentschaftswahl 1944 wies Franklin D. Roosevelt in einer Ansprache republikanische Versuche, fast zwei Drittel der Soldaten und große Teile der amerikanischen Bevölkerung vom Wahlrecht fernzuhalten, zurück, denn Wahlen seien der sicherste Schutz gegen die Schwächung der Demokratie. Auch und vor allem in schwierigen Zeiten, wie etwa während eines Weltkrieges. Demokratie ist wie ein Kartenhaus. Langwierig im Aufbau und leicht kaputt zu machen. Auf wie viele Wesenszüge einer Demokratie können wir oder dürfen wir während einer Krise verzichten? Hier sind Antworten, die wir dazu bekommen haben.
Roland Gruber hilft mit seinem Architekturbüro nonconform, einen Ort vor dem Aussterben zu bewahren oder einen Versuch der Wiederbelebung einzuleiten. Ein Gespräch über kritische Punkte im Ortssterben, warum es Kümmerer braucht und lässige Zukunftsreisen. Nehmen wir an, eine kleine Gemeinde kämpft mit Leerständen und schrumpfenden Bevölkerungszahlen. Was sind die ersten Schritte, die man entgegensetzen kann? „Als allererstes stelle ich Fragen: Wer ist Bürgermeister? Um welchen Ort handelt es sich? Welche Geschichte hat er? Warum stirbt er aus?“ Fragen die wehtun, gehören genauso dazu. „Welche Punkte im Ort tun weh? Aus einem Leerstand kann schnell ein Flächenbrand werden“, sagt Gruber. Viele Bürgermeister*innen würden erst beginnen, sich an ihn zu wenden, wenn die kritische Masse an Herausforderungen (zu) groß wird. Viel interessanter und spannender sei es, wenn die Lage zuvor entschärft werden kann: „Wir müssen uns jetzt kümmern, weil sonst wird es passieren“. Ein Faktor ist auch die Größe: „Je kleiner die Orte sind, desto mehr menschelt es, und desto eher hängt es von den Personen ab, die dahinterstehen“. Es braucht konkret zwei, drei Leute, die ähnlich denken und auch mit anpacken wollen. Nach all diesen Fragen entsteht ein Bild, das eine mögliche zweite Phase einläutet. „So könnte ein Weg aussehen. Manchmal muss man auch sagen 'Sorry, aber das wird nichts'. Jeder Meter wäre ein verlorener Weg, weil es nicht angenommen wird, oder der Punch fehlt. Solche Momente gibt es oft genug.“. Eine Reise in die Zukunft Ist der Wille da und noch nicht alles zu spät, geht es um Dynamiken: „Für die Arbeit mit Kommunen ist das ein wichtiges Thema: Man muss die Akteurskonstellation verstehen, mit der man es zu tun hat, erst dann kann es weitergehen“. Das ist eine Reise in die Zukunft, auf die man sich einlassen muss. Ein typisches Beispiel sei ein kleiner Ort mit fünf bis sieben Leerständen, Nahversorger die am Ortsrand sind, eine Straße die mehr umfährt als durch das Zentrum zu gehen, eine „gewisse trostlose Atmosphäre“. Dann hängt es vom Commitment und dem Bekenntnis aller Akteure ab, umfassend und mutig nachzudenken. „Wie gestalten wir diesen Ort - der nicht im Einzug eines Ballungszentrums liegt - in den nächsten 10 Jahren?“ Das braucht neue Ideen und vor allem zu Beginn einen Wow-Effekt. „Man braucht diese fünf Leute, die es ziehen, aber du brauchst mehr. Du musst es in die Breite bringen“. Beteiligung darf und muss auch Spaß machen, meint Gruber. „Das soll etwas Festival-Ähnliches sein. Offen, lässig und nicht retro“. Nach diesem ersten großen, gemeinsamen Prozess, entsteht ein Ziel und ein Wunschbild, das jetzt mit harter Arbeit umgesetzt wird. Umsetzen und Kümmern Dieses Wunschbild besteht aus 50 bis 100 Dingen, die man umsetzen sollte in den nächsten Jahren. Einer der wesentlichsten Erfolgsfaktoren, ist eine Person, die sich dem annimmt. „Wir nennen diese Menschen Kümmerer. Sie haben oft eine große Karriere hinter sich, haben internationale Erfahrungen sammeln können, sind Multitalente und kehren nach 20 bis 25 Jahren zurück in ihren Ort“. Sie benötigen gute Organisation, Kommunikation, Durchsetzungsfähigkeit und Fingerspitzengefühl. Ihre Arbeit ist vielfältig und hart: Bauliche Aspekte managen, neue Treffpunkte erzeugen, Orte aufsperren oder neue Formate erfinden. „Man kann nicht davon ausgehen, wenn es ein Zukunftsbild gibt, dass das von selbst kommt. Wenn wir das in Papier festhalten, brauche ich wirklich konkrete Handlungsanweisungen und Vornamen und Nachnamen, die dahinterstehen und das machen“. Hören Sie mehr darüber und wie das am Beispiel Trofaiach in der Steiermark funktioniert im Podcast.
Rebekka Dober vertritt mit YEP die Stimme der Jugend. In Schulen, Vereinen und Unternehmen veranstaltet sie partizipative Prozesse, um die Perspektiven von jungen Menschen einzubringen und sie so zu ermächtigen. Warum Schulausflüge der Beginn von Demokratiebegeisterung sein können, und wie ein Moment der ungeteilten Aufmerksamkeit von Alexander van der Bellen für Inspiration gesorgt hat. „In jedem Fach in der Schule hören wir meistens nur, wie schlecht die Welt ist. Wir wissen immer, welche Herausforderungen es gibt, aber wir hören nicht, was wir dagegen tun können“. Es liegt oft nur an dem fehlenden (Selbst)Bewusstsein, sagt Dober. „Wenn man die Menschen fragt, mitgestalten lässt und ihnen eine Möglichkeit dazu gibt, dann wollen sie auch“. „Ich glaube, dass man mit Bildung was verändern kann. Ich bin sehr viel gereist und es ist egal wo man hinkommt, ob Indien, Russland oder Kolumbien. Überall sagen die Menschen, dass sie bei Bildung ansetzen würden, um wirklich etwas zu verändern.“ Kinder und Jugendliche seien noch nicht in Denkmustern gefangen und denken noch mehr „out-of-the-box“, so kann Neues entstehen. Diese Gedanken bildeten die Basis für YEP: Jungen Menschen beweisen, dass sie etwas verändern können, und sie mit den entsprechenden Fähigkeiten auszustatten. Denn egal was für einen Ansatz man hat, man braucht das passende Bildungsangebot, um ihn umzusetzen, meint Dober. Unternehmerisches Denken, Marketing oder ein Finanzkonzept brauche jede Idee. Trick 17 Menschen glauben, dass ihr Handeln dann wirksam ist, wenn sie erlebt haben, dass ihr Handeln etwas bewirkt. In Kombination mit einem abstrakten Thema wie Demokratie ein umso schwereres Unterfangen. Wie kann man dieser Zwickmühle zuvorkommen? „Demokratie ist etwas, das du erfahren musst. Das ist erfahrungsbasiertes Lernen!“. Sie gibt das bekannte Beispiel vom Schulausflug: „Wenn die Schüler tatsächlich mitbestimmen dürften - das passiert so selten - würde aber einen Riesenunterschied machen. Du musst wählen, alle Interessen inkludieren, ausrechnen was es kostet, wie kommst du hin? Das ist Demokratie, wenn du merkst, wenn ich was verändere, dann verändert sich was“. Oft scheitere es bereits daran, dass Jugendlichen nicht genug zugetraut werde, oder nur die ermutigt werden, die bereits aus stabilen sozioökonomischen Verhältnissen stammen. Sie bemüht sich, alle in diesen Ermächtigungsprozess mitzunehmen. Die andere Seite Dober geht mit ihrem Programm nicht nur in Schulen und Vereine, sondern auch in Unternehmen. Ein Betrieb, der beispielsweise dringend Lehrlinge benötigt, kann so die Perspektive von jungen Menschen verstehen. Warum bricht jemand eine Lehre ab? Was trägt zum Gefühl bei, willkommen zu sein? Das nicht als eine Einbahnstraße zu sehen, ist dabei der Schlüssel zum Erfolg. „Ein Jugendlicher soll seine Lehre durchziehen, sonst verliert das Unternehmen Geld und er fühlt sich ‘disempowered‘, wenn er merkt, hier nicht zu passen“.
Halten Politiker*innen ihre Wahlversprechen öfter als gedacht? Warum wird nach einer Legislaturperiode der Juniorpartner in Regierungen eher abgestraft? Kathrin Praprotnik im Gespräch mit Philipp Weritz über den Zustand österreichische Demokratie und was die Arbeit des Austrian Democracy Lab dazu beiträgt. Hier lesen sie drei Stichpunkte aus dem Gespräch. 2000 Versprechen unter der Lupe Im Zuge ihrer Dissertation untersuchte Praprotnik die Versprechen, die Parteien im Wahlkampf gaben. Wie viele davon waren am Ende einer Regierungsperiode umgesetzt worden? „Wenn ich erzählt habe, dass ich dazu forsche, kam immer die Antwort ‘Es wird sowieso nichts umgesetzt.‘ Das war auch meine Motivation zu fragen, ob das wirklich so ist“. Das Ergebnis war, dass 50-60 Prozent umgesetzt oder zumindest zum Teil umgesetzt werden. Für Praprotnik trotzdem ein beachtlicher Wert: „Parteien, die in einer Regierung zusammentreten, tun das in einer Koalition. Sie müssen also immer Kompromisse finden“. Die öffentliche Meinung, dass Wahlzuckerl nur das bleiben, wurde also relativ klar widerlegt. „Das hat mir auch gezeigt, was Wissenschaft können muss und können soll: Über schnelle, vorgefertigte Meinungen hinwegsehen und eine empirische Grundlage für den öffentlichen Diskurs zu liefern“. 2000 Wahlversprechen hat sie untersucht, jedes einzelne ein kleiner Mosaikstein im großen Bild. „Man lernt sehr viel über die Programmatiken von Parteien. Wie lang gewisse Forderungen bestehen, welche sich wiederholen, woher sie kommen und wie sie schlussendlich umgesetzt werden“. Das bestimmt die Rahmenbedingungen der repräsentativen Demokratie „und erklärt letztlich die Bedingungen, in denen wir alle leben“. Regieren oder nicht regieren? Ein zweiter Aspekt ihrer Forschung waren die „Kosten des Regierens“. Zwei Koalitionspartner, die eine Legislaturperiode beenden und die Frage: Wer wird von den Wählerinnen mehr belohnt bzw. bestraft? „Die Wahlergebnisse der letzten Jahrzehnte zeigen, dass der größere Regierungspartner ein Stück weit weniger verliert, als der kleine Partner. In Österreich war vor allem die Wahl 2002 dafür ein Beispiel, wo die FPÖ auf ein Drittel ihrer Stimmen reduziert wurde“. Auch eine europaweite Studie bestätigt dieses Bild. „Der Juniorpartner hat es schwieriger, sein Profil zu bewahren und zu schärfen und kann in Kombination auch weniger umsetzen. Deswegen wird er nach einer Wahl auch eher abgestraft“, erklärt sie. Was bedeutet diese Erkenntnis für Koalitionsverhandlungen von kleineren Parteien? Ist eine Umsetzung von wenigen eigenen Zielen einen potentiellen Stimmverlust wert? „Das ist die Frage, die sich jede Partei stellen muss. In der Politikwissenschaft unterscheiden wir zwischen drei Zielen: Wählerstimmen, Ämtern und politischen Inhalten“. Vor einer Wahl werde der Fokus klar auf Wählerstimmen liegen, diese stehen auch in einer sehr linearen Kurve zu Ämtern: „Je höher der Stimmenanteil, desto mehr Ämter bekomme ich“. Zufrieden mit Österreich? Das Austrian Democracy Lab ist ein wissenschaftliches Forschungsprojekt der Universitäten Krems, KF-Graz und dem Forum Morgen. Wie steht es um die Zufriedenheit und die Qualität der Demokratie in diesem Land? Mit Christina Hainzl leitet Praprotnik das ADL, sie forschen zu Wahlrecht, Partizipation und Föderalismus. „Die drei Themenbereiche sind unsere Basis um die Qualität, das Verständnis und Reformpotentiale zu identifizieren“. Partizipation hält sie für das entscheidende Merkmal: „Wie stehen einzelne Bürgerinnen und Bürger zur Demokratie? Unterstützen sie sie, machen sie mit? Wenn ja, ist das System viel stabiler. Je mehr Partizipation, desto mehr Demokratie“. Wahlen seien nur der Ausgangspunkt, das Wahlrecht, die Beteiligung am Diskurs, die Nutzung direktdemokratischen Elementen und die simple Frage, wann jemand (nicht) bereit ist, mitzumachen sind dringende Fragen. „Warum verwenden Menschen ihre wenige Zeit um einen Beitrag zur Demokratie zu leisten? Was motiviert zur Partizipation?“. Das und me
Der Public-Affairs-Berater Andreas Kovar erklärt wieso und wo Politik konstruktiver ist als gedacht und wie man Inhalte von gesellschaftlicher Relevanz findet. Hier lesen sie zwei Stichpunkte aus dem Gespräch. Am richtigen Fuß erwischt werden Kovar erzählt, dass seine Projekte und Kontakte oft aus Bestehendem gewachsen sind: „Fast immer hat eines zum nächsten geführt“. Ein Beispiel ist die Arena Analyse, eine Methode die das Ziel hat zukünftige gesellschaftliche, wirtschaftliche oder politische Entwicklungen zu identifizieren. Im Gespräch mit dem CEO der Post AG, fragte dieser 2003, wie können wir es verhindern, von großen Themen nicht am falschen Fuß erwischt zu werden? „Wir haben uns ein Jahr lang schlau gemacht. Wie gehen Institutionen wie Versicherungen, Militär, Kirchen oder Regieren mit strategischer Früherkennung um?“. Das Ergebnis ist vergleichsweise simpel, man muss mit Insidern reden. „Damit kann man zwar keine Zukunftsforschung betreiben, aber man weiß, was hier und heute passiert. Das ist aber nicht das, was in der Öffentlichkeit diskutiert wird“. Politik und Medien würden sich zwar gerne als Avantgarde und Vorreiter geben, in Wirklichkeit laufen sie aber immer gesellschaftlichen Entwicklungen hinterher. Seit 2006 wird einmal jährlich die Frage gestellt „Was blüht uns morgen?“, sagt Kovar. Eine Beobachtung, die ihm seit damals aufgefallen ist, ist das Tempo von Veränderungen: „Die Entwicklungen gehen nicht so schnell, wie man denkt, diese Langsamkeit ist erstaunlich. Klimawandel ist seit den 80er Jahren ein Thema, medial hat es aber erst vor zwei, drei Jahren richtig begonnen“. Praktisch gesehen fragt das Team 50-100 Expert*innen, welche Dinge sie aktuell beschäftigen, die in der Öffentlichkeit noch keinen Raum finden oder mehr Beachtung benötigen. Wie identifiziert man Menschen, die Themen von morgen identifizieren? „Wir versuchen ein Thema möglichst vielfältig anzugehen, um so blinde Flecken auszuschließen und keine Verzerrungen zu erleiden. Politiker sind ausgeschlossen, denn die erzählen was sie gerne erreichen würden. Auch Journalisten fragen wir nicht, denn die erzählen was in den letzten Wochen in den Medien diskutiert wurde“. Gute Beobachter, die keine Themen verkaufen wollen, fasst er zusammen. Konfrontation versus Kooperation Die aktuellste Ausgabe der Arena Analyse behandelt das Thema Konstruktive Politik. Dabei ist es nicht um die Frage gegangen wer konstruktive Politik betreibt, sondern welche Experten ein mehr oder weniger an Konfrontation und Kooperation bemerken. An den Orten abseits der politischen Großbühne, wo die tatsächliche Arbeit stattfindet. „Hätte man nur die Medien analysiert, wäre man zu dem Schluss gekommen, dass es sehr viel mehr Konfrontation gibt. Man hätte das auf die neue Regierung 2017 zurückgeführt oder auf die Wahl von Trump. Was in den Medien aber nicht steht, ist, dass es deutlich mehr Kooperation gibt“. Kovar erzählt, dass die Überlegung aufkam, ob dies nicht durch das eigene Verhalten verzerrt worden war. „Wir arbeiten an Lösungen, nicht am Verhindern. Daher sind wir auch oft mit Leuten in Kontakt, die Lösungen finden wollen“. Schlussendlich kam aber ein interessantes Fazit dabei heraus: Die Art der Konfrontation hat sich verändert. Politiker verschiedener Couleurs würden auch länderübergreifend zusammenarbeiten, während solche, die im selben Wählerteich angeln, sich schwerer tun. „Aber sogar das stimmt nicht immer. Auf regionaler Ebene wird ein konstruktives Umfeld sogar erwartet und auch belohnt“. Tendenziell lässt es sich konstruktiver arbeiten, je weniger man im Rampenlicht steht. „Im Spotlight ist es oft schwierig konstruktiv zu agieren. Wenn keine Kameras da sind, verhalten sich die Leute ganz anders“.
Ehrenamt will gelernt sein Ein Gründungsservice für Freiwilligenprojekte, beschreibt Pabst die Akademie der Zivilgesellschaft in einem Satz. Die Idee kam gemeinsam mit den Flüchtlingen im Sommer 2015: „Alle hatten den Wunsch zu helfen! Nicht nur als Bewohner Wiens, sondern auch als Wiener Volkshochschulen dachten wir nach, wie wir das bewerkstelligen“. Statt der direkten Umsetzung von Ideen blieb die VHS bei dem, was sie am besten kann, nämlich der Bildung. Statt einen Kochkurs zu veranstalten, wird unterrichtet, wie man einen Kurs organisiert: Projektmanagement, Teamkoordination, Teamleitung, Zeitmanagement und Kontakte sind die Inhalte. „Bei jedem neuen Projekt denken wir nach welches Magistrat, welcher Verein oder Institution könnte helfen? Wir vernetzen diese Menschen, damit das nicht voneinander abgelöst ist“. Der erste Lehrgang begann 2016: „Pionierphasen sind immer stressig und cool. Es gab so viel Nachfrage, dass wir zwei Stück parallel gestartet haben“. Auch das Programm hat sich seit damals differenziert, heute sind die Kurse zweigeteilt: „Die eine Gruppe entwickelt ihre Ideen von Null weg, der nächste Kurs baut darauf auf. Fortgeschrittene Gründer können ihre bestehenden Projekte reorganisieren und vermischen sich mit Menschen aus dem ersten Kurs“. Landleben und Kommerz Bei den Projekten geht es um echte Partizipation, parteipolitische Nähe ist nicht erwünscht. „Ich komme aus dem Dorf, und wenn man etwas haben wollte, dann musste man das machen. Egal ob ein Ball, ein Kräutergarten, eine Bank. Es gab keine Stelle wo wir anrufen konnten und sagen ‚Macht das bitte!‘, sondern man musste es selbst machen“. Einer der Vorteile vom Leben am Land, wie sie sagt. „Es wird gesehen, man bekommt Anerkennung, weil ich das tun kann und tun muss“. Das ist auch das Schöne am Ehrenamt im Einzelnen. Jemand der in einer Masse aufgehen möchte, kann sich immer noch in einer großen Freiwilligenorganisation betätigen. „Wir sprechen aber Gründungspersönlichkeiten an. Wir möchten die, die in ihrem Grätzl trockene Bäume sehen, und fragen, wie können wir die gießen oder neue Bäume besorgen“. Die Auswahl der Bewerber ist streng, was die Abgrenzung zu kommerziellen Zielen angeht. „Im ersten Lehrgang hatten wir Leute dabei, die das aus einem kommerziellen Zweck betrieben haben. Sie wollten ihre Informationen nicht teilen, weil das einen Geschäftsvorteil darstellt. Die ehrenamtlichen Teilnehmer gingen großzügig mit Informationen um, was die Gruppe stärkte“. Seitdem werden solche Bewerber nicht mehr zugelassen. Erlaubt, verboten, erwünscht „In unserer Kultur ist das Denken, was nicht erlaubt ist, ist verboten, leider. Man sollte denken erlaubt ist alles, was nicht verboten ist. So ticken wir nicht und es gibt aber viele Menschen, die gerne etwas tun wollen“. Das ist ein Grunddilemma in der Haltung vieler, die sich mit eigenen Projekten beschäftigen oder mit Ideen für Freiwilligenarbeit spielen. Pabst erzählt von einer Gruppe von 70-jähriger Damen, die an einem Café arbeiten wollten, aber sich einfach nicht als Gründerinnen sahen. Die fertigen Ideen reichen von Stammzellenspenden, Straßenkunst, Pflege, Ernährung, Nachbarschaft zu Flüchtlingen und vielem mehr. „Der soziale Ansatz war zwar der Start aber nie der alleinige Fokus. Im Anschluss kamen Demokratie, Kultur, Bildung, jetzt ist Ökologie ein Thema. Es gibt uns noch nicht lange, aber trotzdem merken wir Moden“. Die einzigen inhaltlichen Voraussetzungen sind nicht kommerziell und es die Förderung zum guten Zusammenleben in Wien beitragen. Gut ist subjektiv, das weiß Pabst, aber da die Stadt Wien das finanziert, müssen die Früchte der Arbeit lokal spürbar sein.
Die diesjährige Innocracy Konferenz fand unter dem Motto "Democratic Transformations“ statt: Wie gestalten wir eine nachhaltige und inklusive Gesellschaft? Demokratie21 war als Partnerorganisation geladen, Teil eins dieser Zusammenarbeit ist der Livepodcast zur Zukunft der Institutionen. Hier folgt Teil zwei mit Lorena Jaume-Palasi. Sie ist Gründerin von The Ethical Tech Society und sprach über Algorithmen, Automatisierung, künstliche Intelligenz und den Einfluss auf Demokratie. Hier lesen Sie drei Stichpunkte: Verzerrungen und Übersetzungsprobleme „Ich versuche zu verstehen, wie die Interaktion zwischen Menschen und Technologie funktioniert“. Technologien werden zwar immer in einer mathematischen Sprache geschrieben, aber die Umstände der Menschen, die sie programmieren, bleibt dabei oft unbeachtet: „Welche Annahmen über die Welt, welche Vorurteile, welche Vorstellungen haben wir?“ Daraus entstehen schnell unbewusste Verzerrungen, sie erwähnt ein Beispiel. Eine Schülerin mit schwarzer Hautfarbe hatte von Lymekrankheit gelernt. Diese Infektion hinterlässt ein Muster auf der Haut, Bilder aus Schulbüchern oder von Google zeigten nur Menschen mit heller Hautfarbe. „Das zeigt unsere Ausgangsposition. Mit welchem Duktus beginnen wir zu forschen, zu katalogisieren und zu visualisieren?“. Jeder der aus dem Raster fällt, kommt entweder gar nicht, oder zum Schluss dran. In diesem Beispiel aus der Medizin, gab es kein Erscheinungsbild einer Krankheit für Menschen mit dunkler Hautfarbe. „Wir brauchen eine breitere Palette an Standards. Dazu müssen wir im ersten Schritt auf solche Probleme hinweisen und sensibilisieren“. Neue Dynamiken „Wenn Technologie benutzt wird, wird sie auch angeeignet vom Nutzer. Wir machen alle etwas Anderes damit, als die Entwickler ursprünglich geplant hatten. Das ist eine Form von Mitentwicklung, weil wir sie damit verändern. Technik steht also nie für sich alleine, sie ist in einer Symbiose mit uns“. Durch diese Dynamik entstehen auch Lücken, die niemand sieht, aber gesehen werden müssten, wie das erwähnte Beispiel der Lymekrankheit. Hier setzt die Arbeit der Ethical Tech Society an. Im ersten Schritt, sagt Jaume-Palasi, müsse man an die Quelle gehen: Für dieses Beispiel die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf internationaler Ebene und lokale Gesundheitsorganisationen in Deutschland. Um möglichst große Wirkung zu erzielen, muss die Presse und Öffentlichkeit mitgenommen werden. „Hier handelt es sich um eine Lücke in der Datenbank, das ist aber nur ein mögliches Problem. Andere Technologien würden bereits als Konzept einer starken Verzerrung unterliegen. Es braucht eine gute „Governance“ dieser Daten, Strukturen und Interaktionen. Neue Technologien stellen sich die Frage nach dem ethischen „Sollen wir das tun?“ oft gar nicht, meint sie. Manuelle Arbeit schafft künstliche Intelligenz Jaume-Palasi arbeitet auch mit dem öffentlichen Sektor und der Politik. Wie gehen die Menschen, die dazu Gesetze formulieren und exekutieren müssen, um? „Sehr unterschiedlich. Einerseits herrscht Angst, weil es eine Flut von Daten ist, man nicht weiß, was sie bedeuten und wie man sie in bestehende Verfahren eingliedert. Andererseits herrscht auch eine Faszination: Assistenz, mehr Systematik im eigenen Tun und Effizienz“. Gleich wie im privatwirtschaftlichen Bereich gebe es viele Projektionen und Wünsche, die von einer nüchternen Realität eingeholt werden. „Künstliche Intelligenz braucht viel manuelle Intelligenz. Das heißt Nein sagen, kalibrieren, viel Handarbeit und Aufsicht“. Diese Prozesse unterliegen immer noch der erwähnten Dynamik. Das Muster, das heute noch gilt, kann morgen schon ein neues sein. „Diese ständig notwendigen Korrekturen gegenüber der Maschine implizieren ironischerweise eine Automatisierung der eigenen, menschlichen Arbeit“. Wenn wir etwas automatisieren wollen, übernimmt diese Arbeit nicht die Maschine, sondern Menschen, die wiederum äußerst monotonen Prozessen unterliegen, sagt sie. „Es ist sehr un
Der Politologe erzählt von seinen weltweiten Wahlbeobachtungsmissionen durch Europa, Afrika und Asien: Wie sich ein Wahltag auf den Philippinen anfühlt, welche Taktiken für Wahlbetrug verwendet werden und warum es mehr Wertschätzung für Demokratie braucht. Was macht eine gute Wahl aus? „Jede gute Wahl hängt von einem guten Wählerregister ab“. Welche Daten sind dort genau aufgezeichnet? In erster Linie sind persönliche Daten von Wählern dort vorhanden, je nach Datenschutz mit unterschiedlichen Auflagen. „In Österreich ist das auf Name, Adresse und Geburtsdatum begrenzt, in neu gebauten Wählerregistern sind biometrische Daten vorhanden. Vor allem afrikanische und asiatische Register sind Vorreiter. „In Zimbabwe wurde letztes Jahr nach Beschwerden der Opposition ein Register eingeführt, das auch ein Foto und den Fingerabdruck eines Wählers inkludiert“. Wie wird eine Wahl schlecht? Das Wählerregister ist auch im Falle einer (versuchten) Wahlmanipulation die Ausgangsbasis, sagt Rabitsch: „Wer Zugang dazu hat, kann beeinflussen ob Wählergruppen ausgeschlossen werden oder vermehrt anzutreffen sind“. In vielen Ländern habe er erlebt, dass Wähler der Opposition nicht im Wählerregister aufscheinen, oder die eigenen Parteimitglieder öfter wählen gehen können. Solche Vergehen seien im Nachhinein auch sehr schwer nachzuweisen. Daher ist es für die Bevölkerung, die Wähler und die Parteien essentiell, wenn ein Vertrauen in Demokratie gebildet werden soll: „Ein solides und robustes Wählerregister muss transparent geführt werden und einer ständigen Qualitätskontrolle ausgesetzt sein“.
Eine Entscheidung treffen, statt zu reagieren: Das geht mit bewusstem Leben. Die Achtsamkeitsberaterin im Gespräch mit Philipp Weritz über die Wissenschaft hinter Meditation, was sie Kritikern sagt und warum sie gerne mit Alexander van der Bellen auf einen Kaffee gehen würde. Esberger-Chowdhury war in einer klassischen Konzernkarriere gestartet und fand dort anfangs noch Erfüllung. „Wer keinen Sinn in seiner Arbeit findet, der ist auch nicht exzellent“, sagt sie. Trotzdem war immer eine Art Leere vorhanden. Seit der Kindheit hatte sie erste Erfahrungen mit Meditation und bewusstem Leben gemacht: „Es hieß damals vielleicht nicht Achtsamkeit, sondern Bewusstseinserweiterung oder bewusst Leben“. Damit war die Saat gelegt. Nach der Ausbildung stieg sie in der Pharmabranche und in das Hamsterrad ein. „Karriere machen, Kinder kriegen, Eigentum anschaffen. Man ist mit den Gedanken überall, außer in der Gegenwart. Zum Glück gibt einem das Leben immer Stupser“. Die Sinnfrage wurde wieder lauter, ausgehend von den Gedanken, was mache ich eigentlich da? 2013 steigt sie aus mit der Erinnerung an die Kindheit. „Sich die Sinnfrage zu stellen, ist ein ewiger und langsamer Prozess. Ich bin heute immer noch nicht dort, wo ich gern sein würde“. Meditieren im Parlament Achtsamkeit beginnt immer beim Einzelnen, sagt Esberger-Chowdhury. Das gilt besonders für Politikerinnen und Politikern die davon profitieren können. „Wenn man sich selber besser kennt, wenn man seine Gedankenwelt erforscht und wenn man seine Emotionen kennt und in Schach halten kann! Wenn ich weiß, wie ich verantwortungsvoll damit umgehe, dann bin ich achtsam“. In der Hektik und dem Lärm des politischen Tagesgeschäfts werde oft vergessen, dass auch die Vertreter*innen des Volks nur Menschen sind. „Es muss jetzt nicht jeder Politiker anfangen, zu meditieren, das ist eine persönliche Entscheidung“. Aber das Bewusstsein, Dinge sein zu lassen, zu ruhen und aktiv „nichts“ zu tun, ist vor allem in dieser Branche nicht gern gesehen. Wie kann das in deren Alltag ganz konkret umgesetzt werden? „Bei Politikern ist wichtig zu vermitteln, dass wenn sie sich besser spüren, dann agieren sie anders“. Das habe mit der Tendenz zur Reaktion zu tun, mit negativen Angriffen und mit der Ruhelosigkeit. Achtsamkeit bringt eine Nähe zur Gesellschaft, zum Team, mit dem man sich umgibt. Die „weichen“ Themen wie Empathie und Mitgefühl würden so auch wieder stärker zum Thema werden.
Innovation und Verwaltung sind auf den ersten Blick keine Zutaten, die ein gutes Rezept versprechen. Vorhersehbarkeit und klare Hierarchien auf der einen Seite, Scheitern und Freiraum für Neues auf der anderen Seite. Ursula Rosenbichler und Peter Parycek, die Gründer des GovLabAustria über die Notwendigkeit zu experimentieren und wie der öffentliche Dienst nach 300 Jahren adaptiert werden kann. Innovation mit Vorsicht „Ich bin sehr vorsichtig, mit dem Thema ‚innovativ sein‘, das geht nicht auf Kommando“, sagt Rosenbichler. Das GovLabAustria sieht sie zuallererst als eine neue Aufstellung von Kommunikations- und Denkräumen. Das liege am Bedarf der Verwaltung: Von Prozessoptimierung bis Aufgabenkritik, sind sehr praktische Dinge das Ziel einer besseren Verwaltung, um eine bessere Rechtssicherheit herzustellen. Darüber hinaus benötigt echte Innovation jedoch andere Fragestellungen. „Wenn wir Fragen anders formulieren können, als in den bereits existierenden Organisationen und Kreisen, dann finden wir möglicherweise auch Lösungen, die es noch nicht gibt“, meint Rosenbichler. Warum braucht es eine Organisation wie das GovLabAustria? „Das wurde mit folgender Idee gegründet: Eine Organisation, die der Stabilität und Rechtssicherheit dient, kann sich nicht von alleine verändern und braucht Experimentierräume“. Gemeinsam mit der Donauuni Krems wurde dafür eine Dachorganisation geschaffen, die mit verschiedenen Perspektiven Innovation ermöglichen soll. Am Fuße des Leuchtturms „Wir sind ja kein Startup, und das ist auch gut so“, sagt Rosenbichler. Verwaltung hat sich über die letzten 300 Jahre gefestigt und funktioniert über viele Krisen hinweg stabil, ergänzt Parycek. „Startups sind Speedboote, die Verwaltung ein Kontainerschiff, eine schwer und langsam bewegliche Masse“. Das garantiere die Stabilität, ist aber gleichzeitig ein Hindernis, wenn es um Richtungsänderungen gehe, sagt sie: „Die Steuerung kann heute nicht mehr nur von oben geschehen, da brauche ich down-to-earth Ansätze, weil am Fuße des Leuchtturms ist es immer dunkel“. Wichtig ist es beiden auch, dass man von Scheitern, statt von einem Fehler spricht. „Fehlerkultur führt uns in die Rhetorik von Schuld, Lernkultur führt uns in die Rhetorik von Verantwortung. Der Rahmen muss so gesetzt werden, dass ein Experiment nicht beliebig ist, sondern mit klar definierten Rahmenbedingungen und Aufgaben. Natürlich gibt es Zufallstreffer, aber das entsteht auch aus dieser Lernkultur“.
Bernhard Müller war 10 Jahre lang Bürgermeister von Wiener Neustadt, heute leitet er das Urban Forum als Generalsekretär. Dort forscht und publiziert er zum Thema Urbanität. Warum Wien eigentlich nur 23-mal Wiener Neustadt ist, was Tücken und Erfolgsrezepte bei Beteiligung von Stadtbürger*innen sind und warum eine Stadt mehr Gefühl als Zahlen ist. Urban leben ist für Müller in erster Linie ein Gefühl, und beginnt nicht mit Stadtmauern. Die Vorteile und etwa Anonymität oder Isolation sind gleichzeitig auch die Nachteile. „Am Land weiß oft jeder über alles Bescheid, in der Stadt ist jeder freier in der Entscheidung“. Als ehemaliger Bürgermeister einer Stadt um Wien weiß er davon zu erzählen: „Das bringt Bürgermeister oft unter Druck, wenn Städter aufs Land ziehen. Wünsche und Sehnsüchte der Großstadt konkurrieren dann mit der Realität des Suburbanen, auch wenn Wiener Neustadt viel zu bieten hat“. Hamburg ist eine Stadt außerhalb Österreichs, die er für sehr gut verwaltet hält: „Etwas das die Hanseaten sehr gut bewältigen, ist die Digitalisierung. Das ist kein Selbstzweck, sondern erleichtert den Alltag oder das Leben von Menschen mit Behinderung“. Lied vom Scheitern Müller bringt auf die alte Frage, warum Beteiligung in Österreich selten ernst genommen wird, zwei Perspektiven. Die erste ist eine historische Antwort: „Ab den Wunderwirtschaftsjahren regierten in Österreich die Volksparteien, Parlament, Sozialpartner und die Kirche. Die Bürgerinnen und Bürger waren nur am Wahltag gebraucht, die restliche Zeit war eine politische Hängematte sozusagen“. Ab den ersten Krisen der 70er Jahre, z.B. mit der Ölkrise ging ein Niedergang der Verstaatlichung und gesteigerte Arbeitslosigkeit einher. „Das hat viele verstört, aber sie waren es nicht gewohnt, sich zu beteiligen, ihre Stimme zu erheben. Ihren Zorn haben sie dann gegen die Säulen des Staats gerichtet, aber ohne sich zu engagieren. Das geschah erst mit den Friedens- und Umweltbewegungen der 80er“. Die zweite Perspektive wird selten laut ausgesprochen. „Parteien, Vereine und Menschen mit Eigeninteresse nehmen genauso teil an Bürgerbeteiligung“. Zu glauben, dass jeder, der dorthin kommt, dies aus Altruismus mache, nennt Müller „blauäugig“. Oft werde nur teilgenommen, um gezielt zu sprengen oder für Wahlzwecke zu missbrauchen. „Die Verwaltung braucht daher eine starke Rückendeckung der Politik. Sonst können die vielen und oft guten Inputs der Bevölkerung nicht genutzt werden“. Wie geht es besser? Menschen haben ein gutes Gespür für Scheinbeteiligung. Wenn das Mitnehmen gewollt ist, dann verzeihen die Bürger auch Irrtümer und Fehler, sagt Müller. Was Themen angeht, gilt wieder: Nähe schafft Betroffenheit. Je abstrakter das Thema, desto schwieriger ist es, die Leute mit auf den Weg zu nehmen. Je unmittelbarer am Umfeld, desto interessierter sind die Bürger, das gilt besonders für den öffentlichen Raum. Was macht also erfolgreiche Beteiligung aus? 1. Echtes Interesse vonseiten der kommunalen Politik: Wie angesprochen kann ein Scheitern von Beteiligung oft ein gewolltes Ziel sein, um die Entscheidung auf andere Ebenen zu bringen. Daher braucht es eine Verpflichtung und Verbindlichkeit der Politik. 2. Professionelle Begleitung und Moderation: Sobald eine Gemeinde oder Stadt eine gewisse Einwohnerzahl überschreitet, wird es praktisch unmöglich, Beteiligung nur durch die eigene Verwaltung zu organisieren. „Durch das hektische Tagesgeschäft bleiben oft keine Ressourcen. So gehen wertvolle Einsichten der Bürgerinnen und Bürger verloren“. 3. Klare Zieldefinitionen. Wenn es um Verbindlichkeit und die Folgen einer Bürgerbeteiligung geht, sind Transparenz und im Vorhinein formulierte Vorgaben essentiell.
Soziokratie? Eine neue Form des Entscheidens und Organisierens ist Thema der neuen Wer jetzt? Folge. Hier wird ohne Mehrheiten gearbeitet, dafür mit Widerständen und Einwänden. Wie das funktioniert, erklärt Prozessbegleiterin und Moderatorin Anja Ritter. Ein Gespräch über den Widerstand als Teil der Lösung, über Bürgerbeteiligung im Ländle und Dinge zu Ende bringen. Hier lesen Sie drei Stichpunkte aus dem Interview. Was ist Soziokratie? Wie entscheiden wir? Muss es immer per Mehrheit sein? Was ist mit knappen Entscheidungen, wo bis zu 49 Prozent der Beteiligten ignoriert werden? Ein überstimmter Widerstand kann langfristig mehr Schaden anrichten, als es Vorteile für die 51 Prozente bringt. Diese Annahme stellt eine der Grundthesen der Soziokratie dar. Zusammengesetzt aus den lateinischen Worten „sozius“ für Begleiter und „kratein“ für regieren, geht es um Selbstorganisation, mit vier Prinzipien.„Das wichtigste ist der Konsent“, sagt Anja Ritter. In der ersten Gesprächsrunde kommt jede*r zu Wort, der Reihe nach. „In einer offenen Diskussion setzen sich oft die lauten Meinungen durch, oder Menschen die sich gut präsentieren“. Das hat jedoch nicht unbedingt Einfluss auf die Qualität der Argumente. Besonders leise Menschen, würden oft neue Perspektiven einbringen, meint Ritter.Der Wert des WiderstandsIm Gegensatz zum klassischen Mehrheitsverfahren sind Gegenargumente und Einwände etwas Konstruktives. „Als Moderatorin bemühe ich mich, das als Schatz zu sehen, als Perspektiven, die ich in die Lösung einarbeite“. Erst wenn alle schwerwiegenden Einwände gegen einen Vorschlag sich auflösen, wird ein Konsent getroffen. Was schwerwiegend inkludiert, ist eine individuelle Entscheidung. In ihrer langjährigen Arbeit ist Anja Ritter das aber noch nie passiert. „Oft hat es so ausgesehen, als ob es keine Lösung geben kann, als ob wir festgefahren sind. Das passiert vor allem dann, wenn Menschen unterschiedliche Ziele haben“. Das gemeinsame Ziel klar zu definieren, ist essentiell um voranzukommen.In mehreren Runden redet die Gruppe, bis ein Konsent stattfindet. Diese Methode funktioniert am besten im kleinen Kreis bis zu zehn Menschen. Wie können große Organisationen das nutzen? „Diese kleinen Gruppen bilden einen Kreis. Bei hundert Menschen etwa, bilden sich mehrere Kreise, die miteinander verknüpft werden“. Eine Methode, die ähnlich arbeitet, ist das systemische Konsensieren, das sich jedoch nicht als Organisationsform versteht, sondern nur als Entscheidungssystem. „In der Soziokratie ist die Organisation von Prozessen und die gemeinsame Entscheidungsfindung eine untrennbare Kombination“.Von der Mehrheit zur GesamtheitKönnte Soziokratie auch in der Politik funktionieren? Ritter ist davon überzeugt, in vielen Bürgerbeteiligungsprozessen in Vorarlberg hat sie diese Methode erprobt. „Soziokratie gleicht Gruppen aus. Besonders in der Bürgerbeteiligung kennen wir das: Manche sind lauter, manche leiser. Tendenziell bremsen wir die ersteren, und geben letzteren mehr Raum“. Das sorgt für viel Vertrauen in den Prozess. „Wenn ich weiß, dass ich nicht um Aufmerksamkeit kämpfen muss, schafft das Frieden“.Ritter bringt praktische Beispiele für die Anwendung: Die niederländische Stadt Utrechtse-Heuvelrug setzt auf Soziokratie im Stadtrat. "Ich habe viele Methoden ausprobiert und erlebt. Was mich letztendlich von Soziokratie überzeugt hat, ist die Verbindlichkeit. Es geht um Hören und gehört werden, aber dann wird entschieden! Das Entscheidende ist, dass es um's Entscheiden geht.". Alle, die von einer Entscheidung betroffen sind, sollen auch bei dieser Entscheidung mitstimmen, sagt Ritter. In einer Demokratie ein sehr ambitioniertes Vorhaben, der Soziokratie und Politik Kongress im Oktober behandelt genau dieses Thema. Hier gibt es mehr Informationen dazu.
Hanno Burmester ist deutscher Politunternehmer und arbeitet zur Zukunft der Demokratie: Am Progressiven Zentrum ist er als Policy Fellow tätig, er ist Gründer der Innocracy Konferenz und berät Organisationen zur digitalen Transformation. Was muss eine Gesellschaft verlernen? Wie verändert man Organisationskultur? Und was bedeutet es, Erwartungen von Absichten zu trennen? Hier lesen Sie Stichpunkte dieses Gesprächs: Zukunft verlernen Ein Satz, den man im Zusammenhang mit Hanno Burmester oft liest, lautet „Um Zukunft zu werden, müssen wir verlernen“. Was haben wir falsch gelernt? „Jeder Mensch lernt Dinge, die zu einem Zeitpunkt nützlich sind, irgendwann aber hinderlich. Das gilt für nicht nur für einzelne, auch als Gesellschaft sind wir geprägt von unserer Vergangenheit. Diese Muster verhindern eine Realität und Zukunft, die wir haben wollen und könnten“. Ein praktisches Beispiel ist das Freiheitsverständnis im Kapitalismus. Die Verwirklichung von kurzfristigen Wünschen werde als Inbegriff von Freiheit gesehen, gleichgültig der Konsequenzen für Umfeld und Umwelt.„Ich glaube, da haben wir etwas sehr Falsches und Schädliches gelernt. Politisches Regulieren wird als Eingriff in unsere Freiheit gesehen, und nicht als Maßnahme, um das Ganze zu bewahren“. Dieser Konflikt aus kurzfristigem gegen langfristigem Denken verhindere zurzeit alle wirksamen Versuche, beispielsweise die Klimakatastrophe in den Griff zu bekommen.Der WeltenwandererWie verbindet er seine Arbeit als Aktivist in der Politik mit der des Beraters in der Privatwirtschaft? „Ich mache im Prinzip in beiden Welten dasselbe. Wenn ich in einem Unternehmen für mehr Eigenverantwortung sorge, ist das ein zutiefst demokratischer Prozess!“. Die Arbeit an einem inhaltlichen, konkreten Punkt sei oft nur der „Vorwand“ und der Beginn, um die Kultur in Organisationen zu verändern. „Praxis gestaltet Kultur. Wenn wir an Kultur arbeiten, gestalten wir die Prozesse anders, und dadurch geschieht etwas. Menschen merken dann, wir können Dinge auch anders machen“.Typische Probleme in der Wirtschaft seien intransparente Kommunikation, streng hierarchische Führung oder passives Verhalten der Mitarbeiter. „Das sind keine Dinge, die wir uns bewusst angeeignet haben, sondern angelernt aus der Vergangenheit. Das zu erkennen und zu akzeptieren, sind die ersten Schritte zu echter Veränderung“. Im öffentlichen Dienst hingegen herrscht ein Gefühl des 19. Jahrhunderts. „Die Wirtschaft musste sich wegen der Globalisierung verändern. In der Verwaltung merkt man oft, dass es ein Produkt der preussischen Kultur ist und viel weniger Veränderung stattfinden hat müssen“. Die Grundmuster bleiben aber in beiden Bereichen dieselben. Wer jetzt? Biografie und LinksHanno Burmester, *1982, ist deutscher Berater und Politaktivist am Progressiven Zentrum, Gründer des Democracy Labs und Innocracy.
Wien ist seit kurzem das jüngste Bundesland Österreichs. Der Stadtrat für Bildung, Integration und Jugend über das Projekt „Werkstadt Junges Wien“, im Zuge dessen aus 22.000 jungen Meinungen eine Kinder- und Jugendstrategie der nächsten Jahre wird. Ein Gespräch über Inklusion, Migration und den größten Beteiligungsprozess Wiens. Hier lesen Sie drei Stichpunkte: Politische Werkzeuge für Kinder Ernstgemeinte Bürgerbeteiligung geschieht in Österreich selten. Das liegt einerseits daran, dass es oft bei Lippenbekenntnissen bleibt, andererseits daran, dass die Methodik stark unterschätzt wird. Je nach Prozessgestaltung ändert sich das Ergebnis: „Bei Partizipation geht es nicht umsonst um die richtige Methodik. Erst wenn vermittelt wird, dass es sich nicht um eine Meinungsumfrage handelt, sondern um mittun statt mitreden, funktioniert das wirklich.“ Der Gedanke dahinter war simpel: „Wie kann man einen transparenten und nachvollziehbaren Prozess gestalten, der einbindet und dann der Verwaltung und Politik Ziele vorlegt, die sie abarbeiten müssen?“ Die „Werkstadt Junges Wien“ ist aktuell im Gange. Bisher wurden in mehr als eintausend Workshops 22.000 Kinder und Jugendliche befragt: Was in Wien gut oder schlecht funktioniert, welche Ideen zur Verbesserung es gibt und wie man das Zusammenleben optimieren kann. Organisiert von und an Schulen, Jugendvereinen, Kindergärten, Magistratsabteilungen und vielen mehr. Ein sozialwissenschaftliches Institut analysiert die Ergebnisse in einem ersten Schritt. Im Herbst folgt ein Kongress mit Vertretern der genannten Institutionen sowie 21 gelosten Kindern und Jugendlichen. Eine Entscheidung, die keine ist Wie geht er mit Wünschen um, die gegen sein Parteiprogramm gehen? „Wir haben uns verpflichtet diese Vorschläge ernst zu nehmen. Die Einschränkungen sind die der Machbarkeit, nicht die der Relevanz. Deswegen haben wir eine Feedbackschleife mit den zuständigen Abteilungen, im Zweifel gilt das Primat des Machbaren“. Unabhängig davon, was gewünscht wird, geht es um etwas Grundsätzliches: „Ich bin der festen Entscheidung, dass es keine Option ist, ob man Kinder mitnimmt oder nicht. Viele verstehen das so, weil es ein Machtgefälle gibt, weil Kinder mehr Schutz und Förderung brauchen. Erwachsene haben im Gegenzug mehr Möglichkeiten zur Gestaltung“. Die Regeln des Staates sollen so gestaltet werden, dass man die jungen Mitbürger auf Augenhöhe hebt, statt sich zu hintunterzubücken, sagt Czernohorzsky. Sein Hintergrund aus der Kinder- und Jugendarbeit prägt sein Denken als Politiker: „Das Selbstverständnis, Kinder mitzunehmen, macht mich als Typ aus und ich sehe es auch als meine Aufgabe, daraus keine Typfrage mehr zu machen“. Mitspielen bei dem Spiel, das Gesellschaft heißt Sein zweiter Antrieb ist sehr pragmatisch. Wien ist das jüngste Bundesland Österreich mit mehr als 360.000 Menschen, die unter 19 Jahre alt sind. Da man erst ab 16 Jahren wählen darf, sieht er es als eine zentrale Aufgabe der Regierung, diese Gruppe stärker zu hören und zu repräsentieren. Neben der jungen Bevölkerung ist Czernohorszky auch Stadtrat für Integration. In Wien darf aktuell ein Viertel der Bevölkerung nicht wählen bei Nationalratswahlen, je nach Bezirk sogar noch mehr. Tendenz steigend: „Das Demokratiedefizit, das dadurch entsteht ist groß. Wir arbeiten zum Beispiel mit dem forum.wien.welt.offen dagegen, haben aber als Stadt nicht die Spielräume, die der Bund hat“.
Warum hat Österreich keine Transparenz? „Ich weiß nicht, ob Transparenz wirklich unbeliebt ist in Österreich. Es gibt einfach keine Transparenz- und keine Fehlerkultur“. Teile der Verwaltung und Politik wollen sich nicht eingestehen, dass Fehler passieren. „Wenn Handlungen transparent sind, kann jemand Fragen stellen. Auf diese Diskussionen will sich kaum jemand einlassen“, sagt Huter.In der Politik gibt niemand gerne Fehler zu, das überrascht wenig. Das Ausmaß dieser Verschleierungen ist aber einzigartig: „Wir sind das allerletzte Land in Europa, das ein Amtsgeheimnis in der Verfassung und kein Grundrecht auf Zugang zu staatlichen Dokumenten hat“. Weder Bürger*innen, noch Journalist*innen haben ein Recht auf Einsicht. Zwar sei Informationsfreiheit ein Bürgerrecht, das sich auf internationaler Ebene erst vor wenigen Jahrzehnten durchgesetzt habe. Trotzdem geschah vor allem auf europäischer Ebene viel im Zuge der Gründung und Beitritte zur EU ab den 80er Jahren. Der Blick zurück und nach vorne Wie kam es, dass Österreich auf dieser Welle nicht mitschwamm? Seit 1987 gibt es zwar das Auskunftspflichtgesetz, das steht aber in direktem Widerspruch zum Amtsgeheimnis. „Das ist so weitreichend, dass Beamte, die Informationen erteilen, im schlimmsten Fall eine mehrjährige Haftstrafe droht. Im besten Fall ist es nicht karriereförderlich“.Das Amtsgeheimnis stamme eins zu eins aus der Monarchie, stellt Huter fest. Das wirkt nicht nur antiquiert, selbst junge Demokratien, am Balkan beispielsweise., seien Österreich in dieser Hinsicht weit voraus. „Der Unterschied liegt darin, dass diese Länder diese Grundrechte von Anfang an in die Verfassung schreiben mussten. Der Druck der EU kam erst lange nach unserem Beitritt“.Huter arbeitet an Projekten, die Gegenmaßnahmen darstellen: FragDenStaat.at ist eine Plattform, die es den Bürgern erleichtert, ihre geringen, aber vorhandenen Informationsrechte gegenüber Behörden geltend zu machen. ParteiSpenden.at, sammelt die Finanzen der Parteien und OffeneVergaben.at ist das neueste Projekt, das zeigen will, was der Staat um welche Summen kauft. Was tut er, wenn sich Behörden weigern? „In letzter Instanz klagen wir. Von acht Gerichtsverfahren haben wir bis jetzt acht gewonnen“, sagt Huter. Tango (Anti)Korrupti in Georgien Von 2009 bis 2014 lebte und arbeitete er in Tiflis, der Hauptstadt von Georgien. Vor 2003 galt das Land als „failed state“. Korruption blühte, es gab nur wenige Stunden Strom und Gas am Tag, Wirtschaft und Staat funktionierten kaum: „Man konnte damals für ein paar tausend Dollar Schmiergeld Polizist werden. Ohne relevantes Gehalt, aber dafür mit Uniform und Lizenz, Schmiergeld zu kassieren“. Nach der friedlichen Rosenrevolution 2004 kamen pro-westliche Reformer an die Macht, die den Staat von null aufbauten. „Das Hauptziel war Korruption zu bekämpfen. Und zwar wirklich. Das hört man oft, aber hier wurde es effektiv und innovativ geschafft, wenn auch radikal und nicht immer rechtsstaatlich“.Was kann Österreich davon lernen? "Auch als kleines Land, sind solche Reformen möglich". Georgien, das mit 3,5 Millionen Einwohnern deutlich kleiner ist, veröffentlicht seit 2011 alle Verträge der öffentlichen Hand. Mit Rechnungen, Vergabeverfahren, von der Gemeindeschule bis zur Klopapierrolle.
Edward Strasser und sein Team suchen europaweit politische Innovationen und lassen sie von Bürgern und Fachjury bewerten. Dafür verleihen sie die „Innovation in Politics“ Awards: Wie er europaweit Politiker an einen Tisch bringt und parteiübergreifendes Vertrauen schafft und vieles mehr, erzählt Edward Strasser in dieser Folge. Idee und Vertrauen Nach einigen Jahren in der PR-Branche hatte Edward Strasser eine Frage, die er sich im Gespräch mit Freundinnen und Freunden immer wieder stellte: „Wie muss Politik heute sein, damit sie funktioniert? Das heißt Wertschätzung der Bürger und gute Ergebnisse“. Niemand hatte damals eine Antwort. Die Suche nach Antworten führte durch ganz Europa: „Wir haben uns europaweit auf die Suche begeben, nach jenen Menschen in der Politik, die bereits erfolgreich neue Wege beschreiten“. Diese neuen Wege mussten auch zur Folge haben, dass die Bürger sich der Politik wieder zuwenden.Neu oder wiedergewonnenes Vertrauen ist für Strasser eine essentielle Eigenschaft. Wir erleben eine massive Erosion des Vertrauens in Politik. Quer durch alle Schichten, Berufsgruppen und Menschentypen, die die Politik zum Teil auch aufgegeben haben“, sagt Strasser. „Gesetze werden im Parlament gemacht, unser Zusammenleben wird in der Politik ausgemacht, nicht in der Zivilgesellschaft“.Fundamentale Veränderung mit ungewissem AusgangInnovation und Politik sind keine Felder die sich üblicherweise gut ergänzen. Innovation ist mit Scheitern verbunden, Scheitern von politischen Projekten geht oft mit dem Abgang der Verantwortlichen einher. Warum steigt die Bereitschaft zur Innovation trotzdem? Nach dem Motto besser spät als nie, meint Strasser: „Es ist sehr menschlich, dass die Bereitschaft zur Weiterentwicklung, zur Veränderung dann zunimmt, wenn das Wasser bis zum Hals steht. Unsere Demokratie durchläuft gerade eine fundamentale Veränderung mit ungewissem Ausgang“.Dieser Prozess habe manchen Politiker und Politikerin angeregt, Denkprozesse und traditionelle Arbeitsweisen zu verändern. Alle stellen sich die Frage nach dem Wie, aber niemand hat den Königsweg gefunden. „Nur gemeinsames Lernen kann hier helfen“. Praktische Beispiele für diesen neuen Weg ist eine Gesetzverfassung in Frankreich, die im Rahmen einer Beteiligung von 21.000 Menschen per Crowdsourcing entstand.Kooperation statt KonkurrenzPolitik ist kein Ort, an dem sich gewählte Repräsentant*innen gerne von anderen dreinreden lassen. Wie lässt sich seine Dienstleistung erklären, dass er europaweites Policy-Scouting und sogar parteiübergreifenden Dialog anbieten kann?„Die Bereitschaft auf die Erfahrungen und Wissen von anderen Menschen in der Politik zurückzugreifen ist sehr hoch. Üblicherweise sind Politikerinnen und Politiker sehr skeptisch, wenn ihnen Experten gegenüberstehen, aber andere Leute aus der Politik werden viel leicht akzeptiert“, erklärt Strasser einen zentralen Unterschied. „Solange die Personen nicht in einem unmittelbaren Wettbewerb stehen, ist die Bereitschaft zum Erfahrungsaustausch selbst über Parteigrenzen hinweg sehr groß“.Viele Themengebiete, etwa Umwelt, lassen sich ohnehin nicht von Staatsgrenzen beeindrucken. Andere Situationen erfordern weniger Erfindergeist als vielleicht anfangs angenommen. „Probleme – und die Lösungen – für Jugendarbeitslosigkeit können bis zu einem gewissen Grad parallel existieren und funktionieren“, sagt Strasser. Man müsse das Rad nicht immer neu erfinden, sondern könne auf bestehende und geprüfte Antworten zurückgreifen.
Eva Maltschnig ist Vorsitzende der vermutlich kritischsten SPÖ-Fraktion, der Sektion 8. Wie balanciert sie Zustimmung und Kritik? Warum arbeitet sie trotz des starken Gegenwinds aus der eigenen Partei an einer Verbesserung der SPÖ? Im Gespräch mit Philipp Weritz über Leidensfähigkeit, innerparteiliches Feilschen und wie die Coups der Sektion 8 entstanden. NGO in der Partei „Es bringt nichts, wenn alle kritischen Leute sich aus der SPÖ entfernen. Man muss sich wo sammeln“, sagt Maltschnig. Es geht um die Möglichkeit, Frust und manchmal auch Wut zu bündeln und konstruktiv zu nutzen. Das war der Gründergedanken im Jahr 2007, den auch der ehemalige Vorsitzende Niki Kowall hatte: Mehr Mitbestimmung an Strukturen und Inhalten durch die Basis. Ihre Arbeit beschreibt Maltschnig als „sozialdemokratische NGO“: Ein klassischer Teil der Partei als Sektion, im Denken und Handeln aber eine NGO. Die SPÖ ist nach wie vor eine der wenigen sozialdemokratischen Parteien, die ihre Parteivorsitzenden nicht direkt wählt, sondern über einen Parteitag. „Das muss nicht so sein. Wenn Parteivorsitzende in Urwahlen durch die Mitglieder gewählt werden, ist klar, wie viel Rückhalt eine Person wirklich hat“, meint Maltschnig. Ein Grund, warum Personaldebatten in der SPÖ nach Wahlverlusten immer nach dem gleichen Muster ablaufen. „Beim Inhalt bin ich immer wieder erstaunt, wie viel sich da gestalten lässt. Aber an den Strukturen beißen wir uns die Zähne aus“. Freundschaft! Mit Widerstand Wie können es sich die Mitglieder der Sektion Acht leisten, immer wieder gegen die Parteilinie zu stimmen? Oder sogar aktiv gegen die Parteispitze zu arbeiten? Ein Coup gelang vor ein paar Jahren mit dem Verbot des kleinen Glücksspiels. „Wir können uns das leisten, weil wir alle normale Jobs haben. Wir verdienen unser Geld nicht mit Mandaten und bewerben uns auch gar nicht dafür, denn damit starten die Abhängigkeiten“. Einmal die Woche trifft man sich und nach dem „gemeinsamen Schimpfen“ werde inhaltlich diskutiert. Ehrenamtliches Arbeiten befreie von Packeleien und für die eigenen Kampagnen findet sich immer Geld, sagt sie. „Schwieriger zu finden sind eher die Ideen“. Warum widmet sich Eva Maltschnig sich trotz dem starken Gegenwind, trotz dem Widerstand der Parteispitze und Kollegen immer noch dem Projekt SPÖ reformieren? „Jeder braucht ein Hobby“. Trocken formuliert, merkt man Maltschnig die zutiefst überzeugte Sozialdemokratin an. Trotz, oder vielleicht gerade wegen der Kritik, die sie mal lauter, mal leiser übt: „Ich glaube nicht, dass die SPÖ für alle das Richtige ist. Da braucht man eine gewisse Leidensfähigkeit“. Mehr Größenwahn wagen Was würde sie anders machen, wenn sie heute von Null starten würde? „Ein bisschen mehr Größenwahn. Wir bereiten uns immer sehr gut vor, weil wir uns manchmal auch fürchten, vor dem was als Antwort kommen könnte“. Die Erfahrung habe aber gezeigt, dass die Furcht ein wichtiger Indikator ist: „Vor den Projekten wo ich mich am meisten gefürchtet habe, meistens die lustigsten und im Nachhinein auch die wichtigsten sind“. Das reicht von einer Fake-Kampagne für eine echt demokratische Vorsitzwahl bis zu „Nein heißt Nein“ Aktion zur Reform des Sexualstrafrechts. Auch der Gedanke, als SPÖ-Thinktank die 130 Jahre alte Partei von innen zu reformieren, kann in die Kategorie Größenwahn gesteckt werden. Woher der Glaube daran? Bei der Gründung 2007 habe es geheißen „in zehn Jahren wissen wir, ob es möglich ist. Jetzt weiß ich immer noch nicht ob das möglich ist“, sagt Maltschnig. „Manchmal habe ich den Verdacht, dass es uns gelingt, mit der SPÖ was zu bewegen. Manchmal sieht es wieder irrsinnig trist aus“.
Der Chefredakteur und Herausgeber von Addendum im Gespräch mit Philipp Weritz über die Anfänge, Erfolge und Hürden der Plattform, was er heute anders machen würde und warum Geduld ein Luxus im Journalismus geworden ist. Außerdem spricht er über die Rolle des Journalismus in der Demokratie und erklärt, welche Lügen wir gerne glauben. Hier lesen Sie drei Stichpunkte aus dem Gespräch: „Wir glauben Lügen gerne, wenn sie Geschichten erzählen, die wir hören wollen“. Der Gedanke hinter Addendum Unter dem Motto „Das, was fehlt“ startetet die Rechercheplattform vor knapp 2 Jahren. Im Gespräch mit Dietrich Mateschitz nennt Fleischhacker die Debatte um die „Lügenpresse“ und den Vertrauensverlust vieler Medien als den Beginn. „Was fehlte, war das Vertrauen“. Abgesehen von Verschwörungstheoretikern, die glauben, dass sich ganze Medienhäuser absprechen, traf die Debatte einen wunden Punkt: Informationen in der Berichterstattung, etwa zur Flüchtlingskrise, wurden oft ausgelassen oder verzerrt. Das hat einerseits ökonomische Gründe, denn Recherche kostet Zeit und Geld. Güter, die knapp geworden sind für Journalisten. Andererseits fehlt ihm das Denken über den eigenen Horizont. „Wenn eine Information in mein Weltbild passt, dann höre ich auf zu recherchieren. Nicht weil ich ein böser Mensch oder Spindoktor bin, sondern weil ich froh bin, mit den wenigen Ressourcen eine plausible Geschichte geschafft zu haben“. In der Berichterstattung über die Flüchtlingskrise 2015 spricht er von einem dritten Aspekt, einem „erzieherischen Journalismus“. Nichts erfinden, aber bewusst betonen und weglassen: „Viele Journalisten zeigen die Welt oft so, wie sie gerne hätten, und nicht so wie sie ist. Das hat verständlicherweise für einen Vertrauensverlust gesorgt“. Was tatsächlich fehlt Keinen vorgegebenen Rhythmus zu haben, wie bei Addendum, bezeichnet er als einen unglaublichen Luxus. „Hintergrundgeschichten und Recherchen sind fertig, wenn wir sie gut finden, und nicht, wenn Redaktionsschluss ist. Das ist auch einer der Gründe, warum wir Addendum aufgebaut haben, weil viele Medien diese Ressourcen nicht mehr haben“. Fristen und Deadlines haben auch ihr Gutes, denn „Publizieren, wann es fertig ist“ ist eine große Versuchung, nie fertig zu werden. Fleischhacker hält es mit Karl Kraus, der sagte, wenn der Journalist Zeit hat, dann schreibt er schlecht. Aber eine Geschichte nicht veröffentlichen zu müssen, wenn sie noch nicht fertig ist, hängt auch mit dem Onlineauftritt zusammen. „Kein Vergleich zu einer Tageszeitung, wie Der Presse: Die Erwartungen der Redakteure, der Leserschaft oder der Eigentümer“. Neben Zeit als Ressource, fehlt noch etwas in der hiesigen Medienlandschaft. Eine andere Betrachtungsweise – ist das, was als common sense gilt, wirklich so? „Feindbild“ Hausverstand und die vierte Gewalt Michael Fleischhacker ist, salopp gesagt, nicht der größte Fan des „common sense“. Er zitiert Lichtenberg: „Wenn alle das Gleiche denken, denkt niemand richtig“. Das ist nicht nur seine persönliche Einstellung, sondern auch wie er sein Handwerk als Journalist anlegt. Für Addendum bedeutet das folgendes: „Falls es ein Thema gibt, über das alle gleich berichten, stellen wir eine Hypothese auf. Was könnte fehlen? In diesem frühen Stadium spielt die Meinung natürlich noch eine Rolle“. Die Hypothese wird überprüft mit Recherchen. „Ist es so wie alle sagen? Wenn ja, dann lassen wir es so, weil wir glauben, der Konsens besteht zurecht. Es gibt oft einen vernünftigen Mainstream, wo es idiotisch wäre zu hinterfragen um des Hinterfragens Willen. Zeigen die Recherche ein anderes Bild, wird diese publiziert. Die Rolle des Journalismus sieht er auch nicht als vierte Gewalt, die Exekutive, Judikative und Legislative überwachen soll. „Ich glaube, dass das Funktionieren von Demokratie gewisse Dienstleistungen braucht. Information ist eine davon, aber dafür gibt es einen Markt. Solang es eine gewisse Vielfalt und Dichte an Informationen gibt, können die Teilnehmer der
Den Abschluss unseres Europaschwerpunkts macht der Autor Robert Menasse. Als politischer Essayist und Europadenker hat er mit seinen Büchern „Der europäische Landbote“ und dem Roman „Die Hauptstadt“ Europa durchleuchtet und weitergedacht. Ein Gespräch über eine europäische Republik, wie der Gründergedanke verraten wurde und warum ein Wiener mehr mit einem Berliner als einem Tiroler gemein hat. Von Sportseiten zu Chile Was politisiert einen politischen Essayisten? Menasse beschreibt sich in seiner unpolitischen Zeit als Studenten, der Sport- und Kulturseiten in der Zeitung las. Das änderte sich am 11. September 1973. Der Tag an dem der demokratisch gewählte Regierung Chiles durch einen Putsch gestürzt wird. Er demonstriert vor der amerikanischen Botschaft: „Das war der Beginn meiner politischen Wachsamkeit“. Für Europa passiert das später. Menasse fragte sich, was die Chancen, Zustände und Umstände des Lebens produziere. „Die Gesetze, die Österreich umsetzt, sind zu 80 Prozent übernommen von der Europäischen Union. Die Rahmenbedingungen meines Lebens werden also in einem anderen Land gemacht. Was ist diese EU also?“. Menasse nimmt sich 2010 eine Wohnung in Brüssel und erforscht ein Jahr lang die Institutionen, allen voran die europäische Kommission. Er zeigte sich überrascht, wie schlank und effizient sie funktioniert, Blockaden kämen viel eher durch die Nationalstaaten. Das Ergebnis ist eine Reportage und Reflexion in einem: „Der europäische Landbote ist ein Stück Literatur, aber ein erfahrungsgesättigtes“. Bevölkerung versus Staaten Menasse sieht in der aktuellen Verfassung der EU keine gute Grundlage für die Zukunft. Seine Lösung dafür sind nicht mehr nationalstaatliche Kompetenzen, sondern eine europäische Republik: „Es geht dabei nicht um die Souveränität der Nationalstaaten, sondern um die Souveränität der Bevölkerung“. Das größte Problem ist für ihn die fehlende Gleichstellung vor dem Recht. „Wir sind alle europäische Bürger, aber wir haben verschieden gute Sozial- und Bildungssysteme, zahlen verschieden hohe Steuern und erhalten verschieden hohe Löhne für die gleiche Arbeit. Als wäre das nicht genug, zählt politisch nicht jede Stimme gleich viel“. Es sei ein großer Unterschied ob man Bürger eines großen, ökonomisch starken Mitgliedslandes, wie Deutschland, oder ein ökonomisch unbedeutender Zypriot ist, was demokratiepolitisch bedenkliche Folgen hat. Was ist heute der Zweck von Nationalstaaten? Mit Gesetzgebung, die Großteils auf europäischer Ebene geschieht, und Ländern die in sich gespalten sind? „Was habe ich als Wiener Autor, mit einem Tiroler Bergbauern gemeinsam? Da gibt es mehr Gemeinsamkeiten mit einem Städter aus Bratislava“. Menasse wird oft bescheinigt, dass durch eine Europäisierung eine Gleichmacherei geschehen würde, was aber nicht der Fall ist. Als Gegengewicht zu einer europäischen Republik sieht er die Stärkung der Regionen als wichtig an. Ein neuer Weg Menasse sagt, dass der Ursprungsgedanke der Gründer in Vergessenheit geraten sei: „Die Gründergeneration der EGKS hat das ja nicht wissen können, wie sehr sie recht hatte auch im Hinblick auf die Zukunft, also die Globalisierung“. Um es mit den Worten von Bill Clinton zu sagen, it’s the economy, stupid! Selbst zwei Weltkriege haben eine globalisierte Wirtschaft nur kurz aufhalten können, sagt Menasse. Darauf aufbauend soll eine europäische Politik entstehen, die nicht den Vorteil einzelner Nationalstaaten ermöglicht, sondern das Beste für die gesamteuropäische Bevölkerung. Ein erster Schritt könnte eine Sozialunion sein mit einer Arbeitslosenversicherung für alle EU-Bürger.
Varoufakis für alle Wie steht sie dazu, dass die DiEM25 Bewegung vor allem durch Yannis Varoufakis getragen wird und zur One-Man-Show geraten könnte? "Es braucht ein Zugpferd, einen Initiator, der einen ersten Funken setzt", sagt Platsch. Seine Erfahrung in Brüssel und als Finanzminister Griechenlands, sowie die Art wie er Politik betreibt, mache ihn zum idealen Kandidaten. Speziell für den Wahlkampf brauche es Menschen wie ihn: „Sowie unsere Medien und Politik heute funktionieren, ist es wichtig sich klar ausdrücken zu können und dann die nötige Aufmerksamkeit für die eigenen Themen zu bekommen“. Der Aufruf „Lasst uns Europa demokratisieren“ lässt sich aber nicht von einer Person tragen. Varoufakis hat diesen Aufruf und die Bewegung gestartet, und dem sind sehr viele Menschen gefolgt, auch bekannte Namen, wie Noam Chomsky, Slavoj Žižek oder zuletzt auch Pamela Anderson. Platsch wurde von der Bewegung angesprochen, um sich für die interne Wahl aufzustellen und kam im Zuge einer demokratischen Wahl auf Platz 2. Transnationaler Wandel „Demokratie ist nie eine individuelle Sache, da geht es um kollektives Handeln“. Alle Themen, die Europa die nächsten Jahrzehnte am stärksten prägen, würden nicht auf Staatsgrenzen achten, meint Platsch. Digitalisierung, Klimawandel, Migrationspolitik können nicht in 28 einzelnen Nationalstaaten gelöst werden. „Wenn Volkswagen bei den Dieselwerten betrügt, dann atmen wir in ganz Europa die Stickoxide ein, weil überall VWs fahren“. Das gleiche gilt für Steuergerechtigkeit und Umverteilung von oben nach unten. Ob ein Konzern Facebook, Google oder Starbucks heißt, tue nichts zur Sache, solange es auf europäischer Ebene Schlupflöcher für steuerschonende Praktiken gibt. „Dieses Geld fehlt in unseren Budgets, in Pensionen und Schulen“. Wer jetzt? Biografie Daniela Platsch, *1981, ist politische Geschäftsführerin der Partei Wandel und kandidiert für Diem25 für die Wahl zum EU-Parlament.
In der fünften Folge unseres Europaschwerpunkts haben wir mit Melanie Sully gesprochen. Sie ist eine britische Politologin, leitet das in Wien ansässige Go-Governance Institut und beschäftigt sich mit der Qualität der Demokratie in Österreich. Warum haben wir Österreicher einen Kompromiss schon vor dem Streit? Wie wird der Brexit die EU verändern? Diese und mehr Fragen waren Teil des Gesprächs. In der fünften Folge haben wir mit Melanie Sully gesprochen. Sie ist eine britische Politologin, leitet das in Wien ansässige Go-Governance Institut und beschäftigt sich mit der Qualität der Demokratie in Österreich. Warum haben wir Österreicher einen Kompromiss schon vor dem Streit? Wie wird der Brexit die EU verändern? Diese und mehr Fragen waren Teil des Gesprächs. Hier lesen Sie drei Stichpunkte: Die unendliche Geschichte Einer Frage, der Melanie Sully seit einem Jahr nicht ausweichen kann, ist die des Brexits. Unabhängig von aktuellen Entwicklungen, sieht sie die Situation nur als Symptom. „Das chaotische am Brexit ist nicht, dass jemand austreten will. Sondern, dass es ohne Plan, ohne Idee und mit einer Minderheitsregierung geschieht“. Mit letzterer ist es schwierig überhaupt etwas zu beschließen, geschweige denn einen Austritt aus der europäischen Union. Die langen Verzögerungen und innenpolitischen Streitereien würden auch das Vertrauen der Briten in die Demokratie beschädigen. „Die sehen, dass ihre Stimme nichts bringt, falls sie dafür waren. Auch das Vertrauen in die direkte Demokratie ist gesunken, vor dem Referendum war noch viel mehr Enthusiasmus vorhanden“. In den letzten 20 Jahren gab es zwar ein paar Möglichkeiten, das zu „lernen“, vom eigenen Parlament für Schottland, bis zur Abstimmung über das Wahlsystem. Trotzdem sieht Sully den Umgang Großbritanniens mit direkter Demokratie noch in den Kinderschuhen. Österreich durch die britische Linse Seit den 70er Jahren interessiert sich Melanie Sully für die österreichische Politik, ab den 80er Jahren war sie mit einer Gastprofessur auch voll in Österreich angekommen. „Das waren sehr spannende Zeiten, in denen das kleine Österreich eine große Rolle gespielt hat: Bruno Kreisky als Bundeskanzler, Willy Brandt in Deutschland. Das war eine Visionspolitik der Sozialdemokratie zur damaligen Zeit“. Auch die Eigenheiten Österreichs fielen ihr auf: „Sozialpartnerschaft war ein Fremdwort für mich!“. Nach Aufenthalten an den Universitäten Wien und Innsbruck lehrte sie auch an der Diplomatischen Akademie.
Über die nächsten Wochen werden hier Menschen zum Gespräch geladen, die aus Wirtschaft, Kultur, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Startups, NGO und mehr einen anderen Blick auf Europa haben. Wir stellen allen drei Fragen: Wie denken wir Europa von Grund auf neu? Welches eine Gesetz würden sie auf Europaebene beschließen? Was hat sie politisiert? In der dritten Folge haben wir mit Katharina Moser gesprochen. Sie sieht sich als gesellschaftspolitische Unternehmerin und arbeitet zwischen Politik und Wirtschaft. Mit ihrer Agentur Mosaik möchte sie Europa „erlebbarer“ machen, denn mehr Zahlen und Fakten würden sicher nicht zur europäischen Identität führen. Nur Geschichten, Gefühle und Menschen können für Inspiration und Zusammenhalt sorgen, meint sie und entwickelt dafür konkrete Formate. Allen voran die Europareise durch Wien, das Routes Europe. Anfänge als Unternehmerin Moser hat sich 2015 selbstständig gemacht, nachdem sie Erfahrungen bei einigen europäischen Organisationen gesammelt hat. „Was mir dort gefehlt hat, war der kreative Ansatz. Wie kann man mit dem Thema Europa auch Spaß haben?“. Die Vielfalt, Kulturen und skurrilen Eigenheiten der (noch) 28 Mitgliedsstaaten zu zeigen, war das Ziel des ersten Projekts „Komm zu mir!“, ein Kartenspiel. Das entsteht zufällig, im Gespräch mit einem französischen Freund, der einen Spieleverlag besitzt. Neben dem klassischen Spielemarkt wird es auch als Kommunikationsmittel für Organisationen vermarktet, die selbst Europa vermitteln. Die Idee geht auf und Moser auf Tour: „Wie ein Staubsaugerverkäufer bin ich für ein Jahr lang durch Europas Institutionen getingelt um das Spiel zu verkaufen, das war doch irgendwann genug. Ich habe mich gefragt was ich noch machen könnte“. Auch die zweite Idee entstand wieder zufällig im Gespräch mit einem Freund. Woher kommt eine europäische Identität? „Wir haben uns gefragt, warum fühlen wir uns eigentlich europäisch? Weil ich ganz persönliche Erlebnisse in Europa gemacht habe: Aufenthalte, Freunde und Sprachen“ Von den knapp 500 Millionen Europäern haben fast ein Drittel ihr Land noch nie verlassen, Erlebnisse die diesen Menschen fehlen. „Wenn die nicht nach Europa kommen, bringen wir Europa zu ihnen“, sagt Moser und die Veranstaltung Routes war geboren. Die Idee dahinter ist simpel: Eine Reise durch die eigene Stadt, mit Stationen aus mehreren europäischen Ländern, die auch von Landsleuten betreut werden. Pierogi-Teig kneten in Polen, ein Pint im Pub für Großbritannien oder Gestik lernen von Italienern. Geführt in großen Gruppen: „Dadurch entstand in den Gruppen schon ein eigener Zusammenhalt: Bei welchem Event spaziert man mit Fremden durch die Stadt und erlebt einen Kontinent?“. Ist Routes für Moser politische Bildung oder Unterhaltung? „Ich finde es total ok, es Unterhaltung zu nennen. Das ist eine Grundprämisse von mir, die emotionale und persönliche Seite von Menschen zu erreichen“. Routes sollte sich nicht wie ein politisches Bildungsprogramm anfühlen, sondern einen Tag voller Spaß sein. Wen hat sie damit erreicht? „Es sollte nicht die klassische Haus-der-EU-Veranstaltung werden mit bekanntem Klientel, sondern Menschen die nicht unbedingt zu europäischen Veranstaltungen kommen“. Ein Netz über ganz Europa Moser ist eine exzellente Netzwerkerin. Für ihre Projekte hat sie Namen wie Europäische Kommission, Europäisches Parlament, Bundeskanzleramt, Außenministerium, das Deutsche Auswärtige Amt oder Schweiz Tourismus gewonnen. Wie kam sie dazu? „Europaarbeit ist zu einem großen Teil Netzwerkarbeit. Einerseits bin ich sicher ein grundneugieriger und offener Mensch. Andererseits habe ich eine wichtige Lektion gelernt: Man darf keine falsche Ehrfurcht haben, vor Personen in höherrangigen Positionen“. Damit meint sie nicht Respektlosigkeit, sondern auf Menschen menschlich zugehen. Das gilt für Ban Ki-Moon genauso wie für hohe Beamte.
Im Rahmen des Europaschwerpunkts soll auch ein EU-Kritiker zu Wort kommen. Robert Marschall ist Gründer und Vorsitzender der EU-Austrittspartei. Wie soll Österreich ohne die EU nach vorne kommen? Darüber hinaus ist Marschall ein großer Verfechter von (mehr) direkter Demokratie: Was hat er aus acht initiierten Volksbegehren gelernt? Ein Gespräch über die Freude und Vorbildwirkung des Brexits und mehr Demokratie. Hier lesen Sie drei Stichpunkte aus dem Gespräch: Gute Ideen und schlechte Umsetzung Robert Marschall war nicht immer ein erbitterter Kämpfer gegen die Europäische Union. Bei der Volksabstimmung im Jahr 1994 über einen Beitritt Österreichs stimmte er dafür: „Hauptsächlich aus wirtschaftlichen Gründen, auch die Idee eines großen und geeinten Europas wurde uns sehr nett verkauft“. Der Bruch kam langsam, nachdem immer mehr Versprechungen gebrochen wurden. Das begann mit der Abschaffung des Schillings, ging weiter mit „scheinbarer Neutralität“ und war komplett mit der Zustimmung zur ESM-Haftung. 2011 gründete Marschall die EU-Austrittspartei. Marschall spricht immer wieder von der Wichtigkeit des Rechtsstaats als Grund. „Wenn sich Länder nicht an Gesetze halten, wozu sind wir dann überhaupt in der Union?“ Das gelte für gebrochene Maastricht-Kriterien, die u.a. Schuldenstand und Haushaltsdefizit von EU-Ländern regeln, genauso wie für den Dublin III Vertrag. Dass die Gesetzgebung im Fall der Flüchtlingswelle 2015 nicht schnell genug handeln konnte, zählt für ihn nicht: „Entweder wir passen die Gesetze an, oder wir halten uns daran“. Schweiz28 statt EU28 Es darf aber nicht beim Schimpfen bleiben, meint Marschall. „Mir schwebt ein Europa der souveränen Nationen vor. Wie macht das die Schweiz? Die verhandelt auch allein mit China“. Seine Vision geht stark von selbstbestimmenden Staaten in politischen Fragen aus, und nur einer gemeinsamen Wirtschaftspolitik. „Raus aus der EU, aber im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bleiben“, schlägt er vor. Zwar sei es ihm egal, was die Union ohne Österreich tue, langfristig sieht er aber eine geplante und schrittweise Auflösung als zielführend an. Vor der eigenen Tür kehren Österreich müsse im Zuge eines EU-Austritts aber die eigene Demokratie stärken. Auch hier schwebt ihm wieder die Schweiz als Beispiel vor: „Wir müssen ja nichts neu erfinden, wir sehen wie gut das in der Schweiz funktioniert. Vierteljährliche Abstimmungen als Gegengewicht zum Parlament. Wobei ich für Österreich schon mit jährlichen Abstimmungen zufrieden wäre“. Die direkte Demokratie liegt ihm am Herzen: Im März 2019 ging sein Volksbegehren für verbindliche Volksbegehren zu Ende, mit gut 28.000 Unterschriften. Nach Abfuhren für große Volksbegehren wie Don’t Smoke mit knapp 900.000 ein aussichtloses Unterfangen. „Wie soll man die Menschen davon überzeugen, wenn diese Bundesregierung außer Wirtschaft fördern nichts tut?“ Wieso er trotzdem weitermacht? „Was gibt es für Alternativen?“. Lehren aus acht Volksbegehren Insgesamt acht Volksbegehren hat er initiiert und folgende Dinge daraus gelernt: 1. Es braucht einen guten Zeitplan. Zwei Kalenderjahre hat man Zeit um zu sammeln. Die Anfangsphase ist laut ihm entscheidend für einen Erfolg. 2. Die Themenlage und öffentliche Meinung nicht unterschätzen. Im Zuge der Klimakrise sieht er hier eine gute Ausgangsposition für „weniger Fluglärm, weg mit der dritten Piste und mehr Klimaschutz“. 3. Die Rolle der Medien sieht er kritisch: „Zur Pressekonferenz für die ersten beiden VB ist kein einziger Journalist erschienen!“. Viele Menschen auf der Straße haben sich beschwert, dass sie nichts im Fernsehen oder in der Zeitung davon gehört hätten. Soll es eine Berichterstattungspflicht geben? Von Pflicht hält Marschall wenig, aber es muss einen Weg geben, Aufmerksamkeit auf Initiativen aus der Bevölkerung zu lenken ohne große Budgets.
Über die nächsten Wochen werden hier Menschen zum Gespräch geladen, die aus Wirtschaft, Kultur, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Startups, NGO und mehr einen anderen Blick auf Europa haben. Wir stellen allen drei Fragen: Wie denken wir Europa von Grund auf neu? Welches eine Gesetz würden sie auf Europaebene beschließen? Was hat sie politisiert? In der dritten Folge haben wir mit Katharina Zangerl gesprochen. Sie ist Mitgründerin und im Vorstand von Volt Österreich, der ersten paneuropäischen Partei. Wie sich junge, politisch meist unerfahrene Menschen organisieren um an einem tatsächlich gemeinsamen politischen Europa zu arbeiten. Ein Gespräch über was es bedeutet, neben einem Vollzeitjob eine Partei aufzubauen, welche Ideen Volt mitbringt und wieso sie die Kritik der „Erasmus-Generation“ als Stärke sieht. Im Anschluss lesen Sie drei Stichpunkte: Europa unter Strom oder die Entstehung von Volt Vor zwei Jahren beantragten die Briten Artikel 50, der formelle Beginn des Brexits. An diesem Tag saßen ein Italiener, ein Deutscher und eine Französin zusammen und bemerkten, wie zerbrechlich dieses Europa sein kann. Um Populismus und Auseinanderdriften entgegenzuwirken und jungen Menschen eine Stimme zu geben, gründeten sie am 29. März 2017 Volt. Keine nationalen Listen, sondern eine gesamteuropäische Partei, aus der „Zweigniederlassungen“ in den Ländern entstanden, sagt Zangerl. „Ein Freund hat mir geschrieben, die suchen Menschen, die das in Österreich aufziehen“. Zu Beginn sträubt sie bei dem Gedanken, selbst Politik zu gestalten. „Ich wollte gar nie zu einer Partei, ich wollte gar nie in die Politik. Ich habe viel geschimpft davor“. In Wien trifft sie die Gründer Andrea Venzon und Colombe Cahen-Salvador und ist überzeugt von deren Ideen. „Es war schlussendlich ein Gefühl der Verantwortung gegenüber meinen Mitmenschen, mir selber und irgendwann meinen Kindern. Sagen zu können, ich habe nicht einfach zugeschaut, sondern hab was getan“. Standpunkte und Policymaking Der Gründer Andrea Venzon beschreibt die Partei mit den folgenden Worten: „Wir positionieren uns zwischen Mitte links und Mitte rechts. Auf der wirtschaftlichen Seite sind wir eher liberal, bei sozialen Fragen sind wir eher sozialdemokratisch. Generell sind wir an Lösungen orientiert und nicht an Ideologien“. Die Frage, ob Volt daher nicht nur ein Sammelbecken für junge Menschen aus mit Erasmus- und Startuperfahrung sei, stellt sich für Zangerl so nicht. „Es heißt immer, die jungen interessieren sich nicht für Politik, und wenn sie es dann tun, passt es auch nicht“. Sie betont auch die intereuropäischen Möglichkeiten dazu. „Wir müssen nicht alles neu machen. Die Finnen haben großartige Schulen, die Rumänen sind Vorreiter in IT-Themen, Österreich hat eine großartige Umweltpolitik. Wir können voneinander lernen und uns stärken“. Warum tut man sich Politik an? „Meine Großeltern sind geflüchtet von Ost- nach Westdeutschland, kurz bevor die Mauer gebaut wurde. Was mir meine Oma erzählt hat, hat mich komplett verstört. Ein Parlament entscheidet, dass man seine Familie nicht mehr sehen darf? Oder dass man heute nicht heiraten kann, wen man möchte?“ Gemeinsam mit einem Studium der Politikwissenschaften beschreibt Zangerl das als die Gründe, was sie politisiert hat. Wieso sie jetzt auf die aktive Seite gewechselt ist? „Es kostet sehr viel Kraft, aber es gibt einem auch sehr viel. Wenn ich jetzt die Zeitung lese und vom Brexit höre, fühle ich mich nicht mehr so machtlos“. Trotzdem ist Volt zurzeit eine Beschäftigung neben dem Vollzeitjob: Vier bis fünf Abende pro Woche ist sie unterwegs, bezahlt ist das nicht. „Wir alle machen Volt in unserer Freizeit, aber die Arbeit ist ganz bunt. Auf der Straße stehen und Flyer verteilen hätt ich mir vor einem Jahr nie träumen lassen!“.
In der zweiten Folge zu unserem Europaschwerpunkt trafen wir Cornelius Hirsch. Er ist der Co-Gründer und Leiter von Poll of Polls, einer Plattform für Wahlumfragen, die aus ganz Europa Daten aggregiert und auswertet. Diese Idee hat dem Medium POLITICO so gut gefallen, dass es Poll of Polls kauft. Ein Gespräch über die Liebe zur Wissenschaft, warum er bei fast jedem Abendessen über Politik spricht, diese aber nicht selbst machen möchte. Europas Antwort auf 538 „Begonnen hat alles während dem US-amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf 2016, ich war täglich auf fivethirtyeight.com und hab mir gedacht, warum gibt es sowas nicht auch für Europa?“ FiveThirtyEight ist eine Nachrichtenwebsite die Statistiken und Einschätzungen für Wahlumfragen liefert, Hirsch gründete davon inspiriert „Poll of Polls“. Gemeinsam mit einem Studienkollegen begannen sie 2017 mit den niederländischen und anschließend den französischen Wahlen. Sein Kollege Peter Reschenhofer programmierte die Website und Skripts, Hirsch übernahm die Datenarbeit. „Täglich Wikipedia, Umfrageseiten, Nachrichtenseiten oder sogar Twitter nach den neuesten Statistiken durchsuchen. Hoffen, dass es jemand eingegeben hat und während dem Frühstückskaffee eintippen“. Neben dem Vollzeitjob wird Poll of Polls aufgebaut, Hirsch arbeitet bis vor kurzem am WIFO und ist Doktorand an der Wirtschaftsuniversität. Nach und nach kommen mehr Länder mit mehr Wahlen dazu. Der Bedarf viele Befragungen an einem Ort zu sammeln und auszuwerten, kam von ihm selbst. „Was ich wollte, gab es nicht. Also habe ich es selbst gemacht, weil ich wissen wollte wie es steht“. Nachdem jedes Land in der EU online war, ging es schnell nach oben. Anfragen von internationalen Medien von Washington Post bis Le Monde kommen, letzten Sommer trifft er Ryan Heath von Politico Europe am Forum Alpbach und die Verhandlungen beginnen. Zur Verteidigung und Grenzen der Meinungsforschung Hirsch verteidigt die Meinungsforschung, die vor allem nach der Wahl von Trump in die Kritik geraten ist. „Niemand hat einen Sieg von Trump ausgeschlossen, seine Chancen lagen bei etwa 30 Prozent“. Die Verantwortung sieht er eher bei Journalisten und Medien, die aus einer Umfrage gerne eine Schlagzeile machen: „Eine Umfrage ist wie ein gutes Parfüm, man soll daran riechen, aber nicht davon trinken“, sagt Hirsch und gibt zu diesen Satz von Mathias Strolz gestohlen zu haben.Inspiriert aus einem Interview mit Regula Stämpfli fragt Philipp Weritz nach den Grenzen: Nur, weil man Demokratie vermessen kann, heißt das auch, dass man sie vermessen soll? „Das ist eine Frage, die ich mir selbst auch stelle. Aber es gehört zu meinem Menschenbild dazu, dass Wähler und Wählerinnen mündig sind. Und nur informierte Bürgerinnen sind informierte Wählerinnen“. Er sieht seine Rolle als Unterstützer und Aufklärer, der sich aufgebauschten Nachrichten auch entgegenstellen kann. „Als Herr Berlusconi in Italien seine Kandidatur bekannt gab, war das ein großer Tumult. Wenn man sieht, dass er einer Partei mit acht Prozent vorsteht, relativiert sich das wieder“. Politisierung á la Ländle Der gebürtige Vorarlberger ist seit jeher neugierig wenn es um Politik geht. „Ich kann mich gar nicht erinnern, jemals nicht politisch interessiert gewesen zu sein. Bei uns zu Hause wird bei jedem Abendessen mindestens einmal über Politik geredet“. Mit einem christlich-sozialen Großvater, der sich schon für Umweltagenden einsetzte, war ebenfalls ein Grundstein gelegt. Als dritten Faktor sieht Hirsch die Schulpolitik. „Ich war Klassensprecher, Schulsprecher, dann in der Landesschülervertretung. Einen ordentlichen politischen Streit im besten Sinne auszutragen war einfach wahnsinnig spannend“. Allerdings sieht er bereits erste Anzeichen von Parteipolitik, die ihn abschrecken. Sachliche Auseinandersetzungen finde er sehr spannend, aber mit Anliegen einer Partei im Hintergrund zu diskutieren, will er nicht.
Nini Tsiklauri läutet den Auftakt unserer Serie zu Europa ein. Über die nächsten Wochen werden hier Menschen ins Gespräch geladen, die aus Wirtschaft, Kultur, Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Startups, NGO und mehr einen anderen Blick auf Europa haben. Wir stellen ihnen alle drei Fragen: Wie denken wir Europa von Grund auf neu? Welches eine Gesetz würden sie auf Europaebene beschließen? Was hat sie politisiert? Die deutsche Staatsbürgerin ist in Georgien geboren, in Ungarn und Deutschland aufgewachsen, nun studiert und lebt sie in Wien. Als nächsten Halt plant sie Brüssel, Tsiklauri kandidiert für die Wahlen zum Europaparlament. Ein Gespräch über Europa als Lebenseinstellung, warum es so trotzdem nicht weitergehen kann und was sie als ihre Identität sieht. Am Puls des Kontinents Tsiklauri hat einen Lebenslauf, in den kaum mehr Europa passt. Woher das Engagement und die Begeisterung? „Das hat bei mir sicher was mit meinem georgischen Hintergrund zu tun. In den 90ern sind meine Eltern mit mir nach Ungarn ausgewandert, das war ein wahnsinniger Unterschied“. Auch wenn Ungarn nicht Vorreiter in Technologie oder Infrastruktur war, ist es Georgien weit voraus. Stetig fließendes Wasser oder eine stabile Stromversorgung waren in der Schule in Tiflis die Ausnahme, sagt Tsiklauri. Trotzdem wandern die Eltern wieder zurück nach Georgien, aufgrund der feindseligen Einstellung gegenüber Migranten. Auch dieser Halt währt nicht lange, mit zehn Jahren geht es nach Deutschland wegen dem Studium ihrer Eltern. Tsiklauri lernt Deutsch, findet Gefallen am Schauspiel und wird bald eine Größe in der Kinderunterhaltung. „Auf einer Konferenz in Bukarest habe ich die Kanzlerin Angela Merkel gebeten, meinem Land beizustehen. Sie war perplex, aber das war mein erster Kontakt mit der Politik“. Während eines Urlaubs in Georgien bricht 2008 der Krieg aus, ihre Familie schafft es, heil durch das Epizentrum und flieht über die Türkei. Politisierung später Ein prägender Moment, wie sie schon oft erzählt habe. Trotzdem nicht der Moment, der sie endgültig politisiert hat. „Ich habe zwar begonnen mich in Jugendparlamenten zu engagieren, aber erst als ich mich aktiv dafür entschied, meine Schauspielkarriere zu beenden, kommt der Stein ins Rollen“. Es folgt das Jahr 2016, das Jahr des Brexits. Trotz all der positiven Erfahrungen und Begeisterung für Europa, sorgt erst der Moment der Spaltung für die endgültige Politisierung. Tsiklauri initiiert die Bewegung Pulse of Europe in Wien: „Ich hatte richtige Angst davor, auf der Straße mit Fremden zu reden, aber nach dem vierten, fünften Mal ging es. Für etwas – statt gegen etwas – auf Menschen zuzugehen, war auch neu“. 1 von 500.000.000 Die Pulse of Europe Demos sind am Anfang ein voller Erfolg, hunderte Menschen kommen und diskutieren. „Das war vor der Wahl, danach ging es bergab. Da kamen nur mehr die allermotiviertesten, und es gab ein Gefühl von ‚passt schon, wir haben eh was erreicht‘“. Trotzdem zeigt es ihr, dass man auch als einer von fünfhundert Millionen Menschen etwas bewegen kann. Diese Mitarbeit und Verantwortung des Einzelnen ist ihr wichtig, hier sieht sie auch eine große Möglichkeit: Die Verbindung zwischen EU und Bürger*innen kann man über eine Reform der Europe Direct Stellen um einiges verbessern, und dafür gibt es auch mehr als genug Bedarf, denn: „Europa wird so nicht überleben“.
Diese Folge von Wer jetzt? entstand im Rahmen einer Kooperation des Europäischen Forum Alpbach mit Demokratie21. Die Aufzeichnung fand während den Politischen Gesprächen im Sommer 2018 statt. Das Thema des diesjährigen Forums lautet „Freiheit und Sicherheit“. Dabei geht es nicht nur um aktuelle Entwicklungen, sondern auch um deren Ursachen, Perspektiven und neue Orientierungen. Das Programm finden Sie in den kommenden Tagen online, ab dem 20. März 2019 können Sie Tickets erwerben. Daphne Büllesbach ist Executive Director der Organisation „European Alternatives“, die sich mit Veränderung auf transnationaler Ebene in Europa beschäftigt: Mit Fragen zu Demokratie, Gleichstellung, Kultur und was nach dem Nationalstaat kommen kann. Sie glaubt, dass große Themen nur mehr auf europäischer Ebene gelöst werden können, und auch kleinere davon profitieren würden. Ein Gespräch über Flüchtlingspolitik, Steuerflucht und welche Institution der EU Büllesbach gerne abschaffen würde. Hier lesen Sie drei Stichpunkte. Eine europäische Öffentlichkeit? Büllesbach greift den Gedanken einer echten europäischen Öffentlichkeit auf, die es ihrer Meinung nach noch nicht gibt. „Das liegt einerseits an der Sprachbarriere, andererseits auch am Willen“. Vergleicht man das Budget der beiden deutschen Rundfunkanstalten ARD und ZDF, in der Höhe von rund neun Milliarden Euro, mit den Mitteln, die der EU zur Verfügung stehen, kann es nicht daran liegen, meint sie. „Schon eine Milliarde könnte wahnsinnig viel bewegen, um zumindest einen Sender oder ein großes Programm zu schaffen, dass in alle europäischen Haushalte gesendet wird“. So teilt sich die Aufmerksamkeit auf 28 nationale und parallele Öffentlichkeiten, die sich auch im selben Land nochmal aufteilen. Die Möglichkeiten für eine echte gemeinsame europäische Öffentlichkeit dürfe nicht an den unterschiedlichen Sprachen scheitern, meint sie. Solidarität per Gesetz Büllesbach kritisiert auch die mangelnde Bereitschaft von Nationalstaaten, sich auf gemeinsame Lösungen einzulassen und auch im eigenen Land Initiativen dafür zu unterdrücken. „Ein Beispiel war die sogenannte Flüchtlingskrise. Viele Gemeinden und Städte in Ungarn und Polen wollten Flüchtlinge aufnehmen, aber wenn sich der Staat weigert, passiert das nicht. Man kann Solidarität offensichtlich nicht verordnen“. Das gelte umso mehr nach den gegenseitigen Schuldzuweisungen und Ausweichen bezüglich Flüchtlingsquoten. „Ungarn will nicht, weil Polen nicht will, und so weiter. Keine Institution kann diese Staaten dafür zur Rechenschaft ziehen“. Aufbau einer transnationalen Organisation Wie baut sich eine Organisation und Netzwerk wie die European Alternatives auf? "Es gibt ein Büro in Rom, Paris, Berlin und viele mehr, aber unsere Arbeit ist nicht an Orte gebunden". Viel Arbeit kann nur durch das ehrenamtliches Engagement von Menschen geschehen, die sich so weit einbauen, dass daraus mehr entsteht. "Mit so vielen Mitgliedern und Ländern ist viel autonom und self-managed. Wir können ja gar nicht mit allen immer in Kontakt bleiben und interagieren". (C) Wer jetzt? ist ein Podcast von Demokratie21, produziert und moderiert von Philipp Weritz, Redaktion Milo Tesselaar und Nina Schnider.
Christoph Konrath leitet die parlamentswissenschaftliche Grundsatzarbeit. Was steckt hinter diesem Begriff? In der neuesten Wer jetzt? Folge spricht er über alte Institutionen, neue Methoden und warum man das Handwerk Politik erlernen kann. Drei Punkte aus diesem Podcast lesen Sie hier. Wissenschaft und Grundsätze im Parlament “Viele fragen sich, was man unter parlamentswissenschaftlicher Grundsatzarbeit versteht, es ist in Wahrheit aber ein Sammelbegriff für viele neue Aufgaben der letzten Jahre”, sagt Konrath. Darunter versteht man unter anderem die wissenschaftlichen Themen des Parlaments langsam und abseits von Alltagsbezug anzugehen, sowie einen Ort des Wissens anzubieten. Wie arbeiten andere Parlamente in anderen Ländern? Kann man parlamentarische Qualität über Grenzen hinweg vergleichen? Parlamente seien oft Traditionshäuser, die historisch bedingte Prozesse mit sich bringen, was Vergleiche erschwert. “Wenn man Qualität gegenüberstellen will, dann wie weit sie ein Umfeld dafür schaffen, wie politische Auseinandersetzung funktionieren soll.” Diskussionen, Beratungen, Verhandlungen: Wie passiert Politik wenn sich zwei Menschen Angesicht zu Angesicht gegenüber sitzen? Welche Prozesse brauchen wir, um Wissen zu organisieren? Politik: Können oder nicht können? “Gerade Parlamente, die sehr alte Institutionen sind, haben oft das Bild, man geht hinein und macht einfach. Entweder man kann’s oder man kann’s nicht.”, sagt Konrath. Dieses Bild sei nicht mehr zeitgemäß. Politik ist eine Lernerfahrung, und Parlamente sind dann gut, wenn sie diese Erfahrung entsprechend stützen können. Er räumt auch mit einem Missverständnis auf: “Es scheint oft so, als wären die Meinungen schon vorhanden und im Parlament nur abgebildet. Dabei entstehen viele Resultate erst in Prozessen, wo man offen ist für Argumente und Gegenargumente”. In einer demokratischen Politik könne es diesen “Willen des Volkes” also gar nicht geben. Das Lernen hört aber bei Prozessen nicht auf. “Wie bereitet man Wissen und Informationen so auf, dass es verstanden wird, in der ganzen Komplexität und Ambivalenz?” Er bringt Beispiele von neuen Methoden aus anderen Ländern, zum Beispiel der Citizen Assembly aus Irland oder dem finnischen Zukunftsforum. Verfassung für alle Konrath ist auch Gründer der Plattform unsereVerfassung.at. Inspiriert aus dem US-amerikanischen Raum, will er diese auch in Österreich verständlicher und zugänglicher machen: “Verfassung ist in Österreich ein wahnsinniges Expertenthema. Wenn irgendwo Verfassung zu hören ist, brauchen wir Verfassungsexperten und es ist sofort ein juristisches, komplexes und abstraktes Thema”. Damit ist es auch aus der Hand, denn auch ohne ein Experte zu sein, können politikinteressierte Bürger*innen ein Verständnis entwickeln, was die Verfassung bestimmt, begrenzt und wieso sie so wichtig ist.
2017 führte der 5. Wiener Gemeindebezirk ein partizpatives Budget ein. Die Bezirksvorsteherin und SPÖ-Politikerin Susanne Schaefer-Wiery zieht Bilanz über das Pilotprojekt. Wie lassen sich Ideen aus der Bevölkerung standardisiert einbringen? Sie spricht über Kompetenzfragen, warum sie sich diese "Arbeit" gerne antut und wieso Facebookkommentare die neuen Graffitis sind. Drei Stichpunkte aus diesem Gespräch lesen Sie hier. Budget? Zum Mitmachen? Was versteckt sich hinter dem "partizipativen Budget"? Schaefer-Wiery nennt es ein standardisiertes Modell zur Einbringung von Ideen. "Vorschläge werden online gesammelt, bewertet und in den Ausschüssen gleich wie der Antrag einer Partei behandelt". Sie sieht den größten Nutzen im Expertentum der Margaretner*innen. Menschen die in einem Grätzl (Teile von Wohnbezirken, Anm.) wohnen, wissen, wo der Schuh drückt. Von der Idee zum Pilotprojekt hat es anderthalb Jahre gebraucht. Im Bezirksparlament wurde das Konzept von den Parteien einstimmig angenommen. Gibt es Themen, die nicht gehen? "Ausgeschlossen sind Schulwesen und der Straßenbau. Wenn in einer Schule das Dach kaputt ist, kann ich keine Bürgerbeteiligung verwenden". Das wichtigste Thema - die Gestaltung des öffentlichen Raums - ist aber inkludiert. Manche Vorschläge fallen auch in einen Konflikt der Kompetenzen: "Einmal wurde nach Gesundheitsberatung gefragt, das ist leider nicht drin". Erfahrungen und Entscheidungen Wichtig ist Schaefer-Wiery zu sagen, dass es keine finanziellen Limits gibt. Bürgerbeteiligung mit einer fixen Summe abzuspeisen, hat für sie einen "gönnerhaften" Charakter. Für 2018 kann sie noch keine genauen Zahlen sagen, schätzt das Volumen der aus Bürgerideen entstandener Projekte aber auf unter 50.000 €. "Das wird in den nächsten Jahren aber sicher mehr". Die Tatsache, dass das Einreichen, Kommentieren und Bewerten der Ideen online stattfindet, schließt natürlich auch Menschen aus. Zwar kann jede*r sich auch per Brief einbringen, aber es ist für sie in Ordnung, dass sie damit eine digital affine Zielgruppe erreicht. "Manche Menschen schauen fern, manche lesen Zeitung. Das hat alles seine Berechtigung". Was würde sie aus heutiger Sicht ändern? Nicht viel meint sie, auch andere Bezirke seien sehr neugierig, noch ohne Nachahmungen. Oft scheitere es schlussendlich aber am Aufwand, den so ein Projekt einmalig und laufend mit sich bringt. Die Frage nach dem Warum All das klingt aus Bürgersicht vernünftig. Aus Verwaltungssicht kostet das Geld und Zeit, es gibt neue "Konkurrenz" in der Gesetzgebung. Warum will sie das trotzdem? Schaefer-Wiery geht es um mehr Auseinandersetzung zwischen Politik und Zivilgesellschaft. "Das darf nicht zu förmlich passieren, sondern intelligent". Viele andere europäische Städte verwenden für die Umsetzung von Bürgeranliegen sehr viel Geld. Auch wenn es starke Unterschiede gibt, wie viel, zeigt der Trend klar in diese Richtung. "Innovationen passieren nie in einem Amtshaus, sondern immer draußen", meint sie. Zudem sei das Leben schneller geworden, was bleibt der Politik anderes übrig, wenn sie schnell Bedürfnisse erkennen will? Sie sieht die Rolle der Politik vergleichsweise selbstlos, auch wenn ihr persönlich ein Wille nach Veränderung inne lebt. Wer jetzt? Biografie und Links Susanne Schaefer-Wiery ist seit 2013 Bezirksvorsteherin des 5. Wiener Gemeindebezirks und SPÖ-Mitglied. Sie begann ihr Engagement in der Fachgruppe Film in der Wirtschaftskammer Wien und Österreich. 2010 wurde sie Bezirksrätin und Vorsitzende der Kulturkommission. Beruflich war sie u.a. Leiterin der Volkshochschule Hernals, Geschäftsführerin des Filmcasinos und Vorstand der Sozial Global AG. Als Wissenschaftlerin beschäftigte sie sich mit Graffiti im öffentlichen Raum. Sie finden sie auf Facebook und der offiziellen Wien Homepage. (C) Bildrechte: Alexandra Kromus
In der neuesten Folge von Wer jetzt? ist Dieter Zirnig zu Gast. In den letzten Jahren war er selbständig als Unternehmensberater tätig, hat die Plattform neuwal.com gegründet (die derzeit pausiert) und ist aktuell für die Rechercheplattform Addendum tätig. Woher kommt das Engagement für Politik und warum ist ihm politische Bildung wichtiger als das Wahlergebnis? Das Interesse für Politik begann als kleiner Junge. In einem Klagenfurter Gasthaus seiner Tante erlebte er Diskussionen mit dem Bürgermeister, bald darauf war er im Schülerparlament. Statt selbst in die Politik zu gehen, experimentierte er mit Formaten was schlussendlich zu neuwal.com führte. Warum er nicht selbst Politiker wurde? „Viele Menschen sind politikbegeistert, aber es fehlt das Wissen. Man kann auch sehr viel im Vorfeld machen, um am Wahltag eine bessere Entscheidung zu treffen“. Oft findet das über einen spielerischen Zugang statt, um auch Menschen zu begeistern, die weniger interessiert sind. 1000 Umfragen und fast so viele Formate In der bald 11-jährigen Geschichte von neuwal.com ist vieles passiert. Zirnig ist ein verspielter Mensch, er probiert konstant neue Formate aus. Das bestätigt die Bilanz: Mehr als tausend Wahlumfragen gab es, Barometer, Transkripte, Diskussionsrunden, Public Viewings, Workshops, lange Tage der Politik und sogar ein Kartenspiel. Letzteres ist auch sein aktueller Favorit, damit will er auch die EU-Parlamentswahlen Schülern näherbringen. „Wir sind in Schulen gegangen, um Grundlegendes zu erklären. Wer tritt an, welche Farben haben Parteien, welchen Themen sind wichtig. Wer wofür steht, ist schon der zweite Schritt“. Das mag für politikinteressierte Leser seltsam wirken, 16-Jährige dafür zu interessieren sieht Zirnig schon als kleinen Sieg. Die größte Hürde Auf die Frage, woran er am längsten zu kämpfen hatte mit neuwal.com hat er zwei Antworten. „Vor drei Jahren hätte ich gesagt Geld. Einen stetigen Fluss von finanziellen Mitteln zu schaffen ist das schwierigste, auf Projektebene funktioniert es aber gut“. Aus heutiger Sicht ist ihm die Bildung mehr ans Herz gewachsen. „Heute brauche ich motivierte Menschen, die mit mir gemeinsam Bildung tragen wollen. Das sind vor allem Lehrerinnen und Lehrer, und hier merke ich wie die Bereitschaft in den letzten Jahren zurückgegangen ist“. Bildung und Politik zu vereinen sei ein heikles Thema.
Elke Rauth ist Mitglied des Vorstands von dérive - Verein für Stadtforschung, sowie Redakteurin des monatlichen Radioformats dérive - Radio für Stadtforschung. Sie ist Gründerin, Leiterin und Co-Kuratorin von urbanize! Int. Festival für urbane Erkundungen, das sich seit 2010 jährlich für 10 Tage der forcierten Auseinandersetzung mit und Vermittlung von urbanen Themenstellungen widmet. Die Demokratisierung der Demokratie "Das was wir im Moment als repräsentative Demokratie erleben, ist extrem ausgehöhlt. Sie bietet so wenige Anschlusspunkte für so wenige Menschen, dass wir überlegen müssen, wie wir unser demokratisches System weiterentwickeln können. Das ist für mich eine Demokratisierung der Demokratie". Um die aktuellen Trends von rechtsautoritären Wenden zu stoppen, muss das geschehen. Dabei lassen sich Menschen oft lähmen vor dem Gespenst der Rechten und Rechtsextremen. "Wie ein Kaninchen vor der Schlange. Diese Energie ist besser in einem Gegenprogramm aufgehoben, in eine demokratische Weiterentwicklung", sagt Rauth. Munizipalismus als neue Bewegung? Eine Idee und Konzept, das ihr Hoffnung bereitet, sind munizipalistische Bewegungen. "Das sind Bewegungen, die sehr stark im Lokalen angebunden sind und wirken, aber in einem größeren Verbund (staatlich, europäisch) an globalen Fragen arbeiten. Lokal handeln und global vernetzen!". Ein weiteres Merkmal ist, dass sie radikaldemokratisch sind. Am Beispiel Barcelona erklärt sie, was das bedeutet. Städtische Betriebe setzen stärker auf Mitbestimmung durch Arbeitnehmer*innen, in der öffentlichen Auftragsvergabe werden Unternehmen bevorzugt, die genossenschaftlich oder gemeinwohlorientiert sind und nachhaltig wirtschaften. "Demokratie als lebendiger Prozess, der gemeinsam weiterentwickelt wird. Das ist radikal anders, als die repräsentative Parteiendemokratie". Das ist für sie eine bewusste Entscheidung, an welchem System man baut. "Höchst mögliche Mitsprache und Bestimmung aller oder Top-Down Lösungen, mit notgedrungener Bürgerbeteiligung?". Erkenntnisse und neue Wege Welche Dinge hat Elke Rauth über die vielen Projekte gelernt? Sie antwortet anhand des Urbanize Festivals. "Zuerst einmal ist es sehr schwierig, eine Finanzierung aufzustellen". Über ein neues Stiftungsrecht, das sie in Deutschland sehr gut umgesetzt sieht, könnte man Anreize setzen, dass mehr gesellschaftspolitische Projekte umgesetzt werden. Aktuell sieht sie das in Österreich nur als steuerschonende Möglichkeit, Vermögen zu parken. Ihr neues Projekt heißt Bikes and Rails und ist ein Mietshaussyndikat. Das heißt, sie bauen als Verein Wohnungen, die niemandem gehören. Wie das genau funktioniert, können Sie im letzten Drittel dieser Folge hören, oder auf der Homepage nachlesen. (C) Bildrechte esel.at
Josef Lentsch ist scheidender Geschäftsführer des NEOS Labs und Autor. Sein Buch "Political Entrepreneurship" erscheint im Dezember. In der neuesten "Wer jetzt?" Folge reflektiert er über sein Wirken und lässt Erkenntnisse und Fragen über Parteien Revue passieren: Warum ist die Gestaltung eines Prozesses ebenso wichtig wie die Teilnehmer? Wie nimmt man Menschen auf einen schmerzhaften Weg mit? Und was macht ein Political Entrepreneur? 5 Jahre lang hat Josef Lentsch das NEOS Lab als Think Tank und Bildungsstätte federführend aufgebaut und entwickelt. Im Jahr 2013 einen solchen Ort neu aufzubauen nahm Lentsch als Gelegenheit, ihn aktuellen Gegebenheiten anzupassen. Was ist anders? Er sieht zwei zentrale Punkte, die gegeben sein müssen. Erstens, wie eine Organisation entworfen wurde. Der Prozess, wie man dazu kommt, wo sich Bürger einbringen können, sollte sich abheben von alten Prozessen, wo ein Vorstand alles entscheidet. Das Was, also die Inhalte als zweiter Punkt, entsteht so mit ganz anderen Zugängen.
Die Präsidentin der Politischen Akademie, Bettina Rausch erklärt wie sie im Auftrag von Sebastian Kurz die zukünftigen ÖVP-Politiker ausbildet: Wie geht man mit Social Media um? Wie holt man sich frische, auch untypische Ideen ins Haus? Ihre Laufbahn an der Politischen Akademie begann vor 18 Jahren als Kursteilnehmerin und führte sie im März diesen Jahres zum Posten der Präsidentin. Bis hierher hat sich viel getan, und sie hat viel gelernt: "Dinge misslingen, wenn man nicht auf alle hört. Das heißt nicht, dass man es immer allen Recht machen muss, aber man kann nicht alleine vorpreschen". Warum sie von Wolfgang Schüssel begeistert war, warum Gemütlichkeit nicht ihr Ziel ist, was sie nach all den Jahren immer noch in der Politik hält und vieles mehr in dieser Folge.
"Was machen die Abgeordenten im Österreichischen Parlament wirklich? In den Medien hören wir immer wieder, dass Parteien für oder gegen einen Antrag gestimmt haben. Aber eigentlich wissen wir nicht einmal das. Die Protokolle des Nationalrats sagen nur, ob ein Antrag “mehrheitlich” angenommen oder abgelehnt wurde. Welche Partei wie abgestimmt hat, wird nicht protokolliert. Wie der einzelne Abgeordnete abgestimmt hat, wird nur bei den sehr seltenen namentlichen Abstimmungen protokolliert." So formuliert Oliver Hoffmann es in seiner Bürgerinitiative für Transparenz im Parlament, warum der Nationalrat gläsern werden muss. Wieso das noch nicht eingetreten ist wie einfach es zu lösen wäre, erklärt er in dieser Episode. Eine weitere politische Aktivität ist das Einsetzen für Männerrechte: Hoffmann hat die Männerpartei gegründet und spricht teils provokante Positionen aus, die er als notwendingen Gegenpol zum Feminismus sieht. Für Wirtschaftswachstum dürfen Bauarbeiter nicht als unabdingbares Opfer gesehen werden, argumentiert er zum Beispiel, auch warum er den Wiener Kongress unter Metternich umgestalten würde.
Eine Fassade begrünen? Einen sicheren, bezirksübergreifenden Radweg durch Wien schaffen? Sandra Löcker-Herschkowitz von der Lokalen Agenda 21 beschäftigt sich als Begleiterin solcher Prozesse mit Bürgerbeteiligung vor der Haustür. Dabei geht es um große Themen wie Stadtentwicklung, Raumplanung und etwas, das ihr besonders am Herzen liegt: Die Einbindung von Kindern und Jugendlichen. "Je früher man damit anfängt, desto natürlicher ist für sie als Erwachsene, mitzureden, sich eine Meinung zu bilden und mitzumachen", sagt Löcker-Herschkowitz. Beteiligung wird somit zu einer Selbstverständlichkeit Wo sie digitale Werkzeuge als Ergänzung dabei verwendet, und wo es persönlich besser geht und vieles mehr erzählt sie in dieser Episode.